Beitragvon Joyce » 24.09.2016, 23:34
Lebenslauf
Die Schneeflocken fielen schon dick vom aschefarbenen Himmel und kaum ein Stern fand seinen Weg in die Blickfelder der Poeten, die in die tiefe, dunkle Nacht hineinsahen. Eiskalt war in diesem Jahr der Heilig Abend und die kleinen Familien hinter den gelben, hell erleuchteten Fenstern fieberten dem Weihnachtsfest entgegen, das schon am nächsten Morgen, dem ersten Feiertag, in Form von kleinen roten Socken am Kamin, gefüllt mit Nüssen, Orangen und Geschenken unter dem Weihnachtsbaum, begangen werden sollte.
Frierend in einen dicken Mantel gehüllt und in leicht schleppendem Gang lief eine weibliche Gestalt durch die von Schnee knatschenden Strassen, blickte immer wieder sehnsüchtig in die Fenster, aus denen dumpfe Weihnachtslieder drangen und so manch ein bunt geschmückter Tannenbaum glitzerte. Immer wieder wandte sie den Blick zu Boden, das kalte Näschen tief in den dicken roten Schal vergraben. Eine Eiseskälte und soviel Zweifel in dem jungen Herzen.
Das Hospital war nicht mehr weit, doch für das junge, gerade mal 17-jährige Mädchen, schien dieser Weg fast unüberbrückbar. Matschig und hässlich sahen die vielbefahrenen Strassen vor dem "Harlem Hospital Center" aus, und die Kraft wich aus dem Mädchen, konnte sich kaum halten und rutschte den Beton entlang, wurde fast von einem Benz erfasst und schaffte es zitternd und schwitzend zugleich im hohen Fieber auf die richtige Seite der Strasse. Kurz wandte sie sich nach dem Auto um, doch der Fahrer schien nicht stehen zu bleiben und ein erleichtertes Seufzen wäre zu hören gewesen, wäre jemand in Hörweite gewesen.
"506 Lenox Avenue, wir sind da..", sprach die junge Frau flüsternd und blickte sich vorsichtig um, doch sie konnte durch den dicken Schnee kaum etwas erkennen, der Wind war kalt und ihre Augen flimmerten vom Fieber, tränten und sie schloss sie halb, um etwas sehen zu können, doch niemand nahm Notiz von ihr. Schon 1978 hatte in New York kaum jemand Interesse an einem seiner vielen Mitbürger und Nachbarn. Nicht in Nord-Manhattan, nicht in dieser riesigen Stadt.
Herzklopfen machte sich in ihr breit, je näher sie dem Eingang kam. Es war mitten in der Nacht und immer noch schien es hier reges Treiben zu haben. Fest umklammerte sie ihren Mantel und achtete darauf, dass ihr niemand ins Gesicht sehen konnte. Es dauerte einige Augenblicke und die Nervosität wurde schlimmer, als es je vorher gewesen war, doch es gab dann endlich den Moment, da sie ihren Mantel aufschlagen und ein Bündel am Eingang in eine windgeschützte Ecke legen konnte. Tränen rannen ihr übers Gesicht und sie strich sanft über die rosigen Wangen des nur wenige Stunden alten Kindes, das sie allein zur Welt gebracht hatte. Sie schluckte schwer, konnte sich nicht lösen, doch schon baldige Schritte ließen sie aufhorchen, aufschrecken und hinter die nächste Ecke fliehen, die im Dunkeln einer Säule an der Hausmauer lag.
Ein junger Mann, ein Pfleger, wie ihr schien, stutzte, als er das vergilbte Stoffbündel am Boden liegen sah. Seine moosgrünen Hosenbeine verrieten seine Mitarbeit im Krankhaus, auch wenn sein Mantel tiefbraun, wadenlang und dicht um ihn geschlungen war. "Das darf doch nicht wahr sein..", schnell kniete er sich, um das Bündel aufzunehmen und suchend blickte er um sich, als er es hochnahm und es wärmend an sich drückte.
Das Mädchen in der dunklen Ecke hielt den Atem an, die Tränen zurück und ein schweres Schlucken dröhnte ihr in den Ohren. Sie biss sich auf die zerrissenen, trockenen Lippen und versuche keinen Laut von sich zu geben, auch wenn sie aufschreien, hinlaufen, dem Pfleger das Kind aus dem Arm reißen wollte, sie durfte es nicht, sie konnte es nicht.. und in dem Augenblick, da sie die Mutterliebe übermannen wollte, gab der junge Mann die suchenden Blicke auf, wandte sich wieder dem Kinde in seinen Armen zu und nahm es mit hinein in die Wärme des hellbeleuchteten Krankenhauses.
"Bye, Kleines..", flüsterte die junge Frau und wart seither niemals wieder gesehen. Ob sie überlebte mit ihrem Fieber in dieser kalten Nacht nach der Geburt eines Kindes, ganz allein, blieb bis heute ungeklärt. Ihr Schicksal hat sich bis heute nicht offenbart.
16 Jahre später
Heute Nacht oder gar nicht mehr., Joyces Gedanken waren straight, wie sie es schon immer gewesen waren, als sie durch die dunklen, schlafenden Flure des Waisenhauses schlich. Die Nachtschicht hatte ihren Rundgang gerade beendet, war in das kleine Zimmer mit dem Fernseher zurückgekehrt und hatte die Tür hinter sich geschlossen. Joyce hörte, wie sie sich unterhielten und über die alten Serien lachten, die um diese Uhrzeit auf Fox wiederholt wurden.
Es dauerte keine Minute, als Joyce mit einer umgebogenen Büroklammer das Schloss der schweren, alten Tür geöffnet hatte. Vorsichtig drückte sie sie auf, sich immer wieder umsehend und innehaltend, wenn sie glaubte, die Türe des Nachtwachenzimmers könnte sich öffnen. Sie wusste, dass sie die Tür vor sich nur ein Stück weit aufmachen konnte, bevor diese ein unhübsches, lautes Quietschen von sich gab und alle in Alarmbereitschaft versetzen würde. Der Spalt war gerade groß genug, dass die schlanke Figur Joys hindurch passte. Gewusst überging sie die beiden knarrenden Bretter, nachdem sie die Tür wieder lautlos geschlossen hatte, und schlich im vom Mondlicht durchfluteten Zimmer bis zu einigen Aktenschränken.
Sie zog leicht an der großen, schwarzen Schublade auf Augenhöhe, doch diese wollte bis auf ein paar wenige Millimeter nicht näher zu ihr rücken. "Verdammter Mist aber auch.", Joy hatte nicht wirklich damit gerechnet, dass die Schränke für sie offen standen, nur weil sie gerade etwas daraus brauchte, dennoch verärgerte sie die Verzögerung. Wieder war es die Büroklammer, die ihr gute Dienste leistete. Die Schublade mit der Beschriftung "A-CH" schob sich ihr nach dem Klicken des Schlosses fast von allein entgegen. Sie brauchte nicht lange, um ihre Akte herausfischen zu können und die Lade wieder zu schließen, ohne sich die braune Papiermappe anzusehen. Sie wusste, dass ihr Ausweis und die nachträglich ausgestellte Geburtsurkunde darin enthalten waren. "Vielen Dank auch.", flüsterte sie mit einem zufriedenen Grinsen in der Stimme, als sie sich auf den Weg zurück zur Tür machte.
Auf dem Flur war nichts zu hören und so zog sie die verhasste Eichenholztür des Büros der Leiterin wieder auf und schlüpfte durch den Spalt, schloss die Türe und schlich auf Zehenspitzen zum Waschraum der Mädchen, die in diesem Heim wohnten. Sie hasste das Heim, wie sie die Eichenholztüre hasste, durch die sie immer und immer wieder hatte treten müssen, um sich potentiellen Eltern vorzustellen. Allesamt hatte sie sie verekelt und immer wieder hatte sie Arreste für ihre Unverschämtheiten absitzen müssen. Doch lieber das, als mit den anderen Kindern und Jugendlichen zu Abend essen zu müssen und sich ihre dümmlichen Sprüche, Witze und Anekdoden anzuhören, wenn man das überhaupt so bezeichnen konnte, was sie von sich gaben.
Joyce war nicht beliebt, auch nicht unter den anderen Waisenkindern. Sie war sturköpfig und frech, hatte kein Interesse an Gleichaltrigen, keinen Respekt vor Älteren und durch die jüngere Generation blickte sie einfach hindurch. Zu all ihren Lastern war sie überaus intelligent und die Erzieherinnen bissen sich nicht nur einmal die Zähne an ihr aus. "Es ist so schade um Dich. Du hättest wirklich ausgezeichnete Zukunftsaussichten mit Deinem Können, wenn Du Dich nur einmal fügen könntest." - Ein Satz, den sie viel zu oft in ihrem Leben schon gehört hatte.
Joy konnte sich noch sehr gut daran erinnern, als die Erzieherinnen sie mit einem "Mitgefangenen", wie sie ihre Leidensgenossen gerne nannte, in den Duschräumen erwischten. Wenn sie keine Kontakte hegte, so pflegte sie doch sehr wohl ihre sexuellen Bedürfnisse, die schon sehr früh erwacht waren und von mal zu mal drängender zu werden schienen. "So verrucht wie Du bist, wirst Du niemals etwas werden. Es ist so schade um Deine Intelligenz.", da war sie wieder, diese Aussage und daraufhin durfte sie die Toiletten und Waschräume eine Woche lang zwei mal am Tag putzen.
Und in genau einem dieser Waschräume stand sie nun gebeugt über eine kleine, schwarze Tasche, in der sie das Nötigste an Kleidung, angesammeltem Geld und Büchern verstaut hatte, und in die sie nun auch die Pappakte legte. Sie zog den Reisverschluss zu und machte sich auf den Weg zu einem Fenster. Dem einzigen, in dem grossen, klinikkalten Fliesenraum mit den 20 Waschbecken. Einen Stuhl hatte sie sich schon bereit gestellt, auf den sie nun kletterte und sich zum Fenster hinauf- und durch dieses hindurch zog.
Sie ließ sich an der Hauswand heruntergleiten und stand dann fest an die Wand gedrückt auf einer kleinen Rasenfläche. Als das weißkalte Scheinwerferlicht die Büsche und den Boden streiften, wurde ihr einmal mehr klar, dass dies sicherlich kein Waisenhaus, sondern eine Anstalt - ein Gefängnis war. Oh ja, sie hasste es hier. Sie hasste sie alle hier. Joyce presste die Lippen aufeinander und zog den Bauch ein, als der Lichtstrahl nur Zentimeter vor ihr auf dem Boden entlangglitt.
Jetzt hatte sie 10 Sekunden, um zum zwei Meter hohen Eisenzaun zu kommen, der einige große Schritte entfernt vor ihr lag. Sie sprintete los und schaffte es knapp bis zu einem Busch davor. Aufgeregt atmend hielt sie sich gebückt und still, blickte fast apathisch auf das noch bevorstehende Hindernis. Oben waren Spitzen angeschmiedet und sie wusste, sie konnte sich nicht lange aufhalten. Als der Augenblick gekommen war und sie sich nach oben hangelte und über die Spitzen klettern wollte, zerriss die schwarze Armyhose und hinterließ eine tiefe Wunde in ihrem Oberschenkel. "Verdammte Scheisse..", fluchte sie mit schmerzverzerrtem Gesicht, zusammengebissenen Zähnen und einem fast gehetztem Ausdruck in den Augen, als sie den Lichtstrahl näher kommen sah. Schnell warf sie die Tasche auf die andere Seite, riss das Loch in der Hose grösser, damit sie nicht länger an der Spitze hängen blieb und stürzte sich regelrecht in die Tiefe, prallte hart auf die Schulter auf und biss sich zusätzlich auf die Unterlippe, um einen Aufschrei zu unterdrücken.
Lädiert und mit panisch klopfendem Herzen rappelte sie sich hoch, angelte nach der Tasche und begann zu rennen.. oder eher zu stolpern, da jeder Schritt tief an ihrer Schmerzgrenze vorbeiglitt...
10 Jahre darauf im Jahre 2005/ Identisch mit dem Ankunftstext
Tiefgrüne Augen blickten bewegungslos durch das Objektiv der Sniper, die die hübsche Schwarzhaarige an der Schulter angelehnt und auf einer Mauerbrüstung abgelegt hatte. Zarte Hände hielten das formvollendete Gewehr in horizontaler Lage, und der Zeigefinger der rechten Hand, drückte nur unmerklich etwas fester gegen den Abzug.
Als der gezielte Schuss durch die taghelle Stadt brach, hörte kaum jemand darauf. Phoenix war eine laute Stadt, dennoch schrieen die Menschen auf, die in ihrer Nähe den dicken, kahlköpfigen Mann in einem maßgeschneiderten Anzug blutend zusammenbrechen sahen. Sie begriffen erst Momente später, was passiert war, doch da war die Täterin schon lange nicht mehr auf dem Dach anzufinden.
Ungerührt und unauffällig fuhr Joyce mit dem Fahrstuhl ins Erdgeschoss. Ihr langer, schwarzer Ledermantel verhüllte das Gewehr, welches sich an ihrem Bein anlegte. Sie grüsste den Portier noch freundlich zum Abschied und verließ das Versicherungsgebäude, in dem sie zuvor noch eine Police abgeschlossen hatte. Das Alibi war sicherlich perfekt genug und im Inneren dieses Gebäudes hatte noch niemand den Aufruhr draußen auf der gegenüberliegenden Seite der Strasse mitbekommen. Ich liebe Panzerglas und die wegfallende Geräuschkulisse
in einem Raum mit diesem.
Joy machte sich auf den Weg in ihre Wohnung, die unweit des Tatortes lag. Eine Begebenheit, die sie zwar nicht leiden konnte, aber die in diesem Falle auch nicht zu verhindern war. Der Boss dieses Machtunternehmens war nur heute und nur um diese Uhrzeit für einige Minuten ohne Bewachung gewesen, denn das Schmiergeld konnte nicht noch höher vom Auftraggeber an den Security gezahlt werden.
Als sie die Wohnungstür aufschloss und die Waffe in ihrem Koffer ablegte, war sie einmal mehr froh, dass es nicht viele Aufträge gab, die sie tagsüber zu erledigen hatte, schließlich konnte sie nicht mit einem Waffenkoffer oder für eine Frau auffällig grosse Tasche durch die Gegend laufen.
Als die Waffe verstaut war, tätigte sie noch einen Anruf, um den Auftrag zu bestätigen, dann machte sie es sich auf der Couch ihrer Atelierwohnung gemütlich, um sich die neusten Nachrichten anzusehen, in denen das Attentat auf einen Großunternehmer live von den Kameras erfasst wurde. Als ob sie es wissen
würden., kam Joyce in den Sinn, als sie sich abwandte, sich zurücklegte und die Decke anstarrte, um zu überlegen, was sie heute noch tun könnte. Sie hatte Lust zu feiern, kannte einen ganz angenehmen Laden, in dem gute Musik lief, und vielleicht traf sie dort jemanden, den sie mit nach Hause nehmen konnte.
Mit nach Hause nehmen. Sie nahm selten jemand mit nach Hause, meist erledigte sich das Nachhause-Nehmen bereits auf dem Weg dorthin, was ihr auch recht sein sollte. Es war anfangs nicht leicht gewesen, überhaupt so etwas wie ein Zuhause zu bekommen. Die Wunde damals, heilte schwer, da sie nicht einfach in eine Apotheke oder ein Krankenhaus spazieren konnte, um sich Verbandszeug und Desinfektionsmittel zu besorgen. Zumindest nicht, als sie ihr Gesicht auf einer dieser Milchtüten abgelichtet sah.
Joyce geriet auf der Strasse an eine Jugendbande, als sie einem von ihnen die Geldbörse stahl, aber von zwei anderen gesehen und geschnappt worden war, die für einen der grösseren Bosse der New Yorker Unterwelt arbeiteten. Sie waren nichts weiter als Handlanger, aber Joyce brauchte einen Anschluss und sie brauchte Geld, also wurde sie eine von ihnen. Es war nicht ganz einfach gewesen, in diese Bande zu kommen, schon gar nicht als Mädchen, denn man nahm sie nicht ernst, mal ganz abgesehen davon, dass sie sich durch ihre Unachtsamkeit von ihnen beim Stehlen hatte erwischen lassen. Doch Joyce war niemand, der ständig nachfragte oder erklärte, sie wollte Taten folgen lassen, doch das war nur möglich, wenn sie sich Aufmerksamkeit ergattern konnte.
Nichts einfacher als das., dachte sie sich und ihr Entschluss brauchte nicht lange bis zur Umsetzung. Der "Anführer" dieser Handlanger - Silver mit Namen - war nichts weiter, als auch nur ein Kerl, der auf hübsche Frauen abfuhr. Etwas, mit dem Joyce mehr als glänzen konnte. Sie trat an ihn heran und noch bevor er sie wieder lachend wegschicken konnte, da er glaubte, sie würde erneut wegen einer Aufnahme anfragen, winkte sie ab, zog ihn an sich heran und die nächsten Stunden dieser Nacht verbrachten sie in einem alten Abrisshaus, das sie sich als Unterkunft auserkoren hatte.
Joyce war nicht der Mensch, der sich Positionen erschlief, aber es war ihr hier auch nicht möglich, anders zu handeln, wenn sie Gehör finden wollte und Silver zu betören, war wirklich nicht schwer. Zwar nahm er sie noch immer nicht ernst, aber seine sexuelle Abhängigkeit, die schon nach diesem einen Mal greifbar war, brachte ihr zumindest seine Aufmerksamkeit ein. Ihre Chance, zu beweisen, was sie konnte, ließ nicht lange auf sich warten, denn schon einen Tag später wurde einer der Bande bei dem Versuch geschnappt, einen Auftrag auszuführen, der allen ein höheres Ansehen hätte einbringen können. Silver war angespannt, sauer und in sich gekehrt. Joyce hatte das Streitgespräch von ihm und seinem Kleinstinformanten mitbekommen, wusste in etwa, um was es ging und vor allem, wo sie es finden konnte und ohne sein Wissen, machte sie sich auf den Weg.
Es war ein Collier aus Brillianten, das in einer Kassette der "Villa Bronsborow" aufbewahrt wurde. Der Juwelier Bronsborow war der erfolgreichste seines Metiers in der Stadt und die Gerüchte ließen vermuten, dass er dieses wertvolle Stück seiner Gemahlin zum Hochzeitstag schenken wollte, daher würde das Stück keinen Tag länger als diesen einen, in seiner Hauskassette lagern. Joyce interessierte das alles nicht, sie wusste auch nichts davon. Wichtig war, dass sie das Haus fand und das Collier entwenden konnte. Sie hoffte, dass es nicht in einem Safe gelagert wurde, denn von diesen hatte sie wahrlich keine Ahnung.. noch nicht, aber sie konnte sich auch nicht vorstellen, dass der Gefasste einen Safe hätte knacken können. Es war ein Risiko, das wusste sie, aber es war die einzige Möglichkeit, die sie hatte.
Polizeiwagen standen in der Einfahrt und sie schlenderte wie eine Jugendliche von vielen, die man nicht zu beachten pflegte, am Haus vorbei, um sich über die Mauer hangeln zu können. Einen Alarm würde sie nicht auslösen und die Hunde waren an der Kette vor dem Haus, zumindest solange die Polizei die Daten aufnahm. Sie schienen gerade im Aufbruch zu sein und Joyce hoffte auf gut Glück, dass niemand mehr in dem Raum war, den sie nun suchen musste. Sie war lautlos und sie schlich auf Zehenspitzen schnell die Terrassentür hinein und graste vorsichtig die Räume ab, bis sie an ein Arbeitszimmer im oberen Stockwerk kam, dort sah sie das Schmuckstück auf einem Samttuch liegen. Es war wohl vor nicht all zu langer Zeit kontrolliert und noch nicht wieder in die Kassette getan worden, worauf es lag.
Joyce konnte nicht glauben, dass es so einfach sein sollte und als sie das Collier an sich nahm, wusste sie, dass es ganz sicher nicht einfach werden würde, denn aus einem anliegenden Zimmer, dessen Türe nur angelehnt war, hörte sie einen Polizisten fragen, ob er das Collier noch einmal sehen könnte. Verdammt., schoss es ihr durch den Kopf. Sie hatte die beiden Herrschaften nicht nach oben kommen hören und durch den Flur konnte sie nicht zurück, da sie nicht wusste, ob der zweite Eingang zum Nebenzimmer verschlossen war oder ob die Tür offen stand. Sie würde gesehen werden. Natürlich, kommen Sie. Es ist im Arbeitszimmer.. Die Schritte wurden lauter und nicht nur die, denn Joyce Herz raste förmlich in ihrer Brust und gehetzt sah sie sich um.
Fast lautlos und im gleichen Augenblick, als die Türe aufgeschoben wurde, war sie durch den Spalt der zugezogenen Vorhänge verschwunden und stellte mehr als erfreut fest, dass die Tür, auf den anliegenden Balkon, offen stand. Sie schlüpfte hinaus, blickte vorsichtig von der Brüstung und konnte niemanden sehen. Sie schluckt schwer, doch hatte sie nur Sekunden, denn schon hörte sie den Aufschrei des Juweliers im Büro, der das Collier nicht an seinem Platz vorfand. Mit einem inneren Schubs sprang sie die drei Meter auf den Rasen und landete unsanft, doch den pochenden Knöchel musste sie nun ignorieren. Sie rannte in die Büsche und kaum einige Momente später, hörte sie die Hunde und Polizisten in ihre Richtung kommen.
Sie schlug sich weiter in die Büsche bis zur Mauer und stolperte durch das Geäst an ihr entlang, bis sie hinter zwei dichten Bäumen an den Steinen hoch hangeln und über das Gemäuer verschwinden konnte. Es war knapp.. mehr als nur knapp und sie hatte keine Zeit, Luft zu holen, denn sie hörte die Hunde bellen und die Polizisten riefen sich zu, dass der Dieb noch nicht weit gekommen sein konnte.
Der angrenzende Park war ihre Sicherheit. Die Dämmerung hatte schon vor einer halben Stunde eingesetzt und die Schatten boten ihr eine Möglichkeit, nicht zu sehr aufzufallen. Schnell bewegte sie sich in ihnen durch das Gebüsch und nach gut einer halben Stunde fand sie den Weg zur Subway und in Richtung "Heimat", dem Treffpunkt der Bande.
"Sorry, aber können wir uns morgen sehen?", Silver war sichtlich hin und her gerissen. Er hatte jetzt grössere Probleme und musste sich um seinen Auftraggeber kümmern, aber man merkte ihm an, dass er Joyce nicht gerne wegschickte, wohl, weil er nicht sicher war, ob sie wiederkommen würde. Sie schmunzelte und holte das Collier aus der Hosentasche. Bist Du sicher?, war das einzige, das sie ihm grinsend entgegenwarf. Silver war sprachlos und er glaubte auch erst nach dem dritten Erzählen, dass sie es war, die das Collier an sich genommen hatte. Ihren Knöchel und die Knappheit ihrer Tat verschwieg sie ihm wissentlich und seinen Respekt hatte sie seither auf ihrer Seite.
Sie hielt sich Silver warm. Er war intelligent und gutaussehend, etwas älter als sie und er verstand sein Handwerk. Sie konnte viel von ihm lernen und solange er ihr von Vorteil war, gab sie ihm, was er von ihr begehrte. Das Leben war so einfacher und ihr sollte es an nichts mangeln. Vor allem, als er mitunter durch ihre Leistungen in der Unterwelt höheren Rängen eingeordnet wurde, war es auch zu ihrem Vorteil, bei ihm zu bleiben und sie musste sich ihre Befriedigung auch nicht ständig woanders suchen, was natürlich seine Risiken geborgen hätte.
Mit der Zeit arbeitete sie sich in risikoreichere Jobs ein und als sie erfuhr, wie leicht das Geld mit einem Mord zu verdienen war, war ihr auch hier kein Skrupel anzusehen. Nach und nach löste sie sich von Silver und seinen Genossen. Es war kein Problem, die Liaison mit ihm zu lösen, denn sie hielt sich weiterhin in der Organisation auf, für die er arbeitete, nur einige Schichten über ihm. Er versuchte sie öfter zurückzugewinnen, doch ohne Erfolg. Silver musste erkennen, dass er verloren hatte, doch noch bevor er irgendetwas dagegen oder ihr Striche durch die Rechnungen machen konnte, wurde er durch einen Bandenkrieg erschossen und das Problem erledigte sich für Joyce von selbst, auch wenn es weniger ein Problem, als eine Störung in ihrem Leben gewesen war.
Sie hielt nicht viel von den Menschen, nahm sich von ihnen, was sie brauchte und ließ sie dann fallen, wie eine heiße Kartoffel. Der eine mehr oder weniger machte nichts aus, auch wenn sie für sich selbst zugeben musste, dass sie an ihrem ersten Mord, den sie beging, schwer zu arbeiten hatte. Sie überwandt allerdings die Vorstellung, ein Menschenleben ausgeschaltet zu haben, als sie das Geld sah, welches sie dafür erhalten sollte. Sie zog auch nach Phoenix, weil ihr hier mehr interessantere, wenngleich auch mysteriösere Aufträge erteilt werden konnten.
Heute wäre ein solcher Preis für sie nicht einmal einen einfachen Taschendiebstahl mehr wert, doch waren für eine so junge, mittellose Frau 1.000 Dollar wirklich ein guter Preis. Sie wuchs in ihre Aufgabe hinein und wurde in ihrem Job einfach eiskalt, ließ nichts an sich heran und vertrieb so die anfänglichen Albträume, die ihr das Gewissen bescherte.
Nach jedem Auftrag brauchte sie Abwechslung und die nahm sie sich, in dem sie ihre körperlichen Bedürfnisse befriedigte, oftmals mehr als einmal die Nacht. Sie brauchte diese Ablenkung und fast wurde es zur Sucht, allerdings hatte sie im Laufe der letzten zwei Jahre gelernt, sich zu zügeln. Sie begann wieder das Zeichnen, das sie in ihren Heimzeiten noch so gerne getan hatte und kaufte sich von ihrem verdienten Geld eine Atelierwohnung, in der der nötige Platz vorhanden war und helles Licht durch große Fensterscheiben schien.
Als die Organisation vom FBI hochgenommen wurde, konnte sie sich nur mit wirklichem Glück aus der Affäre ziehen, ohne bei den Behörden aufzufallen. Joyce spielte in dieser Zeit mit dem Gedanken, sich selbständig zu machen und ihr legales Hobby zum Beruf umzufunktionieren, doch ihr Selbstvertrauen in die wirklich guten Arbeiten, die sie als Zeichnerin und Malerin leistete, war nicht gegeben und so blieb es bei der Idee und dem Gedanken. Joy fand sich damit ab, nichts dergleichen je zu erreichen. Brotlose Kunst.
Einer Organisation wollte sie sich jedoch nicht mehr anschließen. Es war einfach zu gefährlich, und Joyce war noch nie ein Fan von Gemeinschaften gewesen. Da sie sich in der Unterwelt denn doch einen recht guten, wenngleich auch manchmal zweifelhaften Namen machen konnte, fand sie Anschluss als "selbständige Auftragnehmerin" und seit gut einem Jahr verbrachte sie ihre Zeit damit, unregelmäßige Aufträge aller Art anzunehmen. Zumeist dann, wenn ihr Bargeld zu Neige ging, welches sie nie lange aufbewahrte. Man lebt nur einmal.
Dieser Gedanke begleitete sie auch jetzt, als sie aufstand und im Bad verschwand, um sich für den Abend frisch zu machen. Es waren noch ein paar wenige Stunden bis zur Dunkelheit, doch die Zeit ließ sich gut für ein moschusduftendes Schaumbad verwenden...