[Venedic|F|O]: G. Charlotta "Lotte" de'Olivolo

Hier finden sich alle Vampir-Charaktere, die dem Konsortium anhängen und dem entsprechend i.d.R. dem liberal-revolutionären Kodex angehören. Abkürzungen: F = Engster Kreis der Konsortiumsspitze/Familie | A = Auftragnehmer | M = Unterstützung/allgemeines "Mitglied"
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Lotte
Vampir
Beiträge: 3
Registriert: 22.09.2016, 19:59
Posts: 1-2x/Monat
Charname: Lotte G.C. de'Olivolo
Alter: 22-29 Jahre
Vampiralter: 666 Jahre
Augen: besonderes grün-grau
Haare: leuchtend rot, lang
Größe: 170cm
Stadt: Venedic
Rasse: Vampir
Kodex: Konsortium
Fähigkeiten: 1. Auraveränderung/-unterdrückung
2. Kraft des Alterns
3. Kraft des Entzückens
Kleidung: Ein seidenes dunkelblaues Kleid, das schlicht und grade an ihrem wohlgeformten Körper entlangfließt. Schmale Träger halten das Kleid auf ihren Schultern, im Haar trägt sie diamantbesetzte, schlichte Haarnadeln.
Sonstiges: Schweigertochter Cogta Vusins
Schöpfer: Giulia
Hauptchar: aBraXaS
FAQ: http://faq.vampir-rollenspiel.de

[Venedic|F|O]: G. Charlotta "Lotte" de'Olivolo

Beitragvon Lotte » 24.09.2016, 13:08

Nebencharakter von aBraXaS

Steckbrief

» Name, Alter, Rasse
» Einstellung
» Herkunft, Beruf/Finanzen
» Aussehen
» Eigenarten
» Bevorzugte Opfer
» Fähigkeiten/Stärken
» Schwächen
» Waffen
» Vorlieben
» Abneigungen
» Charakter
» Ziele
» Sonstiges
» Leben in Phoenix/Venedic







Name
Giuseppina Charlotta de'Olivolo,
allgemeinhin aber nur "Lotte" genannt und sie möchte es auch nicht anders.


Menschliches Alter
zwischen 22 und 29 Jahre, je nach dem, wie sie sich gibt


Rassenbedingtes Alter
666 Jahre (geboren 1350)


Art/Rasse
gebissene Vampiress; Schöpfer: Guilia

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Einstellung
Speziell/Kodex:
keine spezielle Art, weder Vampirjäger noch Antivampir, etc.


Menschen:
Sie hat Respekt vor den Menschen und tötet niemanden ohne Grund oder aus irgendwelchen Launen heraus. Definitiv sind Menschen für sie Nahrung, aber außerhalb des Blutdurstes sind sie vor allem für sie nicht besser oder schlechter als ein Vampir. Sie sieht hier auf den Charakter und Intelligenz, nicht auf die Rasse.


Vampire:
Auch hier ist sie nicht rassistisch. Sie sieht den Charakter, nicht die Rasse und teilt auch nicht so ein.


Glaube/Religion/Symbolik:
Keine Religion, wenngleich sie katholisch erzogen wurde, aber das ist schon sehr lange her und auch da hatte sie schon Zweifel, ob das alles mit rechten Dingen zugeht. Danach bekam sie während der Renaissance auch die Reformation mit und vor allem wuchs sie auch in der Zeit bzw. kurz nach der Zeit der Pest auf, in der viele Leute langsam, aber sicher an der Unfehlbarkeit der Kirche zweifelten.

Begierig sog sie alles auf, was sie deswegen mitbekommen oder lernen konnte, um danach aus der Quintessenz allen Wissens ihre Schlüsse zu ziehen, was für sie in diesem Falle hieß, dass es keinen Gott geben kann. Diese Frage stellte sich öfter einmal in ihrem Leben, doch je mehr Thesen und Antithesen kamen, desto fester wurde ihre Überzeugung. Nicht nur wegen ihrer Rasse, sondern vor allem durch ihren Verstand.


Sonstiges:
Sie ist scharfe Gegnerin von Giulia. Vor allem auch, weil sie ihre ganz eigenen Erfahrungen mit dieser Person machen musste. Wäre Giulia nicht gewesen, sie wäre jetzt wohl kein Vampir und wohl auch nicht mehr am Leben, wohingegen sie letzteres wohl eher Dante zu verdanken hat.
Mittlerweile ist Giulia tot und es kristallisierte sich heraus, dass sie nur ein Rädchen im Getriebe einer viel größeren Organisation - dem Syndikat - war. Nun denn - also gegen das Syndikat.

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Herkunft
Lotte wurde als Veneterin in Venedig, Italien geboren und lebte seither in dieser romantisch-schönen und kulturell reichen Stadt. Sie reiste zwar viel, doch immer wieder zog es sie zurück, auch wenn sie leider nicht zurückkehren konnte - ihr Herz war immer dort.

Irgendwann verabschiedete sich Dante allerdings aus Italien und folgte seinem Freund Vusin in die Staaten, als Lotte in einem japanischen, versteckten ehemaligen Kloster war und sich versteckte. Sie fasste durch verschiedene Umstände dann den Entschluss, nachzukommen. Vor allem, weil sie mitbekam, wie stark Giulia wurde und dass es an der Zeit wäre, sich endlich auch gegen sie einzusetzen, wenngleich sie auch zuvor immer wieder versucht hatten, gegen sie anzugehen - ohne nennenswerten Erfolg. Jetzt war die Zeit der Rückkehr da, denn der, den sie liebt - Simeon - ist in Giulias Gewalt.

Familienverhältnisse
Zusammen mit Simeon, dem Sohn von Cogta Vusin, was sie erst spät erfuhr, hat sie ein Kind namens Lolla, die nun 24 Jahre alt ist. Allerdings haben Lolla und Lotte keine Mutter-Tochter-Beziehung miteinander und die beiden Frauen sind eher wie Schwestern oder Freundinnen. Des weiteren ist Dante als bester Freund Cogtas und auch als ihr eigener "Retter" wie ein Familienangehöriger, ein sehr enger Freund, dem sie bedingungslos vertraut.


Beruf/Finanzen
Durch die Jahrhunderte hinweg konnte sie einiges an Vermögen ansammeln, vor allem durch die Zugaben der Familie, die sowohl ihre Arbeit bezahlte, als auch den Unterhalt später, auch wenn dieser kaum angetastet werden musste, weswegen er sich so immens vermehrte.

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Aussehen - Übersicht
  • Augen:
    Groß und meergrün-grau, zu jeder Zeit schwarz geschminkt und mit langen, dichten Wimpern umrahmt. Ihre Augenfarbe ist oftmals etwas verwaschen, manchmal glaubt man, je nach Lichteinfall, mehr grün, manchmal mehr grau zu entdecken. Im Blutdurst oder anderer Erregung allerdings werden sie tiefgrün und ganz klar. Als lichte sich ein Nebel und der Grauschimmer schwinde.
  • Haare:
    Leuchtend rotes Haar, oftmals kompliziert hoch- und mit verschiedenen Accessoires festgesteckt. Falls sie es allerdings offen trägt, dann ist es wellig, manchmal sogar lockig und fällt ihr schwer und dicht über die Schultern auf den Rücken hinab.
  • Frisur:
    Oftmals Hochsteckfrisuren.
  • Größe:
    170cm
  • Figur:
    Lotte hat eine sehr weibliche Figur, sie hat eine schmale Taille, aber ausladend weibliche Hüften, die ebenso einladend wirken. Sie hat einen leichten Bauchansatz, den man unter Kleidung allerdings nicht sieht und ihr Busen ist wohlgeformt, nicht zu groß, aber voll. Sie hat hübsche lange Beine mit festen Oberschenkeln und ihr Gesamtbild ist wohlproportioniert.
  • Gesicht:
    rein, wie das eines Vampirs, hell, wie das eines Vampirs, und schön, wie das eines Vampirs
  • Stimme:
    angenehm, allerdings etwas ruhig in der Regel
  • Kleidung:
    Grundsätzlich liebt sie die Kleidung aus den ersten Epochen, die sie selbst erlebte, bis auf den Barock, denn sie liebt es lange, rundgeschnittene Kleider zu tragen, nicht die breit-flachen Kostüme aus der perückenbehafteten Barockzeit. Hat sie die Möglichkeit und den Anlass trägt sie vornehmlich solche Kleidungsstücke, wie sie im Mittelalter unter den Adligen, aber auch unter dem einfacheren Volk üblich waren. Das können aufwendig bestickte Kleider sein, oder auch einfache aus weicher Baumwolle mit einladenden Ausschnitten.

    Für "normale" Anlässe, wie das Bummeln in der Stadt oder ähnliches, versucht sie sich etwas anzugleichen. Immer wieder sucht sie die Herausforderung in kurzen Kleidern oder Röcken mit hübschen Blusen, doch irgendwie möchte sie sich nicht wirklich darin wohl fühlen. Hosen sind überhaupt nicht ihr Metier. Allerdings hat sie zumindest schon ein paar lange Röcke gefunden, in denen sie sich wohlfühlen kann und ihre Ausgehgarderobe besteht aus engeren, Satin- oder Seidekleidern.

    Im Grunde aber sucht sie noch nach ihrem Stil. Sie ist so lange vom "normalen" Leben "entfernt" gewesen, dass sie sich selbst erst wieder finden muss. Es bringt sie auch etwas in Misskredit, dass sie sich immer noch wie eine 20-jährige fühlt - manchmal - manchmal dann aber auch eben sehr viel älter durch die erschreckenden Erfahrungen, die sie machen musste und so ist ihr noch nicht ganz klar, wohin sie sich sortieren soll, wenn sie nicht auffallen möchte.
  • Schmuck:
    Hin und wieder passendes zu ihrem Outfit. Allerdings keine Uhr. Sie hat noch nie verstanden, wie man sich von der Zeit so sehr beeinflussen lassen kann.
  • Piercings:
    keine, bis auf Ohrlöcher
  • Tattoos:
    keine, aber nicht, weil sie sie nicht hübsch fände, sondern eher, weil sie bisher keinen fand, der es schaffte, dauerhaft etwas in ihre vampirische Haut zu stechen und sich in diesem Bezug auch nicht näher damit beschäftigte, weil sie sich erst finden muss
  • Narben:
    Sie hat eine Narbe auf dem Schulterblatt, mittlerweile ist sie überaus schwach und man sieht sie nur noch bei genauem Hinsehen, weil ihre Haut so hell ist wie die Blässe der Narbe - mittlerweile. Es sieht fast aus wie ein Brandzeichen aus seinem verschlungenen G und V. Das Siegelringsymbol von Giulia da Vinci.
  • Besonderheiten:
    Wohl ihr ganzes Erscheinungsbild in der heutigen Zeit und der "falschen" Umgebung, weil sie selbst noch nicht weiß, wohin sie gehört. Manchmal aber schafft sie es sehr wohl, sich anzupassen, aber es scheint Glücks- oder Launensache zu sein.

Aussehen - Beschreibung
Ihre meergrünen Augen wirken unwirklich und selten. Die Farbe lässt sich nicht eindeutig bestimmen und verschwimmt ineinander, und je nach Lichteinfall könnte man die Mischung auch mit grauen Pigmenten verwechseln, da alles sehr verwaschen wirkt und wohl daher auf einige Personen auch faszinierend. Lange, schwarze Wimpern unterstreichen den aufmerksam-frechen Blick. Sollte es notwendig und für ihre Zwecke praktisch sein, lässt sich dieser Blick allerdings auch wunderbar in einen schutzbedürftigen, kleinkindchenaffektierten verwandeln.

Lotte ist 170cm groß und hat eine sehr weibliche Figur. Ihre Hüften umschmeichelt eine Weichheit, die sich auch an ihren Oberschenkeln und ihren Brüsten wiederfindet. Weder als dünn noch dick kann sie bezeichnet werden und hat für eine Korasage die besten Voraussetzungen, da ihre Rundungen sie weder zusammengeschnürt wirken lassen, noch unausgefüllt.

Ihr Haar ist leuchtendrot, eigentlich war es einst dunkelrot, doch schon damals konnte sie es mit Henna intensivieren. Als sie zum Vampir wurde, stach es schon grundsätzlich mehr heraus, ohne ihr Zutun. Im Schein des Lichts wirkt es daher manchmal sehr auffallend rot. Oftmals steckt sie es der Mode entsprechend nach oben, trägt es manchmal aber auch taillenlang und leicht gewellt über ihren Schultern. Ihr blasser, fast barocker Teint bietet hierzu einen vollen Kontrast, der ihrer Haut mitunter einen porzellanartigen Schein verleiht.

Von Haus aus ist es ihr gegeben, weite, gereifte Kleider zu tragen, die aus den besten venezianischen Stoffen und indischen Seiden hergestellt wurden. Sie hat im goldenen Käfig ein Prestige zu Tage zu tragen, das den Reichtum ihrer Familie, die vornehmlich in Handels- und auch Bankwesen Monopole unterhielt, widerspiegelt, und somit ist es ihr in die Wiege gelegt, sich ihren äußeren Umständen anzupassen, was jedoch nicht bedeutet, dass sie diese Standarts immer gut heißt oder sich gar wohl fühlt.

Lottes Vorliebe war und ist eigentlich weiterhin der venezianische Karneval, der in ihrer Zeit oft länger als ein halbes Jahr andauerte. Die Blüte der Maskerade sozusagen, in die sie sich vollkommen hineinfühlt. Hier tauschten Bedienstete mit ihren Herren für einen Abend die Rolle, hier konnte sie einmal ganz normal sein, konnte frei wählen, konnte sich frei verhalten, konnte unerkannt immer wieder in die Nächte entschlüpfen, ohne auf Regeln und Ansehen achten zu müssen, denn nicht selten drehte sie das Spiel in ihrer Jugend herum, verkleidete sich nicht, sondern blieb in ihrem Prunk, um nicht weiter aufzufallen, denn die Diener hatten in eben diesen Nächten die herrlichen Kleider an, die eigentlich ihre Herrschaften trugen.

In heutiger Zeit versucht sie sich anzupassen, allerdings gelingt ihr das noch nicht immer, weil sie sich hier selbst noch finden und vor allem einfinden muss. Mitunter allerdings hat sich das schon gebessert. Sie hat lange Kleider oder auch Röcke für sich entdeckt und trägt dazu teils dann Blusen. Hosen kann sie überhaupt nicht ausstehen und man wird sie darin auch nie sehen. Korsagen finden ihre Zustimmung, wenn es zur Situation passt.

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Eigenarten
Grundsätzlich ist Lotte sehr jugendlich, vor allem in ihrer Engstirnigkeit, aber in bestimmten Situationen, vor allem wenn es ernste Situationen sind, merkt man sehr deutlich, dass sie schon viele Jahre lebt, und dass sie in diesen vielen Jahren sehr viel durchgemacht hat, was sie überaus vorsichtig werden lässt und hinter allem und jedem in diesen Situationen Schlechtes vermutet. Dann wird sie sehr zurückhaltend unter Fremden oder aber sehr aufbrausend, wenn es um Bekannte geht.

Es gibt allerdings noch eine sehr hervorstechende Eigenart (siehe Ankunftstext und Ingametexte). Auch wenn sie sich im Kloster sehr darauf bedacht war, sich alles anzueignen, was neu ist, so ist sie doch oftmals überfordert, wenn zuviel auf sie einströmt. Es kann auch mitunter vorkommen, dass sie generell abdriftet. Welche Eigenarten dann zum Vorschein kommen, ist noch nicht gänzlich klar, weil das alles jetzt erst passiert, aber es könnten einige sein.

Des weiteren ist sie manchmal etwas paranoid, was an ihrer Vergangenheit liegt. Paranoid, übervorsichtig, was ihre Lieben angeht und überdreht, wenn sie Angst hat. Es könnte vorkommen, dass sie entrückt wirkt oder verrückt, nicht durchgehend, aber manchmal, vor allem durch die Sorge um ihre Familie und vor allem Simeon, der derzeit in Giulias Gefangenschaft ist.

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Bevorzugte Opfer
Lotte tötet vornehmlich nur zur Nahrungsaufnahme. Sie versucht hier keine Unschuldigen zu töten, aber im Grunde ist es ihr gleich, solange es keine Kinder und Jugendliche sind und keine wehrlosen Frauen, alte Menschen oder dergleichen.

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Spezialisierte Begabungen & weitere Stärken
  • Aurenunterdrückung bzw. -veränderung
  • Kraft des Alterns
  • Kraft des Entzückens
Stärken
Auch wenn die Situation neu ist und sie mit einigen für sie ungeahnten Erkenntnissen überschüttet wird, erlaubt ihr Intellekt es ihr, Zusammenhänge überaus schnell und logisch - zumindest ihrem Wissenstand nach logisch - zu begreifen und dementsprechend zu handeln.

Fehlt ihr Wissen, ist einleuchtend, dass sie nicht an alle Für und Wider denken kann, allerdings hat sie genügend Phantasie um die meisten Eventualitäten mit einzurechnen und sie versucht zu jeder Zeit mit der Zeit zu gehen und sich alles neue Wissen anzueignen, das möglich ist, auch wenn das natürlich gänzlich nicht umzusetzen ist.

Weiterhin verliert sie kaum einmal ihre innere Ruhe, auch wenn sie äußerlich aufgewühlt wirkt. Sie ist allerdings in besonderen Situationen, in denen andere die Nerven verlieren würden, klaren Verstandes und versucht immer, das Beste daraus zu machen. Hier verliert sie nie den Kopf (wenn nicht gerade eine ihrer Schwächen getroffen wird) und kann sich vorbildlich verhalten, was mitunter Leben retten könnte - zumindest zu ihren menschlichen Zeiten.

Diese "Geduld" in einer schwierigen Situation ist das Ergebnis ihrer Gefangenschaft bei Giulia. Anders hätte sie diese Zeit nicht überleben können - zum Beweis dessen hat sie viele sterben sehen, die mit ihr dort waren und nach und nach erst die Hoffnung und daraufhin den Verstand verloren haben.

Sie hat gelernt sich komplett verstellen zu können und ihre Aura perfekt zu beherrschen, ebenso wie ihre Gedanken und Gefühle.

Generelle "Fähigkeiten"
Lotte ist intelligent, kreativ und hat ein Händchen dafür, mancheinen um den Finger zu wickeln, in dem sie empathisch genau erschließt, wie der andere zu beeinflussen ist, insoweit sie einige Anhaltspunkte mitnehmen konnte. Des weiteren ist sie neben der englischen, der italienischen Sprache sowieso, aber auch der lateinischen mächtig und sie konnte etwas Japanisch lernen, weil sie sich lange Zeit in einem Klostertempel Japans versteckt hielt.


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Schwächen
Als Jugendliche zur menschlichen Zeit war sie eine kleine Weltverbesserin und glaubte, dass sie vieles gut machen könne, wenn sie nur jemandem Geld gäbe oder Einzeltaten vollbrächte. Das Leid der Welt und das ihrer Zeit begriff sie nur vor Ort, doch Venedig ist auch in ärmeren Schichten nicht wirklich arm gewesen und so erfuhr sie von der wirklichen Armut erst viel später. In dieser Zeit hätte man sie etwas naiv nennen können, auch wenn sie intelligent und ihrer Zeit voraus war. Sie war einfach viel zu behütet aufgewachsen, als dass sie dieses Wissen hätte haben können.

Mit der Zeit allerdings, die ihren Werdegang schrieb, erfuhr sie von Leid und Qual auch körperlich und seelisch und dies prägte sie sehr. Sie kann schnell aus der Ruhe gebracht werden, wenn man droht, ihr die Freiheit zu nehmen oder sie in eine Ecke gedrängt wird. Alles Überbleibsel aus ihrer Vergangenheit mit Giulia. Sie vergisst sich und ihre eigentlich doch sehr bedachte Art und somit ist ihre Wahrnehmung beeinträchtigt und sie kann überwältigt werden - auch von jungen Vampiren oder gar Menschen, trotz ihrer Fähigkeiten, die sie nicht einsetzen kann, wenn sie so dermaßen aufgebracht ist.

Des weiteren kann man sie durch ihren Gerechtigkeitssinn sehr schnell locken, denn sie kann Ungerechtigkeiten und eben beschriebene Qualen nicht dulden - weder bei sich und schon gar nicht bei anderen, auch nicht bei Menschen - vor allem unschuldigen. Viel zu lange hat sie sie selbst ertragen und auch miterleben, teils gezwungenermaßen auch ausführen müssen. Somit hatte sie ihren Grundton der Weltverbesserung nie verloren, auch wenn er nicht mehr ganz so blind ist, wie er in ihren jugendlichen Jahren war.

Wenn die Moderne sie allerdings übermannt, kann auch diese zur großen Schwäche werden, weil sie dann selten klare Gedanken fassen kann und nicht wirklich zurechnungsfähig ist.

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Waffen
Ihr Cousin Antonio, der erfolgreicher Handelsmann war, brachte ihr einst einen verzierten Dolch von seinen Reisen mit. Es silbernes, kleines Prunkstück, welches mit seinem verzierten Griff ein hübsches Accessoire darstellt, das sie zum Schutz unter ihren Kleidern mit sich führt - zumindest damals stets und heutzutage hin und wieder. Allerdings ist fraglich, ob sie ihn dann auch verwenden kann, wenn sie ihn nicht mit einem schnellen Griff hervorziehen kann und eben dies wird ihr manchmal verwehrt bleiben, sollte sie ihn weiterhin unter den vielen Röcken und Unterröcken tragen.

Sie macht sich allerdings auch keine großen Gedanken darum, ob etwas und was passieren könnte. Es war mehr damals in ihrer menschlichen Jugendzeit das Anraten ihres Cousins, das sie dazu brachte, den Dolch auch wirklich mit sich zu führen, denn dieser wusste um ihre nächtlichen Ausflüge und sah es in seiner Pflicht, die heranwachsende Frau so gut wie möglich zu schützen, wenn sie ihm schon das Versprechen abgerungen hatte, dass er ihren Eltern nichts erzählen dürfe - diesen nicht und auch sonst keinem anderen.

Versprechen, so wusste sie, hielt er und damit sie dieses bekam, hatte er den Kompromiss verlangt, dass sie eine Waffe mit sich führte und vorsichtig blieb. Und mittlerweile ist es zum Ritual geworden, obwohl ihr Cousin schon über Jahrhunderte tot war. Der Dolch ist eine Erinnerung an ihn - vor allem auch eine Erinnerung an die Art, wie er starb - und eine Erinnerung daran, dass sie alles daran setzen musste, Giulia zu vernichten.

Ansonsten besitzt sie keine Waffen und kann dementsprechend auch nicht mit ihnen umgehen. Sie hat ihre Fähigkeiten und ihre vampirische Stärke sehr vertieft, mehr, glaubt sie, kaum einmal gebrauchen zu müssen.

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Vorlieben

  • Musik:
    Sie hat sich nicht festgelegt. Sie mag Musik, solange Instrumente mitspielen, mal fröhlich, mal melancholisch, je nach Stimmung und Gesinnung oder auch Gelegenheit. Mitunter muss sie sich hier auch erst noch finden.
  • Farbe:
    Auch hier ist sie recht offen, solange es sich harmonisch zusammenfügt. Sie könnte hier eher Abneigungen benennen, als Vorlieben.
  • Ambiente:
    In einem Ambiente, in dem ihr bevorzugter Kleidungsstil nicht auf Stirnrunzeln (in der heutigen Zeit) stößt. Aber langsam findet sie sich auch in die Moderne ein.
  • Eigenschaften:
    Sie mag Ehrlichkeit, die eher direkte Art und Höflichkeit/Freundlichkeit. Vor allem auch der Respekt gegenüber anderen, egal ob Mensch oder Vampir.
  • Aussehen:
    Augen, Haare, Statur, Lippen, Auftreten und Ausstrahlung. Des weiteren mag sie schöne Hände und Haarlosigkeit (Kopfhaar außen vor gelassen, aber nur auf dem Kopf, Bärte sind auch nicht ihr Ding).
  • Geschlecht:
    keine feste Auslegung in weiblich oder männlich, entweder es passt oder es passt nicht, aber grundsätzlich ist sie Simeon treu, ob er nun an ihrer Seite ist oder nicht.
  • Hobbies:
    das Schreiben
  • Allgemeines:
    -

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Abneigungen
  • Musik:
    elektronische Musik wie Techno und sie kann auch mit HipHop und ähnlichem nichts anfangen; sie mag Opern nicht
  • Farbe:
    rosa, pink, neonfarben generell und sie mag kein Gold
  • Ambiente:
    überall, wo sie nicht so sein kann, wie sie ist
  • Eigenschaften:
    Engstirnigkeit, Falschheit, Eiseskälte und inhumane Verhaltensweisen, Intoleranz, Respektlosigkeit
  • Aussehen:
    unhygienische Leute jeglicher Art, Hawaiihemden, behaarte Körper, unreine Haut, enge Hosen
  • Geschlecht:
    ---
  • Aktionen:
    Oper, Sport, auf Bäume klettern oder ähnliches
  • Allgemeines:
    Sich-gehen-Lassen

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Charakter

Kurzbeschreibung:
eigenwillig, teils jugendlich störrisch, meist ausgeglichen (zumindest innerlich), auch wenn sie oftmals temperamentvoll ist, intelligent, kreativ, impulsiv, gerechtigkeitsliebend

Ausführliche Beschreibung:
Lotte ist ein sehr eigenwilliger Vampir, den man leicht mit einem jungen, impulsiven Menschen verwechseln kann, und der gerne versucht, mit dem Kopf durch die Wand zu gehen. Etwas störrisch und bockig, aber auch intelligent und kreativ - für diejenige, die sie wieder "einfangen und bändigen" müssen, zuweilen etwas zu intelligent und viel zu kreativ. Allerdings ist sie auch sehr skeptisch und vorsichtig und ihre seelischen Wunden bringen sie manchmal in ein kleines Gefühlschaos.

Ihr Freiheitsdrang ist überaus groß, was wohl zum einen an ihrem Elternhaus liegt, das ihr wie ein goldener Käfig vorgekommen ist - und später an der Gefangenschaft unter Giulia. Wenn sie etwas möchte und glaubt, mit Entgegenkommen Erfolg zu haben, wird sie alle Hebel in Bewegung setzen, ihr Ziel zu erreichen. Man könnte sie aus Sicht ihrer damaligen "Aufpasser" und "Eltern" als rebellische pubertäre Göre bezeichnen, allerdings stellt sie sich hier meist etwas störrischer und naiver, als sie wirklich ist. Es hat sich bis heute gehalten, dass sie diese Eigenschaften mitunter beibehalten hat.

Sehr wohl beherrscht sie die Umgangsformen und das Prestige, das angemessen ist, ihr Aufbegehren wird daher einfach missinterpretiert, da ihr jungendlicher Charakter schon so sehr gefestigt ist, dass sie genau weiß, was sie möchte - vor allem durch die Jahrhunderte, die sie durchlebte. Lotte ist eher humanistisch veranlagt und beschäftigt sich mit den Themen, die vor wenigen Jahrhunderten die Renaissance ausmachten: Philosophie und Selbstverwirklichung, die sie zumeist darin sucht, zu schreiben.

Ihre Lebensweise ist äußerst chaotisch, was Lotte für sich nur bedingt nachvollziehen kann, obwohl ein Außenstehender sie als chaotisch empfinden würde. Das liegt daran, dass sie sehr lange in einem Regime leben musste, dass straffe Regeln hatte - nicht freiwillig, aber sie musste sich fügen.

Lottes Charakter zeigt oft, dass sie für sich annimmt, was sie selbst als wichtig empfindet, und einfach übergeht, was sie nicht interessiert. Dies spiegelt sich mitunter auch in ihrem Verhalten generell wider, wenn sie bei manchen Themen einfach abwinkt und nicht aus Höflichkeit nickend zuhört, wie es einer Frau ihres Standes (zumindest zu damaligen Zeiten) eigentlich angemessen zuzuschreiben wäre.

Allgemein sei zu ihrem Charakter zu sagen, dass sie offen für alles ist, was ihr interessant erscheint, sie kann schnell Kontakte schließen, lacht und unterhält sich gerne. Sie mag Spielchen, die ihre Vorliebe für den venezianischen Karneval auch zeigt. Nur zu gerne schlüpft sie in eine fremde Rolle - sei es die eines Mannes oder auch die eines Menschen. Sie verhält sich gerne wie "alle anderen", wie sie es auszudrücken pflegt, und nicht ihrem Stand, wie man es zu "ihrer" Zeit sagte, oder ihrer Rasse entsprechend, den und die sie als borniert und überheblich ansieht - bei letzterem vor allem einige engstirnige Alt-Vampire, die sich für etwas Besseres halten, nur weil sie Vampire, oder gegenüber jungen Vampiren, älter sind.

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Ziele
Lottes Ziel ist, Cogta Vusin und Dante Scirea im Kampf gegen Giulia zu unterstützen, was auch in ihrem persönlichen Interesse liegt. Sie möchte Simeon aus der Gewalt Giulias befreien und Giulia vernichtet sehen.

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Sonstiges
Tochter: Lolla
Schwiegervater: Cogta Vusin

Zusammenfassung Lebenslauf
Da der Lebenslauf zu lang ist, um einfach mal drüber zu lesen, hier eine Zusammenfassung.

Lebenslauf - Einleitung
Kurzes Umreißen der Familienverhältnisse, in die Lotte reingeboren wurde und wie die ersten Jahre mit der Familie waren, damit man nachvollziehen kann, wie es zu ihrem "Ausbruch" aus dieser Familie kommt. Und auch der Einblick in die Freundschaft mit ihrem Cousin, der später noch einmal auftaucht.


Veni, vidi, vici
Die Schlüsselsituation, warum Lotte von zuhause abhaut, in dem die Großmutter schwere Geschütze auffährt, wie Lotte es empfindet, und sich von ihren Eltern im Stich gelassen fühlt, weswegen sie nichts mehr im goldenen Käfig hält.


Das Fenster zur Freiheit
Die Situation, wie Lotte aus dem Haus flieht und in welchem Zustand sie ist, bevor sie aufgefunden wurde.


Venezianische Gastfreundlichkeit
Die Szene, in der sie aufgefunden und in eine ärmere venezianische Familie aufgenommen wird. Die Gastfreundschaft und Fürsorge sind ihr sehr, wenngleich positiv, fremd, aber sie fühlt sich wohl und sicher aufgehoben.


So fühlt sich "Zuhause" an
Der nächste Tag in dieser gastfreundschaftlichen, italienischen Familie. Sie erhält Einblicke in ein Familienleben, das ihr selbst gänzlich unbekannt ist, und sie fühlt sich das erste Mal in ihrem Leben "zuhause". Sie findet Unterschlupf und freundet sich mit Giuliano, demjenigen, der sie fand, an.


Der Lauscher an der Wand ...
Lotte kauft auf dem Markt verschiedene Dinge ein, um sich besser "tarnen" zu können, weil sie sich immer noch in Venedig befindet, in dem auch ihre Familie wohnt ohne Zweifel nach ihr sucht. Hier belauscht sie ein Gespräch zwischen Mägden, die sich erzählen, dass Lotte für tot erklärt werden soll, nur einen Tag nach ihrem Verschwinden durch einen Fund im Kanal, auch wenn sie die Leiche des Mädchens nicht gefunden haben.


Folgeschwere Entscheidungen
Lotte denkt mit der neuen Erkenntnis über ihre Situation nach, möchte die Familie, in der sie so herzlich aufgenommen wurde, nicht belasten und trifft beim Nachdenken und in ihren Zweifeln auf Giulia, die ihr Freiheit verspricht und sie einlullt. Sie weiß nicht, dass Giulia eine Vampiress ist und Fähigkeiten einsetzt, um ihre Entscheidungen zu beeinflussen. Somit lässt sie sich beeinflussen und geht mit Giulia, weil sie das für die beste Entscheidung hält, die sie je getroffen hat. Ein Wink des Schicksals zu einer vermeintlich glücklichen Fügung, wie sie glaubt. Es endet mit der Blutstaufe.


Das Versprechen der ewigen Freiheit
Giulia klärt Lotte auf, was sie nun ist. Des weiteren auch die Beschreibung des ersten Opfers mit Blutrausch. Und am Ende der geäußerte Wunsch, sich von Giulianos Familie, bzw. ihm selbst, verabschieden zu können.


Abschied für immer
Der Abschied von Giuliano, der nicht einfach fiel und so viel Ungeklärtes zurücklässt, sie sich aber nicht anders zu helfen wusste, als letztendlich einfach zu gehen.


Auf dem absteigenden Ast
Die nächsten Wochen nach dem Abschied und die Einfindung in ihr neues Leben. Giulia wirkt wie eine gute Freundin und Lotte lässt sich blenden und vertraut ihr. Giulia schafft es, dass Lotte Giulias Pläne gegen Cogta Vusin und Dante Scirea nicht durchschaut und verkauft die Ideen so, als kämen sie von Lotte selbst, damit sie auch hinter diesen stehen kann. Sie planen, Lottes Cousin "einzuweihen" in ihre Pläne. Sie planen somit ein Treffen und ein Gespräch mit Lottes Cousin Antonio. Lotte ist noch immer ein Ghoul, weiß aber nichts von der Macht, die Giulia deswegen über sie ausüben könnte.


Die gefährliche Saat
Lotte trifft auf einem Maskenball auf Antonio, wie es vorgesehen ist. Die Wiedersehensfreude ist bei beiden groß und sie ziehen sich zurück, um sich zu unterhalten. Lotte erzählt ihm von den Vorhaben, die anstehen und bittet um seine Meinung und seine Mithilfe. Antonio hat allerdings Einwände, über die Lotte noch überhaupt nicht nachgedacht hat.

Sie bekommt eine gefährliche Ahnung davon, dass Giulias Hintergründe vielleicht bösartiger Natur sein könnten. Instinktiv inszeniert sie Antonios Flucht aus der Situation, als sie spürt, dass Giulia sich nähert. Sie versucht Giulia weis zu machen, dass Antonio von allein gegangen ist, weil er mit der Situation nicht zurecht kommt, und kein Verständnis dafür aufbringen kann. Giulia gibt nicht Preis, dass sie weiß, dass Lotte lügt, da sie als Schöpferin, ohne den Schützling freigegeben zu haben, Lottes Gedanken lesen kann.


Tödliche Skepsis
Je mehr Lotte über die ganze Situation nachdenkt, desto panischer und skeptischer wird ihr Gefühl gegenüber Giulia. Sie erklärt sich auf einmal einige Blendungen, die Giulia ihr vorgespielt hat. Es kommt der Moment, als Giulia ihr wahres Gesicht zeigt und Antonio vor den Augen seiner Cousine das Leben nimmt. Sie will ihn umwandeln, um ihm das Leben zu retten, aber da sie noch immer ein Ghoul ist, hat sie keine Möglichkeit, ihn zu schützen oder zu retten.


Weitere Jahre in Dunkelheit
Giulia lässt Lotte in ein Verließ sperren, in dem sie sie gefügig machen möchte. Es dauerte lange Zeit, sie muss sich von Tieren ernähren und hat keinen sozialen Kontakt zur Außenwelt. Irgendwann resigniert Lotte. Giulia gibt Lotte aus der Ghoulschaft frei, weil sie vorerst keine Verwendung für sie hat. Nach langer Zeit holt Giulia sie dann aber doch aus dem Verließ, als sie das Gefühl hat, dass Lotte keine Gegenwehr mehr leisten würde.

Sie wird in einen Raum geführt, in dem viele verschiedene Leute sind. Sie bekommt einen "Betreuer" - Simeon, den sie dort kennen lernt; und von ihm bekommt sie erklärt, was nun folgen sollte und welche Möglichkeiten sie hat oder auch nicht. Hier werden junge Vampire ausgebildet und auch Menschen geschult. Wer nicht spurt, wird dadurch gezwungen, dass Giulia sonst deren Freunden und Familien etwas antun würde. Auch Lotte begreift, dass sie vor allem Giulianos Familie schützen muss, in dem sie sich ihrem Schicksal fügt.


Prüfungen
Giulia lässt Lotte nach langer Zeit durch Simeon prüfen. Auf ihre Loyalität, in dem er ihr etwas vorspielt. Lotte ist skeptisch und geht nicht darauf ein, obwohl sie sich in einem Zwiespalt befindet, weil sie Simeon gern gewonnen hat. Im Nachhinein wird klar, dass Lotte vor Giulia die richtige Entscheidung getroffen hat, weil sich scheinbar herausstellt, dass Simeon im Auftrag Giulias handelt. Sie macht gute Miene zum bösen Spiel, weil sie auch hier die Fassung wahren muss. Ihr primäres Ziel bildet sich langsam, da komplett rauszukommen, aber auf gutem Weg und keinem leichtfertigen. Zeit spielt als Vampir sowieso keine Rolle.


Mission: Dante Scirea
Weitere Prüfungen folgten, bis Giulia überzeugt scheint, Lotte vertrauen zu können. Sie setzt sie auf die Mission an, Dante Scirea auszuspionieren. Es stellt sich allerdings heraus, dass auch das ein Test ist, woraufhin Lotte ehrlich erbost ist, aber auch heilfroh, dass sie nicht darauf hereingefallen war, aus ständiger Angst, es könnte sich wirklich wieder um eine Prüfung handeln. Sie hat schon lange das Gefühl verloren, irgendjemandem zu vertrauen. Nach dieser Testaktion Giulias allerdings äußert sie sich wütend, was wohl auch der Grund ist, dass Giulia die großen Prüfungen für beendet hält.


Das Gefühl des Vertrauens
Kurze Erklärung der Zwischenzeit, in der Lotte sich weigerte, überhaupt etwas zu tun und in der Giulia offensichtlich überzeugt wird, dass sie Lotte jetzt da hat, wo sie sie haben will und Lotte sich auf das Spiel einlässt.


Die Mission
Lotte hat sich komplett von Simeon abgewandt und geht ihrem Alltag nach, kleine Prüfungen bestehen und sich auf die große Mission des wirklichen Dante Scirea vorzubereiten. Mittlerweile sind ihre eigenen Fähigkeiten so ausgereift, dass niemand ihr mehr vampirisch viel vormachen kann.

Sie schleicht sich nun auch bei dem richtigen Dante ein, allerdings kann sie keine nennenswerte Erfolge für Giulia verbuchen. Sie kann aber auch nicht mit Dante sprechen und ihn um Hilfe bitten, weil sie durch die ganzen Prüfungen Giulias und die schon eingefleischte Skepsis weiterhin damit rechnen muss, dass irgendetwas faul an der Sache ist, und dass das alles vielleicht abermals nur eine Prüfung und ein Test ist. Sie ist gefangen in ihrer eigenen Angst vor Giulia.

Dann kommt die Botschaft, dass Dante durch die Welt ziehen möchte und Lotte, die sich bei ihm eingearbeitet hat, ihn begleiten soll. Dies ist der Zeitpunkt, an dem sie überzeugter wird, dass es keine Prüfung ist, aber sie will nicht vorschnelle Entscheidungen treffen und plant, mit Dante zu sprechen, wenn sie von Giulia weit weg sind. Giulia selbst ist erfreut, dass Lotte offensichtlich Dantes Vertrauen erlangt hat.


Vertrauen
Als das Schiff ablegt, nimmt Lotte sich ein Herz und erzählt Dante alles, was ihr auf dem Herzen brennt, auch wenn es ihr schwer fällt und ein Grundmisstrauen weiterhin da ist. Dante sagt ihr, dass er gehofft hat, dass sie endlich spricht. Er führt sie zu Simeon, der ebenfalls auf dem Schiff ist und für Lotte ist das alles zuviel, weil sie nicht versteht, dass Simeon nicht auf Giulias Seite steht.


Freiheit
Es dauert mehrere Tage, bis es möglich ist, die Sache für Lotte komplett aufzuklären. Sie wird allerdings Zeit brauchen, wirkliches Vertrauen wieder zu lernen, nach so vielen Jahrzehnten/mehreren Jahrhunderten in Skepsis und Misstrauen.


Auf der richtigen Seite
Tatsächlich dauert es wirklich lange, bis Lotte sich annähernd erholt. Sie sind auf ständigen Reisen - Dante, Simeon und sie - und Simeon und Lotte nähern sich langsam wieder einander an. Auf den Reisen treffen sie viele Alt-Vampire in der Mission diesmal gegen Giulia. Noch immer weiß Giulia nicht, dass sie von Simeon und Lotte hintergangen wird und die beiden letztendlich auf Dantes Seite stehen. Sie müssen vorsichtig sein. Auf den Reisen lernt Lotte auch Cogta Vusin kennen.

Grundsätzlich hatte Giulia Simeon nämlich Lotte hinterher geschickt, um sie im Auge zu behalten, weil auch Giulia von einer Grundskepsis/einem grundsätzlichen Misstrauen gegen fast alles und jeden zerfressen ist. Die drei versuchen Lösungen zu finden, wie sie aus der Misere rauskommen, ohne einem von ihnen tödlich zu schaden. Simeon wird währenddessen nun wohl offensichtlich auch unter Beobachtung gestellt, weswegen sie alle noch vorsichtiger sein müssen und ihnen nicht viel Wahl bleibt.


Inszenierter Tod und neues Leben
Sie schaffen es, Simeon rauszuholen und Lottes Tod zu inszenieren. Dante und Cogta verstecken die beiden in einem alten, japanischen Kloster, das mittlerweile von Vampiren geführt wird, um Neuvampire zu unterweisen und auszubilden.

Sie gewöhnen sich an den ruhigen Alltag und kommen zu einer Grundruhe. Nähern sich noch weiter an und sind in ständigem Kontakt zu Dante und Cogta. Lotte bekommt ein Kind von Simeon - Lolla. Es kommt heraus, dass Simeon Cogta Vusins leiblicher Sohn ist (Simeon selbst wusste das schon die ganze Zeit), somit gibt es auch einen Großvater für das Mädchen.


Der Schatten über der Idylle
Als Lolla 5 Jahre alt ist, wird Simeon zurück an die "Front" gerufen. Nicht, weil Dante oder Cogta es so bestimmten, sondern weil Simeon grundsätzlich sagt, dass er nicht außen vor gelassen werden dürfe bei diesem Kampf um die Gerechtigkeit. Somit wächst Lolla fast komplett ohne Vater auf, auch wenn er seine kleine Familie sooft wie möglich besucht.

Dann kommt die Meldung, dass Simeon in Giulias Gefangenschaft geraten ist, was einen noch größeren Schatten über die Idylle fallen lässt, als Simeons Fortsein ohnehin schon leicht war. Lotte davon abzuhalten, nicht einfach übers Ziel hinauszuschließen und unüberlegte Dinge zu tun, ist nicht ganz so einfach, aber mit dem Einwand, dass sie sich um Lolla kümmern und zudem dann selbst aus ihrem Exil fliehen müsse, überzeugten sie letztendlich schweren Herzens, dass sie nichts weiter tun kann, als zu vertrauen, dass alles gut würde.

Sie entschieden sich, Lolla davon nichts zu erzählen, was die Gefangenschaft ihres Vaters angeht, sonst bestünde die Gefahr, dass Lolla, die das Temperament ihrer Mutter geerbt hat, in gegebenem Alter auf Alleingänge geht. Als Lolla 16 Jahre alt wird, lässt Lotte sie schweren Herzens in die Welt gehen, weil sie in der Welt ihre eigenen Erfahrungen machen möchte. Als Vampir ist das kein zu junges Alter, vor allem nicht nach der Ausbildung, die sie genossen hat.


Aufbruch
Lotte selbst hält es keine zehn Jahre länger "allein" im Kloster aus. Sie nimmt die Zeit wahr und lernt für sie alles Wichtige für die moderne Zeit, der sie solange entsagt hat. Dann bricht sie auf in Richtung ihrer Familie. Sie selbst ist sich noch nicht sicher, welchen Platz sie in dieser neuen Welt einnehmen wird oder will, aber sie bemüht sich oder möchte sich bemühen.

Ihre Rückkehr (Ankunftstext) ist allerdings etwas schwieriger, denn trotz, dass sie vieles gelernt hat und auf dem "neusten Stand" ist, so gut es geht, ist im Realleben dann doch nicht alles gleich ganz so einfach mit all den Eindrücken ... (Text folgt hier allerdings dann noch).



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Re: [Venedic|F|O]: Giuseppina Charlotta de'Olivolo

Beitragvon Lotte » 24.09.2016, 13:15

Lebenslauf

Es war eine Nacht wie jede andere, als ein lautes Kinderweinen die große Villa durchflutete und alle verschlafenen Räume in anfängliche Alarmbereitschaft versetzte, bis das Aufwachen und Erkennen klar machte, dass es endlich soweit und das Kind der Herrin endlich in diese Welt gekommen war. Dienerschaft und Angehörige hielten den aufgeregten Vater in der Vorhalle zurück, bis das Kind entbunden, gestillt und eingeschlafen war. Erst dann durfte Giuseppe zu seiner Frau Cristina und seinem neugeborenen Kind hinein.

Rosige Wangen hatte es und die gleichmäßigen Atemzüge schenkten ihm ein Lächeln, das von dem erschöpften seiner Gemahlin erwidert wurde. "Sie soll Giuseppina nach Deiner Mutter, und Charlotta, nach der meinigen, heißen", bestimmte Cristina wissend, denn auch wenn sie den Drachen Giuseppina überhaupt nicht leiden konnte, wusste sie, dass ihr Angetrauter niemals zulassen würde, dass das Kind einen anderen Namen trug. Wohl auch deswegen, weil die ursprüngliche Trägerin dieses Namens ihm kein leichtes Leben schenken würde, würde ihr nicht die Ehre zuteil, dass das erste Kind ihres Sohnes ihren Namen trugt und so nickte Giuseppe nur, den lächelnden Blick nicht von seinem Kinde lassend, als die winzige Hand seinen Zeigefinger umschloss.

Es war nur ein Tag später, als weiteres Geschrei die Hallen durchdrang und die Dienerschaft zusammenzucken ließ. Das Kind begann zu schreien, obwohl es ein Stockwerk höher in den Armen der noch immer leicht erschöpften Mutter lag und alle im Haus anwesenden Personen versuchten den Raum weitläufig zu umgehen, aus dem die boshafte, weiblich-alte Stimme drang. "Ein Mädchen? Du lässt Dir tatsächlich einfallen, ein Mädchen auf die Welt bringen zu lassen? Schon immer habe ich Dir gesagt, dass diese Frau nichts für Dich ist. Jetzt siehst Du, was Du davon hast, Giuseppe. Ein Mädchen! Wie konntest Du nur!? Wer soll denn alles erben? Du bist nicht mehr der Jüngste, es hat ja weiß Gott nun lange genug gedauert, bis es endlich soweit war und diese Frau imstande schien, ein Kind zu empfangen. Womöglich ist es nicht einmal Deins. Das würde ich ihr zutrauen, bist Du sicher, dass es Deines ist?"

Es war eine rhetorische Frage, dennoch versuchte Giuseppe darauf zu antworten, irgendetwas zu tun, damit die Lautstärke gedrosselt und er nicht weiter grundlos bloßgestellt wurde: "Mamma, sie ist ein Sonnenschein und es ist doch nicht zu spät, noch einen Jungen zu bekommen. Wir haben ihr Deinen Namen gegeben und natürlich ist es mein Kind ...", doch er wurde harsch und noch lauter donnernder unterbrochen: "Meinen Namen? Um Himmels Willen, Gnade Dir Gott, wenn das nicht Dein Kind ist. Hoffentlich bringt sie uns nicht die Pest ins Haus." Und mit diesen Worten rauschte die üppige Frau im schwarzen Taft-Trauergewand, das sie nunmehr seit schon 10 Jahren trug, hinaus, um in der Kirche ihren Frieden zu finden - oder eher Unbehagen dem Paters durch ihre bloße Anwesenheit auszulösen. Geknickt ließ Giuseppe den Kopf hängen und blieb noch einige Minuten in sich gekehrt und verloren mitten im Raum stehen, bis er die Schultern straffte und wahnwitzig hoffte, dass niemand dieses Gespräch mitbekommen hatte.

Die Anspielungen und Boshaftigkeiten sollten auch Jahre später nicht abnehmen, doch es hätte die kleine Giuseppina Charlotta auch einfach nicht geben können, Giuseppes Mutter hätte auch andere Gründe gefunden, Cristina schlecht zu machen und sie zu triezen. Es war lange nicht die erste Situation und würde längst nicht die letzte gewesen sein und da Cristina stark blieb und zu allen Ungerechtigkeiten lächelte, was ihr gleichwohl als Überheblichkeit ausgelegt wurde sowie mit der Zeit eine eigene innere Härte aufbaute, um das Gezeter ertragen zu können, versteifte sich die alte, verbitterte Venezianerin auf das Kind, welches mit seinen roten Haaren schon zwei mal nicht das Kind ihres Sohnes sein konnte.

Dass Cristina selbst rotes Haar trugt, tat nichts zur Sache, denn die Erbschaft ging immer vom Vater aus - zumindest nach Ansicht der ersten Namensträgerin von Lottes eigentlichem Vornamen. Nun also war sie es, die Ziel von Angriffen und Angiftungen verbaler Art und Ignoration wurde. Das Kind lernte schon sehr früh, seine Großmutter zu verabscheuen und somit auch den Namen zu verabscheuen, den es trug.

"Ich werde niemals nicht auch nur einmal auf den Namen Giuseppina hören, mein Name ist Lotte und anders mag ich nicht mehr genannt werden." Sie hatte mit ihren feinen Schühchen auf den marmornen Boden gestampft und war mit verschränkten Armen davongelaufen, während ihre Großmutter nach Luft schnappte und sich nach dem erstbesten Opfer ihrer Cholerik umschaute, was leider das neue Hausmädchen wurde, welches gerade frische Handtücher in die Gemächer bringen wollte. Das Hausmädchen kündigte seine Stellung nach nicht einmal zehn Stunden Dienst, als die Alte mit ihr fertig war und sie so dermaßen eingeschüchtert hatte, dass sie nicht einmal den Lohn annehmen wollte, der ihr rechtmäßig zustand.

Doch war diese Frau der einzige Tyrann im Hause de'Olivolo. Zwar veränderten sich Lottes Eltern mit den Jahren immer und immer mehr zu selbst leicht bornierten Persönlichkeiten durch den Druck, dem sie von der Großmutter ausgesetzt waren, doch sie wurden niemals bösartig oder aggressiv. Lotte empfand sie dennoch als langweilig und streng und viel zu überheblich, was sie gegenüber Unterständischen womöglich auch waren. Dass ihre Eltern selbst mit dem Hausdrachen zu kämpfen und einst einmal selbst jung gewesen waren, ging als Wissen an Lotte vorüber. Zumal auch, weil diese ihr tatsächlich untersagten, sich einfach frei zu bewegen, sodass das Mädchen im pubertären Alter sich mehr und mehr in einen golden Käfig eingesperrt sah.

Als sie endlich mit 15 Jahren alt genug war, die Maskenbälle zu besuchen, die in dieser Zeit sogar über die Politik und Geschäfte gestellt und auch mehrere Monate am Stück abgehalten wurden, entwickelte sich ihr Freiheitsdrang zu einem Lebensziel. Jede nur mögliche Situation, die sie nutzen konnte, aus ihrem Gefängnis auszubrechen, nahm sie wahr und so entwickelte sie sich zu einer überaus ausgereiften Opportunistin, wogegen allerdings sprach, dass sie sich sehr wohl und auch sehr gerne gegenüber "allen anderen", wie sie die "normalen Bürger" Venedigs nannte, sozial und zuvorkommend verhielt. Ihr Opportunismus beschränkte sich demnach fast ausschließlich auf ihre Eltern, vor allem deren Ansichten, und die Großmutter, die sie im Grunde sowieso zu ignorieren versuchte, was leider nicht immer klappte.

Wen sie aus ihrer Familie wirklich mochte, war Antonio. Er war der Sohn ihres Onkels väterlicherseits, 8 Jahre älter als sie selbst und wie der große Bruder, den sie nie hatte und niemals bekommen sollte - zum Leidwesen der Großmutter, die weiterhin darauf wartete, endlich einen würdigen Nachfolger für das Erbe Giuseppes im Hause zu wissen.

Antonio und Lotte spielten in ihrer Kindheit trotz des Altersunterschieds zusammen und verstanden sich von Beginn an gut. Er zeigte ihr, wie man kletterte und sie las ihm ihre Geschichten vor, wenn sie vom Rumtollen ausruhten. Antonio schien der richtige für die Eltern zu sein, was die Heiratsfrage anging, als Lotte in dieses Alter kam und auch Antonio schien nicht abgeneigt, als Lotte ein Gespräch zwischen ihm und ihren Eltern belauschte, auch wenn er sich sehr zurückhaltend dem Angebot gegenüber verhielt. Vielleicht, weil er wusste, dass er für Lotte ein Freund war, ein Bruder und nichts weiter und eben genau das war der Grund, weswegen Lotte doch etwas übereilt aus ihrer Lauschposition kam und zielstrebig auf ihre Eltern zuging, um ihnen unmissverständlich klar zu machen, dass sie nicht gedenke, ihren Cousin und brüderlichen Freund zu heiraten, sie mitunter auch mit 15 Jahren noch viel zu jung dafür sei.

Antonio sah man an, dass er enttäuscht war, allerdings überwog das Verständnis und auch das Wissen, das er zuvor schon gehabt hatte, weswegen er auch gleich aufgriff, was Lotte sagte, um die Eltern zu beschwichtigen und sie nicht dazu zu bringen, voreilige Entscheidungen zu treffen, die er selbst sein Leben lang hätte bereuen müssen, weil Lotte zu etwas gezwungen werden würde, was sie nicht wollte.

Es dauerte einige Wochen bis dieser Aufstand sich auch wirklich thematisch und aus den Köpfen aller Beteiligten erledigte und noch weitere Wochen bis Lotte wieder genügend Vertrauen hatte, dass sie darüber hinwegsehen konnte, dass Antonio nicht sofort und auf der Stelle den Eltern entgegengesprochen hatte. Sie respektierte, dass er Gefühle für sie hegte, die sich über Jahre aufgebaut zu haben schienen, aber ebenso musste er auch respektieren, dass sie nicht mehr oder weniger für ihn empfand, als diese Geschwisterlichkeit. Sicherlich fiel es ihm schwer, dessen war sie sich bewusst, aber er zeigte es ihr in keinem Moment und dafür war sie ihm mehr als dankbar.

Antonio ging dann schon sehr bald mit seinem Vater und später, als Lottes Onkel starb, allein auf Handelsreisen, war wochenlang nicht da und Lotte langweilte sich zusehends, weil sie niemanden hatte, der mit ihr nach "draußen" ging. Normalerweise war Antonio es, der sie begleitete, doch jetzt war er nicht da und sie musste eigene Wege finden, was ihr nach einiger Zeit auch gelang.

Sie war gerade so alt, dass sie die Angst und Sorge ihrer Verwandten nicht mehr teilte, dass Onkel und Cousin mit dem schwarzen Tod zurückkehrten - oder eben deswegen nie mehr. Alle älteren hatten hautnah miterleben müssen, wie ihre Lieben innerhalb weniger Tage grausam gestorben waren, dann irgendwann kam jemand auf die Idee, die Häuser zu verbarrikadieren und die Pest starb Stück für Stück aus, weil niemand neues mehr angesteckt wurde.

Dennoch wurden Tausende allein in Venedig dahingerafft. Lotte war genau in dieser Zeit geboren worden und außer der Mutter von Antonio konnte man sich glücklich schätzen niemanden aus der engeren Familie daran verloren zu haben. Die Angst allerdings blieb, weil man nicht genau wusste, ob die tödliche Krankheit andernorts noch immer wütete, doch Lotte war nun einmal genau in dem Alter, dass sie diese Angst nicht teilen konnte. Für sie war es vorbei, was man ihr von den Jahren ihrer Geburt und danach erzählt hatte und somit würde es auch nicht wieder kommen.

Sie konnte sich auch nur bedingt vorstellen, wie grausam diese Zeit gewesen war, auch wenn die letzten Tote vor der Stadt begraben wurden, als Lotte etwa 5 Jahre alt war. Sie war schlicht und ergreifend einfach zu jung und hielt die "Erwachsenen" für Geschichtenerzähler. Unterstützt wurde dieser Gedanke auch darin, dass ihre verhasste Großmutter immer wieder gesagt hatte, dass Lotte Schuld wäre, wenn die Pest wieder käme, da sie ein Bastard sei - was auch immer das heißen sollte. Ihre Großmutter war für Lotte eine dumme Frau und somit konnte sie die ganze Angelegenheit nicht ernst nehmen. Glücklicherweise war die Zeit des schwarzen Todes auch wirklich ein für alle Mal vorbei.

Dementsprechend empfand sie also lediglich Langeweile, wenn Antonio wieder auf Reisen war. Sie wäre auch vorher schon allein aus gegangen, doch da Antonio ein unterhaltsamer Begleiter war, war es nie dazu gekommen, dass sie hatte allein gehen müssen. Nun musste sie doppelt aufpassen, denn ihre Eltern durften von ihren Alleingängen überhaupt nichts mitbekommen. Lotte war sich sicher, dass sie einige Ausflüge mit ihrem Cousin mitbekommen haben könnten, aber sie hofften ja weiterhin, dass sie ihn doch noch ehelichen wollte und so hätten sie ihnen die Ausflüge nie verboten, auch wenn sie beide nicht wirklich verstehen konnten, was so toll an einer weniger luxuriösen Umgebung war.

Die Maskenbälle kamen Lotte nun mehr als nur zugute, denn hier war es Brauch, dass manchmal die Diener in die Rolle der Herren schlüpften und umgekehrt und da ihre Eltern ihr niemals öffentlich erlaubt hätten, Dienerkleidung zu tragen, auch nicht während des Karnevals, blieb sie in ihren hübschen Kleidern und wanderte zu etwas fortgeschritteneren Stunden, in der die Aufmerksamkeit schon lange nicht mehr auf ihr lastete, nach draußen in die Stadt, in der überall ähnliche Bälle gefeiert wurden und sie sich einfach als Dienstmädchen ausgeben und mitfeiern konnte, weil viele Dienstboten nun einmal adlige Kleidung tragen durften. Manchmal schmuggelte sie auch andere Kleidung mit, um sich endlich auch etwas bequemer angezogen zu fühlen, aber wie es auch immer war, wichtig für das junge Mädchen war, aus ihrem Käfig auszubrechen.

Als Antonio zurück war und sie auf einem dieser Bälle suchte und wohlweislich aber nicht auf diesem, sondern einem anderen fand, versuchte er ihr ins Gewissen zu reden und ihr zu sagen, dass es allein für sie auf den Straßen Venedigs gefährlich war - vor allem als Frau und zudem in der Nacht. Es hätte nicht wenige Unglücke gegeben, wie er sagte, aber ohne diese Unglücke wirklich beim Namen zu nennen.

Lotte blickte ihm schon fast trotzig entgegen, denn wie konnte es sein, dass er jetzt auch zu einer solchen Borniertheit wurde, wie sie es eigentlich nur von ihrer Familie und deren Freunden und Freundesfreunden kannte. "Es ist einfach so", legte er fest, wusste aber, dass dies nicht reichen würde, "Versprich mir, dass Du diesen Dolch nimmst und immer mit Dir trägst, dann verspreche ich Dir, Deinen Eltern nichts zu verraten." Ihre Lippen pressten sich bei seinen Worten fest aufeinander und die grünen Augen funkelten seinen italienisch dunkelbraunen entgegen. "Das ist Erpressung."

- "Meinetwegen ist es Erpressung, aber ich mache mir Sorgen und diese Sorge darfst Du mir gerne auch zugestehen, nach der langen Zeit, die wir uns kennen." Laut atmete Lotte aus, dann nahm sie den Kuhhandel aber doch an. Antonio wusste sehr gut, dass er sie niemals davon abhalten können würde, auf andere Bälle zu gehen, des weiteren wusste er auch, dass er ihren Eltern nichts erzählen konnte, wenn er das Vertrauen der jungen, hübschen Frau nicht verlieren wollte und so war es für ihn mehr eine Notlösung, als ein wirklich zufriedenstellender Kompromiss. Dennoch fühlte er sein Gewissen doch etwas beruhigter in seinem Herzen ruhen. Somit nahm sie den verzierten Silberdolch entgegen, den er ihr mit dem Griff entgegenhob und versprach ihrerseits zu tun, was er verlangte, als er seinen Part des Paktes schwor.

An ihrer sturen, selbstbewussten Art sollte sich auch die nächsten zwei Jahre nichts ändern. Jedoch entwickelte sie bessere Strategien und da Antonio immer öfter auf längeren Reisen war, löste sie sich auch von der anfänglichen Unsicherheit, die sie hatte, als sie die ersten Male allein aus der Villa verschwand. Diese Alleingänge blieben allerdings dennoch nicht immer unbemerkt und Lotte handelte sich nicht wenig oft Ärger und Strafen ein, die sie jedoch entweder umging oder mit anderen praktischen Dingen verband und absaß.

Meistens las sie dann auf ihrem Zimmer und wartete die Zeit ab, beschäftigte sich mit dem Humanismus der aufkommenden Zeit und hielt Rücksprache mit ihrem Hauslehrer, der sie drei mal in der Woche unterrichtete, oder aber sie schrieb neue Geschichten.


Die junge Frau schuf sich eine Selbstsicherheit und eignete sich Wissen an, das sie interessierte und verlor zunehmend den Respekt vor der reichen Bevölkerungsschicht, die ihr mehr und mehr überheblich vorkam - vor allem dann, wenn sie am eigenen Leib erfuhr, wie die Eltern reagierten, wenn sie mitbekamen, dass Lotte diesen Freiheitsdrang auslebte. Dennoch waren sie gute Eltern und das wusste sie auch, obgleich sie nicht einsah, ihnen deswegen ständig nach dem Mund zu reden oder ihren Anweisungen Folge zu leisten.

Was die Situation allerdings immer wieder unerträglich machte, war die Großmutter, die einfach überall ihre Nase reinstecken musste und somit die empfindlichen Arreststrafen für Lotte erhöhten. Diese Frau war boshaft, dessen war sich die junge Frau sicher, denn als die Alte bemerkte, dass die Junge ihren Vorteil aus jeglicher Strafe zog, und wenn es nur das Lesen war, das ihr die Zeit kurzweiliger machte, schlug sie Buch-, Schreib- und Lernverbote vor, die der doch leicht unterjochte Vater und Sohn seiner jähzornigen Mutter aufnahm und Lotte auferlegte. Vielleicht war es auch einfach nur die Eifersucht darauf, dass Lotte lesen konnte und ihre Großmutter nicht.

Auch wenn Lotte wusste, dass es keine guten Gedanken waren, hoffte sie mit jedem Mal mehr, dass ihre Großmutter bald zum Ende ihres Lebens gelangte, damit sie die Familie nicht noch mehr terrorisieren konnte, weil sie selbst scheinbar kein erfülltes und glückliches Leben hatte und somit anscheinend niemand verdient hatte, dass es ihm besser ging, als dieser Frau.



Veni, vidi, vici

"Giuseppina Charlotta! Glaube nicht, dass ich Dich nicht gesehen hätte, und glaube nicht, dass Du mir diesmal so einfach davon kommst, auch wenn Deine nichtsnutzigen Eltern glauben, sie müssten Dich verhätscheln!" Lotte drehte sich erschrocken nach der boshaften Stimme um, die sie nur all zu gut kannte und eigentlich nie wieder hören wollte. Für einen Moment überlegte sie, ob sie nicht einfach rennen sollte, doch noch bevor sie sich dazu entschließen konnte, hatte die Großmutter sie am Oberarm gepackt und fest zugedrückt. "Lass mich los, Du tust mir weh." Aber alles Bitten und Betteln half bei dieser Frau nicht, die sich eigentlich als solche gar nicht bezeichnen durfte, und schon holte diese mit ihrem fleischigen Arm aus, aber Lotte duckte sich unter dem leicht dumpfsurrenden Geräusch hinweg und löste sich im Überraschungseffekt aus dem Griff, um loszulaufen.

"Dir werd ich zeigen, eine alte Frau einfach so zu schubsen," rief die Mutter ihres Vaters ihr taumelnd hinterher und Lotte ärgerte sich darüber, dass natürlich nur dieser Frau Glauben geschenkt werden würde. "Schubsen. HA! Dass ich nicht lache, dass Du mich schlagen wolltest, ist wohl eher der Punkt dieser Geschichte." Die Rothaarige hatte Mühe, ihr Kleid zu raffen, um die Stufen zu ihrem Zimmer ohne zu stolpern hinter sich zu bringen. Die Röte stieg ihr vor Ärger in die Wangen und sie schmiss die Türe unsanft hinter sich ins Schloss, um darauf zu warten, dass sie in den nächsten Minuten Besuch von ihrem Vater bekam, der entweder durch das Tosen im Stockwerk oder spätestens durch die herrische Stimme seiner Mutter aufgerüttelt worden war, weil diese ihn jetzt garantiert nicht mehr schlafen ließ, nachdem seine vermeintlich missratene Nichttochter seine Mutter "geschubst" hatte.

Und tatsächlich öffnete sich die Türe, kaum, dass Lotte sich aus ihrem Kleid geschält hatte und in Unterröcken vor dem Waschtisch stand, doch nicht ihr Vater, sondern ihre Mutter stand müde in der Türe und blickte zu ihrer Tochter hinüber. Die 18jährige wollte sich schon rechtfertigen, doch als sie ihre Mutter in der Türe sah, schloss sie ihre Lippen wieder. Sie sah abgespannt und zermürbt aus, wirkte um Jahre gealtert, was sicherlich auch daran lag, dass es mitten in der Nacht und sie nicht zurechtgemacht war.

"Glaubst Du ihr?" War somit die einzige Frage, die Lotte ihr stellte, denn so ganz konnte sie nicht über ihren Schatten springen, der Trotz saß zu tief in ihrem Herzen, als dass sie begreifen wollte, dass auch die Mutter ihren Soll bei der alten Frau abzutragen hatte. "Du bist aus dem Haus gewesen, ohne, dass Du es solltest," auch die Stimme von Cristina wirkte matt, sie schien nicht auf das Thema eingehen und Lottes Frage beantworten zu wollen, sondern packte den Stier bei den Hörnern, auch wenn sie nicht wirkte, als könne sie es mit diesem aufnehmen.

Allerdings schien sie damit direkt ins Schwarze zu treffen, denn Lotte zog betroffen die Luft ein. An dieser Tatsache ließ sich nicht rütteln, jedoch wäre sie nicht die, die sie war, wenn sie es nicht zumindest versuchen wollte, aus dieser Situation herauszufinden. "Wenn Ihr mich nicht einsperren würdet, wie einen Phoenix in den golden Käfig, dann müsste ich nicht andere Wege finden aus diesem Haus zu kommen, um das zu tun, was ich für richtig halte."

"Wie kannst Du nur so mit Dir sprechen lassen, Cristina. Du bist wahrlich genauso untauglich wie Dein Bastard." Die Großmutter hatte scheinbar im Flur gelauscht und schob die leicht erschrockene Cristina zur Seite und trat in das Zimmer der jüngsten Anwesenden. "Du hast hier nichts verloren, geh aus meinen Zimmer. Nicht einmal Pappa würde diese Grenze überschreiten und einfach hier reinkommen, ohne aufgefordert zu werden." Und damit hatte sie recht. Ihre Mutter war die einzige, die nicht anklopfte, aber auch sie blieb an der Türschwelle stehen, wenn sie nicht hineingebeten wurde und auch die Großmutter hatte sich wohl oder übel an diese Hausregel zu halten, was sie bisher eigentlich auch getan hatte.

"Ein Gör, das sich so respektlos verhält, wie Du es tust, hat keine Rechte, junges Fräulein. Du wirst Hausarrest bekommen und zwar einen ganzen Monat lang. Keinen Unterricht, keine Bücher, keinen Besuch. Wenn Deine Eltern es nicht hinbekommen, Dich zu erziehen, dann werde ich das wohl übernehmen müssen. Und wehe Dir, Du hältst Dich nicht daran. Ich schwöre, dann werde ich andere Saiten aufziehen. Du bist vielleicht in unser Kuckucknest gelegt worden, aber ich werde nicht dulden, dass Du unseren Namen in den Schmutz ziehst." Nun standen Lotte Trotz-Tränen in den Augen, sie wusste, sie hatte keine Chance und sie würde die Strafe weder abwenden noch mildern lassen können, denn ihre Eltern schienen der alten Frau hörig zu sein. Wahrscheinlich waren sie sogar ihrer Meinung, auch wenn Lotte nicht verstehen konnte, wie sie sich das gefallen lassen konnten. Cristina zumindest wandte sich einfach ab und ging ohne ein weiteres Wort zurück in ihre Schlafkammer.

"Mamma ...", verzweifelt kamen die Worte von den Lippen des Mädchens, doch diese reagierte nicht auf ihre Tochter und die Großmutter versperrte mit ihrem üppigen Umfang und den vielen Unterröcken ihres schwarzen Gewandes die schmale Tür. Ganz abgesehen davon, dass Lotte nicht in die Nähe dieser Frau kommen wollte, da sie jederzeit damit rechnete, dass diese noch einmal ausholte und ihr eine Ohrfeige verpasste - und womöglich dann sogar traf.

"Nun denn. Dein Essen wird Dir die Zeit lang pünktlich nach oben gebracht werden, damit Du nicht auf falsche Gedanken kommst und glaubst, Du könntest Dich zu den Mahlzeiten nach draußen stehlen." Mit diesen Worten schloss der alte Hausdrachen das Zimmer und mit Erschrecken musste Lotte hören, wie sogar der Schlüssel im Schloss herumgedreht und aus dem Schloss gezogen wurde. Soweit waren sie noch nie gegangen, nie hatten sie sie eingeschlossen. Lotte schluckte schwer und ein riesiger Kloß drückte ihr die Luftzufuhr ab, die sie so sehr gebraucht hätte bei all den Tränen, die ihr über die hübschen Wangen glitten.

Die Unterröcke rauschten, als sie zwei Schritte von ihrem Waschtisch zurückging und sich auf das weiche Federbett setzte, die Arme mutlos zwischen ihre Beine gefaltet mit Blick auf die cognacbraunen Holzbodendielen, von denen sie jedes einzelne Astloch zu kennen schien. Arrest zu "überleben" war für Lotte normalerweise kein Problem, sie verzog sich mit ihren Büchern in eine ruhige Ecke, schrieb oder lernte und nachts hatte sie weiterhin die Möglichkeit sich aus der kleinen Villa zu schleichen, um doch zu tun, was sie zu tun pflegte, auch wenn die Bücher ihr seit geraumer Zeit für die Arrestzeit verboten wurden.

Dass sie allerdings eingesperrt wurde, daran hätte sie nicht im Traum geglaubt und sie fühlte sich mehr denn je eingeengt und unverstanden. Der Freiheitsdrang in ihr war stärker als alle Vernunft und dessen war sie sich auch bewusst. Vielleicht konnte sie ein oder gar zwei Tage ausharren, aber keinen Tag länger und somit hatte sie sofort eine Entscheidung zu fällen, auch wenn es nicht leicht fiel.

Abhauen, weglaufen, davonrennen - das waren die einzigen Optionen, die sich ihr auftaten und gedrückt stand sie auf und ging zum Fenster. Vielleicht reichte es, wenn sie nur ein paar wenige Tage wegblieb, vielleicht würden ihre Eltern sich besinnen, denn sie waren streng, aber keine Monster oder noch besser, vielleicht lebte diese bösartige Frau nicht mehr, wenn sie zurückkehrte ... einige dieser Möglichkeiten ging sie so lange in ihrem Kopf durch, bis sie selbst daran glaubte, dass es besser werden würde, wenn sie einige Tage verschwand und dann wieder kam.

Der Entschluss war für Lotte fest, doch der Blick aus dem zweiten Stock ihres Fensters zeigte deutlich das nächste Problem. Es gab keine Möglichkeit aus dem Fenster an der Fassade hinunter zu klettern, der schmale Weg, der sich genau unter ihrem Fenster vielleicht zwei Schritte breit auftat, lag viel zu tief, sie würde sich alle Knochen brechen, wenn sie sprang. Ihr Bettzeug und ihre Kleidung zusammengeknotet würde nicht den gewünschten Halt bieten, das wusste sie. Die Stoffe waren zu glatt und wenn sie ehrlich zu sich selbst war, fürchtete sie auch etwas, dass es wirklich nicht hielt oder sie sich nicht halten konnte und sie mehrere Meter in die Tiefe stürzte und sich das Genick brach, womit keinem geholfen wäre - vor allem nicht ihr selbst. Diesen Gefallen wollte sie der jähzornigen Frau im Untergeschoss gar nicht erst machen.

Lotte umgriff eisern den steinigen Rahmen ihres Fenstersims und blickte einige Schritte weiter nach vorn ... das Wasser. Unter ihrem Fenster war nicht nur ein schmaler Gehweg, unter diesem war auch Wasser. Wenn sie weit genug sprang, was nicht all zu schwer werden dürfte, würde sie direkt in der Gondelstraße landen, niemand sonst hatte sein Schlafkammerfenster auf dieser Seite und somit würde sie Glück haben und nicht gehört werden. Der Plan schien perfekt ... fast ... wäre da nicht eine Kleinigkeit, die ihr Sorgen bereitete: Lotte konnte nicht schwimmen. Tief atmete die junge Frau ein, sah in den schwarzen Himmel und dann wieder auf das von ihrem Zimmerlicht kaum beleuchtete, moosgrüne Wasser hinunter. Es blieb keine andere Möglichkeit als diese.

"So schwer kann es doch nicht sein. Junge Hunde können doch auch gleich schwimmen" und mit diesen Worten, die sie sich immer und immer wieder wiederholte, versuchte sie sich Mut zu machen, während sie zurück ins Zimmer ging und alles zusammensuchte, was sie für drei oder vier Tage in Freiheit brauchen konnte. Kleider, Verkleidungen, ein Buch, Papier, Federkiel und Tinte, einen Umhang, ihre Bürste, ein kleines Stück Spiegel und einige andere Dinge, die eine Frau nun einmal brauchte, wenn sie mitten in der Nacht aus ihrem Elternhaus floh, um ein paar Tage in Freiheit zu genießen. Zusammen kam ein Kopfkissen voller Sachen, von denen die Hälfte zu schwer war und somit mussten zumindest die Bücher wieder aussortiert werden.

Es dauerte gut anderthalb Stunden, in denen sie leise versuchte, alles zu richten, sich selbst in ein einfacheres Kleid zu kleiden, das auch nass werden konnte und das sie dann schnell mit einem anderen austauschen würde. Lotte überlegte, ob sie Hosen mitnehmen sollte, die sie noch von einem der letzten Maskenbälle im Schrank hatte, doch verwarf diesen Gedanken wieder. Als sie dann endlich glaubte, alles zusammenzuhaben, pochte ihr Herz laut und für einen Augenblick dachte sie tatsächlich darüber nach, einen Rückzieher zu machen.



Das Fenster zur Freiheit

"Angsthase. Du willst doch, dass sich etwas ändert, dann mach auch was dafür!" Und so war mit einem Ruck der Beutel nach unten auf die schmale Straße geworfen und sie selbst zog sich auf den Fenstersims, der sie, wenn sie sich leicht beugte, komplett aufnehmen konnte. "Augen zu und durch, jetzt komm schon, mach jetzt." Weitere 15 Minuten vergingen, bis sie es endlich schaffte, tatsächlich zu springen und im eiskalten Nass des Gondelbeckens aufzukommen und unterzutauchen ...

Untergetaucht spürte Lotte, wie das einfache, dunkelgrüne Kleid sofort mit dem kalten Kanalwasser vollgesogen wurde und der Stoff sie nach unten zerrte, noch schlimmer allerdings waren die unzählbaren nadelstichartigen Schmerzen, die sich zuerst in ihre nackten Hautstellen und dann auch unter der Kleidung in die Haut drückten.

Sie paddelte mit den Händen und Füßen, doch verlor für den Augenblick die Orientierung in dem undurchsichtigen Wasser, das sie komplett in seinen Armen gefangen hielt. Es waren nur Sekunden und sie konnte von Glück sagen, dass sie in solchen Situationen die Ruhe behalten konnte, was sie allerdings in diesem Moment das erste Mal erlebte. Die Panik, die in ihr aufzusteigen drohte, unterdrückte die junge Frau schon im Keim.

"Junge Hunde schwimmen auch von Anfang an. Schwimm jetzt, Lotte, SCHWIMM!" Und mehr der Überlebenswille ihres Unterbewusstseins und die langsam einsetzende Atemnot, die ihr die Sinne rauben wollte, ließ sie mit den Füßen stärker paddeln und sich an einen hellen Fleck orientieren, den sie glaubte, als Mond zu identifizieren, der durch das dichte Wasser spiegelte.

Der Augenblick, in dem sie den Kopf durch die Wasseroberfläche drückte und der überlebenswichtige Sauerstoff ihre Lungen füllte war wie eine befreiende Erkenntnis, wie etwas, das ihr zeigen wollte, wie wertvoll ihr Leben doch war und auch wenn sie jetzt nicht darüber nachdachte, speicherte ihr Unterbewusstsein die nahe Todeserfahrung als ein unterstützendes Argument ab, dass man sich nicht seiner Freiheit berauben lassen durfte, dass man im Leben das tun musste, was einem gut tat und was einem gefiel und man versuchen sollte, es auch anderen so angenehm wie möglich zu gestalten, denn es konnte so schnell vorbei sein, so kurz war das Leben, auch wenn nichts dazwischen kam.

Immer wieder drohte Lotte nach unten gezogen zu werden, die Schwerkraft wollte nicht ablassen von den sich nach Zentnern schweranfühlenden Kleidungsstücken. Sie spürte wie sich die Haarspange löste und zum Kanalboden hinabsank und einzelne Strähnen in ihre Augen fielen, die ihr die Sicht nur noch halb freigeben wollten.

Schwer atmend und die körperliche Anstrengung nicht gewohnt, wollte abermals Panik in ihr aufsteigen, ihr Atem drohte zu hyperventilieren, als sie tatsächlich wie ein Welpe versuchte an den Rand der Wasserstraße zu kommen. Algen verklebten grün und klitschig jegliche Möglichkeit, sich mit den Fingern in Furchen nach oben zu ziehen und immer wieder rutschte Lotte ab ins kalte Nass, das sich schon lange nicht mehr so kalt anfühlte. Die Nadelstiche waren nur noch betäubt zu fühlen, als wären sie wie durch einen Nebel weit weg von ihr selbst.

Ihre Lippen zitterten und mit weiter unterdrückter Verzweiflung und keiner Aussicht auf Hilfe mitten in der schwarzen Nacht fand sie einen Steinvorsprung, der es ihr ermöglichte, sich an den Rand hinaufzuheben und sich dann nach zwei weiteren Versuchen auch hinauf auf den kalten Steinboden zu ziehen, der sich nicht mehr so kalt anfühlte, wenn man zuvor im eiskalten Wasser gewesen war. Lottes Körper begann zu zittern, als die frische Luft die pitschnasse Kleidung durchdrang und Gänsehaut machte sich auf Dekollete und Armen breit.

Schwer atmend und zitternd kauerte sie sich mit geschlossenen Augen an den Rand des Kanals, um zu verstehen und ihr Herz zu beruhigen. Klare Gedanken konnte sie allerdings nicht fassen, die Kälte in ihren Glieder lenkte sie immer wieder ab. Einige wenige Male hustete sie hell, um das Wasser aus ihrer Luftröhre zu lösen. Die nassen Strähnen strich sie sich unbewusst aus dem Gesicht und wischte sich nach und nach das Wasser aus dem Gesicht, bis sie sich darauf besann, dass sie nicht ewig hier sitzen konnte, denn irgendwann würden die Bediensteten ihre ersten Runden durchs Haus gehen und es würde in kaum mehr als drei Stunden auffallen, dass sie nicht mehr da war und zu diesem Zeitpunkt wollte sie weit von diesem Haus weg sein, so weit, dass ihr Weg nicht einfach nachvollzogen werden konnte.

Die durchnässte junge Frau mit den lockig werdenden Haaren, die sich durch die Nässe leicht wellten, versuchte sich auf die Beine zu drücken, wankte und setzte sich wieder ungewollt und unsanft auf ihren Hintern, ihre Beine zitterten und wollten sie noch nicht tragen. Mit einem leicht verzweifelten Blick, der zwangsläufig in das junge Herz schlich, wenn der Körper so ungewohnt nicht machen wollte, was man selbst wollte, blickte sie auf die andere Seite des Kanals, auf dessen Weg der dunkelrote Seidenbezug lag, in dem ihre Habseeligkeiten und auch trockene Kleidung lagen.

Es würde kein Problem werden auf die andere Seite zu kommen, denn eine kleine Rundbogenbrücke beugte sich einige wenige Schritte von ihr über den Kanal, doch dort hinzugehen schien in diesem Moment ein Weg von mehreren Kilometern, die ihre Beine sie nicht tragen wollten. Lottes Blick streifte nach oben zu ihrem Zimmerfenster, das noch immer offen stand, wie sie es, im wahrsten Sinne des Wortes, verlassen hatte. Das Licht drang von dort weiterhin in flachem, gelblichwarmen Schein auf das Wasser und mit einem Mal kam ihre Flucht ihr sehr ungeplant vor. Noch einmal versuchte sie sich hochzurappeln. Doch wohin sollte sie gehen?

Sollte sie sich auf der Straße umziehen? Wo sollte sie schlafen und die nächsten Tage überleben? Sie hatte genügend Münzen bei sich, konnte einen Unterschlupf bezahlen, aber sie konnte nicht in ein Gästehaus gehen, denn ihre Eltern waren bekannt in Venedig, sie konnte nirgends schlafen, wo vorauszusehen war, dass ihre Eltern sie schon am nächsten Tag finden würden ...

Das erste Mal zweifelte sie an ihrem Vorhaben, aber aufgeben würde sie nicht. Der Kampf um die Freiheit war stärker in ihrem Willen als der zitternde Leib, in dem sie im Augenblick gefangen war und der sie noch immer nicht gänzlich aufrecht halten wollte ...



Venezianische Gastfreundlichkeit
Wichtige OT-Info: Die Szenen "in der Gastfamilie/mit der Gastfamilie" sind gemeinsam mit einem anderen Spieler in einem anderen RPG entstanden. Ich habe nur meine Texte hier übernommen, was bedeutet, dass einige Passagen unwirklich klingen, weil ich für die anderen, mir fremden Protagonisten die indirekte Rede verwendet habe, weil ich nur meinen eigenen Text hier verwenden wollte und nicht den von anderen. Man verzeihe mir daher die unwirkliche Darstellung, vielleicht werde ich diese Lücken irgendwann auffüllen und mit eigener Wörtlicher Rede "der anderen" auffüllen. Die Szenerie dauert nur bis zu ihrer Blutstaufe an, dann ist der Text wieder aktiv und normal.


"Oh bitte, lasst mich doch einfach aufstehen", sprach sie mittlerweile schon gedanklich mit sich selbst, als sie abermals drohte, sich wieder unfreiwillig zu setzen, als sie viel zu spät bemerkte, wie jemand neben ihr stand, sie helfend ansprach und ihr den Arm reichte, damit sie sich daran auf die Beine ziehen konnte, während er sie gleichzeitig fragte, was passiert sei.

Lotte brauchte einen kurzen Augenblick, um zu begreifen, dass sie nicht allein war, was für ein jämmerliches Bild sie abgeben musste und dass ihr Gegenüber sie nicht erschrecken wollte. Kurz biss sie sich auf die Unterlippe, als ihr die undankbare Situation bewusst wurde und gleichwohl auch dankbar stützte sie sich mit ihren kühlen Händen allerdings auf seinen Arm und kam auf die Beine, die ungewollt nachgeben wollten, sie allerdings versuchte, die Zähne zusammenzubeißen und nicht noch jämmerlicher auszusehen, wenn dies überhaupt möglich war.

"Ich ... oh, Gratias. Entschuldigt bitte mein Auftreten", unangebrachter hätte sie sich nicht ausdrücken können, allerdings wollte sie versuchen eine gewisse Haltung zu wahren, auch wenn dies kaum möglich schien, da sie sich weiterhin auf seinem Arm abstützte. Gerne hätte sie losgelassen, doch sie wollte sich in keinem Fall die Blöße geben, noch einmal zu straucheln, was sie allerdings unfreiwillig in eine Zwickmühle brachte.

Unwillkürlich drückte sie leicht ihr Kreuz durch, um aufrechter zu stehen, wie sie es von klein auf in ihrem doch etwas bessergestellten und doch so verabscheuten Elternhaus gelernt hatte. Erst dann nahm sie bewusst das junge, venezianisch-braungebrannte Gesicht wahr, welches sie mit scheinbarem Entsetzen anblickte. Seine Frage, wie sie denn in den Kanal gelangt wäre, klang nicht minder erschrocken und hilflos, doch Lotte konnte sich erst einen Moment später von den hellen, für einen Veneter unüblichen Augen lösen. Kaum merklich schüttelte sie den Kopf, um wieder anwendbare Worte in ihre Gedanken zu lassen.

Doch bevor sie antwortete, verlor sich ihr Blick für den Bruchteil von Sekunden in ihre Fallrichtung, es war kaum mehr ein Zucken ihrer grünen Iris. Sie würde ihm schlecht erklären können, dass sie selbst aus dem Fenster gesprungen und absichtlich im Kanal gelandet war, aber ihr Gewissen meldete sich zu Wort, als sie schon die Lippen geöffnet hatte, um ihm eine Ausrede nahe zu bringen. Sie wollten diesen hilfsbereiten jungen Mann nicht anlügen, vorerst wollte sie erst einmal versuchen, allein zu stehen. Es waren nicht viele Augenblicke vergangen, doch kamen ihr diese vor wie Stunden, dass sie sich an seiner warmen Haut aufrecht hielt.

"Fragt man eine Dame, wie sie in eine missliche Lage gelangte?" Es war das einzige, das ihr einfiel und noch während sie sprach, bereute sie ihre Worte und schob ein leises, aber ehrlich-herzliches Lachen hinterher. "Ich muss mich schon wieder entschuldigen. Ich habe einige Vorbehalte, Euch zu berichten, was mir geschehen ist, Senior, könnt Ihr mir verzeihen?" Und nun schien auch der richtige Zeitpunkt, seinen Arm loszulassen, wenngleich sie dies auch nur zaghaft versuchte und sich nur schwierig auf den Beinen halten konnte. Ein Frost erfasste ihren kompletten Körper, als sie von der wärmenden Haut abließ, obgleich es nur ihre Hand war, die er mit seiner Körperwärme gewärmt hatte.

"Wärt Ihr so freundlich und könntet mir helfen, auf die andere Seite des Kanals zu gelangen?" War es richtig, ihm zu zeigen, dass sie dort ein Bündel mit sich schleppte? Würde er sie vielleicht als Diebin dünken, wenn sie in der einfachen Kleidung einen teuren Kissenbezug lauter Sachen mit sich führte? Aber was sollte sie tun? Sie war allein nicht in der Lage, dort hinüber zu kommen, nicht im Augenblick und vielleicht konnte sie ihn gleich verabschieden und sich wärmend in neue Kleidung schälen, um wieder etwas zu Eigenkraft zu gelangen. Wieder traf ihr Blick das hübsche Augenpaar. Und abermals stellte sich ihr unweigerlich die Frage, wo sie unterkommen sollte. Kannte er vielleicht Möglichkeiten, die in Frage kamen? Er wirkte genauso ratlos, wie sie sich fühlte, aber wie sollte man auch reagieren, wenn jemand pitschnass vor einem stand?

Sichtlich unangenehm war nicht nur ihr diese Situation, viel verschämter schien er ihr vorzukommen, als sie sich fühlte. Stets vermied er es, sie anzusehen und weiterhin senkte er seinen Kopf, als wäre er es nicht anders gewohnt, einfach zu tun, was ihm irgendwer sagte. Leicht stirnrunzelnd nahm sie somit zur Kenntnis, dass er ihr sofort Hilfe anbot, weiterhin ihren Blick oder ihr Äußeres mied und sie zur Brücke geleitete, in dem er ihr seinen Arm abermals zur Stütze bot.

Sie wusste nicht, ob sie etwas sagen sollte und verbohrte sich in dem Gedanken, wie sie ihm erklären konnte, dass es wirklich ihr Bündel war, das dort auf dem Boden lag, welches er wohl entdeckt hatte, als sie sich nach diesem umgesehen hatte, und das sie gedachte, aufzuheben und mitzunehmen, ohne dass er glaubte, dass sie etwas gestohlen habe.

Vielleicht sollte sie ihn einfach verabschieden, sobald sie an der Brücke angelangt waren, vielleicht - nahm er ihr auch einfach diese Entscheidung und ihre Gedankengänge ab, als er noch auf dem Halbbogen bemerkte, dass er "es" holen würde. Ihr Blickwinkel vergrößerte sich für einen Moment erschrocken. Er hatte es also bemerkt, war aufmerksam gewesen, hatte ihre Gedanken gelesen, ohne sie gelesen zu haben und gab ihr auch keine Möglichkeit, etwas dazu zu sagen, gleichwohl wie er sie auch nicht in die Verlegenheit brachte, sich erklären zu müssen.

Ihr Blick folgte ihm, als sie sich leicht auf der steinernen Brüstung der Brücke festhielt, weil ihre Beine noch immer zitterten. Sie spürte, wie die Kälte auch ihr Blut erreicht hatte, und der Frost wollte nicht von ihr ablassen. Dennoch ließ sie es sich nicht nehmen, dem jungen Fremden hinterher zu blicken und zu bemerken, dass er bessere, aber dennoch Kleidung trug, die von einem Bediensteten stammte. Sofort war ihr klar, warum er so aufmerksam war, warum er genau wusste, was ihr Begehr war und auch, wie er es schaffte, sie nicht in Verlegenheit zu bringen. Es war das, was seinen Lebensunterhalt finanzierte, zumindest wirkte es so, sie konnte sich schließlich auch täuschen, aber sie hatte genügende seines Standes in ihrem Leben kennen gelernt und erst jetzt wurde ihr wirklich bewusst, welche Leistung vollbracht werden musste, dem anderen das stetige Gefühl zu geben, alles richtig zu machen und sich nicht rechtfertigen zu müssen.

So schnell, wie er gegangen war, um das Bündel zu holen, so schnell stand er auch wieder bei ihr, um es ihr zu überreichen. Sie wusste allerdings, würde sie es jetzt übernehmen, würde sie abermals die gerade wiedererlangte Aufrechthaltung verlieren. "Ihr seid auf Reisen?" Sie suchte seinen Blick. "Sozusagen, ja." Lotte lächelte und erhielt ein hübsches Grinsen, das viel mehr seinem Alter entsprach, als das ganze Sein und der ganze Schein, den die beiden sich wie alte Erwachsene vorzumachen schienen. Nun war es sicherlich üblich - zumindest unter ihrem Stand, aber sie bezweifelte mit einigen Beispielen aus ihren Erfahrungen, dass es in seinem Stand ebenso war.

Nun griff sie nach dem Bündel, weil sie nicht wollte, dass er es länger trug, als notwendig und sie nicht erwarten wollte, dass er ihr diese Last, die sie ihre Bürde für die Freiheit nannte, auf sich lud. "Vielen Dank und entschuldigt Euch nicht, denn ich habe mich weiterhin bei Euch zu entschuldigen. Ich bitte Euch nicht gern, Senior, doch wäret Ihr so gütig, mir zu zeigen, wo ich unterkommen kann, ohne, dass die halbe Stadt davon erfährt? Ich kann die Unterkunft entlohnen, genügend, wenn es notwendig wäre und ich würde auch Euch gerne für diese Hilfe entlohnen, insoweit Ihr so freundlich wärt, mir denn zu helfen." Es kostete sie große Mühe, förmlich zu bleiben und nicht einfach etwas zu fluchen und sich gehen zu lassen, wie sie es getan hätte, wäre sie allein gewesen. Sie musste einen Schein wahren, es war einfach in ihr verankert und sie wollte nicht zeigen, wie es ihr ging. Es war eine Mission, die sie vor sich hatte und langsam wurde doch etwas die Zeit knapp, hier weg zu kommen.

Hatte sie ihn mit ihrer Aussage, sie würde ihn für seine Hilfe entlohnen, vielleicht beleidigt? Ihre Gedanken überschlugen sich in diese Richtung, als sein doch so herzliches Lächeln in ein etwas abgedämpfteres umschlug. Hatte sie etwas gesagt, das ihn beleidigt hatte? Sofort wollte sie es richtig stellen, nachfragen, doch ihre Erziehung verbot es ihr, diese Dinge auszusprechen, zumindest solange sie sich nicht sicher war, dass sie sich nicht irrte. Er dachte nach, es war offensichtlich, und dennoch wurde sie das Gefühl nicht los, dass sie mit ihrer Bitte zu weit gegangen war.

Wenn er wirklich ein Dienstbote, gleich welchen Grades, war, dann würde er ihre Bitte nicht abschlagen, vielleicht aber hatte er etwas zu tun, vielleicht eine Verabredung mit einem Mädchen, das sehnlichst auf ihn wartete, vielleicht war es das, das ihm das so offene Lächeln genommen hatte, weil er schwankte zwischen der Erfüllung ihres Wunsches und der Sehnsucht, sein Mädchen zu treffen. Vielleicht ... so viele Gründe drängten sich nun in Lottes Kopf und ihr nasser Körper begann unruhig zu werden, zumindest innerlich. In diesem Moment wünschte sie sich, dass es üblich war, solche Gedanken einfach auszusprechen, ohne jemanden vor den Kopf zu stoßen und in diesem Moment tat es ihr unendlich leid, überhaupt etwas gesagt zu haben, doch noch bevor sie sich die richtigen Worte zurechtlegen konnte, sprach er weiter und trotz all dieser Gedanken nicht das aus, was sie jetzt gerne hören wollte, denn er hatte keinen Rat für sie.

Er war jedoch ehrlich und dafür war sie dankbar, auch wenn es sie enttäuschte und sich diese kleine Enttäuschung durch ein "Oh" nicht verbergen ließ. Seine Erklärung, warum er ihr hier nicht weiterhelfen konnte, klang allerdings verständlich und sie nickte, denn er hatte Recht, als er sagte, dass diese Stadt zum Unterkommen sehr schlecht geeignet war. Es war einfach nicht möglich in einer Stadt wie Venedig unbeachtet zu bleiben, zumindest nicht für die angesehenen Leute. Aber ... sie wollte niemand mehr sein von diesen angesehenen Menschen, sie wollte sie selbst sein und das auch in Armut, wenn dies nun einmal der einzige Weg war. Dass sie sich die Armut in diesem Sinne im Grunde viel zu einfach vorstellte, kam ihr Unwissenderweise nicht in den Sinn.

Dann horchte Lotte auf, als er ihr den Vorschlag machte, dass er sie mit zu sich nehmen könnte - sich und seiner Familie, denn keine Venezianische Familie würde ablehnen, wenn jemand um Obdach bat und Hilfe benötigte, es sei selbstverständlich, das wisse man ja. Wusste sie das? Bei ihr zuhause war es nicht der Fall, jedenfalls ... sie überlegte, doch kam sie zu keinem anderen Ergebnis. Über solche Dinge wurde nie gesprochen, sie konnte sich beim besten Willen nicht vorstellen, dass ein junger Mann aus anderen Kreisen als den ihrigen, wie ihr Gegenüber es womöglich war, bei ihrem Elternhaus klopfen und um Einlass fragen konnte. Er würde weggeschickt werden, vielleicht sogar mit einem boshaften Lachen der Großmutter, deren Stimme sie noch schmerzlich laut in den Ohren hatte.

"Ich weiß nicht Recht, was ich sagen soll", es war eine unbedachte Aussage, die sie eigentlich so nie gemacht hätte, es war ein direkter Gedanke, den man nicht einfach so weiter gab. Alles, was man sagte, hatte abgewogen und durchdacht zu sein, um das zu bekommen, was man erreichen wollte, doch störte sie dies in diesem Moment nicht weiter, sie wollte schließlich frei sein und das Leben woanders kennenlernen, wollte tun, was ihr gefiel, was sie für richtig hielt.

Und noch etwas fragte sie, was sie eigentlich nicht hätte fragen sollen. Normalerweise nahm man ein Angebot an, wenn man es benötigte, hinterfragte es nicht, doch sie konnte das nicht, sie wollte es nicht. Vor allem in Anbetracht der Tatsache, dass sie sich den Tod holen konnte - und das ohne zu übertreiben - wenn sie nicht sehr bald die Möglichkeit hatte, sich umzuziehen und sich aufzuwärmen. "Macht Euch dies keine Umstände, Senior? Ich möchte kein Opfer verlangen, und auch nicht zur Last fallen." Und wieder dachte sie an das Mädchen, das vielleicht irgendwo einige Biegungen weiter wartete und hoffte, dass er bald zu ihr kam.

Doch wo sollte sie hin, wenn nicht mit ihm gehen? Mitten in der Nacht, allein und vor allem: niemanden kennend, der sie unterbrachte, ohne, dass es am nächsten Morgen schon ganz Venedig wusste. Sie wollte sich erklären, zumindest etwas, sie wollte noch etwas anfügen, irgendwas, das es ihm leichter machte, dieses Angebot wieder zurückzuziehen, wenn es nicht von Herzen kam. "Ich würde Euer Angebot annehmen, wenn ich mir sicher sein kann, dass ich Euch nicht an Euren Vorhaben hindere, die ihr vielleicht noch für diese Nacht geschmiedet habt und auch nur, wenn Ihr mir erlaubt, dass ich Euch für die Umstände Rechenschaft ablege, gleich welcher Art." Sie wollte nicht noch einmal sagen, dass sie ihn bezahlen wollte für das, was er für sie tun wollte, gleichwohl aber war sie sich nicht bewusst darüber, dass ihre Aussage doppeldeutig aufgefasst werden konnte.

Blieb zu hoffen, dass er spürte, dass sie dies anders meinte, als mancheiner es wohl gerne gehört hätte. Ihr Blick zumindest war aufrichtig und ehrlich und vor allem offen einer Absage gegenüber, auch wenn es einige Überwindung kostete, frierend in der Kälte zu stehen und zu spüren, wie eine fiebrige Hitze in ihre Wangen stieg und es ihr etwas schwindelte. Doch er sagte ihr nicht ab, nahm die Möglichkeit nicht wahr und beteuerte, keine weitere Verpflichtung zu haben, der er nachgehen sollte. Es sei ihm eine Ehre. Und seine Worte klangen so offen und auch ehrlich, dass sie nur nickte und er ihr das Bündel wieder abnahm und ihr den Arm bot, damit mit sie sich auf ihn stützen konnte.

Als sie gingen sah sie ihn aus den Augenwinkeln abermals an. Er war kaum älter als sie selbst und er wirkte überaus aufgeschlossen und ehrlich. Vor allem wirkte er nicht so, als habe er schon eine eigene Familie und sie war sicher, es war das Haus seiner Eltern, zu dem er sie führte und so kam es schlussendlich tatsächlich. Es war ein kleines Haus, nicht ärmlich, aber sehr schlicht und einfach und man sah, dass nur das Geld für das Nötigste da war.

Sie waren gerade durch die Tür getreten, als eine kräftige, italienische Frauenstimme laut nach ihm rief und ihn beim Namen nannte und schon einen Regen voller Worte auf ihn niederprasseln lassen wollte, warum er so spät kam, als sie inne hielt und das tropfnasse Mädchen vor sich sah. Sie - eine wohlgenährte typische italienische Mamma mit dunklen, fröhlich-funkelnden Augen und einem schwarzen Lockenkopf, wie ihr Sohn - offensichtlich - es ebenso hatte, nur ihr Haar war aufgebauschter und länger. Etwas schüchtern blickte sie sie lächelnd an, hinter seinem Rücken hervor zu ihm. "Giuliano heißt Du also ...", huschte ihr dieser Gedanken durch den Kopf, als sie versuchte sich gebührend vorzustellen, doch Giuliano nahm es ihr ab, doch als er ihren Namen nennen wollte, musste er sich zwangsläufig hilfesuchend umsehen, woraufhin die Rothaarige freundlich "Lotte", sagte, damit er seinen Satz beenden konnte, was ihm allerdings nicht möglich war, denn seine Mutter überfuhr ihn und nahm sich Lottes an, ohne, dass er überhaupt eine Möglichkeit hatte, etwas zu sagen oder zu tun. Sie nahm einfach das Ruder in die Hand, sorgte sich überschwänglich wie eine Mutter mehrerer Kinder es nun einmal tat und drückte sie in eine kleine Kammer. Ihren Sohn schickte sie zum heißen Wasser holen und sagte ihm, er solle von der Suppe essen, die auf dem Herd stand, als sie sich dann um Lotte kümmerte.

Die Mamma brachte sie offensichtlich in seine Schlafkammer, klein und spärlich eingerichtet, aber gemütlich und sie fühlte sich, wie schon zuvor im Küchenraum, sofort wohl. Es war klein, viel kleiner als die Vorratskammer ihres eigenen Zuhauses und doch fühlte es sich viel wärmer nach Zuhause an, als sie je von sich behaupten konnte, es so daheim empfunden zu haben.

Ein Bett stand in der Kammer, ein kleiner Nachtkasten daneben und mehr konnte sie sich nicht umsehen, weil die warmherzige, besorgte Frau sofort an ihrem nassen Kleid zog, damit Lotte aus diesem hinausschlüpfen konnte. Für den ersten Augenblick stieg ihr die Schamesröte in die Wangen, als auch die Unterröcke das Weite suchten und eigentlich alles, was sie sonst am Leibe trug, da nichts vor dem Wasser sicher gewesen war, doch der Blick der älteren Frau verriet, dass sie sich nicht schämen brauchte. Es schien für sie das Normalste dieser Welt, als wäre sie ihr eigenes Kind.

Doch nicht allein das war so überaus ungewohnt für die junge Frau. Vor allem das Umsorgtwerden, das sie noch nie kennen gelernt hatte, brach wie ein Sturm der Emotionen auf Lotte herein. "Danke, Seniora ...", sagte irgendwann leise doch die gutmütige Frau winkte ab. "Nicht doch, Kind. Es ist nur selbstverständlich Euch zu helfen, schaut Euch doch an, niemand kann verantworten, dass Ihr Euch den Tod holt. Was ist denn nur geschehen?", fragte sie wie beiläufig als sie Decken, Tücher, etwas zum Anziehen und dann auch das heiße Wasser in einer Schüssel mit weiteren Tüchern hereingebracht hatte und beide Frauen damit zugange waren, die Kälte aus ihrem Körper zu treiben. Lotte musste sich in die Schüssel stellen, sie verbrannte sich fast die eisigen Füße, doch schon gleich trieb die Wärme durch ihren Körper in die Höhe und jede Stelle auf ihrer Haut schien aufzutauen, als die mit heißem Wasser getränkten Leinen diese berührten.

"Ich bin in die Kanäle gefallen", kurz stockte die Mamma, bevor sie weiterrubbelte, sie hatte einfach schon viel zu viele Ausreden gehört und kannte sie alle. Lotte spürte das. "Ich bin ... eher hineingesprungen", berichtigte sich Lotte dann und besann sich darauf, ehrlich zu sein. Diese Frau tat alles, um ihr zu helfen, und ihr Dank war, sie anzuflunkern, das war nicht rechtens, doch auch verständlich, denn sie hatte Angst.

Die Mamma hatte diesmal aber nicht gestockt und nickte, was Lotte nicht sehen konnte, da sie hinter ihr stand. "Ich musste aus meinem Elternhaus fliehen, weil ich es nicht mehr ausgehalten hab", erklärte Lotte dann. Die Frau in mittlerem Alter, deren Nachnamen sie noch immer nicht wusste, unterbrach ihre Arbeit, wanderte um sie herum, nahm sie bei beiden Schultern und betrachtete das junge Gesicht, das langsam wieder Farbe annahm, eindringlich.

"Eure Mutter wird sich sorgen. Jede Mutter sorgt sich um ihre Kinder", Lotte spürte die Tränen in ihren eigenen Augen und schüttelte energisch den Kopf. Diese Frau erkannte, dass es keinen Sinn hatte, sie wusste nicht, was vorgefallen war und wollte auch nicht bohren. Sie würde das Mädchen sicherlich nicht zwingen, zurückzugehen und sie würde garantiert auch nicht hingehen und mit dem Eltern sprechen, dessen war auch Lotte sich sicher. "Nun gut, wir trocknen ab, dann schlüpft in das Nachtgewandt und sofort ins Bett ...", Lotte nieste und unterbrach die Mama somit. "Verzeiht", doch die Mama lachte nur und Lotte leise mit ihr, "Seht Ihr, das warme Bett ruft, es wird Zeit." und sie tat, wie vorherbestimmt und noch ehe sich Lotte versah, war sie einpackt in Deckenlagen und konnte sich kaum mehr rühren.

"Nehmt morgen das Kleid, das ich Euch hier hingelegt habe. Eure Röcke werden nicht so schnell trocken sein. Und jetzt schlaft wohl", sie nahm die Kerze mit nach draußen und Lotte konnte kaum mehr einen wirklich ruhenden Gedanken fassen, als sie auch schon vor Erschöpfung eingeschlafen war.

So fühlt sich "Zuhause" an

Geklapper und leise Stimmen weckten das Mädchen auf. Sie fühlte sich etwas verschnupft, aber hatte das Gefühl, niemals auch nur eine Nacht besser geschlafen zu haben, als diese. Lotte brauchte einige Momente bis sie begriff, wo sie war und was passiert war. Jetzt musste ihr Verschwinden in jedem Fall aufgefallen sein und sie musste sich vorsichtig in der Stadt bewegen, wenn sie nach draußen ging. Und wie sollte es weitergehen?

Sie konnte doch nicht mehrere Tage die Kammer des so herzlichen Giuliano für sich beanspruchen, sie wollte die Hilfsbereitschaft der so herzlichen Mutter nicht ausnutzen, wollte nicht belasten und empfand das alles entgegen ihrer Worte in der Nacht überhaupt nicht selbstverständlich. Niemals hätte sich ihre Familie so um eine Fremde gekümmert, wenn sie nicht offensichtlich aus gutem Hause war, geschweige denn, dass sie ihre Tochter so umsorgt hätten.

Lotte schob die nackten Füße auf den Holzfußboden und blickte an ihrem Leinennachthemd hinunter und grinste. Sie musste sehr lustig aussehen, dann stand sie auf und ging zu dem Kleid, dass die Mamma ihr hingelegt hatte. Die Größe schien passend und so zählte Lotte noch ein weiteres, größeres Kind, eine Tochter in diese Familie. Sacht strich sie über den baumwollenen Stoff, er war weich, sehr einfach, fühlte sich anders an, als all die Kleider, die sie besaß und sie musste erkennen, dass sogar ihre Maskenballkleider einer einfachen Jungfer aus weitaus teurerem Stoff war, als dieses schlichthübsche Stück.

Lotte erkannte, dass sie sich hätte verkleiden können, wie sie wollte, man konnte ihr dennoch auf Metern Entfernung ansehen, dass sie aus anderen Kreisen stammte. Sie hatte sich die ganze Zeit etwas vorgemacht. Es war allerdings nicht so, dass sie ihre Kleider diesem vorzog, dieses war so wundervoll, so schlicht in dunklem graubeige gehalten, mit einem sehr einfachen Mieder, das unter ihren Brüsten endete und einem weißen Blusenansatz, das einen weiten runden Ausschnitt mit kleinen hübschen Falten am Bund fächerte. Die zwei Lagen Unterröcke waren ebenfalls aus weicher Baumwolle, etwas verstärkt mit Leinen an den gerafften Stellen und als Lotte sie anzog, fühlte sie sich gemütlich und frei. Nichts zupfte, nichts war steif, nichts kratzte an den Beinen, alles fühlte sich einfach nur weich und angenehm auf der Haut an.

Sie band das Mieder locker vorn zusammen, die weiße Bluse schimmerte durch die Kreuzverbindungen hindurch, der Kleidsaum fiel leise und ohne das Rauschen, das sie von ihren eigenen Unterröcken gewohnt war, über diese. Es war einfach herrlich. Mit diesem Kleid konnte man sich bewegen, es waren nicht so viele Unterröcke, dass das Kleid sich nicht von selbst beim Drehen etwas aufwirbelte, nur zwei, von den gefühlten 100, die sie sonst tragen musste, wenngleich sie gestern auch nur drei getragen hatte. Und eigentlich waren es auch keine 100, denn man trug einen Reif, der die Kleider weitete, aber dieser verhinderte jegliches bequeme Sitzen, verhinderte durch enge Türen zu kommen - zumindest einfach so - verhinderte eigentlich so gut wie alles.

Lotte sah sich um, sie hörte das Lachen aus der Küche. Wie lange schienen sie schon auf zu sein? Und es waren wohl mehrere Personen, aber sicher sagen konnte sie es nicht. Irgendjemand hatte gestern ihre Sachen noch in die Kammer gestellt, worüber sie in diesem Moment sehr erleichtert war, sie kniete sich nieder - welch Wunder, das konnte einfach so geschehen, dieses Kleid war einfach nur perfekt - und löste den Knoten, der sich vom Tragen verfestigte hatte. Sie zog von dort ein Kleid heraus, das eigentlich ein Kleid aus diesem Stand sein sollte, doch so war es nicht und erst jetzt konnte sie dies im Vergleich wirklich erkennen.

Lotte strich es auf dem Bett glatt. Sie hatte es nur einmal getragen, es war dunkelblau und schlicht, wenngleich eigentlich doch nicht wirklich schlicht. Sie musste über ihre eigene Dummheit grinsen. Sie würde dieses Kleid dem Mädchen anbieten, dessen Gewandt sie gerade trug. Sie wollte es nicht mehr hergeben und gerne eintauschen, so gut fühlte es sich an. Sie würde Giuliano fragen, ob er ihr sagen konnte, wo sie solche Kleidung kaufen konnte. Nichts mehr, nie mehr wollte sie etwas anderes tragen.

Nach Minuten löste sie sich aus ihren Überlegungen, suchte weiter in ihrem Kissenbezug und fand die Spiegelscherbe und alles, was sie brauchte, um sich das Haar zu kämmen und auch das zu tun, was junge Frauen nun einmal vor dem Spiegel taten. In diesem Raum war kein eigener Spiegel zu finden. Das Haar konnte sie nicht hochstecken, sie hatte die Haarnadel im Kanal verloren, doch zumindest wollte sie es sich in zwei locker gedrehten Zöpfen über die Schultern nach vorne legen, damit es nicht zu frei aussah. Sie hatte wider Erwarten keinen Ersatz in ihrer "Tasche".

Erst als sie sich wirklich sicher wähnte, dass sie alles hatte und sie in dieser Zeit schon drei mal niesen musste, ging sie leise durch die Tür in die Küche hinaus und spickte fast schüchtern hinein. Es war ein eigenartiges Gefühl aus einer fremden Schlafkammer eines Jungen zu kommen und in die fremde Küche der Mamma zu treten. Innerlich kicherte sie leise zu dieser Vorstellung, nach Außen zeichnete sich ein funkelndes Lächeln in ihren grünen Augen ab.

Es war, als würde der ganze Raum für den Bruchteil einer Sekunde in der Zeit angehalten, als die junge Frau schon gleich nach dem Öffnen der Türe bemerkt wurde. Ein junges Mädchen, Lotte schätzte sie auf 13 oder vielleicht auch schon 14 Jahre und ein kleinerer Junge, der Mitten im freche-Streiche-Alter stecken musste, blickten sie aus ihren großen dunkelbraunen Augen an. Ihr Haar war lockig und fast schwarz, es glänzte im Schein des hereinfallenden Sonnenlichts und man sah auf den ersten Blick, dass es Geschwister sein mussten, denn sie hatten die gleiche Stupsnase und die gleiche Haarstruktur, auch wenn das des Mädchens in wilden Locken bis zum Rücken reichte und der Kleine seines bis kurz über die Ohren trug.

Lotte lächelte sie an, erst dann sah sie auch Giuliano, der ihr in diesem Moment ein "Guten Morgen" entgegenbrachte und Lotte damit zu einem noch stärkeren Strahlen verhalf. Für einen Moment hing sie wieder an seinen Augen, die so gar nicht in diese Familie zu passen schien. Auch wenn sie alle hübsche Augen hatten, so waren seine nun einmal anders, vor allem blaugrau anstatt schwarzbraun, und sie faszinierten Lotte sehr. Erst als das Mädchen, eigentlich sehr schnell darauf, ebenfalls einen guten Morgen wünschte und einen Knicks machte, während sie am Herd stand und in einem Topf rührte, von dem aus ein verdächtig leckerer Geruch nach Gemüsesuppe zu Lotte herüberschwebte, konnte sie ebenfalls die herzliche Begrüßung erwidern.

"Guten Morgen, auch wenn ich glaube, dass es nicht mehr Morgen ist, oder irre ich mich?", mit diesen Worten trat die Rothaarige gänzlich aus der Kammer und schloss die Türe hinter sich. Erleichtert stellte sie fest, dass zumindest das Mädchen ebenso wenig Schuhe trug, wie sie selbst, bei dem Jüngeren konnte sie es nur ahnen. Es war ein angenehmes Gefühl auf dem schon sehr weichgetretenen Holzfußboden zu stehen.

Der Kleine war gerade aufgesprungen, um mit hochroten Wangen an einen der hölzernen Küchenschränke zu laufen, als seine Schwester, weiterhin rührend, abermals das Wort an Lotte richtete: "Hier ist eine Suppe für Euch, das wird Euch gut tun, hat Mama gesagt". Lotte lächelte sie herzlich an. "Vielen Dank, aber bitte nenn' mich einfach Lotte und sage Du zu mir, ich komme mir sonst so alt vor", es war ein Lachen, das zu ihrem Blick passte und leise den Raum durchklang. Als der Junge der Schwester den Teller reichte, damit sie die Suppe herausschöpfen konnte, verkannte Lotte den bitterbösen Blick nicht, dem der Lockenkopf dem anderen entgegenwarf und die junge Frau schmunzelte. Was auch immer die beiden für ein Problem miteinander hatten, es fühlte sich nach Leben an. Leben in diesem kleinen Haus, das sie schon in der letzten Nacht in ihr Herz geschlossen hatte.

Das Mädchen reichte ihr den Teller, den Lotte dankend annahm, bevor die junge Dame zu einer Schublade ging und dort anscheinend nach einem Löffel zu suchen schien. Charlotta ging vorsichtig den Teller tragend zum massivhölzernen, wurmstichigen Küchentisch und setzte den Teller dort ebenso umsichtig ab, damit die helle Suppe, in der allerlei bunte Gemüsearten schwammen, nicht überschwappte.

"Wie fühlt Ihr Euch ... Lotte?", das Mädchen sah zu Giuliano auf und direkt in diese Augen, die sie fragend und gleichsam auch zurückhaltend anschauten, als wäre er ständig darauf bedacht, sie nicht mit seinen Blicken zu belästigen, wie es generell umgangsüblich war. "Wunderbar, und ich bin so dankbar, dass ich nicht weiß, wie ich es zeigen soll. Aber etwas liegt mir auch hier am Herzen ... können wir bitte die Förmlichkeiten beiseite schieben, Giuliano? Ich fühle mich nicht wohl dabei, da wir doch im selben Alter zu sein scheinen", sie lächelte warm und setzte sich dann auf einen der drei Stühle, die um den Tisch herum standen, an die Längsseite des Tisches, als er ihr auch schon entgegenlächelte und ihr Angebot dankend annahm.

Das Mädchen reichte ihr in diesem Moment den Löffel, den sie wartend hinter ihr in der Hand gehalten hatte. "Kann ich Dich was fragen?", sprudelte es daraufhin auch sogleich aus ihr heraus, während es nun an dem Jungen war, der sich hinter seinem Bruder vorbei gequetscht hatte, um sich auf die Bank zu setzen und Lotte genau gegenüber zu sein, seine Schwester mit einem bösen Blick zu beschenken. "Natürlich", sie war ehrlich interessiert, und neugierig auf die Antwort, schaute das Mädchen sie an. "Warum Lotte? Das passt irgendwie gar nicht, eigentlich schon, aber nicht so richtig, als würde was fehlen?", und auch wenn es etwas verwirrend klang, so verstand die Rothaarige sofort, worauf das Mädchen hinaus wollte.

"Eigentlich Giuseppina Charlotta," und wieder lachte sie kurz leise auf, "... aber ich mag schon gar nicht den ersten und auch nicht unbedingt den zweiten Namen gerne hören. Ich finde, es passt nicht zu meinem Gefühl im Herzen, verstehst Du? Darum einfach nur Lotte. Und wie ist Dein Name?"

"Ich bin Antonio und das ist meine Schwester, sie heißt Angelina"
, mischte sich nun ungefragt der kleine Bruder vorherrschend ein, als fühlte er sich zu wenig beachtet, und Lotte konnte sich ein weiteres Schmunzeln nicht verwehren, als ihr gewahr wurde, wie betont abwertend er seine Schwester vorzustellen gedachte. Es gelang ihm nicht gänzlich, aber zumindest hatte er für diesen Moment Lottes Aufmerksamkeit von der seiner Schwester abgerungen. "Beides sehr schöne Namen, Antonio und Angelina", und sie versuchte in beide Richtungen zu lächeln, damit niemand zu kurz kam.

Irgendwie waren es gemischte Gefühle zwischen Freude und Bissigkeit, die sie in den Kindergesichtern wahr nahm, denn noch aus den Augenwinkeln erkannte sie, dass Angelina ihrem Bruder die Zunge herausstreckte, und er seine Schwester gleichwohl siegessicher angrinste. Sie schienen beide einen Teilsieg errungen zu haben, der zu einem Gleichstand und somit zu diesen Gesichtern führte, die nicht zu wissen schienen, ob sie sich jetzt für sich freuen oder wegen des anderen ärgern sollten.

"Esst Ihr mit mir? Ich fühle mich etwas allein so einzig mit einem so herrlich duftenden Suppenteller", Lotte versuchte die beiden abzulenken, sah sie kurz abwechselnd an, und ruhte dann in Giulianos Gesicht, als wolle sie auch ihn auffordern, sie nicht allein essen zu lassen, was ihr wahrlich etwas unangenehm war, da sie schon so freundlich in dieses Haus aufgenommen worden war und sie nun auch noch verköstigt wurde.

Mit diesem Gedanken kamen dann auch weitere, die sie gerne ausgesprochen hätte, weil sie nicht wusste, wie es jetzt weitergehen würde. Sie konnte sicherlich nicht noch länger hier bleiben, musste etwas finden, wo sie unterkommen konnte, ohne der so herzlichen Familie, die sie eigentlich gar nicht wieder verlassen wollte, zur Last zu fallen.

Vielleicht ergab sich in den nächsten Minuten eine Möglichkeit, Giuliano unter vier Augen darauf anzusprechen. Vielleicht hatte er mittlerweile eine Idee oder konnte ihr helfen, sich zurecht zu finden, denn Lotte wollte zumindest noch ein paar Kleidungsstücke erwerben, bevor sie sich um die Unterkunft der nächsten Nacht kümmerte, aber sie kannte sich im "normalen" Leben Venedigs einfach nicht aus und fühlte sich dementsprechend bei diesem Gedanken verloren.

Und der Moment sollte kommen, als sie nach einem lustigen Essen, bei dem Giuliano doch etwas zurückhaltend gewesen war, weil die Kinder für genügend Unterhaltung sorgten, Giuliano die Kinder dann zum Waschen der Teller nach draußen schickte. Sie rissen sich förmlich darum, wer den Teller von Lotte nehmen konnte und verschwanden patschfüßig dann nach draußen. Giuliano ergriff diesen Moment und fragte sich, was sie nun vor habe.

"Ich weiß es ehrlich gesagt nicht", jetzt erst schwand das Strahlen aus ihren Augen leicht, nur die Höflichkeit und ihr Naturell ließen ihre Gesichtszüge weiterhin freundlich wirken. "Ist Dir vielleicht doch eine Möglichkeit eingefallen, wo ich unterkommen könnte? Vielleicht für drei Tage, vielleicht auch vier. Ich glaube, es wäre nicht gut, würde ich aus der Stadt laufen, allein und ohne Schutz und auch vor allem ohne Ahnung, was mich dort erwarten könnte.

Ich benötige allerdings dennoch etwas Kleidung. Das, was meines ist, kann ich nicht tragen, ohne aufzufallen und so wollte ich Dich bitten, mir zu sagen, wo es einen Markt hierfür gibt, damit ich mich die nächsten Stunden vielleicht dorthin begeben und mich umsehen kann. Zu viel mehr Gedanken bin ich nicht gekommen ..."
, und sie wandte sich rasch ab, weil es in ihrer Nase kitzelte und sie hinter versteckender Hand niesen musste. "Verzeih", und nun war es an ihr, ihre Worte etwas verschüchtert heraus zu bringen, so wie seine Worte stets etwas schüchtern wirkten.

So wirklich gesund fühlte sie sich wahrlich nicht, wie sie in diesem Augenblick spürte, aber es war nur der Hauch einer Ahnung. Sie wusste, dass nichts Schlimmeres bei ihrem nächtlichen Eisbad passiert war, denn sonst hätte sie sich schon längst den Tod geholt. "Und ich möchte Deiner Mutter danken und auch der Frau, deren Kleid ich trage," fügte sie noch leise an, "... das ist, was ich bislang zu tun gedachte." Erst jetzt versuchte sie wieder ein Lächeln. Auszureißen war nicht wirklich so einfach, wie sie sich das vorgestellt hatte ...

Als Lotte ihre sich kaum durchdachten Pläne äußerte, bildete sich eine nachdenkliche Falte auf seiner Stirn und hoffnungsvoll blickte sie ihm entgegen. Fast schon war die Luft zum Zerreißen gespannt und sie hoffte inständig, dass ihm vielleicht etwas einfiel, das ihr weiterhelfen könnte. Dann blickte er auf, als er schlicht und ergreifend "Hier" sagte.

Lotte wollte widersprechen, wollte gerade seiner Familie nicht zur Last fallen, nicht seine Kammer für sich einnehmen, wo es doch hier für alle sicherlich gerade nur ausreichend Platz gab. Gerne hätte sie widersprochen, doch er schob nach, dass natürlich nur, wenn es ihr hier gefiele, und viel wichtiger war in diesem Moment, ihm sofort klar zu machen, dass sie sich wohler nicht hätte fühlen können und so unterbrach sie ihn kurzerhand Unfreundlicherweise mit ihrem doch etwas energischen Einwurf.

"Nein, Himmel, nein, bitte, ich finde es hier wundervoll, ich habe mich nie zuvor in meinem Leben so wohl gefühlt wie hier, glaube mir das bitte," und sie meinte es überaus ernst, "ich möchte nicht zur Last fallen, das ist alles. Ich möchte so freundlichen Menschen wie Dir nicht den Schlafplatz nehmen ...", aber was hatte sie denn für andere Möglichkeiten? Keine - und genau diese Erkenntnis ließ sie verstummen und kurz beschämt den Kopf senken, als er ihr erwiderte: "Vielleicht gibt es noch eine andere Möglichkeit, aber sie fällt mir im Moment nicht ein." Lotte nickte. "Mir fällt ebenfalls keine weitere ein", sich ergebend hob sie das Kinn wieder in die Waagrechte und versuchte ein aufgebendes Lächeln.

"Du hast wohl Recht, aber ich möchte Euch wirklich nicht zur Last fallen," ein leichtes Seufzen unterstrich ihre Worte, "ich möchte das wieder gut machen, Giuliano, ich möchte für die Umstände aufkommen, bitte erlaube mir das oder bringe Deine liebe Mamma dazu, dass sie es mir erlaubt. Ich möchte diese paar Tage helfen, was ich helfen kann und nicht als Gast behandelt werden, sondern bitte als jemand, der für Kost und Logis das tut, was alle tun müssen", bittend sah sie ihn an. Sie wusste nicht, wie lange diese paar Tage werden würden, wusste nicht, was dann passierte, aber sie war sicher, dass ihre Familie die ganze Stadt mit ihren Schergen füllte, um nach ihr suchen zu lassen. Er erwiderte darauf nichts, seinem Blick aber war anzusehen, dass seine Mutter dies in keinem Fall annehmen würde, was die Unterstützung anging. Er würde es wohl ihr selbst überlassen, das Lotte klar zu machen, jedenfalls wirkte es so und in diesem Moment schien sein Blick überaus selbstbewusst oder zumindest überzeugt.

Für ihre Großmutter war sie eine Schande - so oder so - aber das wusste nach Außen hin niemand, auch wenn die Bediensteten sicherlich hinter vorgehaltener Hand darüber sprachen. Aber eine noch größere Schande für die alte, bösartige Frau wäre, wenn sich herumspräche, dass das Mädchen weggelaufen war. Dies wäre nicht nur eine generelle Erniedrigung, sondern würde sie auch als Beleidigung ansehen. Sie wollte ihr und das Ansehen der Familie in den höchsten Tönen gelobt wissen und würde nicht einfach hinnehmen, dass Lotte dieses Ansehen durch den Schmutz zog. Die besten Leute würden darauf angesetzt werden, sie zu finden ... wie lange mochte es dauern, bis sie sie ergriffen?

Und welche Konsequenzen hatte das für diese überaus warmherzige Familie, die sie aufgenommen hatte? Ihre Gedanken zogen immer weitere und tiefere Kreise. Lotte hatte Mühe, sich auf die Worte ihres Gegenübers zu konzentrieren, bekam sie zumindest aber inhaltlich mit und reagierte fast automatisch. Ersichtlich allerdings, dass sie sich um etwas ganz anderes Sorgen zu machen begann.

"Ich habe Deiner Schwester eines meiner Kleider hingelegt. Ich habe es nur einmal getragen und das auch nur sehr kurz. Ein schöner Stoff und etwas wunderbares, ich mag es sehr. Ich hoffe, sie kann es annehmen", ihr leichtes Lächeln, das sie zustande brachte, war ehrlich und dennoch trübte sie der Gedanke immer mehr, dass sie nicht wusste, wie ihre Sippschaft auf diese Familie reagieren würde. Sie hatten alle Macht, ihnen alles anzutun. Sie aus der Stadt zu vertreiben, gar zu verbannen. Ja, sie könnten es tun, und sie traute es ihnen auch zu. Aber viel wahrscheinlicher war vielleicht, dass sie bestachen, dass sie Giulianos Familie viele Münzen für die Umstände gaben, aber auch dafür, dass sie niemandem erzählten, dass Lotte bei ihnen gewesen war.

Lotte konnte nicht einschätzen, welche Möglichkeit real wahrscheinlich wäre. Würde ihre Großmutter riskieren, dass trotz der Bezahlung etwas nach Außen drang? Rechnete sie womöglich damit? Würde sie diese liebevolle Familie in diesem hübschen kleinen Haus bedrohen, ihnen androhen, sie verbannen zu lassen, ihnen etwas anzuhängen, wenn sie trotz der Bezahlung nicht den Mund hielten? Würde es der alten Frau dann weiterhin nicht viel zu gefährlich sein, Stunde um Stunde, Tag um Tag, in und an denen sie bangen musste, dass doch etwas verbreitet wurde an diesen wahren Gerüchten?

Würde sie dann nicht Intrigen spinnen, dem jungen Giuliano vielleicht etwas bösartiges anhängen, damit sie ihn und seine Familie los würde? Lotte wollte es sich nicht ausmalen, nicht daran denken, aber sie musste diese Möglichkeiten in Betracht ziehen, sie musste es einfach, ob sie wollte oder nicht ... Forschend sah sie in Giulianos Augenpaar. Sie sollte mit ihm darüber sprechen, es ihm erzählen - ihm, oder seiner Mutter. Vielleicht eher seiner Mutter? Als Giuliano etwas zu ihr sagte, konnte sie nicht so schnell aus ihren Gedanken zurückfinden, doch am Rande blieb hängen, dass er ihr anbot, sie zum Markt zu begleiten, wenn er zu seiner Arbeit bei einem reichen Hause als Diener ging.

"Verzeihung, ich war gerade in Gedanken. Was hattest du gesagt? Ach ... ich würde gerne mit Dir zum Markt gehen, ja" wieder versuchte sie ein Lächeln, doch sie scheiterte, als ihr weiterhin bewusst wurde, dass er angeführt hatte, er würde zum Hause seines Herren gehen. Lotte sah ihn direkt an, musterte sein hübsches, jugendliches Gesicht und nun war es an ihr, eine kleine nachdenkliche Falte auf ihrer Stirn zu fühlen.

Er sollte nicht irgendwelchen Leuten dienen, nur weil diese zu viele Reichtümer besaßen, als dass sie sich selbst um ihre Angelegenheiten zu kümmern wussten. Die junge Frau begriff mit einem Mal, dass sie nie darüber nachgedacht hatte, wie die Menschen, die bei ihnen im Haus arbeiteten, lebten, dass sie dafür sorgen mussten, dass ihre Familie genügend zu Essen und die Kinder etwas zum Anziehen hatten.

Sie schrieb ihm solch eine Arbeit nicht zu. Er sollte nicht dienen, außer sich selbst, sie ertrug den Gedanken nicht, dass er diente. In ihrem Magen begann sich ein etwas flaues Gefühl auszubreiten. Er sollte sich entwickeln und entfalten können, wie es alle Wohlhabenden taten, wieso sollte ihm das verwehrt bleiben, nur weil er nicht reich war?

"Du solltest mit dem Geld verdienen, das Dir im Herzen geboren ist, nicht damit, dass Du reichen Leuten dienst, die sonst nichts besseres zu tun haben, als sich der Völlerei hinzugeben." Es platzte einfach aus ihr heraus, nicht sehr laut, aber deutlich ihre Meinung aussprechend mit einem ablehnenden Unterton darin, als wisse sie genau, wovon sie sprach.

Sie hatte keine Skrupel, so über die Wohlbestückten zu sprechen, weil sie selbst in dieser Schicht groß geworden war und weil sie wusste, dass nicht alles Gold war, das glänzte. Wieder einmal wurde ihr bewusst, wie abgrundtief sie das alles verabscheute. Auf den Gedanken, dass ihm seine Obliegenheit auch Spaß machen könnte, kam sie nicht.

Sein Blick flackerte leicht, als würde er wegsehen wollen, wie er es die ganze Zeit getan hatte, wenn sie ihn so direkt ansah und sie wollte ihn nicht fixieren und ihre doch etwas überspitzte Formulierung bezüglich der Reichen und vermeintlich Schönen lockerte die Stimmung sofort wieder auf, da er auflachte und sie sich ein Schmunzeln nicht verwehren wollte, Lotte senkte für einen Augenblick leicht errötend den Blick. So sehr sie sich auch bemühte, die Förmlichkeiten abzulegen, so sehr waren sie auch in ihr verankert und dies ärgerte sie ein ums andere mal.

"So einfach ist das nicht." Er sagte es freundlich, nahezu leicht dahin, aber sie begriff, dass es ebenso ernst war. Und schon wollte sie aufbegehren und ihm widersprechen, ganz so, wie sie es gewohnt war, es bei ihrer Familie gängig zu tun, doch sie hielt sich zurück. Was wusste sie schon? Nichts - sie bildete sich immer ein, so viel zu wissen und gerade in solchen Situationen musste sie dann doch feststellen, dass ihre Vorstellungen Idealbilder Ihrerselbst waren, aber meistens nicht einfach so in die Realität umgesetzt werden konnten.

Sein Blick wirkte prüfend und abermals stieg ihr eine leichte Röte in die Wangen. Für sie war immer alles da gewesen, es hatte ihr an nichts gefehlt, wenn man die elternhäusliche Liebe einmal nicht mit einbezog. Materiell hatte sie ausgesorgt und hier saß sie einem jungen Mann gegenüber, der für Ihresgleichen arbeitete und sich dennoch nicht das leisten konnte, was er sich ihrer Meinung nach leisten können sollte. Sie schämte sich etwas ob dieser Erkenntnis, wusste allerdings nicht, was sie sagen sollte und schwieg mit einem entschuldigenden Blick.

"Ich hole meine Sachen." War dann das einzige, das sie noch sagen konnte und mit beschämtem Blick stand sie auf, wandte sich um und ging in die Kammer, die nicht ihre war, um sich Schuhwerk an die Füße zu ziehen und einfaches Tuch ums Haar zu binden, da ihre rote Farbe viel zu sehr auffallen würde. Etwas Geld nahm sie aus ihrem Beutel, in den sie alle Ersparnisse getan hatte und ging dann aus der Kammer zurück in die Küchenstube. Von der gerade noch etwas bedrückten Stimmung war nichts mehr zu spüren. Giuliano stand an der Tür und wartete mit einem offenen Lächeln auf sie, um mit ihr loszugehen.

Als sie gemeinsam den Weg in Richtung des Marktes gingen, brachte er sie zum Lachen mit seiner herzlichen Art. Er war so ein unheimlich zurückhaltender, schüchterner Charakter, so gut erzogen und sie fühlte sich in seiner Gegenwart einfach überaus wohl. Und als sie so hell lachte, fragte er sie unvermittelt, ob er sie zeichnen dürfe. Lotte sah ihn mit einem Glitzern in den Augen und einem Lächeln auf den Lippen an und nickte dann. Er hatte also wirklich etwas, dem er nachgehen wollte ... Kunst, welche eine wundervolle Beschäftigung, wie sie fand.

"Sehr gerne und vielen Dank für das Kompliment," sagte sie dann strahlend dazu und hatte aber auch eine Einschränkung, "... aber nur, solange ich nicht steif dasitzen muss." Sie kannte das Stillsitzen einfach nur zu gut und sie hasste es - viel zu oft hatte sie für Familiengemälde bei einem fast toten Maler stillsitzen müssen. Er lachte auflockernd und versicherte ihr, dass sie das garantiert nicht müsse. Sie mochte die Unbeschwertheit und sah ihm dann vielleicht einen Moment zu lang in die Augen. Ja, sie fühlte sich wahrlich überaus wohl in seiner Gegenwart - in der Gegenwart seiner ganzen Familie, seiner Mamma und überhaupt ... es war alles so neu und so anders, sie konnte einfach nicht anders, als das Bild seines hübschen Antlitzes in sich aufzunehmen.



Der Lauscher an der Wand ...

Ganz in Gedanken versunken, wurde ihr gar nicht gewahr, dass sie sich schon mitten auf dem Marktplatz befanden und die ersten für sie relevanten Stände in Sicht kamen, als er abermals stehen blieb und sich ihr zuwandte. Seine Wangen waren gerötet, und diese passten so gar nicht zu seinem vorgegebenen, gefassten Anblick. Doch womöglich irrte sie einfach, denn sie kannten sich kaum, eigentlich überhaupt nicht und ihn richtig einzuschätzen war sie bislang noch nicht ganz in der Lage gewesen, auch wenn sie glaubte, doch einige Wesenszüge von ihm erkannt zu haben.

Mitunter Wesenszüge, die zurückhaltend waren, und sie sich schon mehr als einmal gewünscht hatte, er wäre offener, und andererseits waren es genau diese Eigenschaften an ihm, die ihn ausmachten. Die ihn sein ließen, wie er war und wie sie ihn mochte, sehr mochte sogar. Ein Lächeln stahl sich bei diesen Gedanken auf ihre hübschen Lippen. Sie kannte ihn nicht lange und eigentlich wusste sie nichts über ihn und dennoch hatten seine Worte und sein Verhalten ein deutliches Bild seines Inneren gezeichnet - zumindest im Ansatz.

Seine Einleitung glich einem vorrübergehenden Abschied, gefolgt von Worten, die bestätigten, was die Einleitung angekündigt hatte. Er musste gehen, es war nicht unvorbereitet, und doch wünschte sie sich, er hätte die Zeit, sich weiter mit ihr aufzuhalten, sie über den Markt zu begleiten, ihr zu zeigen, wie man handelte und dennoch ließ sie sich davon nichts anmerken. Man sollte seinen Gegenüber nicht mit dem Gefühl gehen lassen, dass er eigentlich bleiben sollte, wenn man ihm einen wirklich guten Tag wünschte. Und diesen wünschte sie ihm wahrlich.

"Ich hoffe, dass wir uns bald wieder sehen und dass Du einen Tag verlebst, der Dir viele hübsche Kleinigkeiten im Leben schenkt", sie lächelte herzlich, drückte auch die seinen Hände, als er nach ihren gegriffen hatte, bevor er sie wieder sinken ließ und dann von dannen ging. Sie sah ihm nach, bis die vielen Menschen, die sich über dem Markt tummelten, die Sicht zu ihm verdeckten und er nicht mehr zu sehen war.

Innerlich seufzte sie leicht auf, bevor sie sich umwandte und an den ersten Marktstand trat, der über und über mit Tuch und Kleidern überhangen war. Eine alternde Frau mit graumeliertem Haar, das ihr zum Dutt gebunden war, blickte ihr freundlich entgegen. "Oh, so ein hübsches Gesicht, so grüne Augen, ich habe sicherlich etwas, was Eure Schönheit noch mehr hervorhebt," begann sie zahnlos zu säuseln, wie sie es wohl jeder Dame entgegenbrachte, die aussah, als hätte sie ein kleines Magdgeld, mit dem sie sich ein paar Schmuckstücke erstehen konnte.

Es war der Einstieg in ein Gespräch, das bis zur Mittagssonne dauerte, immer wieder durfte sie anprobieren in einem Karren, der mit einer stoffenen Plane abgedeckt war, als die alte Frau bemerkte, dass Lotte mehr vorhatte, als sich ein neues Kopftuch zu kaufen. Üblich schien es nicht zwingend, aber Lotte unterhielt die alte Frau und versprach, dass sie nicht gehe, ehe sie nicht mindestens drei der hübschen Kleider ausgesucht habe, die sie hier feilbot.

Und dies schien mehr als ein gutes Versprechen bei all den Ständen, die ebenfalls ähnliche Ware anboten. Und tatsächlich fand Lotte zwei Kleider, ein hellgraues und ein dunkelblaues, eine weiße, lange Schürze, die in der Taille gebunden wurde und zwei neue Kopftücher, passend zu dem, was sie zuvor ausgesucht hatte. Auch schwatzte ihr die Alte einen neuen zweilagigen Unterrock aus Baumwollspitze auf, der locker und weich fiel. Alles, was Lotte allerdings zu schick erschien, auch wenn dies nicht viel war, lehnte sie ab. Sie übergab dem Mütterchen einige Münzen mehr, als notwendig gewesen wären, und diese schenkte ihr ein Taschentuch obenauf. Es war aus einfachem, weichem Stoff, doch an den Rändern waren Spitzen eingehäkelt, die eine schlichte blaue Verzierung boten.

"So denn könnte ich dies alles hier noch verwahren. Ich müsste noch einiges mehr hier auf dem Markt besorgen, und es zu tragen, wäre mir unmöglich", Lotte konnte wahrlich die hübschen Kleider nicht über den ganzen Markt tragen und ihr wurde erst jetzt bewusst, dass es noch so viel mehr hier zu sehen und zu kaufen gab. "Ich könnte meinen Knecht schicken, der Euch die Sachen trägt, gnädige Frau", sagte sie unvermittelt, längst begriffen habend, dass Lotte aus besserem Hause stammen musste. "Oh bitte, ich bin keine gnädige Frau", Lottes Stimme war leiser, sie befürchtete, dass jemand das Gerede der alten Frau mitbekam, "... ich bin eine einfache Magd aus gutbezahltem Hause, und ein Knecht stünde meinem Stand nicht zu", sie wusste nicht, ob sie überzeugend genug war, denn das alte Mütterchen winkte nur ab.

"Ich erkenne eine Dame, wenn ich sie sehe, mein Kind, aber wenn Ihr es wünscht, behalte ich dies natürlich für mich. Doch seid gewiss," und verschwörerisch senkte sie ihre Stimme und beugte sich über den Verkaufstisch in ihre Richtung, "... auch andere werden es merken. Seid nicht so großzügig, auch wenn Ihr es gerne sein wollt und seid nicht so höflich, wie ihr es ward", Lotte wollte protestieren. Sie wollte höflich sein und großzügig, wusste sie doch, dass die Menschen es hier nötiger hatten, als sie selbst, doch die Alte unterbrach sie, als sie das Aufbegehren in ihrem Blick entdeckte, sodass Lotte ihre protestieren wollenden Lippen wieder schloss, "... Ihr meint es nur gut, mein Kind, Ihr meint es nur gut, aber wollt Ihr für Euch sein, nehmt den Rat einer alten Frau an, die seit etlichen Sommern diesen Markt besucht und ihre Pappenheimer kennt. Ein Blinder mit Krückstock, wie man bei uns zu Hause sagt, würde erkennen, dass Ihr nicht zu uns gehört." Lotte senkte betroffen ihr Haupt und würde versuchen, den Ratschlag zu beherzigen, auch wenn es ihr schwer fiel, dann sah sie wieder auf und nickte entschlossen.

"Nun denn, gut, geht und seht Euch um, denkt daran, was ich Euch riet und kommt wieder, sobald Ihr soweit seid. Ich werde die Kleider und alles, was Ihr an meinen Stand bringen lasst oder selbst vorbeibringt, für Euch aufbewahren, damit Ihr es später nach Haus tragen könnt. Auch gern mit Hilfe meines Knechts, der eigentlich nur mein Enkel ist, aber er hilft gern", und sie brauchte nicht dazuzusagen, dass er nicht nur gern half, sondern sich auch über einen Obolus freute, den Lotte ihm selbstverständlich zustecken würde. Dankbar lächelte sie und nickte abermals, bevor sie sich auf den Weg machte, den weiteren Markt zu erkunden.

Einige Stände und mehrere erworbene Gegenstände weiter schien sie wirklich gut in ihrer Sache geworden zu sein, denn zumindest offensichtlich machte niemand mehr Anstalten, sie besser zu stellen, als andere. Einen gewissen Stolz konnte sie sich über den schnellen Erfolg nicht verwehren, allerdings fühlte sie sich weiterhin nicht gerade gut dabei, den Leuten nicht ein Zubrot zu geben oder sehr höflich zu sein, wie sie es nun einmal anerzogen bekommen hatte.

So ging sie dennoch fröhlich weiter, hatte die Waren zu der Frau am ersten Kleidungstand schicken lassen und fand sich bei einem Schuhwerkmacher wieder, der sie mit seinen Auslagen daran erinnerte, dass sie auch neue Schuhe benötigte, denn die, die sie trug, waren zu vornehm und dessen war sie sich auch bewusst.

Er schob sie direkt auf einen erhöhten Sitz und fragte, ob sie eine Sohle bei ihm habe, was sie verneinte. Ihre eigenen Schuhe hatte sie zuvor hinter seinem Stand unbemerkt versteckt und war einige Schritte auf dem Boden gegangen, damit man nicht sah, dass sie welche getragen hatte. Und doch war er geschult, sein Auge war geschult, als er ihre so unverbrauchten Füße betrachtete, um Maß nehmen zu können. An seinem aufmerksamen Blick, den er über ihr Gesicht gleiten ließ, sah sie sofort, dass er wusste, dass sie nicht einfach eine einfache Magd sein konnte. Keine Blessuren, keine Druckstellen, keine Hornhaut, nichts war an ihren Füßen zu erkennen, die Nägel sauber geschnitten, weich, wie Füße, die nie lange stehen, oder viel hatten gehen müssen.

Er sagte allerdings nichts, brauchte nur einen Denkmoment, bevor er sich weiter an seine Arbeit machte und tat, wie ihm geheißen. Er brauchte nicht lange, hatte sogar einen Vorrat an Schuhwerk, das ihr gefiel und so erstand sie rasch ein Paar von diesen, um so schnell wie möglich wieder wegzukommen. Es war ihr unheimlich, dass er sie nicht darauf ansprach, es hatte etwas gefährliches, nicht so, wie bei der offenen alten Frau, die sicherlich auch wusste, warum sie so freundlich zu ihr war und dies nicht aus reiner Nächstenliebe tat. Bei ihm hatte sie viel mehr den Gedanken, dass er auf den Moment wartete, dass er für seine Entdeckung vielleicht einen guten Lohn bekommen konnte. Als hätte er sie durchschaut, mit seinen wässrig grauen Augen, als hätte er sehen können, dass sie unsicher, dass sie geflohen war und gesucht wurde.

Schnell hob Lotte auch hinter seinem Stand die Schuhe auf, zog sie wieder an die Füße und ging rasch weiter. Sie wollte es sich nicht nehmen lassen, auch den Rest des Marktes zu sehen, aber sie wollte zumindest so weit weg von diesem unheimlichen Mann, wie möglich und erst einige Menschengetümmel und Buden weiter, verlangsamte sie ihren Schritt, ohne sich noch einmal umzusehen, denn gefolgt war er ihr nicht, wie hätte er auch sollen. Eine Strähne war ihr aus dem Kopftuch gerutscht und sie drückte sie wieder unter den Rand des einfachen Stoffes, als sie an einem Stand zum Stehen kam, an dem Lederwaren verkauft wurden, die ihr gefielen. Vor allem waren hier auch Bücher, eingebunden in Leder, die keine Inhalte hatten. Tagebücher, Skizzenbücher und dergleichen. Und gleich musste sie auch an Giuliano denken, was ihr ein Lächeln auf die Lippen zauberte.

Sie brauchte nicht lange, um einige ausgewählte Dinge zusammenzusuchen, die sie dann sogleich auch bezahlen wollte. Als sie auf die Münzen wartete, die sie zurückerhalten sollte, nahm sie ein Stimmgemurmel wahr, das schon ein paar Minuten andauerte und von zwei Marktfrauen stammte, die Hühner verkauften. Jetzt erst horchte sie auf, denn irgendetwas an ihren Worten, schien ihr unterbewusst bekannt vorzukommen.

"Hast Du mitbekommen? Dieses hochnäsige Gör ist wohl weggelaufen, hat Magdalena erzählt.", erzählte nun die eine,
- "Was dieses rote Gift?", fragte die andere und Lotte schielte von der Seite her zu ihnen hinüber, hielt fast den Atem an. "Ja, die, die immer so hochnäsig schaut, vor allem, wenn die Alte in ihrer Nähe ist."
- "Magdalena erzählte aber, dass sie nie ungerecht zu ihnen gewesen ist."
- "Die sind doch alle gleich, glaub nicht alles, was Magdalena Dir erzählt."
- "Aber Du glaubst, dass das Gör verschwunden ist, nich'?" die zweite lachte, sodass man ihre leicht gelblichen Zähne sehen konnte.
"Nein, das stimmt, das hat auch die Maria erzählt, und die muss es wissen, sie arbeitet im Haus nebenan", erzählte dann wieder die erste, deren Haar in zwei dunkelbraunen Zöpfen über ihrem Busen hing, die zweite mit dem blonden Kraushaar nickte.

"Ja, der Marie kann man glauben." Lotte schluckte, als dann auch schon eine dritte ankam, etwas besser gekleidet und Lotte nicht gänzlich unbekannt. Sie hatte sie zumindest schon einmal gesehen, doch wo, das konnte sie nicht bestimmen.
"Magda, hast Du Neuigkeiten?", fragte nun die erste wieder und sogleich wurde Lotte also insgeheim vorgestellt, wer sich zu den beiden anderen gestellt hatte und Lotte erinnerte sich sogleich, wo sie diese Magdalena schon einmal gesehen hatte - in ihrer Küche. Sie war Küchenmagd bei ihr zuhause. Unwirklich fühlte sie ihr Herz gegen ihre Brust hämmern und hoffte, dass es niemand hören konnte, so laut wie es war.

"Ja, oh ja, sie haben im Kanal ihre Haarspange gefunden, sie glauben, dass sie aus dem Fenster gesprungen und ertrunken ist. Die Leiche haben sie noch nicht rausfischen können."
- "Wenn sie wirklich gesprungen ist und nimma auftauchte, dann wird sie auch nimma auftauchen.", meinte die Blonde, die von den drein die dümmste zu sein schien.
"Da hast Du wohl recht, bisher ist man immer nur tot aufgefunden worden. Und das ist es auch, sie haben sie gerade für tot erklärt, weil sie den ganzen Kanal abgesucht haben und sie nicht fanden. Das Wasser ist eisig und ich hab' die Alte sagen hören, dass sie doch gar nicht schwimmen kann."
- "Das ist ja schrecklich ...", das war die erste, die mit ihrer Aussage ein betretenes Schweigen der Dreien auslöste, das allerdings von der zweiten sehr schnell wieder unterbrochen wurde.
"Oh, seht uns nur an, stehen wir hier rum wie die Hühner und lassen uns den Tag von einem reichen Gör vermiesen. Wir sollten froh sein, dass es eine weniger gibt, die uns triezen kann"
- "Wo Du Recht hast, Anna, da hast Du Recht.", das war die erste, Magdalena sagte nichts, Anna nickte eifrig und Lotte bekam in diesem Moment ihre Rückmünzen in die Hand gedrückt.

"Geht es Euch nicht gut?", fragte der Verkäufer mit den gutmütig braunen Augen besorgt, als er ihre Blässe entdeckte, "Was? Oh, entschuldigt, nein, mir geht es gut ... alles ... alles in bester Ordnung," ihr Lächeln war künstlich, sie bedankte sich rasch und ging in die andere Richtung davon, schneller und schneller wurden ihre Schritte, die Bücher an ihren Busen gepresst, schwindelte es ihr, ob diesen Neuigkeiten, die sie erfahren hatte. Und es war mehr als eindeutig, wer gemeint war ... ihre Familie hatte sie nach ein paar wenigen Stunden Suche für tot erklären lassen, aufgrund einer Haarspange - ihrer Haarspange, die sie nach ihrem gestrigen Ausflug im Wasser verloren hatte. Wie in Trance trat sie an den Stand der alten Frau und versuchte sich gefasst zu geben. Doch auch diese fragte nach, ob alles mit ihr in Ordnung sei.

"Es ist nichts, mir ist etwas schwindlig, aber es geht schon. Ein bisschen viel Sonne vielleicht," sie versuchte ein Lächeln, "... wäre es möglich, dass Euer Enkel mir hilft, die Sache ein Stück zu tragen? Nur ein kleines, den Rest schaffe ich dann allein", sie wollte nicht, dass irgendwer mitbekam, wo sie untergekommen war, aber den ganzen Weg allein zurück zum Haus konnte sie mit all dem Hab und Gut nicht schaffen und die Alte nickte nur. "Ich werde gut dafür bezahlen, dass Ihr niemandem mitteilt, dass ihr mich gesehen habt, oder wohin ich gegangen bin", und als Lotte ihr einige Münzen in die Hand drückte, nickte sie ihr wie zu Beginn zahnlos entgegen.

Lotte fühlte sich nicht in dieser Welt, weit weg waren ihre Gedanken, verworren ihre Gefühle, aber sie war klar genug, um zu begreifen, dass sie hier nicht bleiben konnte, dass sie ihre Sachen mitnehmen musste, weil sie sie benötigen würde und dass sie jetzt so schnell wie nur irgend möglich, aus der Menschenmenge verschwinden musste. Und nur einige Minuten später stand sie allein mit ihren Sachen in der Nähe des Hauses, in dem sie untergekommen war. Sie hatte den jungen Mann, der ihr geholfen hatte, etwas in die Irre geführt, ihm gesagt, sie wohne nun nur noch eine Straße weiter, musste aber noch vier Gassen in die andere Richtung als der genannten gehen, bis sie wirklich ankam, wo sie ankommen wollte. Sie hoffte, dass sie ihn nicht zu nah an das Haus herangeführt hatte.



Folgenschwere Entscheidungen

Als Lotte an die Tür klopfte, öffnete ihr Angelina sogleich und strahlte ihr entgegen, nahm ihr einiges von den vollbeladenen Händen ab und trug sie in Giulianos Kammer. Ihre Mamma würde gleich wiederkommen wie sie sagte und Lotte bedankte sich mit einem strahlenden Lächeln. Sie unterhielt sich etwas mit dem Mädchen, das ihr mehr und mehr, wie auch die anderen bisher kennen gelernten Familienmitglieder, ans Herz wuchs. "Wirst Du Giulianos Frau werden?", fragte sie dann auf einmal unvermittelt aus jedem Zusammenhang herausgerissen und Lotte sah sie für einen Moment etwas baff an.

"Ich denke nicht ...", Unsicherheit schwankte in ihrer Stimme, als sie dann kurz glockenklar auflachte, "nein, eigentlich bin ich mir sicher, dass nicht. Wir kennen uns doch kaum.", sagte sie dann noch im Nachhinein und das Mädchen schob ihren Mund leicht seitlich und setzte sich zu Lotte aufs Bett. "Warum nicht?" Angelina schien mit dieser Antwort nicht zufrieden zu sein, die Lotte ihr gegeben hatte. "Er ist doch hübsch, Du findest ihn doch auch hübsch, oder?" Lotte lächelte bei diesem Hinweis. "Natürlich ist Dein Bruder hübsch, Angelina, sehr sogar, aber ...", doch sie wurde jäh unterbrochen, "Na, dann passt doch alles, oder nicht?

Ich meine, Du findest ihn hübsch und ich glaube, dass auch er Dich hübsch findet und ihr werdet Euch verlieben, wenn Ihr es noch nicht seid und dann werdet Ihr heiraten und Kinder bekommen und ich werde endlich Tante werden."
Wieder musste Lotte lachen und diesmal lachte Angelina mit ihr. Sie war ein intelligentes Mädchen und ganz so einfach, wie sie es darstellte, wusste sie selbst, war es nun einmal nicht, aber dennoch war ein Stück Ernsthaftigkeit geblieben.

"Ich mag Dich einfach, Du kannst ja mal darüber nachdenken", das junge Mädchen stand auf, zwinkerte ihr beschwörerisch zu, wie es eine junge Frau bei ihrer Freundin getan hätte und ging dann mit den Worten aus dem Zimmer, dass sie nach ihrem Bruder sehen musste, bevor dieser sich wieder das Knie aufschlug. Sie ließ eine lächelnd nachdenkliche Lotte zurück in der Kammer ihres Bruders und noch einige Minuten lang starrte sie dem Mädchen hinterher, obwohl es schon lange nicht mehr zu sehen war. "Wenn doch alles so einfach wäre ...", dachte sie dann seufzend und stand auf, um ihre Sachen zu sortieren, die sie neu erworben hatte.

Kaum eine halbe Stunde später kam Giulianos herzliche Mamma zurück von ihrem Einkauf und erkundigte sich bei ihr, ob es ihr auch an nichts fehle. Lotte ergriff die Gelegenheit und erklärte, was Giuliano vorgeschlagen hatte und dass sie, insoweit ihr dies Recht wäre, ihr zur Hand ging - doch sie wurde auch hier jäh unterbrochen, als läge es in der Familie einen anderen in solchen Dingen nicht aussprechen zu lassen, weil man seine Entscheidung schon ohne den Gegenüber gefällt hatte.

"Es wäre uns eine Ehre und ich möchte von Herzen gern, dass Ihr solange bleibt, wie es Euch hier gefällt. Das sage ich nicht aus Gastfreundschaft, sondern aus dem Herzen einer Mutter, die sich sicher ist, dass die Mutter des rotgelockten Schopfes vor mir hofft, dass ihre Tochter gut behandelt würde, wo auch immer sie sein mochte. Und ich mag Euch gern, aber es kommt nicht in Frage, dass Ihr hier irgendeinen Handstreich tut. Seid unser Gast und auch wenn wir Euch nicht viel bieten können, so teilen wir es gerne ...", somit war das Gespräch für sie erledigt und sie machte sich daran, ihre Einkäufe einzusortieren und teilweise gleich zu verarbeiten, um das Abendessen zuzubereiten und eine kräftige Suppe zu kochen.

"Ich habe etwas Fleisch gekauft ...", sagte Lotte irgendwann leise und legte das Papier, in dem das Fleisch eingewickelt war, auf den Küchentisch. Giulianos Mutter sah sie mit einem Blick an, der ihr sagte, dass sie das doch nicht tun sollte, freute sich aber dennoch über die Zugabe, die sie ihrer Familie nicht all zu häufig machen konnte. Jetzt öfter, da Giuliano arbeitete und seine Familie ebenfalls so gut wie möglich unterstützte, aber dennoch nicht oft genug, wie sie fand. Und so nahm sie das Geschenk lächelnd an und machte sich sogleich daran, es auszuwickeln, zu waschen, zu schneiden und zu braten.

Bald war das Haus erfüllt von duftendem, in Kräuter gebratenem Fleisch und saftig-frischem Gemüse. Lotte hatte versucht, hier und da zu helfen, hatte Angelina Teller aus der Hand genommen oder den Kochlöffel, als die Mamma nicht hinsah, aber wirklichen Erfolg wollte sie nicht verzeichnen, denn genauso beiläufig nahm die gemütlich-energische Frau ihr den Löffel wieder aus der Hand, rührte einmal selbst und schob dann ihre Tochter wieder vor den Topf. Nach mehreren Versuchen gab Lotte es dann schmunzelnd auf und Giulianos Mutter grinste siegessicher.

Die ganze Zeit über war Lotte abgelenkt gewesen und hatte nicht darüber nachgedacht, dass das alles leider nicht einfach so weitergehen konnte. Als sie zurück in Giulianos Kammer ging und sich aufs Bett setzte und sich nach ihren Sachen umsah, erdrückte sie mit einem Mal das Gefühl, dass sie hier nicht wohnen bleiben konnte. Lotte fühlte sich so herzlich aufgenommen und wollte dieses Haus am Liebsten überhaupt niemals wieder verlassen, aber es war nicht möglich und das wusste sie auch. Allein die Tatsache, dass ihre Großmutter eine Gefahr für die kleine, warmherzige Familie war, jagte ihr einen Schauer über den Rücken.

Sie würde für tot erklärt werden, sie konnte nicht einmal in dieser Stadt bleiben, wenn sie sich nicht dazu entscheiden wollte, jetzt, oder zumindest gleich morgen, zurückzugehen. Und tief in ihrem Inneren wusste sie, dass sie nicht zurückgehen würde, auch wenn sie diese Entscheidung selbst noch nicht hatte bewusst treffen können - jedenfalls nicht so wirklich überzeugt. Um sich etwas abzulenken, sortierte sie die Dinge, die sie für Giuliano gekauft hatte, auf sein Bett.

Es war ein Skizzenblock aus Papier, den es zu dieser Zeit nur selten zu erstehen gab, denn Papier war eine Erfindung der Araber und wurde aus Papyrus gefertigt. Das Papier war teuer und der Einband aus Ziegenleder mit feinen Lederbandschnüren zusammengenäht, sodass es sein Buch war, etwa eine Elle lang und zwanzig Zoll breit, was es fast quadratisch machte - allerdings auch nur fast. Lotte hatte den reinsten Ledereinband ausgesucht, der das sauberste Papier in seinen festen Armen trug. Dazu Kohlestücke, die Künstler für ihre Zeichnungen in der Regel verwendeten.

Sie wusste nicht, ob es Unterschiede gab, daher hoffte sie, das beste gefunden zu haben, was angeboten worden war. Sie schrieb mit geschwungenen Lettern das italienische Wort für "Danke" darauf und klappte den Deckel wieder vorsichtig zu, die Kohle legte sie auf den Ledereinband und strich mit ihren Fingerspitzen sanft darüber. Es fühlte sich weich und kühl an.

Doch es brachte nichts, sie musste an die frische Luft und den Kopf frei bekommen um ihre Entscheidungen zu treffen und so stand sie auf, band das Kopftuch wieder über das rote Haar und ging in die Küche zurück. Sie gab kurz Bescheid, dass sie bald wieder da sein würde und ging dann aus dem Haus hinaus. Es war mittlerweile dämmrig geworden. Die Sonne war schon vor ein paar Minuten untergegangen und Lotte schlenderte durch etwas abgelegenere Gassen und über weniger besuchte Brücken beim Kanal. Sie kam an eine, die eine breitere, niedere Mauer aufwies und setzte sich darauf, ließ die Beine herunterbaumeln und sah auf das dunkelgrüne Wasser unter sich, wie es leicht gegen die Ufermauern schwappte und glucksende Geräusche von sich gab.

Sie spürte nicht einmal, wie ihr die Tränen die Wangen hinunter liefen und wie offen sie ihre Gedankengänge dachte, hörte auch nicht, wie sich Schritte näherten ... erst, als eine junge Frau, vielleicht Mitte 20 sich neben sie niederließ, blickte die Rothaarige erschrocken auf. "Oh, verzeiht, ich wollte Euch nicht erschrecken. Ich kam gerade vorbei und sah Euch so einsam hier sitzen. Ihr seht sehr bedrückt aus und ich frage mich, ob ich Euch behilflich sein darf. Wie auch immer diese Hilfe aussehen mag", Lotte wischte die soeben bemerkten Tränen aus ihrem Gesicht und versuchte höflich zu lächeln. Die Frau ihr gegenüber hatte dunkles langes Haar und eisblaue Augen, sie trug ein wunderschönes Kleid, welches auf Wohlstand schließen ließ, allerdings nicht so prunkvoll, dass es Lotte gleich hätte misstrauisch werden lassen.

"Es ist nichts, mir geht es gut. Ich wollte Euch mit meinem ungebührlichen Verhalten nicht irritieren, verzeiht", sie machte Anstalten, sich zu erheben, denn es ziemte sich nun einmal wirklich nicht als Frau, hier einfach am Kanal zu sitzen, doch die Fremde hielt sie mit sanfter Gewalt am Handgelenk zurück. Ihre Haut war kalt, sodass es Lotte leicht schauderte, aber gleichwohl auch spürte, dass es kühler wurde, je später es war.

"Bleibt doch sitzen, ich sitze jetzt auch, Ihr wollt mir doch nicht sagen, dass ich mich ungebührlich verhalte, oder? Ist es nicht egal, was die anderen denken? Sollte man nicht tun können, wonach das Herz verlangt?" Lotte sah sie überrascht an und suchte in dem hellen, makellosen Gesicht nach Lug oder Trug, doch es wirkte ehrlich und offen. Wie sollte sie auch wissen, dass so manch ein Geschöpf der Nacht sehr wohl anders wirken konnte, als es in Wirklichkeit war? "Ihr sprecht, als hättet ihr meine Gedanken gelesen" sagte Lotte dann aber fast auflachend und nicht wissend, wie sehr sie damit Recht hatte.

"Ich glaube, manchmal versteht man sich einfach auch ohne Worte. Wisst Ihr, im Augenblick bin ich einfach nur glücklich. Ich habe mir endlich etwas Freiheit erkämpft und lebe mit einigen Bediensten in einem hübschen, modernen Haus mitten in dieser wunderschönen Stadt und kein Mann und kein Angehöriger schreibt mir vor, was ich zu tun und was ich zu lassen habe. Ihr versteht sicherlich, was ich meine?" Und es war wirklich, als könne sie Lottes Gedanken einfach lesen, doch Lotte wusste, dass dies nicht möglich sein konnte, zumindest war sie selbst davon überzeugt und so hegte sie sehr schnell Sympathie gegenüber dieser jungen Frau, die ihre eigenen Ansichten zu teilen schien. "Das ist sehr beneidenswert ...", und ihre Antwort war gleichwohl auch eine Bestätigung.

"Wenn es das ist, was Euch bedrückt, so möchte ich Euch einen Vorschlag machen. Kommt zu mir und wohnt bei mir. Ich weiß, das kommt überraschend, aber ich suche schon seit einiger Zeit eine Freundin, die ähnlich denkt wie ich, die sich nicht von einem Mann in Gefangenschaft der Ehe geben will und ich kann Euch zu ewiger Freiheit verhelfen, wenn Ihr es wirklich wollt ...", erwartungsvoll sah sie Lotte an und diese hatte das Gefühl, dass ihr irgendwas an Selbstkontrolle entglitt, aber ohne, dass es ihr unangenehm aufgefallen wäre.

Es war wie ein Betören, sie war betört von dieser Frau, die so unschuldig wirkend neben ihr saß, sie freundlich anlächelte und ihr ein Angebot machte, dass sie nicht ausschlagen konnte und nicht wollte. Auch hörte sich das alles überhaupt nicht unwirklich an, nicht einmal unüblich. Wie in Trance konnte sie nur in diese blauen Augen schauen und sie hatte das Gefühl, dieser Frau einfach alles glauben zu können, ohne auch nur den geringsten Zweifel hegen zu müssen.

"Es wäre wunderbar ...", sagte sie daraufhin und hätte sie jemand hören können, er hätte nur den Kopf geschüttelt und nicht verstanden, dass man so naiv sein konnte und solch ein überaus unwirkliches Angebot einfach annahm, als wäre es das Normalste der Welt, dass jemand andere auf der Straße aufliest, nicht einmal deren Namen kannte und sie mit nach Hause nahm, ewige Freiheit versprach oder anderes in dieser Richtung. Allerdings kam bei Lotte noch dazu, dass sie Giulianos Familie aus tiefstem Herzen nicht zur Last fallen wollte.

Weder das, noch wollte sie zurück zu ihrer eigenen Familie, die sie als solche überhaupt nicht betrachten konnte, vor allem nicht, nachdem sie das kleine bisschen Alltag miterlebt hatte, wie es in einer "richtigen" Familie zugehen sollte. Sie wollte Freiheit, es war ihr dringlichster Wunsch und hätte sie auch nur im geringsten geahnt, dass diese Frau genau auf diesen Wunsch und somit diese Schwäche abzielte, hätte sie sich vielleicht gegen die Betörung wehren können - wenn sie es gewollt hätte. Aber auch nur dann.

Die junge Frau strahlte Lotte an und schob sich in den Stand, reichte ihrer Gegenüber die Hand, um auch ihr beim Aufstehen zu helfen und stellte sich nun auch endlich einmal vor. "Mein Name ist übrigens Giulia und ich freue mich darauf, dass Du mein Angebot annehmen möchtest, ich könnte mir vorstellen, dass wir uns wirklich gut verstehen und sollte es nicht funktionieren, dann kannst Du ja noch immer was anderes suchen, nicht wahr?" Sie hatte sie sofort geduzt und Lotte nahm ihre Hand und stand auf. Sie konnte sich in diesem Moment alles vorstellen, aber nicht, dass sie auf den Gedanken kommen würde, jemals was anderes zu suchen. Für sie klang alles einfach perfekt und der Zusatz bestärkte den Zustand, in dem sie sich befand, noch zusätzlich, dass dies alles seine Richtigkeit hatte.

"Ich heiße Charlotta, aber Lotte reicht vollkommen aus." - "Nun denn, Lotte, dann wollen wir mal, ich zeig Dir, wo ich wohne und dann gebe ich Dir, was ich versprochen habe - die ewige Freiheit. Es ist gar nicht weit." Somit zog sie sie mit sich und führte sie in Richtung eines hübschen Wohnhauses, das im neuen Stil erbaut worden war. Es gab zwei Stockwerke, und die Fassade ging in die Höhe, hatte große Rundfenster mit Glas und eine hübsche, hölzerne Eingangstür. Das Haus lag inmitten anderer Häuser an einer schmalen Gasse, die nicht so aussah, als gehörte sie zu den verkehrsreichsten Gassen, was Lotte nur entgegenkam, wenn sie daran dachte, dass sie ja eigentlich die Stadt hatte verlassen wollen. Aber tiefsinnig zu denken - dazu war sie im Augenblick nicht im Stande und es fiel ihr nicht einmal auf, dass etwas hier ganz und gar nicht stimmen konnte. Sie vertraute dieser Fremden, die sich mit dem Namen Giulia vorgestellt hatte, als kenne sie sie von Kindesbeinen an.

Giulia zeigte ihr das Haus, das unglaublich geräumig war. Viel größer als es von Außen zu sehen war. Es ging weit nach hinten und überspielte seine Schmalheit um Längen oder besser gesagt: mit Längen. Hübsch eingerichtet wirkte alles und ein paar Diener liefen durch die Gänge und verneigten sich fast ehrvoll. Wäre Lotte bei vollem Verstand und aufmerksam gewesen, hätte sie in dem ein oder anderen Blick Furcht sehen können und das stetige Zucken der Iriden, das verriet, wie der Körper eigentlich sehr schnell wieder aus dem Sichtfeld laufen wollte, doch sie lächelte nur erfreut und grüßte mit einem Nicken, ließ sich an der Hand durchs Haus führen und gelangte nach einigen Momenten im oberen Stockwerk an, um sich ihr eigenes Zimmer zeigen zu lassen. Es war, als wäre alles vorbereitet gewesen. Ein Gästezimmer wohnlich eingerichtet mit einem breiten Bett und weichem Bettzeug, wie es zumeist nur die Wohlhabenden hatten. Daunenfedern waren in Kissen und Bettedecken eingenäht, anstatt dem Stroh und Pferdehaar, das Übehrlichweise in Jutesäcken steckte. Fast so, wie sie es von ihrem Elternhaus gewohnt war.

"Was meintest Du eigentlich mit der ewigen Freiheit?", frage Lotte dann, als sie sich den Waschtisch ansah, auf dem eine große Keramikschüssel mit Blumenmuster stand und eine dazu passende Karaffe, die mit frischem, klaren Wasser gefüllt war. Ein Spiegel war in den Tisch mit der senkrechten, schmalen Holzrückwand eingelassen und gab ihr klares Bild zurück. Sie sah Giulia, die hinter ihr stand, neugierig durch das Spiegelbild an und diese erwiderte ihren Blick lächelnd.

"Es gibt eine Möglichkeit, ewig zu leben und eine Stärke zu erlangen, die Dir die ewige Freiheit schenkt und es Dir möglich macht, Dir und all denen, für die Du das möchtest, Freiheit zu schenken oder sie in ihrem Sein zu unterstützen, gleich, was es auch sein mag", Giulia zielte abermals direkt auf Lottes Gedankengänge, die sie wahrgenommen hatte, sie richtete sich genau danach, was sie empfangen und mitempfunden hatte und Lotte kam Giuliano in den Sinn, dem sie ermöglichen wollte, seinen Fähigkeiten nachzugehen, anstatt reichen Leuten zu dienen.

"Manche Menschen glauben, es sei eine Legende oder gar ein Fluch, andere denken, wir stammen aus Gruselmärchen, doch sie haben ja alle gar keine Ahnung. Oder sehe ich Schrecken erregend aus?" Lotte schüttelte den Kopf und wusste nicht, was jetzt folgen würde. "Du möchtest diese ewige Freiheit?" Lotte nickte leicht, sie konnte nichts mehr sagen, schon wieder war sie wie gefangen in ihrem Körper, ohne es zu merken. Sie agierte fast wie eine Marionette, ohne es zu wissen.

Giulia war nah an sie herangetreten und hielt ihren Blick über den Spiegel hinweg, als sie Lotte das Kopftuch abnahm, ihr Haar von ihrem Nacken und Hals beiseite strich und ihre Lippen auf das helle Fleisch niederließ. Lotte durchzuckte eine unerkannte Erregung, sie wollte die Lider schließen, doch sie war viel zu fasziniert von diesem Blick, in dem sie gefangen schien und viel zu fasziniert davon war, was gerade passierte - was Giulia gerade tat, dann blitzen weiße Eckzähne kurz hinter den roten Lippen hervor, bevor Lotte spürte, wie sie nahezu zärtlich durch ihre Haut drangen - und sie schloss die Augen vor Wonne und Schmerz, der sie auf seine ganz eigene Art betörte und erregte.

Lotte lehnte ihren Kopf nach hinten an Giulia an und schwer atmend spürte sie, wie diese Schluck für Schluck ihr Blut trank, ohne sich dessen wirklich Gewahr zu werden. Sie spürte, wie ihre Glieder schwächer wurden, wie sich alles um sie herum drehte und bekam dann aber nur noch ganz peripher mit, wie sie aufgefangen wurde, damit sie nicht zu Boden fiel und aufs Bett gelegt wurde. Benommen versuchte sie die Lider wieder zu öffnen, doch es fehlte ihr die Kraft, sich überhaupt noch bei Bewusstsein zu halten, als sie etwas warmes, feuchtes auf ihren Lippen spürte.

"Trink ...", war das einzige, das sie hörte und es war wie das süße liebliche Säuseln der Verführung, dem niemand zu widerstehen vermochte. Die junge Frau spürte kühle Haut an ihren Lippen, kühle, blutende Haut und schon der erste Tropfen vermochte sie so sehr zu betören, dass sie mit der letzten Kraft nach dem Handgelenk griff, dass ihr gereicht wurde, und von dem Blut trank, das sie so süß zu locken schien. Dann schwanden ihr die Sinne und sie bekam nichts mehr um sich herum mit.


Das Versprechen der ewigen Freiheit

Lotte bekam nichts mehr bewusst mit von dem, was mit ihr geschah und als sie am nächsten Abend aufwachte, spürte sie einen Durst, den sie zuvor in ihrem Leben niemals gespürt hatte und erschreckenderweise handelte es sich nicht um einen Durst, den sie mit Wasser löschen konnte.

Giulia war allerdings zur Stelle. Lotte fühlte sich, als hätte sie zuviel Met getrunken, ihr Kopf schien zu zerbersten, obwohl es kein Schmerz war, der sie einholte, sondern Geräusche und Gerüche, die so intensiv waren, dass sie nicht (be)greifen konnte. Alles um sie herum wirkte anders und sie wachte auf von dieser Trance, in der sie gesteckt hatte. Giulia allerdings war darauf bedacht, sie sogleich wieder zu beeinflussen, sollte sie Anstalten machen, schwierig zu werden. "Was ist passiert?" Ihre eigene Stimme dröhnte in Lottes Kopf wieder und sie ließ sich vorsichtig in die Kissen zurücksinken.

"Ich habe dir die ewige Freiheit geschenkt, erinnerst Du Dich?" Lotte erinnerte sich, irgendwie zumindest, und sie fragte sich, was sie geritten haben konnte, so leichtfertig mit jemand Fremden mitzugehen, auch wenn es eine Frau war, von der sie glaubte, nichts Schlimmes erwarten zu müssen. Und war denn etwas Schlimmes passiert? Irgendwie doch nicht ... oder doch? Fragend blickte sie in Giulias Richtung. "Man nennt Deine Rasse nun Vampir. Du hast sicherlich schon Legenden gehört, doch ich möchte gleich sagen, dass Vampire nicht so grausam sind, wie sie von den Menschen dargestellt werden ...", Lotte runzelte die Stirn.

Natürlich hatte sie schon von Vampiren gehört, man erschreckte Kinder damit, wenn sie nicht schlafen wollten und sich immer wieder aus dem Zimmer schlichen, in dem man ihnen erzählte, dass der böse schwarze Mann sie holen käme, wenn sie nicht im Bettchen liegen blieben - und ausgetauscht wurde dieser böse, schwarze Mann nun auch manchmal mit einem Vampir, der einem das Blut aussaugen wird, wenn man nicht artig war. Es waren grausame Geschichten. Lotte glaubte nicht, dass sie gut für Kinder waren, sie selbst hatte als junges Mädchen eine Heidenangst davor gehabt, aber es war gängig, Angst zu machen - ob nun die Eltern den Kindern Angst machten oder ob die Adligen den Armen Furcht einflößten, in dem sie eigenwillige Geschichten von Mord und Totschlag verbreiteten, es war einerlei.

Dass Vampire allerdings existieren sollten, wollte Lotte nicht glauben und Giulia schien ihr diesen Gedanken von den Augen abzulesen. "Glaube mir oder nicht, Lotte, es ist wahr. Es ist so wahr, wie ich hier sitze und mich verletzen könnte, um Dir zu zeigen, dass die Wunde sich binnen Sekunden wieder schließt. Oder ich Dir zeigen könnte, dass ich Kräfte besitze, die ein Mensch nicht besitzt, dass ich schneller bin als sie und dass ich auch mentale Fähigkeiten habe, die ein Mensch nicht besitzt." Lotte wusste nicht, wie sie reagieren sollte, sie setzte sich im Bett auf und atmete durch. "Nun denn, wenn ich Dir Glauben entgegenbringen möchte, wäre Deine Beweislast hilfreich", aber was sollte sie tun, wenn es wirklich wahr war.

Es war alles einfach unglaublich, es war so unglaublich, dass sie glaubte, noch zu träumen. Worauf hatte sie sich eingelassen? Sollte sie glücklich damit sein oder war sie betroffen? Lotte war von sich gewohnt, in außergewöhnlichen Situationen sehr ruhig zu bleiben und bodenständig zu reagieren, doch es fühlte sich nicht an, als würde sie dies alles wirklich betreffen. Es war, als dächte sie über eine andere, ihr bekannte oder auch fremde Person nach.

Giulia seufzte leise und Lotte sah wieder auf, während sie sich eine ihrer langen, lockigen Strähnen aus dem Gesicht strich. Ihre Gegenüber schien nicht begeistert davon, dass sie in der Beweislast stand, doch sie fügte sich, weil sie wusste, dass sie anders nicht voran kommen konnte. Somit biss sie sich schlicht ins Handgelenk, sodass das Blut sogleich schon über das weiße Handgelenk lief. Die Tropfen fing sie mit ihrer Handfläche auf und wahrlich schloss sich die Wunde innerhalb von Sekunden. Lotte starrte, während Giulia das Blut sacht von ihrer Handfläche leckte, ohne Lotte damit aus den Augen zu lassen. Es war eine so unwirkliche Situation, dass Lotte wie versteinert da saß und auf die nicht mehr vorhandene Verletzung starrte, ohne auch nur einen Ton heraus zu bekommen.

Doch nicht nur das war irritierend, nein, viel mehr war es die Erregung, die sie spürte, als sie das Blut sah und es dann auch mehr als deutlich riechen konnte. Sie vermochte sich kaum zurückzuhalten und doch war das Gefühl der Starre stärker, als das des Aufbegehrens in ihrem Gemüt - zumindest für den Moment. Diese Tatsache war es schlussendlich, dass sie für sich zugeben musste und nach einigen Stunden auch konnte, tatsächlich einer neuen Rasse anzugehören.

Wirklich realisieren konnte sie dies alles jedoch erst, als ein Diener Giulias ein Mädchen ins Zimmer brachte, dass ungefähr so alt war, wie sie selbst. Es war verängstigt und rührte sich kaum, erst als Giulia sich ihr näherte, kam Leben in den schlanken Körper, doch noch bevor das Mädchen aufschreien konnte, schien Giulia sie in ihren Bann gefangen zu haben, nahm sie bei der Hand und führte sie in Richtung Lotte, die mittlerweile angezogen im Zimmer stand und Frage für Frage beantwortet bekommen hatte. Herzklopfen machte sich in ihr breit, sie spürte, was ihr jetzt bevorstand und ihr Körper lechzte danach, brannte darauf, ob sie es gewollt hätte oder nicht - das Menschliche zu halten hätte schwerer nicht sein können und sie gab es letztendlich auf, als sie sah, dass jegliche Angst aus den Augen des Mädchens entschwunden war und sie fast schon lächelnd auf Lotte zu kam, ohne das Giulia sie weiter führen musste.

In ihren Gedanken hörte sie Giulias Stimme, ohne, dass sie ihre Lippen bewegte, doch sie verwunderte es nicht, denn Giulia hatte ihr schon erklärt, welche Fähigkeiten sie besaß. Lotte ging vorsichtig einen Schritt auf das Mädchen zu. Sie fühlte sich unsicher, als würde der Zustand des Mädchens sich ändern, sobald sie sich zu schnell bewegte, doch der Drang in ihr selbst und das Rauschen des Blutes, das pochend durch die Adern der jungen Frau gepumpt wurde, raubte ihr die Sinne und nahm von Augenblick zu Augenblick zu.

Sie konnte sich einfach nicht zurückhalten, wenn sie zuvor das Mädchen noch sacht bei der Hand nehmen und zu sich führen wollte, zog sie nun energischer, bis in anderthalb Schritten die brünette Hübsche in ihren Armen lag und sie ihre Zähne in das weiche Fleisch des Halses drückte, um an den begehrten Lebenssaft zu kommen und ihn begierig in sich aufzunehmen. Lotte vergaß alles um sich herum, es zählte nur das Blut, lediglich der sachte Herzschlag pochte auch in ihren Ohren, als sie Schluck um Schluck trank. Das Mädchen verkrampfte sich leicht, doch dann entspannte es sich mehr und mehr und sank letztendlich in ihre Arme, als Giulia Lotte zurückhalten musste, zu viel zu trinken.

Erst Minuten später kam die Rothaarige wieder gänzlich zu sich. Das Blut hatte ihr komplett die Sinne geraubt, doch sie fühlte sich gut, jetzt endlich fühlte sie sich wieder gut und der Anblick das toten Mädchens auf dem Boden bedrückte sie nur im ersten Moment. Solange, bis der Diener es auf die Arme nahm und aus dem Zimmer trug. Giulias Blick zeigte Lotte deutlich, dass sie ihre Bedrücktheit niemals nach außen zeigen sollte, solange sie in ihrer Gegenwart war. Warum sie das wusste, konnte sie nicht sagen, das Gefühl war einfach deutlich da und so unterdrückte sie das Bedürfnis, ihren Tränen freien Lauf oder auch zuzulassen, dass sie Reue und Mitleid empfand, was allerdings nicht wenig schwer war.

Es folgten Stunden der Gespräche, lange Stunden, in denen Giulia ihr erklärte und erzählte, in der Lotte Fragen stellte oder erschrocken, überrascht, aber auch erfreut war. Giulia hatte eine unheimlich ansprechende Art an sich, sodass es nicht lange dauerte, bis Lotte sie bewunderte und liebte - auf eine freundschaftlich-verbundene Weise liebte und ihr und ihrem Lebensstil Respekt zollte, ihr dankbar war und sie einfach vergötterte. Im Nachhinein vermochte die junge Vampiress nicht mehr zu sagen, ob ihre Schöpferin hier nachgeholfen hatte. Für den Augenblick war das Gefühl einfach wunderbar und so fügte sich Lotte komplett in dieses hinein.

Erst als die aufbrausenden Momente voller Aufregung und Neuigkeiten, Ängsten und Beschwichtigungen, Bewunderungen und Wissensdurst langsam abflachten, weil der Tag nahte und beide Frauen doch sichtlich müde wurden, kamen die Gedanken an Giuliano zurück und Lotte dachte mit Erschrecken daran, dass die so herzliche Familie sich große Sorgen machen musste, weil sie zum Abendessen wieder hatte da sein wollen und nun schon ein weitere Nacht vergangen war, an dem sie einfach nicht wiederkehrte.

"Ich möchte mich verabschieden, Giulia, ich möchte mich bedanken und auch etwas von meinen Erinnerungen holen, wäre das möglich?" Giulia fixierte Lottes Blick in ihrem und schien Minutenlang abzuschätzen, was sie machen sollte. Sie wog ab, es war offensichtlich. Der Gedanke behagte ihr nicht, vor allem schon gar nicht so früh, doch andererseits wusste sie auch, dass sie Lotte nicht ruhig halten konnte, wenn sie sie nicht für ein paar Stunden gehen ließ und so nickte sie letztendlich leicht.

"In Ordnung, Dir soll Dein Wunsch erfüllt sein, doch bedenke, dass es das letzte Mal sein wird, dass Du Dich mit ihnen treffen kannst und Du solltest womöglich nicht die ganze Familie treffen, es ist nicht sicher, wie sie reagieren und Du könntest in Bedrängnis geraten", der Gedanke, die liebevoll Familie Giulianos nur noch einmal sehen zu dürfen, wirbelte ihre Gefühlswelt für einen Moment durcheinander, doch sie wusste insgeheim, dass Giulia Recht behalten würde.

Nach all dem, was sie von ihr über die Rasse der Vampire erfahren hatte, war eine Beziehung, gleich ob freundschaftlich, familiär oder liebend, zwischen Mensch und Vampir einfach nahezu unmöglich. Zumindest machte sie dies Glauben und sie hatte gespürt, wie es war, wenn sie die Besinnung verlor, wenn der Blutrausch sie überkam. Sie wollte die Familie nicht gefährden und schweren Herzens nickte sie ohne Widerworte und zum ersten Mal kam ihr der Gedanke, dass die versprochene Freiheit vielleicht doch ihre Einschränkungen hatte. Dann überkam sie die Müdigkeit bis zum nächsten Abend ...



Abschied für immer

Es war noch früh am Abend, als Giulia mit Lotte durch die Gassen ging. Sie hatten gemeinsam ein Opfer gefunden, an dem Lotte sich hatte stärken können und wieder war ihr nun bewusst, dass es letztendlich nicht gesund war, wenn Giuliano oder seine Familie ihr zu nah kamen. Es sollte jede Nacht das gleiche sein, wie Giulia ihr erklärte, und dieser Gefahr konnte und durfte sie die lieben Menschen nicht aussetzen. Doch sie schwor sich, über sie zu wachen - irgendwie, irgendwann, sie wollte sicher gehen, dass es ihnen gut ging, doch von diesem gehegten Wunsch sprach sie nicht. Lotte hatte das Gefühl, dass Giulia dies nicht würde verstehen können.

Als sie nur zwei Gassen von Giulianos Haus entfernt waren blieb die Rothaarige stehen und sah ihre Schöpferin an. "Lass mich allein gehen, bitte, wäre das möglich?" Giulia hatte nicht damit gerechnet, dass Lotte sie dabei haben wollte und dennoch ärgerte sie sich, zeigte es ihrem Schützling allerdings nicht. Die Situation konnte noch immer kippen und sie musste sich ein Anecken ersparen, denn wenn das Mädchen aufbegehrte, wie schon andere vor ihr, dann war die ganze Mühe, die Giulia jetzt schon in sie gesteckt hatte, verlorene Zeit und es gab für Giulia nichts schlimmeres als verlorene Zeit, welche sie mit einer Niederlage gleichsetzte. Sie hatte einen Plan und wenn es hieß, dass sie jetzt abermals über ihren Schatten springen musste, sollte es so sein, wenn hinterher die richtige Summe unter dem Strich stand.

"Natürlich", säuselte sie Verständnis vorgaukelnd und nickte in die Richtung, in die Lotte gehen musste. "Ich warte in Deinem neuen Heim auf Dich, solltest Du Schwierigkeiten haben, werde ich dies spüren und Dir zu Hilfe eilen. Denke daran, vor Sonnenaufgang zurück zu sein", sie drückte die junge Vampiress freundschaftlich an sich und Lotte war dankbar darum. Auch wenn das Atmen mehr Gewohnheit als Notwendigkeit besaß, atmete sie durch und ging die Gasse weiter, bog mit einem letzten Blick zurück ab und stand schon wenige Minuten später vor Giulianos Haus.

An der Ecke blieb sie stehen. Sie wusste, die Familie wäre zuhause, es war die Zeit, in der sie zwei Abende zuvor wieder hätte hier sein sollen. Unbehagen machte sich breit und sie fragte sich, ob es nicht vielleicht doch ein schlechter Einfall gewesen war. Unschlüssig schlang sie die Arme um ihren Oberkörper und rieb mit der linken Hand den rechten Oberarm, als wäre ihr kalt. Kalt jedoch war einzig nur ihre Haut. Die Sehnsucht, Giuliano noch einmal sehen und sprechen zu dürfen war allerdings größer, so dass sie sich nicht umwandte und einfach davon ging. Wie sie es allerdings nun anstellen sollte, ihn aus dem Haus bekommen, wenn er denn überhaupt da war, schien sie vor eine unlösbare Aufgabe zu stellen ...

Noch bevor sie sich zu einem Entschluss oder einer Tat überwinden konnte, war es Giuliano, der aus der Dunkelheit trat, weil er wohl gerade nach Hause gekommen war, um sie freudig wie auch überrascht zu empfangen. Er fragte besorgt nach ihrem Empfinden, erzählte ihr, dass sie sich alle, vor allem seine Mutter, große Sorgen wegen ihres Verschwinden gemacht hätten.

Lotte war so überrascht und so reumütig, dass sie erst nicht wusste, was sie sagen sollte. Sie konnte nur darum bitte, dass der junge Mann seine Mutter nicht aus dem Haus rief und darum, vielleicht einen ruhigen Ort zu finden, um sich zu unterhalten. Und auch wenn er weiterhin besorgt war, wahrscheinlich durch ihr verhalten, führte er sie in einen versteckten Winkel, dessen Zugang mit Efeu überwuchert war, worin die Kinder spielten und sich vor den Erwachsenen versteckten. Ein Geheimversteck, wie er sagte, und sie würde Ärger bekommen, wenn sie es verriete.

Und genau das bestätigte er ihr sofort und ein herzliches Lächeln war aus seiner Stimme herauszuhören, was sie sogleich erwiderte. "Ich werde nichts verraten, das verspreche ich bei allem, was mir heilig ist ..." und das war seine gesamte Familie, mehr gab es nicht mehr, das ihr so wertvoll im Herzen lag - und das nach so überraschend kurzer Zeit.

Die unbeschwerte Herzlichkeit hielt jedoch nicht lange, als er sie in das hübsche Geheimnis entführte, das detailverliebt mit Eimern und Kisten, mit alten Fässern und kleinen Brettern versehen worden war, und ihr den einzigen Platz bot, auf den sie sich hätte setzen können. Er wollte stehen bleiben, seine Haltung zeigte es deutlich, zu gerne hätte sie gehabt, hätte er auf Augenhöhe mit ihr sprechen können. Doch wenn sie beide standen, konnte überhaupt keine Ruhe in ihr Herz kehren und so setzte sie sich auf den angebotenen Platz und sah zu dem hübschen jungen Mann auf, dessen Mine so ernst auf sie zurücksah.

"Du willst fort?", sie senkte abermals ihren Blick, betroffen, etwas schüchtern, belegt und mit geschlossenen Augen für einen Augenblick. "Ich möchte nicht, nein," dann sah sie ihn wieder an, "... aber es bleibt mir keine Wahl." Lotte suchte nach Verständnis in seinen Augen, aber wie sollte er es verstehen, wenn sie es nicht einmal verstand. Oder doch ... sie verstand, er wäre in Gefahr - von zweierlei Seiten.

Die eine war, dass sie nicht riskieren konnte, in seiner Nähe zu sein, solange sie mit ihrem Blutdurst nicht umzugehen wusste, und die andere war ihre eigene Familie, die weiterhin herausfinden konnte, wo sie war, auch wenn sie sie tot glaubte. In dieser Stadt konnte so etwas nicht geheim bleiben, nicht, wenn sie unter den Menschen blieb, wie Giulia ihr glaubhaft erklärt hatte.

Lotte sah sich im halbdunklen Versteck um. Es war so hübsch und ihr Herz weinte, wenn sie daran dachte, dass vielleicht auch sie dieses Versteck verraten bekommen hätte, wenn sie noch länger bei ihnen geblieben wäre. Vielleicht wäre auch sie eingeweiht worden. Sie konnte sich vorstellen, wie die Kinder hier spielten und geheime Missionen erfüllten, um sie dann hier in ihrem Versteck zu besprechen und ihre Schätze zu begutachten.

Sie hörte förmlich das Tuscheln und unterdrücktes Lachen, das "Pscht", wenn die Kindern hörten, wie auf der Straße jemand vorbei lief und das laute Gelächter, wenn jemand vom Eimer rutschte, weil er sich als großer Mann versuchte, die Brust herausstreckte und in gespielt tiefer Stimme sagte, dass sie die Missionen gut bestanden hätten, "Männer" und Angelina konnte sie hören, wie sie schnaubte und den kleinen zurechtwies, dass nicht nur "Männer" diese Mission bestanden hatten und ohne die Hilfe der weiblichen Fraktion überhaupt gar nichts möglich gewesen wäre.

Sie hörte das Lachen, ja, und wie sie es hörte und ein verträumtes Lächeln trat auf ihre Lippen, als sie sich von ihrer Gedankenwelt losriss und Giuliano abermals ansah. "Ich will nicht weg ...", dachte sie auf einmal verzweifelt und sie wollte es wirklich nicht.

"Ich mag nicht gehen ... ich dachte, es wäre gut und es ist auch nötig, aber gerade jetzt ... jetzt in diesem Moment habe ich das Gefühl, dass ich niemals von hier weg möchte, von Deiner Familie ... von ... Dir ...", abermals trieben ihr die Tränen der Erkenntnis in die Augen und sie hätte alles in der Welt dafür gegeben, dass sie bleiben konnte ... alles ... und für einen Moment fragte sie sich, warum es nicht möglich wäre, bis ihr wieder einfiel, warum es einfach nicht möglich war.

Doch wollte sie gerne noch so viel mehr von ihm erfahren, von seinen Gedanken und seinen Erfahrungen. Wollte noch mehr mit seinen Geschwistern erleben, wollte die Liebe in den Augen seiner Mutter sehen, wenn diese ihre Kinder stolz betrachtete. All das brach in diesem Moment auf sie ein und nein, sie wollte nich gehen. Sie wollte nicht, jetzt, da sie geglaubt hatte, einen Freund gefunden zu haben, dem sie alles Vertrauen entgegenbringen konnte ... für diesen Moment bereute sie es, ein Vampir geworden zu sein ... gab es denn keine andere Möglichkeit?

Giuliano sagte nichts, er schwieg und sie konnte seine Ratlosigkeit fühlen und sah ihn nicht an. Er bewegte sich, doch sie schloss die Augen und öffnete sie erst wieder, als er nach ihrer Hand griff, sie in seine warme legte und ihr sagte, dass sie doch bleiben solle.

Lottes Blick wanderte in den seinen, vielleicht konnte er sie nicht gut sehen, auch wenn ein Lichtstrahl hier rein fiel, doch sie sah ihn umso besser und er machte es ihr nicht einfach.

Sie fühlte seine warme Hand, fühlte die Haut, die kaum merklich pochte, weil sie lebte, weil ein starker Herzschlag in ihr wohnte und sah hinunter auf die hübsche, olivfarbene Haut, die fast cremig seinen Teint ausmachte. Dann schloss sie ihre andere Hand auf seine und führte sie freundschaftlich zu ihren Lippen. Es war eine Zerreißprobe in diesem kleinen Augenblick und sie spürte, wie es sie nach seinem Blut begehrte und war einfach nur froh, dass sie zuvor schon getrunken hatte. Somit war es ein Zögern von kurzer Dauer bis ihre Lippen seine Haut nur flüchtig berührten und sie ihre mit seiner Hand wieder sinken ließ und sie wieder zu ihm aufsah.

"Ich danke Dir für Deine Fürsorge ...", sagte sie leise und in dem Augenblick, in dem sie gefühlt hatte, wie sehr es sie nach seinem Blut begehrte, auch wenn sie sich in diesem Augenblick unter starker Kontrolle hatte, wusste sie, dass dies nicht immer so sein würde und konnte. Es musste nur unachtsam geschehen, vielleicht ein zufälliges Treffen, bei dem sie zuvor keine Möglichkeit mehr gehabt hätte, Blut zu sich zu nehmen, und schon schwebte er in der größten Gefahr.

Sachte drückte sie seine Hand und suchte in seinen Augen nach etwas, irgendetwas, was ihr half, dass es leichter wurde, doch sie fand das Gegenteil. "Es ist nicht möglich, Giuliano," begann sie dennoch leise, als er Einwände hatte, "... es ist nicht möglich, weil ich Dich in Gefahr bringen würde. Dich und Deine ganze Familie und das kann ich nicht verantworten." Aus ihren Worten sprach die reine Wahrheit. Und er sah sie an, als wisse er Bescheid. Er musste es wissen, sie fühlte es. Woher auch immer, er wusste es.

Als er ihr seine Hand entzog und zusätzlich noch einen Schritt zurücktrat, senkte sie ihr Haupt, presste die Lippen aufeinander und schloss die Augen. Ihre Hand griff unbewegt nach dem, was nicht mehr da war und verkrampfte sich schmerzhaft auf ihrem Schoss zusammen. Sie spürte sein Entsetzen, man konnte es förmlich greifen. Doch nicht nur das, sondern vor allem auch Unsicherheit war es, die ihn übermannte. Sie hörte sein Herz unkontrolliert schnell schlagen und es wollte ihr die Sinne nehmen. "Bitte ... sag irgendwas ... egal was, sag irgendwas ...", hämmerte es in ihrem Kopf und sie versuchte sich darauf zu konzentrieren, um seinem Herzen kein Ohr mehr schenken zu müssen. Es reizte sie viel zu sehr.

Doch es sollte noch wenige, stundenlang wirkende Augenblicke dauern, bis er wirklich etwas sagte. Verzweiflung stand in seine Stimme geschrieben und sie schluckte schwer, als er fragte, wie sie das meine, warum es nicht möglich wäre ... wer ... sie festhalte. Überrascht über diesen Gedankengang sah sie auf. Hatte sie doch damit gerechnet, dass er ahnte, was sich in der Stadt hier und da Mysteriöses erzählt wurde, doch dass er davon auszugehen schien, dass sie gegen ihren Willen festgehalten wurde, das hätte sie nicht geglaubt.

Aber ... war es nicht so? Jetzt ... jetzt in diesem Moment? War es nicht in diesem Moment so, dass sie von etwas festgehalten wurde, das sie nicht wollte. Sie wollte, sie hatte es gewollt und sie wusste, sie würde es in der nächsten Zeit wieder begrüßen, es war nur dieser Moment, dieser Augenblick mit ihm, in dem sie es nicht wollte und in dem seine Worte die richtigen Schlüsse zogen.

Dennoch, so gern sie nach dieser Möglichkeit gegriffen hätte, sie hielt sich zurück. Sie wusste nicht, wie er reagieren würde, wusste nicht, ob sie überhaupt so weit ausholen sollte. Sollte sie einfach gehen. In seinem Gesicht, in seinen Augen suchte sie die Antwort, die er ihr nicht geben konnte. Verzweifelt versuchte er sich daran zu klammern, dass es eine logische Erklärung für das gab, was sie ihm gesagt hatte. Wollte er wirklich in diesem Irrglauben leben? Sollte sie ihm nicht einfach bestätigen, dass sie festgehalten wurde?

Was würde dann passieren? Würde er nicht danach greifen, wie der Ertrinkende nach der letzten Hoffnung? Würde er nicht alles daran setzen, sie aus dieser misslichen Lage, die gar keine war, zu befreien? Zu was wäre er bereit und was würde er versuchen, vorschlagen, tun wollen, wovon sie ihn dann auch nicht mehr abbringen konnte? Und was würde er tun, wie würde er fühlen, wenn sie ihm letztendlich dann doch sagen musste - um seinetwillen - dass sie ihm nicht die Wahrheit erzählt habe?

Doch, was wenn sie einfach ging, ihn somit vom Gefühl her fortscheuchte, wie einen Hund, der einem nicht mehr folgen sollte? Wäre das die Lösung, die die beste wäre? Scheuche weg, was Du so sehr ... magst, damit es in Sicherheit ist? War es das, was sie tun musste, war es das, was sie tun wollte? Abermals suchte sie die Antwort in seinem Blick, suchte eine Antwort, die ihr sagte: Ja, mache es so, mache es so, das ist der richtige Weg. Doch sie fand keine Bestätigung. Sie wollte nicht, dass er ging, und glaubte, dass sie ihn nicht wertschätzte, weil er nicht verstand, warum sie ihn einfach stehen ließ oder davonjagte. Würde er damit überhaupt leben können? Würde er sie nicht zurückhalten und sagen, dass er ihr nicht glaube und dass sie ihm sagen solle, wer sie festhielte?

Es lief aufs Gleiche hinaus. Wieder würde er glauben, dass etwas da war, das sie festhielt und sie wusste, würde er sie zurückhalten, sie würde ihrem Vorhaben nicht standhalten konnte, würde nachgeben, würde alles erzählen, würde es erzählen, weil sie nicht wollte, dass er litt, nicht wollte, dass er falsches von ihr dachte ... aber war das nicht egoistisch gedacht?

"Ich ...", doch sie schloss ihre Lippen wieder, wusste noch immer nicht, wie sie anfangen sollte ... oder hatte sie schon eine Entscheidung gefällt und es fehlte einfach der Mut? Kurz schloss sie noch einmal die Augen und sah weg von ihm, irgendwohin, auf einen Punkt, den es gar nicht gab. "Ich werde nicht wirklich festgehalten, nein ...", und abermals senkte sie den Blick, sah zu Boden, auf ihre Hände, auf einen neuen unsichtbaren Punkt, dann einfach ins Leere.

"Man könnte es so nennen, weil ich mich in diesem Moment so fühle, aber im Grunde glaube ich, dass es keine schlechte Fügung des Schicksals war. Es ist nicht so, dass ich gezwungen werde, nicht von einer anderen Hand. Viel mehr durch die Umstände, um Dich und Deine Familie zu schützen. Vor anderen, vor vielen anderen, vor mir ...", die letzten beiden Worte hatte sie sehr leise ausgesprochen, einige Sekunden ließ sie verstreichen, bevor sie ihm dann fest in die Augen sah und hoffte, dass er sie auch sehen konnte.

"Ich bin kein Mensch mehr, Giuliano, ich weiß, es klingt unglaublich. Aber auch wenn mein Körper nicht mehr der eines Menschen ist, so bin ich doch in meinem Herzen die gleiche geblieben. Und auch wenn wir uns noch nicht lange kennen, so empfinde ich doch wirklich für Dich und auch das wird niemals sterben ..." - "... so wie mein Körper gestorben ist ...", fügte sie gedanklich noch an, sprach es aber nicht aus.

"Ich weiß, dass ich Euch alle in Gefahr brächte, wenn ich den Kontakt weiterhin hielte, und das muss ich vermeiden. Viel zu wichtig seid ihr meinem Herzen geworden und ich hoffe, Du kannst mir glauben. Ich möchte, nein, ich würde so gerne alles mit Dir teilen, jeden Gedanken, jede Minute, alle Abenteuer, aber es wäre nicht klug und es wäre nicht gesund, so sehr es mich schmerzt und ich kann auch verstehen, wenn Du jetzt gehen willst. Einfach gehen und vergessen, was gerade war. Ich hab schon viel zu viel erzählt, aber ich bringe es nicht übers Herz, Dich anzulügen." Offen und ehrlich sah sie ihn an, in der Hoffnung, dass er ihr glaubte, in der Hoffnung, dass er keine Angst hatte und in der Hoffnung, dass er nicht ging.

Es war still. Gefühlte Stunden schien es still zu sein, als er sie anstarrte und gar nicht mehr gegenwärtig zu verweilen schien. Lotte hatte Angst sich zur rühren, wollte nicht, dass er ging, wollte ihn nicht halten, spürte nur, dass seine Anspannung ins Unermessliche gestiegen war, dass er versucht zu begreifen und dabei komplett abdriftete. Sie ließ ihm die Zeit, auch wenn sie nichts Gutes ahnte, es ihr die Kehle zuschnürte und sich ein schmerzhafter Knoten in ihrer Brust bildete.

Fast wirkte es, als würde er in jedem Moment loslaufen, doch er tat es nicht. Er wirkte wie versteinert, wie er so da stand und sie ansah - durch sie durch sah - sie ansah - sie wusste nicht, was, bis er dann endlich sprach - Worte sprach, die sie nicht hören wollte. "Du bist auch ... eine ... von ihnen."

Überrascht jedoch sah sie ihn an, musterte sein Gesicht, bevor sie begriff, wie er sagte, was er sagte. Wusste er von Vampiren? War es etwas anderes, ein Mythos, dem er unterlag? Sie musste davon ausgehen, dass er das richtige wusste, sie wollte davon ausgehen - oder auch nicht. Denn jetzt begriff sie seinen Vorwurf, seine unbändige Anklage, die sie nicht auf sich zu begreifen wusste und doch war es eine Frage, wenngleich nicht so gestellt.

Wieder Stille.

Minutenlang.

Dann erst stand sie auf und sah ihn an. "Wärst Du so lieb, und könntest mir bringen, was ich von mir zusammengeräumt und neben Deinem Bett auf den Boden gestellt habe? Lediglich das, nichts weiter?", aber sie glaubte, sie war ihm mehr schuldig, als ein einfaches Gehen, um es ihm, vielleicht ihr, leichter zu machen, auch wenn sie wusste, dass dies nur Einbildung sein konnte.

"Ich möchte kein falsches Bild geben, Giuliano, ich weiß nicht, welches Bild Du von mir hast oder von anderen meiner Art, derer ich erst seit ein paar Stunden angehöre. Ich wünschte, es wäre ein schöneres, als so vorwurfsvoll und dennoch kann ich Dich verstehen." Traurigkeit dominierte in ihrer Stimme, die zitterte, weil sie selbst in einem Zwiespalt stand. Sie wollte nicht gehen, nicht jetzt, nicht in diesem Moment, doch sah sie keine andere Möglichkeit. Vielleicht auch tat es ihm gut, wenn er sich bewegte, Zeit für sich allein hatte, sollte er ihrer Bitte nachkommen und zurückkehren. Sie konnte es nur hoffen.

"Ich möchte Dich nicht entsetzen, zu viel Bedeutung schenkt mein Herz Deiner Person, Deinem Wesen, Deinem Sein. Zuviel Zuneigung trage ich in mir, die allein Dir gehört und ich wünschte, es läge nicht so viel Verurteilung in Deinen Worten." Sie war tapfer darin, ihre Tränen nun zurückzuhalten und mehr konnte sie nicht tun, als das. Lotte versuchte, aufrecht zu stehen, doch nur zu gerne hätte sie die Schultern einfach hängen lassen, nur ziemte sich das einfach nicht, nicht einmal für ihre rebellische Persönlichkeit.

Er schwieg abermals, nickte, schwieg weiter und ging. Und Lotte hätte ihn so gern zurückgehalten, hätte gerne freundschaftlich mit ihm gesprochen, hätte ihn so gerne berührt, hätte ... es schien alles in meilenweite Ferne gerückt zu sein und mit Tränen auf den Wangen sah und eher hörte sie ihm nach, wie seine Schritte sich entfernten, dann ließ sie ihr hübsches Haupt hängen und wandte sich um.

"Ein kleines Versteck, in das Du mich geführt, ein Versteck der Kinder, die ich so sehr lieb gewonnen habe. Du führst mich hier her mit reinem Herzen und ich tu' Dir so viel Traurigkeit an." Lotte strich mit ihren Fingerspitzen über ein kleines, selbstgebautes Regal, das windschief an einer Stange lehnte, weil es ohne Halt nicht stehen konnte. Eine alte Puppe saß darauf, sehr einfach genäht und mit verbleichtem Kleidchen, das Gesichtchen nur aus schwarzem Garn gestickt. Sie nahm sie hoch, drückte leicht den strohgefüllten Bauch und strich die Fadenhärchen glatt, die farblos den beigen Leinenkopf zierten.

Dann hörte sie seine Schritte wiederkommen und legte das Spielzeug liebevoll zurück, das eine lächelnd traurige Miene aufgesetzt hatte, wandte sich um und ging ihm entgegen. Er blieb stehen, wohl wissend, dass sie ihm entgegen kam und hielt ihr ihr Eigen entgegen. Zögerlich nahm sie den schweren Beutel an sich und trat in das spärliche Licht auf den Weg, sodass er sie sehen konnte.

"Ich danke Dir," begann sie leise und wusste nichts weiter zu sagen, außer das Gesprochene zu erweitern, "... für alles, das Du und Deine Familie für mich getan habt." Sie versuchte aus seinem Blick zu lesen, doch schien es ihr nicht zu gelingen.

Die Vampiress wandte sich ab, wollte gehen, doch drehte sich noch einmal zu ihm um, neue Tränen zierten ihr Gesicht, noch so viel Menschliches lag in ihrem Blick. "Ich möchte nicht, dass es so auseinander geht ...," hoffnungsvoll sah sie ihn an. Wusste nicht, ob er etwas sagen oder tun würde, wusste nicht ob er sie fortscheuchen würde, wie einen obdachlosen Hund. Angst schwang in dieser Hoffnung mit und Trauer, tiefe Trauer um der Situation Willen - wegen ihm ...

"Du willst diesen Abschied." Seine Kälte stach ihr ins Herz, sie wollte nicht, dass es so endete, sie wollte überhaupt nicht, dass es endete, aber es musste enden, aber so? Nein, so sicherlich nicht. Es fiel ihm nicht einfach, auch wenn sie es nicht mit Bestimmtheit sehen konnte, so glaubte sie es zu spüren oder zumindest wollte sie es hoffen, auch wenn es grausam klang, denn sie wollte nicht, dass er litt, gleich in welcher Form.

Für einen kurzen Moment spürte sie, wie sie zwei Schritte in seine Richtung tat, wie sie wünschte, ihn einfach umarmen zu können, ihn zu halten und die Zeit auszuschalten, nur noch einmal seinen Duft wahrnehmen, seine Wärme fühlen, sein lebendiges Herz schlagen hören - dann stieß sie gegen eine unsichtbare Wand, hielt inne, spürte die Tränen schon lange nicht mehr und wandte sich um.

"Pass auf Deine Familie auf und auch auf Dich ... und mache nur, was Dein Herz Dir sagt, Giuliano, lass Dich nicht von anderen Dingen leiten, insoweit es Dir möglich ist. Höre auf Dein Herz und werde glücklich, das ist mein einziger Wunsch ...", Lottes Kopf wandte sich nun auch von ihm ab und sie sah den Weg entlang, den ihre Schuhe schon langsam begannen abzulaufen - in eine ungewisse Zukunft, ohne Giuliano, ohne diese Freundschaft, ohne seine Familie, ohne ihn noch einmal gefühlt zu haben.

Er hielt sie nicht zurück und sie blieb nicht stehen. Lief, bis ihre Beine rannten und sie für ihn in der Dunkelheit verschwunden war. So sollte es enden und es schmerzte - schmerzte sie sehr, viele Tage, sogar Wochen lang. Aber es war die richtige Entscheidung, dessen war sie sich sicher.



Auf dem absteigenden Ast

Es dauerte einige Zeit bis Lotte über diesen Abschied hinweg kam. Sogar noch mehr als das, denn immer wieder fiel sie in eine sehnsüchtige Gedankenwelt zurück, in der sie an Giuliano und auch seine Familie dachte. Sie hatte sich so wohl gefühlt und jetzt war einfach alles so vorbei - einfach so ...

Doch gab es auch viel Ablenkung, denn Giulia schien ihr alles in einem heftigen Tempo vermitteln zu wollen. Ständig kam neues hinzu, ständig erweiterte sie ihr Wissen und ab und an hatte Lotte das Gefühl, dass da mehr als nur reine "Einführung in die Vampirwelt" dahinter steckte, doch sobald sie dieses Gefühl hegte, schien es auch wieder zu verpuffen. Dass Giulia ihre Fähigkeiten darauf einsetzte, kam ihr nicht in den Sinn, vor allem, weil Giulia genau wusste, was sie auf sie anwenden musste, damit diese sich solche Gedanken erst gar nicht machte.

Die ersten Wochen schienen ein reines Lernen zu sein und Giulia verkaufte sich als gute Freundin, was Lotte so auch empfand. Giulia wurde für sie zu einer guten Freundin, ihrer besten und wohl auch einzigen, denn sonst hatte sie niemanden mehr. Sie lachten viel, redeten und tratschten, wie es junge Frauen nun einmal taten und Lotte glaubte, Giulia komplett vertrauen zu können.

Dass sie durch ihr Ghoul-Dasein überaus fest mit ihr verbunden war, ließ Giulia sie überhaupt nicht spüren, sie spielte ihre Macht nicht aus - wohl wissend, dass sie dies so lange wie möglich für sich behalten musste, denn Lotte war eine starke Persönlichkeit und Giulia wusste, dass diese sich auflehnen würde und solange sie den Kern in ihr nicht geknackt hatte, solange musste sie ihr böses, intrigantes Spiel aufrecht erhalten. Des weiteren wollte sie an das Geld, welches Lotte durch ihre Familie bekommen konnte, aber da diese glaubte, ihre Tochter sei ertrunken, war der Plan kein einfacher. Doch je mehr sie über die Rothaarige erfuhr, desto mehr konnte sie sich das ein oder andere zurechtlegen und darauf aufbauen, während sie sich darum kümmerte, Lotte in einer falschen Sicherheit zu wiegen.

Als die Thematik auf den Kodex kam, war Giulia geschickt genug, ihre Ansichten so zu formulieren, dass Lotte glaubte, sie habe recht, aber wie hätte sie auch anders können? Sie hatte bisher keinen anderen Vampir kennengelernt, um sich eine zweite Meinung zu holen, sie hatte keinen Vergleich und konnte sich schlussendlich immer nur darauf verlassen, was Giulia ihr mitteilte. Die Frage, ob sie auch bald andere Vampire kennenlernen würden, wurde weiterhin einfach verschoben, da Giulia behauptete, es wäre für einen Jungvampir noch nicht sicher genug, sich anderen Vampiren gegenüberzustellen, denn diese seien mitunter entartet.

Es habe sich eine Welle der Entartung ausgebreitet und Lotte war entsetzt von den Geschichten, die Giulia ihr auftischte, wie verlogen und verwegen die Vampirwelt doch sei. Sie drehte es so, dass Lotte nicht anders konnte, und irgendwann von sich selbst aus fragte, ob man da nichts machen könnte, um die Vampire wachzurütteln und ihnen zu zeigen, dass es auch anders gehen musste. Es war genau das Ziel, das Giulia erreichen wollte, sie hatte Lotte genau da, wo sie sie haben wollte, hatte sie dazu gebracht, von sich aus zu sagen, dass man die Welt der Vampire verändern musste, damit sie zum angeblich alten, respektvollen Umgang zurückfanden und Giulia war eine Meisterin darin, vorzugeben, dass sie daran noch gar nicht gedacht hatte.

Sogleich versuchte sie Lotte dazu zu begeistern, an ihrer Idee festzuhalten, machte vorsichtige Vorschläge, bei denen man nicht aufhorchte und nicht glauben konnte, dass Giulia sich diese schon längst zurechtgelegt hatte. Anfangs appellierte sie an Lottes Gerechtigkeitssinn, der überaus ausgeprägt war und ein wenig im Weg stand. Giulia brachte jede erdenkliche Anstrengung auf, dass sie diesen auf ihre eigenen Ziele ummünzen konnte und hatte Erfolg. Es dauerte nicht ein Jahr, bis die beiden Pläne ausheckt hatten. Und immer, wenn Lotte Zweifel kamen, hatte Giulia die richtige Antwort parat und je öfter diese Zweifel kamen, desto froher war Giulia, weil sie ihre Radikalität ganz logisch einbinden konnte.

"Aber wie sollen wir das alles umsetzen. Es gibt so viele Vampire und sie alle haben ihre radikalen Gedanken und Einstellungen. Wie sollen wir da jemals gegen ankommen? Manchmal habe ich das Gefühl, es ist einfach nicht gut, eine Weltverbesserin zu sein. Mein Cousin sagte immer, dass das in meiner Jugend läge und dass sich das legen würde, wenn ich älter würde und mehr erfahre, was in der Welt vor sich geht." Ratlos blickte sie ihre vermeintliche Freundin an. "Ich glaube, in der Welt der Menschen ist es auch etwas schwieriger, die Welt zu verbessern. Bei den Vampiren können wir berechtigte Hoffnung haben, denn sie sehen die Welt ein bisschen anders und sind nicht ganz so leicht zu beeinflussen, wenn es um schlechte Dinge geht, auch wenn sie sich die aktuelle Entwicklung etwas widersprüchlich verhält." Oh ja, sie liebte es, vor allem das Gefühl der siegessicheren Seite, kurz bevor sie Lotte erzählen konnte, welche Idee ihr "auf einmal" in den Sinn kam.

"Aber ich glaube, ich habe eine Idee, nur ... ich bin mir sehr unsicher, denn es entspricht ja so gar nicht den Dingen, die wir ja zu tun gedenken ... ach, vielleicht ist es auch nur dumm, vergiss was ich gesagt habe ...", betroffen sah Giulia auf die Seite und vermittelte das eindeutige Bild einer sehr betrübten, jungen Frau, die nicht an ihre Idee glauben konnte, weil sie nicht das widerspiegelte, was sie die Wochen davor besprochen hatten. Sie wirkte überzeugt verzweifelt und Lotte sprang direkt darauf an. Giulia wusste einfach nur zu gut, wie sie die junge Vampiress fangen konnte, sie musste einfach alles so drehen, dass es Lotte schien, die Initiative käme von ihr.

"Nein, bitte, sag es doch einfach. Ich meine, wenn es wirklich so ist, wie Du glaubst, dann können wir die Idee immer noch verwerfen, aber wenn sie uns vielleicht wirklich weiterhilft, dann darfst Du sie nicht verschweigen und untergehen lassen", aufmunternd sah sie die ältere Vampiress an. "Meinst Du wirklich?" - "Ja, natürlich meine ich das wirklich, vielleicht hilft uns die Idee wirklich weiter und wenn nicht, vielleicht ist sie der Anstoß für neue Ideen ...", Lotte nickte ihr nachdrücklich zu und lächelte sie herzlich an. "In Ordnung, aber bitte versprich mir erst, dass Du nicht lachst, auch wenn es lächerlich klingt", die devote Haltung entsprach überhaupt nicht Giulias Naturell, aber da Lotte Giulias eigentliche Persönlichkeit noch lange nicht kannte und einer von Giulia so gewollten Scheinwelt lebte, lächelte sie ihr entgegen, als kenne sie sie schon lange und sehr gut, als wisse sie, dass Giulia manchmal einen kleinen Stups brauchte, um mit ihren oft sehr guten Ideen selbstbewusster umgehen zu können. "Ich verspreche es!"

"Danke", Giulia lächelte scheu nach Außen und jubelte innerlich laut, "also gut, ich habe mir grade gedacht, wenn die Vampire doch im Augenblick so radikal sind und vor allem die Vampire, die sich zu diesen Clans zusammengeschlossen haben, um die Welt zu beherrschen, dann müssen wir es vielleicht ebenso machen. Verstehe mich nicht falsch, wir wollen ja gegen die Radikalität angehen und wir wollen versuchen, sie eines besseren zu belehren, aber wie sollen wir das können, wenn wir nicht die gleichen Methoden anwenden, wie sie selbst, damit sie uns überhaupt zuhören, weißt Du was ich meine? Das klingt doch dumm, oder?" Lotte dachte darüber nach. Im ersten Moment war sie erschrocken von der Vorstellung, aber je länger sie darüber sinnierte, desto logischer wurde es ihr. "Ach, das ist eine dumme Idee, lass uns eine andere suchen ...", gab Giulia nach einigen Momenten des Schweigens dann von sich und Lotte sah von ihren Gedanken hoch - gerade in dem Augenblick, in dem sie sich dazu entschlossen hatte, diese Idee als brillant zu empfinden.

"Nein gar nicht, Giulia, das ist eine sehr gute Idee." - "Meinst Du wirklich?" - "Ja, in jedem Fall. Ich meine, wir haben ein gutes Ziel, wir wollen etwas gutes erreichen und wenn es nicht anders möglich ist, uns gehör zu verschaffen, müssen wir es auf die Weise versuchen, wie die einflussreichen Vampire es tun. Man sieht doch, dass es Erfolg hat, nur das sie die falschen Voraussetzungen haben." - "Stimmt, so habe ich das noch gar nicht weitergedacht - wir müssten, aber das hieße ... das hieße ja, dass wir selbst viele Vampire auf unsere Seite ziehen müssten, ihnen sagen, dass wir eine Herrschaft der Vampire planen, die stärker als die andere Organisation ist und erst, wenn wir genügend Anhänger unserer Idee haben, können wir ihnen sagen, was wir verfolgen. Sie werden überzeugt von dem sein, was wir tun, weil wir es gut tun und werden ihre Meinung ändern, das ist doch, was Du meinst, oder?"

Ein geschickter Schachzug, denn sie wusste genau, dass Lotte soweit nicht gedacht hatte und wäre sie selbst soweit gekommen, hätte sie diese Idee wieder verworfen, doch durch die Euphorie von Giulia wurde auch sie positiv darin bestärkt, ohne überhaupt die Möglichkeit zu haben, das Für und Wider abzuwiegen.

"Soweit hab ich noch nicht gedacht, aber Du hast Recht. Wir müssen wohl wirklich so tun, als wollten wir das gleiche, nur so aufgebaut, dass es den Zielen der anderen Organisation widerspricht und die Punkte aufgreift, die überhaupt nicht gut sind und mit denen man die Vampire überzeugen kann, sich uns anzuschließen ... wir müssen es versuchen, aber wie können wir diese Vampire erreichen? Ich kenne keinen einzigen ..." Das Gespräch verlief zu Giulias Zufriedenheit, doch der kleine Wink mit dem Zaunpfahl, dass Lotte endlich auch andere Vampire kennenlernen wollte, stellte einen kleinen Wehrmutstropfen dar, den Giulia so schnell wie möglich im Keim ersticken musste.

"Ich kenne einige Vampire und ich weiß auch von welchen, die auf unserer Seite stehen würden, da bin ich sicher, und diese haben auch einigen Einfluss. Ich werde sie fragen und dann ein Treffen einberaumen, gib mir ein bisschen Zeit, dann nehmen wir das auch zum Anlass, dass Du Deine ersten Vampire kennen lernst. Was denkst Du?"

- "Das wäre wunderbar!" Lotte war begeistert, vor allem, weil sie gar nicht aus dem Haus kam. Giulia hatte immer ihren eigenen Grund als einen Grund ausgegeben, nämlich den, dass Lotte ja eigentlich die Stadt hatte verlassen wollen, weil man nicht wissen durfte, dass sie noch "am Leben" war. Sie wollte es selbst so und so hatte Giulia dies sehr einfach für sich nutzen können. Doch nun hatte sie noch ein anderes Ziel.

"Mir fällt zu den Verbindungen, die man ja braucht, aber noch was anderes ein. Du hast ja sooft von Deinem Cousin gesprochen ...", und das hatte Lotte tatsächlich sehr oft getan, weil er mitunter der einzige aus ihrer eigenen Familie war, den sie wirklich hin und wieder vermisste - die Gespräche mit ihm und seine guten Ratschläge, das Lachen und Ausgehen, die Unbeschwertheit, auch wenn er sich, je älter er geworden war, verändert hatte und erwachsener wurde.

"Antonio, ja, was ist mit ihm?" - "Genau, Antonio. Du hast sagt, Deine Familie wäre sehr bekannt, auch über die Stadt, sogar über die Landesgrenzen hinaus. Wäre es nicht gut, diese Verbindungen für unsere Sache zu nutzen. Wir könnten viel mehr Leute erreichen ...", hoffnungsvoll war Giulias Blick und wieder wirkte es, als wäre ihr das alles gerade eben erst eingefallen, dabei arbeitete sie schon seit Wochen auf diesen Moment hin und sie glaubte, dass dieser nun endlich gekommen war.

"Ja, schon, das wäre wirklich sehr gut, aber er ist ein Mensch, das zum einen, dann auch: er kennt ja keine Vampire als Mensch und ich glaube nicht, dass er ein Vampir werden wollte, das passt nicht zu ihm. Und zum anderen, er glaubt, ich bin tot, es gibt ja überhaupt keinen Weg ihn zu erreichen ...", es tat Lotte fast schon leid, dass sie keinen Ausweg sah und Giulia auch keinen bieten konnte, doch diese war nicht betrübt, denn offensichtlich hatte sie diese Dinge schon durchdacht und Lotte hatte das Gefühl, einer wirklich intelligenten Frau gegenüber zu sitzen, denn diese konnte offensichtlich innerhalb von Minuten einen Plan komplett mit allen Pros und Contras überdenken.

"Aber was hält uns davon ab, dass Du ihn einweihst? Du sagtest, Du vertraust ihm, würde er Dich denn verraten? Es wäre sicherlich überaus glücklich zu erfahren, dass Du noch lebst, auch wenn es ein anderes Leben ist, das Du lebst und er könnte dann auch verstehen, warum Du nicht zurückgegangen bist. Du könntest ihm sagen, dass es Dir gut geht und ihn dann auch einweihen. Er würde Dir doch helfen, oder?

Du sagtest, er wäre einst in Dich verliebt gewesen und vielleicht ist er es noch. Aber auch wenn nicht, ich glaube, dass Du ihm sehr wertvoll bist und dass er Dich unterstützen würde, weil es doch eine gute Sache ist und es betrifft ja auch die Menschen. Er würde verstehen, dass er den Menschen nichts sagen darf, weil diese es nicht verstehen würden. Er ist doch intelligent, Du sagtest, er sei seiner Zeit voraus, wie Du glaubtest."


Lotte wollte immer wieder widersprechen, doch schon im nächsten Satz entkräftete Giulia die Argumente, die ihr auf der Zunge lagen und so schloss sie ihre hübschen Lippen aufeinander und konnte nur nicken. Es konnte funktionieren, aber ... "... es ist ein Risiko." - "Ja, natürlich, das ist es immer, aber wenn wir keine Risiken eingehen, dann können wir nicht gewinnen und ich wünsche mir nichts sehnlicher, als eine Vampirwelt, die endlich wieder ohne Angst und Schrecken leben kann, verstehst Du? Das ist doch auch Dein Wunsch, oder nicht? Gerechtigkeit und jemand, der darauf achtet, dass diese Gerechtigkeit auch eingehalten wird ...", und wieder traf Giulia genau den Punkt, der Lotte überaus wichtig war: ihren Gerechtigkeitssinn.

Lotte nickte, sie hatte kein Argument mehr dagegen, auch freute sie sich darauf, Antonio wiedersehen zu können und gleichsam hatte sie aber auch Angst vor dieser Begegnung. Angst vor seiner Reaktion, aber sie redete sich ein, dass er sie verstehen würde, denn es klang alles logisch und sie konnte sich nicht vorstellen, dass er anders reagierte, als Giulia es versuchte, vorauszusagen. Es war ein Risiko, aber je länger sie sich dieses Gespräch ausmalte, desto detaillierter glaubte sie zu wissen, dass alles gut ausgehen würde und Antonio hatte wirklich gute Beziehungen und es war für ihre Mission wichtig, dass sie auch menschliche Verbündete hatten, doch hier stellten sich weitere Fragen.

"Wie soll das dann alles vonstatten gehen? Gehen wir davon aus, dass mit Antonio alles gut läuft. Was wäre seine Aufgabe, welche Verbindungen brauchen wir denn unter den Menschen?" - "Nun im Grunde ist es so, dass auf einen Vampir sicherlich 100 Menschen kommen, oder gar mehr. In jeder Stadt gibt es Vampire. Allein können wir nicht reisen, das wäre zu gefährlich und wo sollten wir unterkommen? Ich meine, es gibt Särge, natürlich, aber wer führt die Kutsche?

Wir brauchen jemanden, der uns durch die Welt bringt, damit wir Kontakte knüpfen können - aber das müssen nicht einmal wir sein, wie gesagt, kenne ich Vampire, die sofort helfen würden, da bin ich sicher, auch sie alle müssen mit anpacken, wenn wir unser Ziel erreichen wollen und so könnte Antonio derjenige sein, der einige von ihnen auf seine Handelsreisen mitnimmt, ihnen Leute vorstellt, mit denen er verhandelt und ich bin sicher, dass der ein oder andere Vampir darunter ist, denn auch sie verdienen ihr Geld. Nur die schlechten stehlen es von ihren Opfern."


Das stimmte zwar nicht, denn der Diebstahl war unter Vampiren gängig, um ihr Leben zu finanzieren, wenn sie es wohlhabend wollten, doch für Lottes Gerechtigkeitssinn war dies eine sehr zufriedenstellende Antwort und es klang auch hier wieder sehr einleuchtend. Irgendwie ärgerte es Lotte auch, dass sie selbst nicht auf solche Ideen kam. Sie war nicht dumm, aber mehr und mehr merkte sie, wie viel Wissen ihr fehlte. Sie war nie über die Stadtgrenzen hinaus gekommen, hatte sich nicht für Politik interessiert und auch nicht für den Handel - und jetzt hätte sie all dieses Wissen gebraucht, um die richtigen Ideen zu haben.

Sie bewunderte Giulia über ihr Wissen und mehr als einmal fragte sie sich, woher sie es hatte. Doch Giulia war schon alt, sie hatte Lotte nie verraten, wie lange sie ein Vampir war oder wie sie zu einem geworden war, auch nicht, ob sie vielleicht sogar in diese Rasse hineingeboren worden war und Lotte hatte aufgegeben zu fragen, denn Giulia wollte offensichtlich nicht darüber sprechen und etwas von ihrer Vergangenheit erzählen. Die Rothaarige vermutete, dass ihre Erfahrungen aus weniger schönen Erlebnissen kamen und sie wollte keine Narben auf der Seele ihrer Freundin aufreißen, wenn es sich vermeiden ließ.

Und so kam es, dass die scheinbaren Ideen zu einer Mission für Lotte wurden und Giulia konnte nur mit Genugtuung feststellen, dass ihr Plan wieder einmal aufzugehen schien. Es war viel Arbeit und Giulia steckte sehr viel Zeit in ihre Pläne, wie man sah, wenn man darauf achtete, dass sie Lotte nun schon gut ein Jahr bei sich hatte und sich ausschließlich um sie kümmerte, ohne weitere Ghoule zu schaffen oder Hilfe dabei zu erhalten. Zwar war sie immer wieder ohne ihren Zögling außer Haus und kümmerte sich um weitere Angelegenheiten, die ihre Ziele betrafen, doch Lotte fragte nicht nach. Sie ging davon aus, dass Giulia vielleicht einen Liebhaber hatte, mit dem sie sich traf oder einfach allein jagen gehen wollte und da sie selbst in ihrer momentanen Situation und Lernphase nicht einfach die Stadt durchstreifen konnte, leuchtete ein.

Lotte fühlte sich zugehörig zur Mission, die Giulia seit Jahren verfolgte, was Lotte nicht wusste. Das Zeitempfinden eines Vampirs war ein anderes. Ein Jahr war nichts im Vergleich zur Ewigkeit und somit brachte Giulia diese unglaubliche Geduld auf, ihr Ziel nicht gestern, sondern erst morgen zu erreichen. Raffinesse und ein fester Wille standen hinter ihren Vorstellungen und sie wusste, sie konnte sie nicht erreichen, wenn sie etwas überstürzte.

Lotte war nur eine von vielen. Sie war nicht der erste Zögling, den sie in ihr Haus eingeladen hatte - und sollte auch lange nicht der letzte gewesen sein. Viele waren mittlerweile überaus treue Weggefährten und alle hatte sie mit ihren eigenen Schwächen dazu gebracht, sich ihr anzuschließen. Mittlerweile kannten diese aber schon etwas das eher wahre Gesicht der zukünftigen Giulia Ludovica da Vinci, wie sie sich nach Leonardo da Vinci knapp einhundert Jahre später nennen würde, der sie überaus faszinierte in seiner Perfektion zum "uomo universale". Dennoch hatte Giulia sie schon so weit manipuliert, dass diese glaubten, es wäre der einzig richtige Weg, den sie gingen. Viele allerdings waren es, die selbst der gleichen Auffassung waren und von sich aus blieben, weil sie nach Macht und Ruhm strebten, der ihnen von Giulia immer wieder versprochen wurde.

Ein kleiner Stab Menschen und Vampire, die sich dafür einsetzten, dass Giulia an die Macht kam, eine Macht die einem Diktator glich, doch dies war etwas, das sie nicht verlautbarte. Immer wieder sprach sie von "wir" und "uns", sie vermied es strikt, irgendwelche Anzeichen davon zu zeigen, dass es ihr nur um sich selbst ging und das sie an die oberste Spitze der Vampirwelt vordringen wollte, um alle anderen nach ihrer Pfeife tanzen zu lassen. Es würde lange dauern, das wusste sie, aber dafür würde sie nicht verlieren, denn ein paar Jahrhunderte Vorarbeit bedeuteten nichts gegenüber einer nachfolgenden Ewigkeit, in der sie ihre Macht präsentieren konnte.

Ihre Größenwahnsinnigkeit glich einer gefährlichen Genialität und sie sollte sich Jahrhunderte fortsetzen und auf diese Weise immer gefährlicher werden. Ihre Methoden waren ausgefeilt und gut durchdacht. Nicht immer hatte sie Erfolg, doch Niederlagen verdrängte sie oder schob sie einfach anderen zu. Von Lotte allerdings schien keine Gefahr auszugehen. Sie glaubte nicht, dass die junge Frau sich jemals gegen sie auflehnen würde, dafür versuchte sie schon im Voraus zu sorgen.

Sie gedachte ihr einige wichtige Aufgaben zu, um ihre Erzfeinde und Gegner Cogta Vusin und Dante Scirea auszuspionieren. Lotte schien wie geboren für diese Arbeit, denn sie verkörperte den gleichen Gerechtigkeitssinn wie ihre beiden Widersacher und solange Lotte auf ihrer Seite stand, wäre dies das beste Zusammenspiel, welches es geben konnte. Sie freute sich jetzt schon auf diesen unschätzbaren Fund. Andere Menschen und Vampire waren nicht dafür geschaffen gewesen, Dante und Vusin waren einfach zu aufmerksam, was das anging. Doch Lotte wirkte so unschuldig, dass sie überzeugt war, sie würde sie täuschen können.

Doch soweit war es noch lange nicht. Jetzt stand ihr Cousin Antonio auf dem Plan, denn diese Verbindungen waren überaus wichtig - gerade in einer Zeit, in der man nicht einfach durchs Land reisen konnte, schon gar nicht als Frau. Giulia hoffte, dass Lotte ihn letztendlich dazu bringen konnte, auch ein Vampir zu werden. Zwang wäre hier nicht möglich, das hatte sie gleich durchschaut, daher musste der Impuls von Lotte selbst kommen.

Noch allerdings konnte Lotte keine Vampire schaffen, sie war weiterhin ein Ghoul, auch wenn sie es nicht wusste und sich wunderte, warum sie noch immer die Bissmale an ihrem Hals hatte. Giulia hatte ihr dies einfach erklären können, dass sie noch in der Lernzeit war und solange dies so war, würden die Male auch nicht verschwinden. Es war nicht einmal wirklich gelogen. Sie verschwieg ihr lediglich, dass sie sehr wohl auch Macht über sie ausleben konnte, wenn es dazu nötig war. Giulias Wurzeln waren tief - viel tiefer als viele andere, die in der dunkeln Erde steckten und die Macht an sich reißen wollten. Der absteigende Ast, der sich als bösartiges Wurzelwerk entpuppte, nicht als Niederlage ...


Die gefährliche Saat

Es kam die Nacht, in der Lotte sich mit Antonio treffen sollte. Es war wieder Maskenball und Lotte genoss diesen Augenblick, den sie so sehr liebte. Fast schon hatte sie vergessen, wie unbeschwert ihr Leben gewesen war, doch wenn sie sich an ihr Elternhaus erinnerte, schwanden diese Gefühle sehr schnell und sie glaubte, nun ein Leben leben zu dürfen, dass ihr wirklich alle Freiheiten gab, die sie brauchte, auch wenn die Lernzeit auch anstrengend sein konnte. Es gab so vieles zu erfahren und erst viel später sollte Lotte herausfinden, wie mühselig es war, die falsch angedachten Informationen von Giulia mit der Realität zu vereinen und das aufzuholen, was ihr Inkorrekterweise erzählt worden war.

Ein wunderschönes Kleid hatte Giulia ihrem Zögling mitgebracht und eine Halbmaske, die das Kostüm vervollständigte. Kunstvoll richtete eine Magd ihr Haar und Giulia gab nur noch wenige Anweisungen, an die Lotte sich halten sollte. Sie würde ebenfalls auf dem Ball sein und auf sie Acht geben, aber nur einschreiten, wenn etwas aus dem Ruder zu geraten drohte.

Lotte war dankbar für diese unsichtbare Unterstützung und machte sich auf, den Ball zu besuchen, den Antonio in keinem Jahr hatte ausfallen lassen. Ein Ball, auf dem nur sie beide immer gewesen waren, ihre Verwandten allerdings nicht. Man entwickelte gewisse Vorlieben und Abneigungen und gerade die jungen Leute trafen sich auf den Bällen der jungen Gastgeber wieder und die älteren ebenfalls unter sich, weil die Ansichten mitunter doch etwas auseinander gingen und es schon immer so war, dass sich die jungen Leute von den älteren etwas distanzieren wollten - gerade in einem Alter, in dem sie versuchten, ihre eigenen Wege zu gehen.

Sie sah ihn sofort und sie erschrak, wie alt und traurig er wirkte. Er war nur acht Jahre älter als sie, aber es wirkte, als hätte er den Tod Lottes nie überwunden. Dass er überhaupt hier war, verwunderte sie einen Moment lang, doch es schien so zu sein, dass er ihr Andenken wahrte und dass er trotz vieler Tränen, die er mit Sicherheit hinter seiner Maske weinte, sich diesen Schmerz zufügen musste, um das Bild der Lotte, die er so sehr geliebt hatte, lebendig halten zu können.

Lotte zweifelte auf einmal daran, ob es wirklich eine so gute Idee war, ihn ins Vertrauen zu ziehen. Einerseits wollte sie ihn aus seiner Trauer befreien - so schnell wie nur irgend möglich - doch andererseits war er dabei zu verarbeiten, sie hatte ein Jahr damit zugebracht, sich nicht vorzustellen, dass er so sehr litt, doch nun führte kein Weg an dieser Erkenntnis vorbei. Wäre es für ihn eine Glückseligkeit, dass sie lebte oder wäre er schockiert, was aus ihr geworden war? Die Geschichten über die grausamen Vampire waren auch ihm bekannt, er war nicht in einer verzweifelten Lage, in der Lotte selbst gewesen war und er konnte aus seiner Warte aus nicht an sich selbst spüren, dass nichts dabei war, Blut zu trinken. Wie sollte sie ihm all dies nur begreiflich machen?

Langsam ging sie von hinten auf ihn zu und stellte sich, wie andere Gäste auch, an den Rand der Fläche, auf denen viele Paare tanzten. "Darf ich Euch zum Tanz auffordern?", fragte sie leise und er fuhr herum. Sie sah ihm an, dass er für einen Moment geglaubt hatte, Lottes Stimme zu erkennen, sich dann aber innerlich sofort besann, dass dies überhaupt nicht möglich sein konnte. Ihr rotes Haar, das seiner Lotte so sehr glich, und auch das Augenpaar, das ihn unsicher, aber offen anlächelte, waren ihm vertraut und doch, es konnte einfach nicht sein. Es konnte nicht sein und Lotte sah, dass er sich zwang, daran festzuhalten, dass es nicht sein konnte und dennoch war er fasziniert und bedrückt zu gleich. "Selbstverständlich ...", es war nur ein heiseres Krächzen aus seiner Stimme, die noch nicht ganz zurückkehren wollte von der ersten Aufregung. So reichte sie ihm ihre Hand und ließ sich auf die Tanzfläche führen.

Er konnte nicht den Blick von ihr ablassen, es war eindeutig, dass er ihr am Liebsten die Maske von den Augen gehoben hätte, um sich selbst zu bestätigen, dass er nicht seiner Lotte gegenüberstand, mit ihr sogar tanzte, mit ihr sprach. "Wie ist Euer Name?", fragte er, weiterhin etwas heiser, aber doch nun endlich wieder gefasst. "Diesen nenne ich Euch nach diesem Tanz, wenn Ihr mit mir nach draußen geht, um frische Luft zu atmen ...", sagte sie spielerisch, aber es fühlte sich für sie nicht an wie ein Spiel, es war Folter, mehr für sie selbst als für ihn, doch sie wusste, sie konnte ihm nicht hier mitten unter allen Leuten sagen, wer sie war, sie konnte nicht riskieren, dass seine Reaktion Aufsehen erregte und sie noch von anderen erkannt wurde, die ihren Mund nicht halten konnten.

Er hielt es kaum aus und beide fieberten dem Ende des Tanzes entgegen und so kam es, dass sie noch einige Takte zuvor die Fläche verließen und auf den steinernen Balkon unter den Nachthimmel traten, auf dem sich gerade ein anderes Pärchen löste und wieder hinein ging. Sie waren allein und Lotte stellte sich etwas abseits, so dass sie drinnen nicht leichthin beobachtet werden konnten.

"Versprecht mir bitte, dass Ihr stille Reaktion behaltet ...", siezte sie ihn weiter, was ihn irritierte, denn die Hoffnung wuchs trotz aller Widrigkeiten, dass er wirklich Lotte gegenüber stand, doch sie wusste sehr wohl, dass sie ihn mit dem Siezen ruhiger halten konnte. Seine Augen allerdings füllten sich mit Tränen und sie wollte nicht länger warten und als er nur nickte, senkte sie ihr Haupt, band die Maske von den Augen und sah ihn noch einmal an, nachdem sie tief durchgeatmet hatte.

In diesem Moment gefror die Situation. Er hielt die Luft, schlug sich die Hand vor den Mund konnte und wollte seine Tränen nicht mehr zurückhalten. Sein Blick wechselte von Trauer, Freude zu Unglaube, Ärger und wieder zurück, bis er schlussendlich in tiefste Erleichterung glitt und seine Hand vom Mund an ihre Wange hob, um sie zu berühren, um sicher zu gehen, dass sie es wirklich war. Lottes Blick wechselte von seiner linken zur rechten Iris und spürte die Anspannung in sich mehr und mehr wachsen - ins Unermessliche hinein.

Auch ihr traten dann die Tränen in die Augen und als er sie berührte, löste sich alles in ihr und sie warf sich in seine Arme, die er sogleich um sie schloss und drückte sich an ihn, wie er sie an sich drückte. Beide weinten und sie wollten nicht mehr voneinander lassen. So vieles war in diesem Jahr geschehen, bei ihm, wie auch bei ihr. So vieles hatte sich unterbewusst angestaut, das sich jetzt entlud und beide waren keiner Worte fähig, die diese Gefühle hätten besser ausdrücken können, als diese Umarmung und die Tränen der Sehnsucht nacheinander, auch wenn seine Sehnsucht weiterhin eine andere, liebende war und ihre die nach tiefer verschwisterter Freundschaft. Es war in diesem Augenblick das gleiche und auch einerlei.

Es waren gefühlte Stunden, bis sie sich fast schon beide widerwillig voneinander lösten und es war nicht festzustellen, von wem der Impuls kam, beide spürten, dass die schwere Aussprache nun bevorstand. Lotte wusste, er hatte viele Fragen und auch, dass er ihr vorwerfen würde, dass er solange in Trauer um sie leben musste. Doch es kam kein Vorwurf aus seiner Richtung, auch wenn sie wusste, dass die Frage ihn dennoch quälte. "Wollen wir nicht woanders hingehen"? Bat sie ihn mit ihren ersten Worten und er nickte, bot ihr seinen Arm, als sie ihre Maske abermals aufgesetzt hatte, und geleitete sie aus der Villa, in der das Fest mit Musik, Trunk und Tanz stattfand. Es waren einige hundert Meter, die sie schweigend nebeneinander hergingen, bis sie in der dichte des Gartens einen Platz in einem Pavillon fanden, den sie für sich beanspruchen wollten.

"Wie geht es Dir?" Sie hatte alle Fragen erwartet, doch die als eine der ersten am aller wenigsten und dementsprechend überrascht sah sie aus und konnte nicht gleich antworten, als er auch schon wieder das Wort ergriff: "Ich könnte so vieles Fragen, Dir Vorwürfe machen, alles, aber ich möchte es nicht und ich fühle es nicht. Ich möchte wissen, ob es Dir gut geht, weil das das einzige ist, das zählt, das einzige ...", betroffen senkte Lotte ihren Blick. Sie war sich bewusst, was sie ihm ein Jahr lang angetan hatte und sie fühlt sich schuldig, auch wenn er ihr keine Schuld zuwies. Beide hatten die Masken abgenommen und als sie ihn wieder ansah, erkannte sie, wie sehr ihn dieses Jahr wirklich mitgenommen hatte. Er hatte dunkle Ringe unter den Augen, als habe er nächtelang um sie geweint und dennoch machte er ihr keinen Vorwurf. Seine Ritterlichkeit war ihm hoch anzurechnen, doch sie fühlte sich dadurch nicht gerade viel besser.

"Es tut mir so leid, Antonio, und ich hoffe, Du kannst mir irgendwann verzeihen ...", begann sie, ohne seine Frage beantwortet zu haben, doch er schüttelte nur energisch den Kopf. "Ich möchte nichts entschuldigen, für was ich Dich nicht anklage. Ich habe schon lange gedacht, dass Du einfach so verschwinden würdest, so lange und auch wenn ich mir gewünscht hätte, dass Du mich einweihst, wusste ich immer, dass Du es nicht wirst. Ich habe niemals daran geglaubt, dass Du wirklich gestorben bist, Lotte, aber alle anderen wollten es mir glauben machen und die Ungewissheit hat mich zerfressen und dennoch ... ich habe es schon lange gewusst, dass ich selbst diesem Leid zum Opfer falle und nicht damit zurecht komme, dass Du mich nicht liebst, wie ich Dich liebe, soll nicht auf Deinen Schultern lasten."

Es war das erste mal, dass er es wirklich so deutlich aussprach. Sie wusste es schon lange und er wusste, dass sie es wusste und sie hatten über viele Umstände schon Diskussionen geführt, vor allem, als ihre Familie erwartete, dass er sie heiraten sollte und er nicht sofort entgegengesprochen hatte, und dennoch hatte er es ihr so deutlich nie gesagt und es traf sie noch mehr. Er wollte nicht, dass sie sich schuldig fühlte, doch sie tat es und abermals senkte sie ihren Blick, den er allerdings sofort wieder anhob, in dem er sanft seine Hand an ihre Wange legte und ihren Kopf sachte hob, damit sie ihn ansehen musste.

"Du weißt, dass ich Dich liebe wie meinen Bruder, Antonio, und es ist aufrichtige Liebe ...", auch das sagte sie nicht zum ersten Mal und er nickte. Er hatte sich längst damit abgefunden. "Sag mir, wie es Dir geht, mein Herz." Lotte schluckte schwer und atmete durch - ein Überbleibsel aus ihrer Menschlichkeit. "Du bist so schön geworden, viel schöner, als ich Dich in Erinnerung hatte und Du warst schon immer so eine schöne junge Frau ...", es war eine Erkenntnis, die er in diesem Moment einfach anfügen musste, bevor sie antworten konnte und so kam ihr ein leichtes Lächeln auf die Lippen, dass auch in ihm ein solches auslöste und er seine Hand wieder von ihrer kühlen, seidigen Wange nahm.

"Mir geht es gut. Sehr gut sogar. Ich glaube, endlich die Freiheit gefunden zu haben, nach der ich mich so lange sehnte ..." Er wirkte erleichtert, auch wenn sie spüren konnte, dass es ihn dennoch verletzte. Er saß zwischen den Stühlen, wollte, dass es ihr gut ging, wollte aber, dass es ihr bei ihm besser ging, als anderswo. Er stellte seine eigenen Wünsche jedoch zurück - wie er es in ihrer Gegenwart schon immer getan hatte. "Das ist gut, das ist das, was ich mir wünsche, solange es Dir gut geht, ist alles andere unwichtig." Sie nickte dankbar und lächelte. Gerne hätte sie aber auch selbiges zu ihm gesagt, doch sie wusste, dass sie damit in seiner Wunde herumbohren würde und hielt sich daher zurück.

"Du bist nicht zurückgekommen, Herzblatt, aber warum bist Du hier?" Es war seine Erkenntnis und sein Schmerz in Worte gefasst. Er begriff, dass sie nicht zurückgekommen war, um wieder in ihrer Mitte zu leben, aber dennoch musste es einen Grund geben und darauf wollte er zu sprechen kommen. Er würde ihr nicht sagen, dass sie sich bei ihren Eltern melden sollte, er wusste, dass dies die letzten Personen auf der Welt waren, denen sie begegnen wollte, auch wenn er gleichfalls wusste, dass sie gute Menschen waren und dies alles nur von der Großmutter ausging, die die Atmosphäre mit ihrem Dasein und ihren Einstellungen vergiftete.

"Nein, das bin ich wahrlich nicht. Es gibt tatsächlich einen Grund - viel mehr aber zwei, denn ich sehnte mich nach Dir, nach unseren Gesprächen, Deinen Ratschlägen und Deiner Nähe ...", es war Balsam für seine Seele, aber genauso ehrlich gemeint, wie sie es sagte, "... und es ist nun auch der Zeitpunkt gekommen, an dem ich Deine Hilfe brauche, nein - bitte, schau mich nicht so erschrocken an, ich sagte Dir, mir geht es gut und das alles ist nichts, was diesen Zustand verändern könnte." Er atmete erleichtert aus.

"Dazu müsste ich jetzt aber ausholen, ich -" - "Wir haben alle Zeit der Welt, Lotte, ich bin jederzeit für Dich da, das weißt Du, so auch jetzt, so weit Du auch ausholen musst, ich habe Zeit ..." "Ich leider aber nur diese eine Nacht bis kurz vor Sonnenaufgang", dachte sie wehmütig, sprach es allerdings nicht aus. "Ich danke Dir." Er wehrte den Dank mit einer Geste und einem Kopfschütteln ab. Es war ganz wie früher, er wollte keinen Dank, für ihn waren solche Dinge eine Selbstverständlichkeit - zumindest gegenüber ihrer Person.

"Dir ist aufgefallen, dass ich mich verändert habe ...," begann sie dann, ohne zu wissen, wie sie fortfahren sollte oder wohin dies alles führen würde, "... das hat einen Grund und ich habe mich noch mehr verändert, auch wenn ich glaube, dass mein Wesen gleich geblieben ist ... vor allem ... wie soll ich's nur sagen - vor allem hat sich meine Rasse verändert ...", er blickte sie irritiert an. Und sie versuchte es ihm zu erklären. Seine Reaktion war langer Unglaube und sie brauchte einige Worte, bis sie ihm wirklich begreiflich machen konnte, was sie war und dass dies nichts mit den bösen Geschichten zu tun hatte, die man den Kindern erzählte.

Sie vermied es, ihm Einzelheiten zu nennen, vor allem die, die aussprachen, das sie Blut trinken musste - so gut wie jede Nacht - um zu überleben - und das sie Menschen deswegen tötete. Sie selbst spürte, dass es einfach eine Tatsache war. Immer wieder überkam sie ein schlechtes Gewissen oder auch Mitleid, Skrupel - doch immer nur hinterher. Zuvor war es der Blutdurst, der sie trieb und währenddessen genoss sie es sogar. Doch manchmal empfand sie es als viel zu hohe Bezahlung für das Leben, dass sie führen durfte, doch sie konnte es nicht ändern. Sie wusste von Giulia, dass sich manche Vampire von Tieren ernährten, doch dies brachte sie noch weniger übers Herz.

Für sie waren Tiere Lebewesen, die niemals eine Schuld trugen, die Menschen schon. Viel mehr konnte sie es mit sich vereinbaren, einen Menschen zu töten, der zuvor seine Frau geschlagen hatte oder anderweitig zeigte, dass er kein "guter Mensch" war, als ein Tier, das mit Vertrauen entgegenlief und sich an sie schmiegte. Sie konnte es nicht und Giulia hatte ihr zudem von den Nachteilen erzählt, denen ein Vampir unterworfen war, wenn er sich ausschließlich von Tierblut ernährte und diese Nachteile wollte sie nicht erleiden. Hier war ihre Eitelkeit etwas zu stark ausgeprägt, sie wusste, es war egoistisch, aber dieses Laster band sie sich auf. Es reichte aus, die Freiheit mit dem Leben anderer bezahlen zu müssen, sie wollte nicht auch noch weitere Einschränkungen haben, die ihr eben doch nicht ermöglichten, so zu leben, wie sie es sich wünschte - und das "so leben" bezog sich vornehmlich auch darauf, dass sie schön sein wollte, um sich gut zu fühlen.

Sie wusste nicht, ob Antonio nicht daran dachte. Sie wollte es auch gar nicht heraufbeschwören. Er fragte nicht nach, vielleicht auch bewusst deswegen, weil er wusste, dass er mit dieser Tatsache nicht hätte leben können. Viel mehr wollte er es verschwiegen wissen, um die Nähe zu Lotte für den Moment oder gar länger nicht zu verlieren, weil er es anders mit seinem Gewissen nicht hätte vereinbaren können. Sie war dankbar darum - und auch dafür, dass er ihr glaubte, auch wenn es etwas dauerte, bis er es tat. Furcht stand manchmal in seinen Augen, nicht die Furcht vor ihr, aber die Furcht über die Tatsache, dass es diese Rasse gab und dass niemand in der Lage war, sich zu schützen, dass sein Leben und das Leben seiner Lieben zu jederzeit in Gefahr war - obwohl die Liebste dieser ein Zusammentreffen überlebt hatte, wenn man es so nennen konnte, nun selbst dieser Rasse angehörte und es ihr offensichtlich an nichts mangelte.

Dann erklärte Lotte ihm, um was es sich handelte. Erklärte die falschen Tatsachen, die Giulia ihr Tag täglich erklärt hatte und besprach ihre eigene Gesinnung und dass sie mit ihrer Freundin und Schöpferin gegen diese Missstände vorzugehen gedachte. "Du bist und bleibst eine Weltverbesserin", er lachte, doch begriff er ebenso die Wichtigkeit der Lage, so wie Lotte sie ihm schilderte. "Was aber soll ich hier tun können? Ich habe doch keine Beziehungen zu ... Vampiren", es war noch immer befremdlich für ihn, akzeptieren zu müssen, dass es eine andere Rasse gab, die womöglich dem Menschen sogar vorangestellt war.

Auch hier ergriff Lotte die Gelegenheit, seine Frage aufzugreifen und zu zeigen, dass sie genau überlegt hatten, was er tun konnte, wenn er ihr helfen wollte. Ihm war unwohl in seiner Haut, er zeigte es nicht, aber sie konnte es in seiner Aura herauslesen. "Du hast Zweifel ...", überrascht blickte er sie an, als wolle er fragen, wodurch er sich verraten hatte, tat dies aber nicht. "Wenn ich ehrlich bin, ja. Es ist nicht so, dass ich nicht glauben würde, wie schwierig die Lage ist, auch nicht so, dass ich Dir nicht helfen möchte, aber ich habe das Gefühl, keinen Überblick bekommen zu können, wenn ich es selbst nicht erlebe und dann agiere, ohne überhaupt zu wissen, für wen oder was. Verstehst Du, was ich meine? Hast Du denn jemals auch die andere Seite gehört oder erlebt, Liebes? Hast Du mit eigenen Augen und Deinem Sein mitbekommen und gesehen, dass es wirklich so ist, wie diese Giulia es Dir geschildert hat?" Lotte stockte bei seinen Worten. Sie hatte sich niemals mit eigenen Augen überzeugen können, aber war auch niemals auf den Gedanken gekommen, dass es anders sein könnte, als Giulia es erzählte.

Lotte vertraute Giulia blind und glaubte ihr jedes Wort. Im ersten Moment spürte sie Ärgernis darüber, dass Antonio ihr nicht vertraute, dass sie selbst gut genug entscheiden konnte, wem sie vertrauen konnte und wem nicht. Sie hatte mit vielem gerechnet, auch mit einer Ablehnung, aber sie wäre nie auf den Gedanken gekommen, dass der Grund sein könnte, dass er daran zweifelte, ob dies alles so der Wahrheit entsprach. Mit Erschrecken musste sie feststellen, dass sie überzeugt davon gewesen war, dass er alles für sie tun würde und ihr alles glaubte, ohne ihm eine eigene Meinung zuzuschreiben. Niemals hatte sie sich so innerlich ihm gegenüber verhalten, niemals. Sie verstand nicht, wie dies auf einmal so hatte passieren können. Ihre eigene Arroganz erschreckte sie so sehr, dass er ihr ansah, dass etwas nicht stimmte, und ihre Hand ergriff. Kurz schreckte er vor ihrer Kälte zurück, doch überwand er sich selbst, nicht darauf zu achten.

"Du hast nie darüber nachgedacht, habe ich recht?" In seiner Stimme klang kein Vorwurf mit, nichts, das darauf hindeutete, dass er es ihr übel nahm oder sie für dumm hielt. Sie nickte und hob ihre andere Hand vor ihre Lippen, Tränen standen ihr in den Augen und sie sah ihn schuldbewusst an. Nicht, weil sie glaubte, dass er Recht haben könnte und Giulia etwas falsches erzählt hatte, das glaubte sie weiterhin nicht, viel mehr schmerzte sie die Erkenntnis, dass sie ihm seine eigene Persönlichkeit abgesprochen hatte, so sehr, dass sie nicht begreifen konnte, wie das hatte passieren können. Sie wusste nicht, ob er es ahnte und er sagte dazu auch nichts.

Die rothaarige Schönheit brauchte einige Augenblicke, bis sie wieder klar sprechen konnte. Ihre Worte waren leise. "Ich glaube nicht, dass sie mich anlügt ...", doch in dem Augenblick, in dem sie es aussprach, wusste sie auch, dass sie überhaupt keine Argumente oder Beweise dafür hatte, dass es stimmte, was ihr erzählt wurde. "Es klang ... es klingt alles so logisch, es passt doch alles zusammen und es ist doch eine gute Sache ...", sie sah ihn fragend an, als würde er in Giulias Inneres schauen können, und ihr die Antwort geben. "Ist es eine gute Sache, wenn man Grausamkeit mit Grausamkeit bekämpft?" Fragte er nur wertfrei und blickte zurück. "Warum Grausamkeit. Wir wollen doch nicht grausam sein ...", und Lotte musste abermals genau jetzt feststellen, dass sie niemals darüber gesprochen hatten, wie es aussehen wollte, die gleiche Radikalität an den Tag zu legen, wie ihre Gegner es taten - zumindest nach Giulias Aussagen.

Diese, so hatte sie ihr erzählt, würden alle Vampire, die nicht auf ihrer Seite stünden oder sich gegen sie auflehnten, kaltblütig ermorden, vorher sogar foltern, weil sie es nicht duldeten, dass sich ihnen jemand entgegenstellte. Sie hatte ihr von grausamen Geschichten Überlebender erzählt, die berichteten, dass Mensch wie Vampir nahezu abgeschlachtet wurden, nachdem man sie gequält hatte, um herauszufinden, was sie über andere Vampire wussten, um dies dann gegen sie zu verwenden. Es war das gleiche wie in einigen Gegenden, was die Hexenverbrennungen anging. Die gleiche Grausamkeit, die gleiche Blindheit, gegen die Lotte hatte mit Giulia vorgehen wollen. Aber gleichwohl kam ihr nun die Erkenntnis, was das Sprichwort "schlage Deinen Feind mit seinen eigenen Waffen" auch bedeuten konnte.

Lotte hatte gemeint, dass sie versuchen mussten, sie zu überreden, ihnen vielleicht auch ein paar falsche Angaben über ihre Gesinnung zu machen, damit sie erst einmal auf ihre Seite holen konnten, bevor sie sie aufklärten und sie aus ihrer Blindheit befreiten - niemals hatte sie damit gerechnet, dass Giulia vielleicht meinen könnte, dass sie ebenfalls mit Grausamkeit und Morden ans Ziel kommen mussten, bevor sie die Welt bekehren konnten. "Nein ...", sagte sie dann auf ihren Gedankengang hin und sah ihn wieder an, nachdem ihr Blick nachdenklich erschrocken ins Leere gegangen war und er ihr die Zeit des Nachdenkens gewährt hatte. "Nein, ich glaube nicht, dass sie das falsch verstanden hat, Antonio, ich glaube nicht, dass sie meint, dass wir auch grausam sein müssen ...", doch Antonio schüttelte nur den Kopf.

"Nur so hättet Ihr Erfolg, aber es wäre ein falscher Erfolg. Und nach allem, was Du mir jetzt von ihr erzählt hast, glaube ich sehr wohl, dass sie das meint. Sie wirkt sehr genau und so, als wisse sie sehr genau, was sie möchte, auch wenn Du sagst, dass Du diese Ideen hattest, so kommt es mir vor, als hätte sie es genau so gedreht, dass sie Dich an diesem Punkt hatte ... oh Lotte, bei Gott, ich möchte nicht, dass Du glaubst, dass ich sie schlecht reden möchte. Ich kenne sie nicht einmal. Es sind nur Spekulationen, aber welche, die ich nicht für mich behalten möchte, weil ich ehrlich zu Dir sein will."

- "Das sollst Du auch, ich habe Deine Ehrlichkeit immer geschätzt," Lottes Stimme war weiterhin nachdenklich und leise. "Vielleicht irre ich mich ja auch, vielleicht hat sie ja selbst nicht darüber nachgedacht, aber irgendwie trügt mich mein Gefühl selten. Du weißt, dass ich so viel Erfolg habe, weil mein Gefühl mich mitbegeleitet, wenn ich Geschäfte abschließe. Sehr oft wurde mir bestätigt, dass ich gut daran getan habe, auf einen Handel nicht einzugehen, weil mir trotz aller schönen Worte die Glaubhaftigkeit fehlte. Und hier ist es ähnlich. Ich fühle mich nicht wohl bei der Sache und vielleicht hat diese Giulia überhaupt nichts damit zu tun, vielleicht ist sie sich ja selbst darüber nicht bewusst, aber die Sache selbst, sie klingt nicht richtig, nicht für mich und meine Ohren."

Lotte senkte abermals den Blick zu Boden und betrachtete die einzelnen Kieselsteinchen, die sich mit dem Schuhwerk der Besucher auf dem Boden des Pavillons vom Weg aus hier her verirrt hatten. Er sagte nichts, sondern gab ihr abermals Zeit. Für ihn war etwas grundlegend falsch bei dieser Angelegenheit und er machte sich ernsthafte Sorgen um Lotte, wollte sie am liebsten in keinem Fall zurück zu dieser Frau gehen lassen, von der er nicht wusste, wie er sie einzuschätzen hatte.

Im nächsten Moment blickte Lotte auf und sah sich um. "Was? Was ist los?", Antonio war in wacher Aufmerksamkeit, konnte allerdings nichts ausmachen. "Sie ist hier ...", sagte Lotte leise. Sie wusste, sie war zu weit, als dass sie sie hören konnte, doch war sie hier im Garten, irgendwo, sie spürte Giulias Anwesenheit und Panik stieg in ihr hoch. Warum sie Panik hatte, wollte sie erst nicht begreifen. Es waren nur Thesen, es waren doch nur Antonios Vermutungen, er sagte selbst, dass Giulia selbst vielleicht überhaupt keine schlechten Absichten haben musste, wenn an seiner Theorie überhaupt irgendetwas dran war. Lotte stand auf, wirkte unruhig, blickte sich weiter um, bis sie die Richtung bestimmen konnte, wo sie Giulia fühlte, sie kam langsam auf sie zu, die Aura bewegte sich langsam in ihre Richtung. Warum war sie so beunruhigt? Warum hatte sie auf einmal Angst? Sie konnte es sich nicht erklären, wusste nicht, wie sie damit umgehen sollte und sah verzweifelt zu Antonio, der mit ihr aufgestanden war und darauf wartete, bis er wusste, was Lotte dachte.

"Was, wenn da was dran ist? Was, wenn Du recht hast?", jetzt schwang die Panik auch in ihrer Stimme mit und die Verzweiflung ließ sie zittern. "Dann sollten wir jetzt gehen ...", entschloss er trotz seiner Gefühle uneigennützig. "Nein, das geht nicht ...", Lotte flüsterte nun schon, je näher die Aura kam, die ihr so bekannt war. "Sie würde uns finden, ich muss ihr einfach sagen, dass Du die Sache nicht unterstützen kannst und vielleicht sollte ich ihr erklären, dass das alles gar keine so gute Idee ist ...", doch instinktiv wusste sie, dass Antonio mit seinen Vermutungen Recht haben könnte. Dass Giulia das alles vielleicht schon lange wusste.

"Verschwinde hier!", ihr Blick war von einem zum nächsten Moment entschlossen und keinen Widerspruch duldend in seine Iriden fixiert, er wollte sich sträuben, doch er sah, er würde sie nicht umstimmen können und er wusste, es gab keine Zeit, lange zu diskutieren. Eine verzweifelte Frage stand in seinem Blick, doch bevor er sie stellen konnte, antwortete sie ihm schon "Sobald ich kann, melde ich mich, geh jetzt ... und egal was ich rufe, lauf weiter", und widerwillig setzte er sich in Bewegung. Er ging zögerlich, dann schneller, bis er sich gänzlich umwandt und lief. "Antonio nicht, bitte, bleib ...", rief sie dann laut und hoffte, er würde sich an seine Anweisungen halten - und tatsächlich, er kam nicht zurück.

Lotte presste Tränen aus ihren Augenwinkeln, doch es fiel ihr nicht einmal schwer, denn die Verzweiflung über diese ganze Situation wollte sie vereinnahmen. Dann spürte sie, wie Giulia kaum ein paar Schritte in ihrem Rücken stand und wandte sich um.

"Es war vergebens ...", begann sie tränenüberströmt, "... er konnte es nicht verstehen und ist auf und davon ...", sie log nicht. Sie wusste, Giulia würde merken, wenn sie log, doch sie sagte auch nicht alles und hoffte, dass ihrer Schöpferin das alles verborgen blieb. "Das ist nicht gut", Giulia musterte sie durchdringend, als suche sie nach den wahren Gründen, doch sagte nichts weiter dazu. "Wir sollten nach Hause gehen und überlegen, wie wir weitermachen ...", ihre Worte kamen erst nach einigen schweigenden Augenblicken, in denen Lotte versuchte überzeugend vor ihr zu stehen und sich nichts anmerken zu lassen.

Etwas war komisch an dieser ganzen Situation, Giulia behielt ihre Ruhe, man konnte nichts von ihrer Aura oder auch ihren Augen ablesen, rein gar nichts. "Wir werden eine andere Lösung finden ...", sagte sie nur und ging voran, "Komm jetzt ..." und Lotte folgte ihr zögernd. War es wirklich so einfach? Hatte sie Giulia täuschen können? Aber was geschah jetzt mir ihr. Sie konnte mit ihren Zweifeln nicht weiter so tun, als wäre das alles auch richtig und etwas, wohinter sie stand. Sie musste herausfinden, wie andere Vampire dachten, sie musste herausfinden, ob es wirklich stimmte, was Giulia ihr erzählt hatte oder ob Antonio, der es war, der Zweifel - berechtigte Zweifel - in ihr gesät hatte, Recht behalten sollte. Auf sein Gefühl war immer verlass gewesen, das hatte er gesagt, und ja, sie wusste, dass es stimmte ...

Auf dem Nachhauseweg hatten sie kein Wort miteinander gesprochen. Lotte versuchte ihre Gedanken zu sortieren und Giulia ging unbeeindruckt den Weg entlang und lauschte unentdeckt den Gedanken ihres Zöglings, die sich die gesamte Situation noch einmal durch den Kopf gehen ließ. Auf diesem Weg erfuhr sie, was geschehen war, es erregte in einem unermesslichen Maße ihren Zorn, vor allem, weil sie nicht damit gerechnet hatte, dass dieser Tölpel von Cousin Lotte so sehr hatte beeinflussen können, nach Außen hin gab es keine Anzeichen ihres Missmutes und dessen, was sie sich als Konsequenz zurecht legte. Giulia spielte mit dem Gedanken, Lotte zu läutern, doch sie spürte, dass der Zweifel einen Keim in sich trug, der tief in Lotte gesät worden war und es ihr nicht möglich sein würde, diesen zu entfernen. Das Spiel war beendet.



Tödliche Skepsis

Da der Tag bald anbrechen würde, verschob Giulia das Gespräch auf den morgigen Tag und so konnte Lotte aufatmend in ihr Zimmer gehen und wachliegen, um nachzudenken. Hatte sie sich vielleicht wirklich etwas zu viel Panik gemacht? Sie wusste doch noch nicht einmal, ob die Vermutungen stimmten? Sie wusste doch gar nichts im Endeffekt und Zweifel überzogen nun wieder das, worin sie sich hineingesteigert hatte. Es waren nur Vermutungen gewesen, die Antonio verlautbaren ließ und es waren nicht einmal Vermutungen, die abgrundtief böse wirkten, sondern einfach Dinge, die man auch aus der Welt schaffen konnte. Letztendlich war sie in eine Panik reingerutscht, ohne bestimmen zu können, woher diese Panik auf einmal kam. Sie war einfach da gewesen, es war ein Gefühl gewesen, weiter nichts ...

... weiter nichts, als dass eine Schale aufgebrochen wurde, die ihre Zweifel, die ihr Unterbewusstsein über all die Monate hinweg gesammelt haben musste, rausließ. Grausamkeit - nein, das wollte sie nicht, Antonio hatte recht, dass es auf diesem Weg nicht gehen durfte. Wusste Giulia davon? Erschreckender als diese Frage, war allerdings die Erkenntnis, dass sie Antonio wie eine Marionette betrachtet hatte, ohne es zu merken. Sie war einfach davon ausgegangen, dass er tat, was sie sagte, weil Giulia ihr Glauben gemacht hatte, dass er alles für sie tun würde, wie er es immer für sie getan hatte. Ihre Erinnerung war benebelt gewesen, niemals hatte er ihr einen Wunsch abgeschlagen und sie hatte ohne darüber nachzudenken, angenommen, dass er ihr einfach der Sympathie und Gefühle wegen alles erfüllen würde, was sie sich wünschte. Lotte ärgerte sich maßlos über sich selbst und fühlte sich weiterhin schuldig, aber gleichwohl gab sie auch Giulia eine Mitschuld, denn diese hatte sie bekräftigt, sie nicht auf andere Gedanken und Möglichkeiten gebracht, hatte vermittelt, dass es eben genauso laufen sollte - musste - sie war überzeugt, dass es so laufen würde - irgendwie.

Wenn sie diese Möglichkeiten nicht bedachte und nicht einräumen konnte, dann dachte sie womöglich selbst so egozentrisch. Dachte Giulia egozentrisch? Eine Frage, die sie sich nicht wirklich beantworten konnte, aber egal, welche Situation sie mit Giulia erlebt oder besprochen hatte, es war immer so, dass Giulia niemals damit rechnete, dass es nicht so laufen könne, wie sie es sich zusammenspannen. Sie war zu jeder Zeit überzeugt davon, die Leute überzeugen zu können und Giulia war keine dumme Person. Sie war nicht naiv, auch wenn es Situationen gab, in denen sie ihr fehlendes Selbstbewusstsein vorgespielt hatte ...

... Lotte erschrak ob dieses Gedankens. Wie selbstverständlich normal war sie in dieser Sekunde davon ausgegangen, dass diese Unsicherheiten alle gespielt waren. Warum glaubte sie auf einmal, dass diese Frau so falsch war? Sie war ihr doch eine Freundin gewesen ... war sie doch, oder? Lotte dachte darüber nach, was sie von ihr eigentlich wusste und musste erstaunt feststellen, dass sie nichts wusste. Sie selbst hatte Giulia alles erzählt, was sie bewegte und was sie erlebt hatte in ihrem bisher kurzen Leben, sie wusste alles, aber von ihr war nichts dergleichen zurückgekommen. Sie wusste nicht einmal, wie alt die Vampiress war, nicht einmal das. Wieso war ihr nie aufgefallen, dass Giulia viel erzählte, dabei aber alles und nichts aussagte?

Und wie war es mit "die gleichen Mittel anwenden"? Jedes Gespräch, das sie mit Giulia geführt hatte, rückte auf einmal in ein gänzlich anderes Licht und je mehr sie darüber nachdachte, desto mehr war sie davon überzeugt, dass diese Vampiress ein falsches Spiel spielte, auch wenn sie selbst keine Anzeichen dafür gegeben hatte, immer freundlich und zuvorkommend, manchmal sogar schüchtern war ...

"Keine Anzeichen? Bist Du eigentlich bei Trost? Sie hat genügende Anzeichen gegeben, wenn Du noch einmal drüber nachdenkst. Sie hat es zu jeder Zeit geschafft, dass die Vorschläge von Dir kamen, Lotte, sie hat es geschafft, dass Du glaubtest, dass du all diese Vorschläge machst. Sie gab genügend Anzeichen, aber Du warst zu dumm, sie selbst zu erkennen ...", sie wusste, dass es richtig war. Und dennoch brauchte sie Gewissheit. Sie wollte Giulia fragen, sie würde sie einfach fragen und sie darauf ansprechen, dann würde ihr wahres Gesicht vielleicht offenbart werden. "Und was, wenn sie sagt, dass sie daran nicht gedacht habe?" Ja, was dann? Aber Lotte glaubte nicht daran. Wenn Giulia überzeugt war, dass es der richtige Weg war, wobei hier in Frage stand, ob ihre Hintergründe auch wirklich denen entsprachen ... Lotte gab es auf. Sie stellte absolut alles in Frage, alles konnte Lüge oder Wahrheit sein, aber eines war sicher: es war nicht ihr Krieg. Sie wollte keinen Krieg für jemanden anderen ausfechten.

All die Geschichten, die Giulia ihr erzählt hatte, waren so grausam, dass sie überzeugt gewesen war, etwas dagegen unternehmen zu müssen - Zivilcourage - aber sie begriff in diesem Moment, dass sie die Seiten abwiegen und erst, wie Antonio es gesagt hatte, herausfinden musste, was wirklich war und was sie selbst dachte. Eine Erkenntnis, die Lotte für ihr Leben prägte. Niemals wieder würde sie sich ein Urteil über jemanden oder eine Gruppe oder Seite oder was auch immer bilden, wenn sie lediglich von einer Seite hörte, um was es gehen sollte. Sie lernte die erste wirklich wichtige Lektion in ihrem Leben: "Bilde Dir Deine eigene Meinung".

Am nächsten Abend sollte Lotte überhaupt keine Möglichkeit mehr haben, Giulia zu fragen, denn Giulia war nicht da. Sie hatte angewiesen, Lotte nicht aus dem Haus zu lassen, da diese allerdings gar nicht auf den Gedanken kam, allein das Haus zu verlassen, erfuhr sie von der Anweisung nichts. Sie wartete geduldig, bis Giulia wieder zurück war. Wahrscheinlich war sie auf Opfersuche, Lotte war nicht danach, heute zu trinken. Sie verspürte keinen Durst. Viel mehr lief sie im Haus hin und her und hoffte, dass sie ein klärendes Gespräch führen konnte. Die Bediensteten schnitten sie, gingen ihr aus dem Weg und Lotte fragte sich, was in sie gefahren war, ging dem allerdings nicht weiter nach.

Dann hörte sie die Türe und spürte zwei wohlbekannte Auren und erstarrte für einen Augenblick, bevor sie die Stufen zur Vorhalle herunterrannte und mit weitaufgerissenen Augen auf Giulia blickte, in deren Schlepptau von zwei massigen Vampiren, die sie noch nie gesehen hatte, Antonio blutüberströmt aufrecht gehalten wurde. Lotte stieß einen Schrei aus und hielt sich die Hände vor Mund und Nase, bevor sie ihren Blick auf Giulia richtete und begriff, dass alles wahr war, was Antonio prophezeit hatte.

"Es tut mir leid um Dich und ihn," begann sie in einer eiskalten Fasson, die Lotte von ihr überhaupt nicht gewohnt war, "er weiß zu viel und ist eine Gefahr für uns. Du sagtest, dass er sich uns nicht anschließen wollte, Du meintest, er würde Dir sicherlich helfen, das hat er nicht getan. Hätte ich das gewusst, hätte ich Dich gar nicht zu ihm geschickt ...", Lotte fühlte, wie alles in ihr zusammensackte. Sie fühlte die Schuld, die auf ihren Schultern und ihrem Herzen lag, sie hatte Giulia angelogen und diese hatte ihre Schlüsse daraus gezogen. Sie musste ihr die Wahrheit sagen, musste ihr sagen, dass es so nicht war, dass Antonio weggelaufen war, weil sie ihn weggeschickt hatte, dass er niemals etwas sagen würde, dass ... doch Antonio kam ihr zuvor, er konnte kaum sprechen und hob nur schwer seinen Kopf, ohne durch die zugequollenen Augen wirklich etwas sehen zu können. Er ahnte wohl einfach nur, dass Lotte in seiner Nähe war und Giulia mit ihr sprach, zog seine Schlüsse aus den Worten, die sie sprach.

"Glaub ihr nicht, Liebes, glaub ihr nichts ... sie kennt die ...", einer der Hünen stieß seinen Ellbogen an Antonios Kinn, sein Kopf wankte und er spuckte Blut aus, wieder schrie Lotte auf ... "Nicht, tut ihm nicht weh, er kann doch nichts dafür. Giulia, glaub mir, er würde niemals etwas verraten ...", sie rannte die Stufen hinunter doch Giulia gebot ihr Einhalt mit einer flüchtigen Bewegung ihrer Hand, Lotte stoppte, aus Angst, nicht zu wissen, was passierte, wenn sie weiterging. Sie stand nun nur noch einige wenige Schritte von ihr entfernt. "Willst Du sagen, dass Du mich angelogen hast? Willst Du sagen, dass Du nicht überzeugt warst, er würde für uns arbeiten? Willst Du etwa behaupten, ich wäre dieses Risiko eingegangen, wenn Du mich nicht richtig aufgeklärt hättest?"

Giulia versuchte es so zu drehen, dass Lotte alle Schuld auf sich nehmen musste, wollte ihr unmissverständlich sagen, dass sie selbst daran Schuld war, dass Antonio sterben musste, weil er zuviel wusste, weil Lotte selbst die Situation nicht richtig eingeschätzt habe und ein falsches Bild vermittelte und Lotte glaubte ihr ... Lotte nahm die Schuld an, Antonio war in diesem Moment nicht fähig, ihr zu sagen, dass sie sich nichts einreden lassen sollte. "Lass ihn doch vergessen, lass ihn vergessen, bestrafe mich und nicht ihn, er kann doch nichts für meinen Fehler ...", Tränen rannen ihr über die Wangen und Verzweiflung stieg zitternd in ihre Stimme.

"Ja, er kann nichts dafür, das ist richtig, aber ich kann ihn nach dieser langen Zeit nicht mehr vergessen lassen, das ist nicht möglich und Du bist Schuld, dass er jetzt sterben muss ...", Giulia fixierte Lottes Blick und ihre Worte waren wie ein Zeichen für einen der Vampire, seine Zähne in Antonios Hals zu graben und sein Blut zu rauben. "NEIN ...", Lotte preschte vor, wollte es verhindern, doch Giulia setze zum ersten Mal ihre Macht über sie als Ghoul ein und hinderte sie an der Bewegung, hinderte sie daran, in dem sie Lottes Gedanken blockierte und so erreichte, dass sie aus "eigenem" Antrieb nicht in die Szene eingreifen konnte. Verwirrt sah sie zu Giulia, deren Grinsen einfach nur boshaft war.

"Du hast doch nicht geglaubt, dass ein Vampir seinen Schützling nicht unter Kontrolle haben kann, solange er denkt, dass er noch nicht soweit ist ...", Lotte begriff, aber sie begriff auch nicht, viel zu wirr waren ihre Gedanken und die Verzweiflung, Antonio nicht helfen zu können. Sie wollte einen Schritt weiter, doch es ging nicht, ihr Gehirn ließ nicht zu, dass ihre Beine sich bewegten, sendete das entsprechende Signal einfach nicht ab. Sie sank in die Knie und weinte, sie schrie und weinte und sie streckte die Arme in Richtung Antonio, dessen Herz immer unregelmäßiger schlug, bis einer der Vampire ihn einfach zu Boden fallen ließ, sich den Mund wischte und mit dem anderen in einen anderen Raum ging.

Lotte konnte sich wieder bewegen, robbte tränenüberströmt zum halbtoten Körper, der noch seine letzten Atemzüge tat, nahm sein Gesicht auf ihren Schoß ... "Oh Gott, hilf ihm, Giulia, lass ihn nicht sterben, ich fehle Dich an. Ich tue alles für Dich, alles, nur lass ihn nicht sterben ...", und in diesem Augenblick kam ihr die Erkenntnis der Blutstaufe und aufgeregt suchte sie nach einer Stelle an Antonios Handgelenk, um etwas Blut von ihm in sich aufzunehmen, um ihn zu verwandeln, in dem sie ihm dann von ihrem gab ... "Du kannst keine Vampire schaffen, Prinzessin ...", Giulia lachte laut und grausam, "... DU kannst ihm sicherlich nicht helfen ... als Ghoul ...", wieder lachte sie und besah sich die Szene über ihnen stehend.

"Dann tu Du es, verdammt noch mal, lass ihn nicht sterben, lass ihn nicht einfach sterben ... bitte, tu es ...", Giulia sah sie weiterhin kalt an. "Wieso sollte ich? Dass er an Kraft gewinnt und ihr beide versucht, mir mein Leben unbequem zu machen? Sicherlich nicht." Und sie ging den beiden hinterher in den Wohnraum, in dem sie sich aufhielten. "Bringt sie weg, alle beide ...", hört sie sie nur sagen und in diesem Augenblick hörte Antonios Herz auf zu schlagen ...



Weitere Jahre in Dunkelheit

Da war es also, das wahre Gesicht von Giulia. Trotz allem hatte Lotte es bis zuletzt nicht glauben wollen und nun war sie in einem dunklen Verließ eingesperrt, musste sich von Tieren ernähren, die man ihr brachte und konnte nicht über den Gedanken hinweg kommen, dass sie es war, die Antonio auf dem Gewissen hatte. Sie trauerte um ihn in einem Schmerz, der kaum vorstellbar war. Stundenlang weinte sie, bis sie keine Tränen und keine Kraft mehr hatte, ihr einziger Wunsch war, zu sterben, doch dieser Wunsch schien sich nicht so einfach zu erfüllen. Sie wehrte sich gegen das Tierblut, doch ihr Körper berauschte sie des Blutes, welches sie durch die Adern fließen hörte und sie konnte sich nicht dagegen wehren und immer wieder bereute sie danach, dass es nicht möglich war.

Ihre Kräfte ließen nach durch die schlechte und spärliche Blutversorgung, Kräfte, die sie bislang noch nicht einmal vollkommen entdeckt hatte, ihre Haut wurde dünn wie Papier und sie ekelte sich mittlerweile vor sich selbst, weil sie sich hier unten im Kellerloch nicht waschen konnte und der Dreck von Jahrhunderten vom Boden an ihrer Haut kleben blieb, wenn sie im Rausch das Blut nicht säuberlich zu sich nehmen konnte.

Nichts war ihr geblieben, nichts wurde ihr gegeben und je mehr Tage und Nächte einhergingen, desto mehr glaubte sie, dass die Wände sich bewegten, dass die Ratten mit ihr sprachen ... die Wärter, die immer wieder nach ihr sahen, hatten Anweisung kein Wort mit ihr zu sprechen, sie fühlte, wie es sie zermürbte, begann, mit sich selbst und den Steinwänden und Strohhalmen zu sprechen, einmal, als sie aufwachte, wusste sie in dem fensterlosen Raum nicht einmal mehr, wo oben und unten war, weil sie sich im Schlaf auf dem Nachtlager unbemerkt gedreht hatte und orientierungslos die Augen nicht so schnell an die Dunkelheit gewöhnen konnte. Sie sah in der Dunkelheit besser als ein Mensch, doch das Licht fehlte dennoch.

Dass Vampire nur nachts lebten war schwer gewesen für die junge Frau, die die Sonne doch sehr gemocht hatte, doch sie hatte die Freiheit im Nachthimmel gefunden, wenn sie die kühle frische Luft atmen und die Sterne betrachten konnte. Es war ein tröstlicher Ersatz, den Mond zu sehen oder in einen hellerleuchteten Raum zu kommen - nichts davon war hier möglich in diesem Gewölbe voller Gerüchen von alter Erde und Stein, von getrocknetem Blut und Tierkadavern, die zwar weggeschafft wurden, aber manchmal erst zwei oder drei Nächte später, wenn das Fleisch schon Eiter angesetzt hatte.

Lotte wusste nicht mehr, wann es Nacht war, wusste nicht mehr, wann draußen die Sonne schien. Sie konnte nicht sagen, welche Uhrzeit es war und auch nicht, ob es Winter war oder Sommer. Sie verlor jegliches Gefühl der Zeit und jegliches Gefühl für sich selbst. Ihre Gedanken, wenn sie anfangs verzweifelt waren und noch voller Hoffnung, dass sie bald wieder hier raus kommen sollte, waren nun emotionslos, wirr und ohne die überlebenswichtige Hoffnung.

Ja, Giulia hatte ihr wahres Gesicht offenbart - ein Gesicht der Grausamkeit. Lotte spürte Giulia nicht mehr, die Vampiress hatte sie freigegeben, weil sie keinen Nutzen mehr in der jungen Frau sah. Dass sie sie nicht getötet hatte, war für Lotte ein Rätsel, sie hatte sich lange gefragt, warum sie sie am Leben ließ, war dann aber zu dem Schluss gekommen, dass es dafür keinen wichtigen Grund gab. Es konnte nur reine Freude an ihrer Machtausübung sein, reiner Gefallen an der Qual, die sie ihr zufügte - bis sie langsam abstumpfte.

Es war ein Tag oder eine Nacht vielmehr, was gleichgültig war in ihrem Gefängnis, wie jeder andere. Sie schlief oder war wach, sie sprach mit sich selbst oder auch nicht, sie wünschte sich den Tod, oder auch nicht, sie fand sich ab oder auch nicht ... als die Türe sich öffnete und Giulia in das Verließ trat. Lotte sah nicht einmal auf. Ihr Haar hing strähnig in ihr Gesicht und sie lehnte barfüßig an der Wand, hatte die Handgelenke locker auf ihre Knie gelegt und die Beine angezogen.

"Bist Du zur Vernunft gekommen?" Lotte reagierte nicht. Giulia spürte, wie der Zorn in ihr selbst wieder anstieg. "Du wirst gebadet und dann bringt man Dich zu den anderen, wenn Du dich sträubst, landest Du wieder hier." Lotte bewegte sich nicht, nur ihre Lippen flüsterten leise. "Warum tötest Du mich nicht einfach?", es war kein Flehen. "Wo bliebe da der Spaß?", fragte Giulia nur, lachte und ging wieder hinaus. Anstelle ihrer kamen zwei andere Vampire herein. Einer, der ihr manchmal die Nahrung herbeigeschafft hatte und eine Vampiress. Lotte hatte die Augen für einen Moment geschlossen, doch als der große Vampir sie hochhieven wollte, sah sie ihn scharf an. "Nimm Deine Finger von mir, ich kann allein gehen!" Und sie konnte, aber nur schwerfällig, dennoch nahm sie keine Stütze an. Sie fügte sich in ihr Schicksal und auch wenn sie aufbegehrte, war sie eine willenlose Puppe in Giulias Stab, sie würde tun, was man ihr sagte, zu mehr war sie nicht mehr fähig.

Das Licht, das von den Fackeln auf dem Weg ausging, blendete sie sehr und immer wieder musste sie ihre tränenden Augen schließen, während sie sich Stufe für Stufe, abgestützt an der rauen Steinwand, nach oben schob. Sie wurde in ein Zimmer gebracht, in dem ein Zinnwanne aufgestellt war und der große Vampir wartete vor der Tür, während die Vampiress ihr beim Entkleiden und Waschen half, insoweit Lotte sich nicht dagegen wehrte, was sie zumindest zu Anfang versuchte, dann aber aufgab. Sie genoss das warme Wasser auf ihrer kalten Haut und als sie sich abtrocknete wurde ein Mädchen ins Zimmer gestoßen, das sich angstvoll umsah. Lotte schloss die Augen. Sie wusste, es war ein Opfer für sie, sie wusste gleichwohl, dass dieses Mädchen garantiert keiner Fliege jemals etwas zu Leide getan hatte und sie wusste ebenso, dass sie sich nicht dagegen wehren können würde, denn sie hörte jetzt schon den aufgeregten Herzschlag der jungen Frau in ihren Ohren ... und nein, sie konnte sich nicht wehren.

Es vergingen zwei Stunden, bis die Vampiress, die kein Wort mit ihr gesprochen hatte, Lotte aus dem Raum führte. Noch nicht gänzlich so schön, wie sie gewesen war, bevor man sie in dieses Haus, in diesen Keller gebracht hatte, aber wieder ansehnlich genug, sich unter Leute zu wagen, auch wenn sie ein einfaches, anstatt einem teuren Kleid trug. Es wirkte fast wie das Kleid, dass sie vor einigen Jahren von Giulianos Schwester bekommen hatte, ohne, dass sie sich je hatte persönlich bei der jungen Frau bedanken können. Giuliano ... was war wohl aus ihm geworden? Ging es ihm gut? Ging es seiner Familie gut? Was tat er jetzt in diesem Augenblick?

Lottes Gefühl kehrte zurück, war schon zurückgekehrt, als das angenehm warme Wasser sie dazu gezwungen hatte, ihren Körper wieder zu fühlen, kam zurück, als sie sich wehren wollte, das unschuldige Mädchen zu töten, es aber nicht schaffte und danach den Hass fühlte, den sie Giulia entgegenbrachte. Hass, weil diese Person genau wusste, dass Lotte keinen Menschen töten wollte, der nicht annähernd etwas schlechtes getan hatte. Was würde nun geschehen? Sie versuchte sich Giulias Worte zurück in ihr Gedächtnis zu holen. "... dann bringt man Dich zu den anderen ..." hatte sie gesagt ... den anderen ... welchen anderen?

Doch diese Frage sollte hinter der nächsten Flügeltür, die der große Vampir öffnete, und von dem Lotte später nicht einmal mehr sagen konnte, welche Haarfarbe er gehabt hatte, beantwortet werden. Sie wurde in einen Raum gebracht, der sich offen über mehrere hohe Räume erstreckte, mit Büchern, Sofas, Tischen und Stühlen ausgestattet war. Dichte Vorhänge behingen die hohen Fenster, von denen eines offen stand und die Nachtluft hineinließ. Mehrere Vampire und auch Menschen waren in diesen Räumen. Sie sprachen miteinander oder lasen, fast immer zu zweit, manchmal zu dritt. Es waren vielleicht 12 Personen in diesem Raum und fast alle sahen auf, als die Türe aufging, Lotte fast schon leicht hineinschupst wurde und die Tür sich dann hinter ihr wieder schloss.

Zwölf Augenpaare die auf sie gerichtet waren und eine Stille, die Minutenlang anzuhalten schien. Ein junger Vampir löste sich aus dem Schatten eines Regals und kam mit einem freundlichen Lächeln auf sie zu. "Guten Abend, Lotte, ich bin Simeon und für Dich zuständig." Lotte sah ihn irritiert an, konnte aber nichts sagen. Wo war sie hier gelandet? Simeon begleitete sie in eine ruhigere Ecke, als die Leute in diesem Raum ihren Tätigkeiten weiter nachgingen und ihre Unterhaltungen fortführten. Er bat ihr einen Stuhl an und sie setzte sich willenlos und auch etwas überfordert. Sie saßen etwas abseits der anderen zwischen zwei Regalen voller Bücher, um sich in Ruhe unterhalten zu können. Aber wollte Lotte sich unterhalten? Sie sah ihn prüfend an.

Er war ein hübscher Vampir mit goldbraunem, schulterlangem Haar, das er zu einem Zopf mit einem Lederband zusammengebunden hatte, seine Augen waren auffällig dunkelgrün und sie vermochte erst nicht zu sagen, ob nicht auch bernsteinfarbene Sprenkel darin zu entdecken waren, doch das täuschte. Seine gerade Nase fügte sich ansehnlich in sein weichkantiges Gesicht und verlieh ihm etwas weiblich-weiches, ohne an seiner Männlichkeit zu zweifeln zu lassen - im Gegenteil. Sein Kinn war bartlos und sein schlanker Körper, der ihren um etwa einen halben Kopf überragte, steckte in einem modisch weißen Rüschendhemd und einer dunklen Hose aus schwarzbraunen Leder. Er trug einen silbernen Siegelring am linken Ringfinger.

"Warum bin ich hier und was soll das hier sein?" Lotte wollte eigentlich überhaupt kein Interesse zeigen, sie wollte generell überhaupt nichts mehr, aber die Situation war so irritierend, dass sie nicht weiter wusste. Mit allem hätte sie gerechnet, aber nicht mit einem harmonischen Raum, in dem sich junge Vampire und Menschen miteinander unterhielten und sich ihre Zeit vertrieben. "Und wer seid Ihr?" Ja, er hatte sich vorgestellt, aber das reichte nicht. Sie schienen alle Anhänger Giulias zu sein, anders konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie so ruhig einfach hier saßen - in eines von Giulias Häusern saßen und einem Alltag nachgingen.

"Ich bin froh, dass Ihr fragt, Lotte, so will ich Euch erklären. Man sagte mir, ihr könntet Euch sträuben, mir zuzuhören, doch da dem nicht so ist, bin ich natürlich sehr erfreut", und er schien es wirklich zu sein. Lotte ärgerte sich, andererseits war sie froh darüber, dass sie doch nicht so durchsichtig gehandelt hatte, wie man sie einzuschätzen versuchte. Doch wie sie es drehte und wendete, sie fand keinen Standpunkt, an dem sie sich besser fühlte. Egal, wie sie reagiert hätte, es hätte ihr Punktekonto nicht erhöht, ohne zumindest einen Gleichstand zu erzielen. Sie fühlte das Aufbegehren und die Ablehnung in sich, aber war weiterhin zu schwach, diese in irgendeiner Form zu äußern, auch wenn das Blut des Mädchens ihr gut getan hatte.

"Dieser Ort ist eine Zusammenkunft, in der wir junge Vampire ausbilden und auch Menschen für ihre Aufgaben vorbereiten. Wir planen hier Vorgänge, die zu tätigen sind und erledigen die Buchhaltung. Magdalena hier drüben", er deutete auf ein ältere Frau, offensichtlich ein Mensch, mit grauem Haar, das zu einem Dutt gedreht worden war, die soeben einige Pergamentrollen aufrollte und im Schein einer Lampe darin las, "... ist die Ansprechpartnerin der Menschen unter uns und ich für die Vampire." Lotte begriff zwar was er sagte, aber was sie hier taten, war noch immer nicht durchsichtig. "Wenn Ihr also etwas auf dem Herzen habt, dann wendet Euch vertrauensvoll an uns ..." "Vertrauensvoll ... genau ...", Lotte presste die vollen Lippen aufeinander, um sich eines Kommentars zu verwehren.

"Nun, ich weiß, ihr seht vieles nicht so wie Giulia. Auch wir sehen einiges nicht so, wie sie es tut, wir sind nicht mehr oder weniger als Gefangene, wie Ihr es auch seid ...", er hatte ihren Blick bemerkt und sah sie nun eindringlich an, das Lächeln war verschwunden, doch seine Züge waren noch immer freundlich, "... aber je mehr ihr Euch sträubt, desto unangenehmer wird der Aufenthalt für Euch sein, Seniorina", es klang wie eine Drohung aus dem falschen Mund. "Warum flieht Ihr nicht, wenn ihr nicht hinter Giulias Plänen stehen könnt?" Es war die ehrlichste und einzige Frage, die ihr in den Sinn kam.

"Weil sie uns in der Hand hat, weil wir Familie haben und Freunde, eine Frau oder einen Mann, Kinder ... die in Gefahr wären, wenn wir gehen würden. Und wenn es niemanden mehr gibt, dann wird man auch auf ewig verfolgt. Wohin sollte man gehen, wenn man nirgends sicher sein kann. Wohin sollte man gehen, wenn man nicht weiß, welche Möglichkeiten die Welt bietet, weil man aus den eigenen Reihen nie weiter hinauskam?" Er sagte dies alles, als habe er sich schon längst damit abgefunden, als ginge es ihm gut mit dieser Lösung, weil es der einzige Weg war, seine Lieben oder sein Leben zu schützen. Und er hatte recht. "Hier geht es uns gut und solange wir tun, was sie von uns verlangt, kann uns nichts weiter passieren und wir stehen in ihrem Schutz." Es klang paradox, nahezu verrückt. Waren sie denn alle so willenlos?

War es ein Trick? Lotte sah ihn an, versuchte in seinen Augen zu lesen, doch sie fand keine Antwort. Hatte sie eine Wahl? Sie hatte sich schon lange aufgegeben, hatte sterben wollen, doch nun war sie aus dem kargen Gefängnis herausgeführt worden. Sie war nicht mehr in dem stickigen Loch, in dem sie geglaubt hatte, dass die Wände sich bewegten. Sie war draußen und ihr war bewusst, als sie die ersten Schritte aus dieser Tür getan hatte, hatte sie sich entschlossen zu leben, gleich, was auch immer passieren würde. Sie schloss die Augen, als Tränen in ihnen brannten, und wandte den Kopf ab.

Es war gleich, was es hier gab. Es war alles besser als dieses Verließ - alles, sogar die Hölle, sie war sich sicher, auch wenn sie schon als Mensch aufgehört hatte, an die Hölle zu glauben. Sie hatten den wahrhaftigen Teufel kennengelernt und es war ein Vampir, eine Frau mit einem Namen, deren Grausamkeit sie nur erahnen konnte, was allerdings schon lange alle Vorstellung überstieg. Sie dachte an Giuliano, an seine Familie und daran, dass sie Giulia von ihnen so ausführlich berichtet hatte, so begeistert von ihnen war. Sie dachte daran, wie sie sich dabei ertappt hatte, dass sie glaubte, sogar etwas verliebt in den jungen Mann zu sein, der ihr aus ihrer misslichen Lage so selbstlos geholfen hatte.

Dachte daran, dass sie auch das Giulia erzählt hatte. Sie konnte nicht fliehen, auch wenn sie es in Kauf genommen hätte, auf der Flucht zu sein. Sie konnte es nicht tun, weil sie wusste - jetzt, durch Simeons Worte ohne Nachzufragen wusste, dass Giuliano noch am Leben war und dass sein Leben das Pfand war, welches Giulia in ihren Händen hielt, damit sie blieb. Sie wusste, dass Lotte sein Leben nicht gefährden würde. Erleichterung überkam sie, aber gleichzeitig eine unbändige Wut über die aussichtslose Lage, diese Erpressung, diese Gefangenschaft. Er schien ihre Gedanken erraten zu können ...

"Es geht ihnen gut. Ich kann Dich zu ihrem Haus führen, dass Du sie sehen kannst. Sie wird ihnen nichts tun, wenn Du Dich an die Regeln hältst ...", abermals klang es wie eine Drohung, widersprüchlich zu seiner Tonlage und dem sanften Ausdruck in seinem Gesicht. Lotte nickte. Sie wusste, dass es dieser von ihr so geliebte Familie gut ging, aber sie wollte Gewissheit und diese sollte sie bekommen.

Simeon führte sie noch in der selben Nacht zu ihrem Haus und sie konnte sie alle sehen ... sie konnte an ihren Auren spüren, dass es ihnen gut ging und sie verspürte einen Schmerz der Sehnsucht, der ihr die Tränen in die Augen trieb. Lotte erinnerte sich an die Gastfreundschaft, daran, wie herzlich und selbstverständlich sie sie aufgenommen hatten, ohne dass sie nur das Geringste von ihr wussten. Sie hätte alles sein können - eine Diebin, eine Betrügerin, eine Mörderin - sie hatten sie einfach aufgenommen, nass und kalt wie ihr Körper war, hatten sich um sie gekümmert und hätte es noch viele weitere Tage getan, wäre sie nicht auf Giulia getroffen.

Giulia ... Giulia hatte sie in der Hand, wie sie alle in diesem Haus in der Hand zu haben schien und sie fragte sich, wer es bei Simeon war, doch sie sprach diese Frage nie aus. Sie fügte sich, wie Giulia es von ihr wollte. Sie hatte die Ewigkeit. Irgendwann würde diese geliebte Familie alt werden und sterben, auch wenn es ihr das Herz zeriss, wenn sie daran dachte, doch dann gab es nichts mehr, das sie halten würde, dann würde sie gehen - so dachte sie, bis ihr einfiel, dass Giuliano heiraten würde, dass Angelina und auch ihr Bruder größer wurden, Familien gründeten und dass diese Kinder haben würden. Kinder und Kindeskinder und dass sie nicht verantworten konnte, dass Giulia sich an ihnen vergriff, auch wenn sie sie nicht kannte. Sie waren die Familie der Familie, die sie liebte - sie waren die Nachkommen, diejenigen, in denen diese lieben Menschen weiterlebten ... es schien ein Teufelskreis zu sein und kein Entrinnen zu geben. Das war der Punkt an dem Lotte ihren letzten Rest Widerstand aufgab.

Sie fügte sich den Regeln, sie erhielt Missionen und wenn sie glaubte, sich gegen diese sträuben zu müssen, wurde sie vehement daran erinnert, was auf dem Spiel stand und sie hasste es - sie hasste, dass Giulia sie in der Hand hatte und sie keine Möglichkeit hatte, sich zu wehren. Allerdings fügte sie sich nicht ohne immer wieder nach anderen Möglichkeiten zu suchen, aus ihrer misslichen Lage zu kommen. Doch sie erkannte sehr schnell, dass dies erst geschehen konnte, wenn sie das Vertrauen von Giulia wiedererlangte, so sehr es sie auch widerstrebte. Sie musste "aufsteigen", sie musste ihre Fähigkeiten trainieren und versuchen, alles verbergen oder überspielen zu können, was sie auch nur im Ansatz verraten könnte und sie arbeitete hart daran. Sie entwickelte eine Disziplin, die sie widerstandsfähig gegenüber vielem werden ließ, solange es nicht andere betraf.

Doch auch hier musste sie die Zähne zusammenbeißen und lernen hinzusehen, ohne Mitleid zu zeigen, auch wenn es ihr das Herz zerriss, wenn sie mit ansehen musste, wie Unschuldige gequält und getötet wurden, nur weil sie "der Sache" im Weg standen. Sie musste selbst Unschuldige töten, um das Vertrauen von Giulia zurückzugewinnen und es war ein Kampf, der mehrere Jahrzehnte andauern sollte.

Simeon versuchte in dieser Zeit immer wieder ihr Vertrauen zu gewinnen, doch Lotte vertraute niemandem, der unter Giulia diente, denn sie erkannte sehr schnell, dass es einige gab, die es aus Überzeugung taten und nur vorspielten, dass sie es sähen, wie Lotte es beispielsweise sah: als Erpressung. Viele musste nicht erpresst werden, so viele, dass Lotte bald niemandem mehr vertrauen konnte, weil sie nicht wusste, wer ehrlich war und wer nicht. Und darunter zählte auch Simeon.

Von Anfang an hatte er ihr erzählt, wie es für ihn war, hatte ihr Glauben gemacht, dass er so dachte, wie sie, aber sich fügte. Sie war zeitweise mehr als überzeugt davon, dass er ihr nur etwas vorspielte, weil er den Auftrag hatte, an Lotte heranzukommen, um sie auszuhorchen, um erfahren, wie sie wirklich dachte, wie sie wirklich fühlte, denn bald schon war es nicht mehr möglich, dass man es aus ihrer Aura ablesen oder in ihren Gedanken aufgreifen konnte und in der Zeit, in der dies noch möglich war, hatte sie mit eiserner Disziplin versucht, falsche Gedanken und Gefühle zu verstreuen - offensichtlich war es ihr gelungen.

Es dauerte seine Zeit und sie musste so viel Leid mit ansehen, so viele Ungerechtigkeiten, ohne einschreiten zu können, dass ihr Hass auf Giulia ins Unermessliche wuchs. So groß wurde, dass sie alles daran setzen wollte, diese Frau von dieser Welt zu verbannen. Sie war eine Gefahr - eine Gefahr für die Menschen und Vampire und all das, was sie ihr hatte Glauben machen wollen, dass andere es waren, verkörperte sie selbst. Lotte brauchte einige Zeit, um sich damit abzufinden, was ihr nicht gänzlich gelang, dass sie sich so sehr hatte täuschen lassen und dass sie überzeugt war, für die richtige Sache einzutreten. Sie schämte sich zeitweise sogar so sehr dafür, dass sie sich nächtelang in den Schlaf weinte. Doch auch diese Zeit ging vorbei.


Prüfungen

Als Simeon eines Nachts zu ihr kam und ihr sagte, dass er gedachte wegzulaufen, sah sie ihn skeptisch an, suchte, wie schon sooft, in seinen Augen eine Antwort und fand sie nicht.

Sie musste vorsichtig sein. Simeon schien es allerdings ernst zu sein und dennoch brachte er sie eine überaus verhängnisvolle Lage. "Denke an die Menschen, die Du liebst, an ihre Nachkommen, denke daran, dass Du sie töten wirst, wenn Du das tust ...", sagte sie vorsichtig - genau die Worte, die er anfangs sooft zu ihr gesagt hatte. "Die Menschen, die ich liebe, sie gibt es nicht mehr, es ist zu lange her, als dass sie noch leben könnten und über ihre Nachkommen möchte ich nicht nachdenken. Ich kann doch nicht mein Leben - meine Ewigkeit damit verbringen, in dieser Gefangenschaft zu leben, ich kann einfach nicht mehr und ich will es auch nicht ...", verzweifelt sah sie ihn an. "Warum erzähltst Du mir das, warum?", verstand er wirklich nicht, in welche Lage er sie brachte? Wie sollte er auch ...

Sie hatte einen Plan, solange verfolgte sie diesen schon, sie war aufgestiegen, hatte wieder Kontakt zu Giulia und sie stand auf unsicherem Posten. Giulia prüfte sie mit kleinen Missionen, prüfte immerzu, wie loyal Lotte ihr gegenüber war, weil sie in ihrer Aura und ihren Gedanken nichts mehr von Lotte ungewolltes lesen konnte. Das hatte sie stutzig gemacht, aber andererseits war es die Aufgabe ihrer Leute gewesen, jeden einzelnen Vampir in seiner Perfektion auszubilden und somit musste sie zwangsläufig auch damit rechnen, dass ihr selbst einige Dinge verwehrt blieben. Nicht nur einmal verfluchte Giulia, dass sie Lotte als Ghoul so früh entlassen hatte. Gerade sie, der sie diese großen Aufgaben von Anfang an zugedacht hatte, gerade sie war es, die sie nicht zu durchschauen vermochte - nicht mehr.

Und diese Situation brachte Lotte in eine Lage, die einfach unbegreiflich schlimm war. Sie hatte Simeon gern gewonnen, auch wenn sie ihm nie vertraut hatte. Sie hatte ihn so gern gewonnen, dass sie auch schon das Bett mit ihm geteilt hatte - das erste Mal auch mit ihm verbrachte. Er warb um sie, doch sie ließ ihn gefühlsmäßig nicht näher an sich ran. Sie mochte den Simeon, den sie erlebte, den sie sah, den sie wahrnehmen konnte, aber die Angst, dass er ihr etwas vorspielte, war zu groß, als dass sie sich auf alles andere hätte einlassen können. Immer behielt sie im Hinterkopf, dass er ihr etwas vormachten könnte und dass es nur ein Test war. Ein Test, wie sie wirklich dachte, wenn sie ihm vertraute und ihm ihre Gedanken und Gefühle auch anvertraute.

Und jetzt? Jetzt erzählte er ihr, dass er weglaufen wollte, nahm seine eigenen Argumente nicht mehr an und sie spürte, dass sie ihn von diesem Vorhaben nicht abbringen konnte. Sie musste sich entscheiden - er brachte sie in die Lage, in der sie sich entscheiden musste ... wenn er immerzu ehrlich zu ihr gewesen war, wenn der Simeon, den sie kennengelernt hatte, wirklich echt war, dann wünschte sie ihm nichts sehnlicher als seine Freiheit, würde den Mund halten, ihn nicht verraten und nichts sagen. Niemand würde erfahren, dass er sich ihr anvertraut hatte und sie konnte weiterhin ihrem Plan folgen.

War allerdings nicht echt, war er nur ein Spion Giulias, wofür es bisher nicht auch nur ein Anzeichen gegeben hatte, was sie allerdings mit Giulias Genialität erklärte, und würde sie ihn gehen lassen, ohne zu Giulia zu gehen, und ihn zu verraten, würde sie sich selbst verraten und ihre ganze Mission scheitern lassen. Alles, wofür sie die letzten Jahre hart gearbeitet hatte, wäre von einem Moment auf den anderen nichts mehr wert, nichts ... absolut gar nichts und wahrscheinlich würde es sich niemals wieder richtig biegen lassen. Zeit war für einen Vampir im Grunde nichts, aber diese Zeit wäre verlorene Zeit gewesen und sie hatte schon einmal Giulias Vertrauen verloren, sie wollte es jetzt, da sie es fast wieder so weit gebracht hatte, nicht noch einmal verlieren.

"Ich vertraue Dir. Ich vertraue Dir und mag Dich, und ich habe das Gefühl, dass ich es Dir schuldig bin, nicht einfach über Nacht zu verschwinden, ohne Dich zu fragen, ob Du mit mir kommen möchtest. Ich bin sicher, wir können es schaffen." Er verlangte viel und er verlangte vor allem alles ... sie wandte ihren Blick ab und setzte sich auf das Mauerstück der Terrasse, auf der er sie gefunden hatte. Sie blickte sehr oft hoch in die Sterne, suchte den freien Himmel und hielt es nicht lange in einem Raum aus, ohne sich nach der Freiheit in ihrem Herzen zu sehnen.

"Stelle mich doch nicht vor diese Wahl ...", flüsterte sie mehr zu sich selbst, als zu ihm. Wie sollte sie entscheiden? Was konnte sie tun? Oder eher: was sollte sie tun? "Komm mit mir, Lotte, ich bin sicher, dass Du auch nicht hier sein möchtest, ich bin sicher, auch wenn Du es nicht sagst, dass Du Giulia hasst, wie ich sie hasse, komm mit mir, wir haben nichts mehr zu verlieren. Die Menschen, die wir kannten, sie sind tot und sie kann uns nicht zwingen zu bleiben ... wir können doch nicht unser Leben herschenken für alle Ewigkeit - für Leute, die wir schon lange nicht mehr kennen?" Er nahm ihre Hände. Sie ließ es zu. Für einen Moment, dann sah sie ihn entschlossen an.

"Nein, Du irrst Dich. Simeon, es tut mir leid, ich mag Dich sehr, das weißt Du, aber Du irrst Dich. Ich bin mittlerweile aus freien Stücken hier, ich kann und ich möchte nicht mit Dir gehen und ich möchte auch nicht, dass Du gehst ...", sie hatte keine Wahl und ihre Entscheidung war gefallen, so sehr es sie auch schmerzte. Die einzige Möglichkeit, die blieb, war, ihn dazuzubringen, dass er ebenfalls blieb, dass er blieb und sie das nächste Mal, wenn er gehen wollte - WIRKLICH gehen wollte, einfach nicht mehr einweihte.

"Ich kann nicht, Lotte, ich kann nicht bleiben ...", Lotte sah ihn gequält an. Wie konnte sie ihm nur begreiflich ... sie brach ihren Gedanken abrupt ab. Er würde in keinem Fall von seinem Plan Abstand nehmen, wenn er von Giulia gesandt war. Er hatte so oft beteuert, dass er verliebt in sie sei - wie groß konnte diese Liebe sein, wenn er ohne sie ging und nicht mit ihr blieb? Doch wie sollte sie es einschätzen? Sie hatte sich der körperlichen Lust mehr als einmal mit ihm hingegeben, doch sie hatte seine Gefühle nie erwidert, sie hatte ihn immer wieder von sich gestoßen, ihm gesagt, dass das alles war, was sie ihm jemals geben könne. Er hatte vielleicht aufgegeben, sagte sich, dass er nicht ewig einer Frau hinterherlaufen konnte, die ihn nicht wollte, die ihm nicht so viel geben wollte, wie er ihr.

"Ich kann auch nicht - und ich will nicht gehen", sie löste seine Hände aus ihren und stand auf. Es brauchte viel Kraft, doch sie schaffte es, hart zu bleiben, an ihr Ziel zu denken und sich nicht beirren zu lassen. "Wenn Du nicht bleibst, werde ich Meldung machen müssen, das ist Dir klar?" Sie wirkte kalt, doch alles in ihr weinte, schrie und tobte, sie erlitt bei diesem Satz mehr Schmerzen, als sie in all den Jahren hatte erleiden müssen. "Das kannst Du nicht tun ... Du bist nicht so, das kannst Du nicht, ich weiß, dass Du sie hasst, ich weiß es, ich sehe es Dir an ...", doch sie wusste, dass er nichts sah und wandte sich ab. "Ich gehe auch, wenn Du es ihr sagst ...", rief er hinterher, weil er wusste, das niemand in Hörweite war. Sie wandte sich nicht mehr zu ihm um.

Schweren Herzens und in der Hoffnung, dass sie sich nicht täuschte, ging sie zu Giulia, die im anderen Flügel des riesigen Hauses wohnte, welcher sich damals als palastähnliches Gebäude etwas außerhalb von Venedig entpuppt hatte, und berichtete ihr, auch wenn sie sich gerne die Zunge abgebissen hatte. Giulia ließ sich nichts - rein gar nichts anmerken - und dankte ihr lediglich, schickte sie weg und Lotte erlitt qualvolle Tage, in denen sie glaubte, dass sie sich geirrt hatte. Simeon war verschwunden, doch das Gerücht, dass Giulia ihn gefasst hatte, hielt sich hartnäckig und sie machte sich große Vorwürfe. Sie hatte ihn verraten, sie hatte einen von den ihrigen verraten und keine Gnade gezeigt, wie Giulia auch keine Gnade zeigte. Sie weinte um den Freund, den sie verloren hatte und sie weinte darum, dass sie Schuld daran war. Sie verdammte ihr Misstrauen und verdammte sich selbst.

Einige Zeit suchte sie in religiösen Büchern ihren Frieden, weil sie glaubte, dass es half, wenn sie die menschlichen Schriften über deren Glauben studierte. Sie suchte nach Erlösung, suchte nach Gnade, suchte nach Befreiung von der Schuld, die sie trug, doch je mehr sie las, desto mehr wurde ihr bewusst, dass die Kirche eine Lüge war, dass das Erbarmen, das die Kirche den Menschen verkaufte, nichts war, bis auf Geldmacherei. Vor allem, wenn sie die Ablassverkäufer erlebte - zufällig, weil sie durch die Straßen ging und auf Opfersuche war - die nach Sonnenuntergang damit angaben, wie viele Ablässe sie den dummen Menschen verkauft hatten. Einige glaubten wirklich daran und sahen ihre Arbeit als Mission, doch es gab nun einmal auch solche, die nur einen Gläubigen spielten, weil es für sie Vorteile brachte. Sie konnte keinen Frieden mit sich finden, aber sie musste und so versuchte sie damit zurecht zu kommen, unter Qualen, aber immer mit dem Ziel vor Augen, es zu schaffen. Dennoch ließ sie die Schuld nicht los ...

Es gab Tage, an denen sie aufgeben wollte, Tage, an denen sie hoffte, dass sie einfach gehen konnte. Sie zweifelte an allem, an jedem und vor allem an sich selbst. Erst Wochen später ließ Giulia sie zu sich rufen. Simeon stand mit ihr im Empfangszimmer und grinste sie an. Fast hätte sie ihrer Wut Ausdruck verliehen, wäre auf ihn gestürzt und hätte ihm Vorwürfe gemacht, wie er sie hätte so leiden lassen können. Doch sie hielt sich rechtzeitig zurück. Sie hielt sich zurück und musste schnell denken, denn sie spürte, es war die letzte große Prüfung, die Giulia ihr auferlegt hatte. Sie verstand in Bruchteilen von Sekunden, dass die Prüfung noch nicht zuende war. Wäre sie auf Simeon gestürzt und hätte ihm Vorhaltungen gemacht, sie hätte sich verraten. Hätte verraten, wie sie sehr sie sich gequält hatte all die letzten Wochen, hätte gezeigt, dass sie ein Spiel spielte, wie Giulia ihre Spiele spielte. Lotte zwang sich zu einem Lächeln, zwang sich dazu, ihre Aura ruhig zu halten und die Qual in ihrem Inneren zu verbannen.

"Simeon, ich bin so erleichtert, dass ich mich nicht in Dir getäuscht habe ...", sie strahlte ihn an und ging einige Schritte auf ihn zu, er kam ihr ebenso strahlend entgegen. "Das gleiche kann ich auch behaupten, glaub mir, es war eine lange Farce und ich hätte Dich so gerne eingeweiht ...", sie umarmte ihn innig. "Verzeih uns die Prüfungen, ich bin sicher, Du verstehst, dass wir sicher gehen mussten ...", Lotte nickte ihn lächelnd an und hielt seine Hände, während sie weiterhin lächelnd zu Giulia blickte, die sehr zufrieden aussah.

"Ich habe Dir gesagt, ich stehe hinter Dir, weil ich begriffen habe, dass Du recht hast ...", sie wusste, sie durfte nicht zu viel sagen, nicht zu hoch greifen ... "Ich bin noch immer sehr betroffen wegen Antonio ...", gab sie dann zu, "... doch ich weiß seit geraumer Zeit, dass es einfach nicht anders möglich war. Er hätte die Mission wirklich geschädigt, ich bin sicher ...", Giulia nickte. Es schien, als habe sie diese Prüfung wirklich bestanden und innerlich atmete sie auf, auch wenn der Druck, der auf ihr lastete immer größer zu werden schien. Das Lächeln auf ihren Lippen brannte Lügen in ihr Herz, doch sie wusste, sie musste dieses Spiel spielen, solange es ging, bis sie endlich wirklich frei sein konnte und sie würde auf der Hut bleiben, denn sie würde niemals sicher sein können, dass nicht jeder einzelne Auftrag eine weitere grausame Prüfung war ...



Mission: Dante Scirea

Und es sollten noch einige Prüfungen folgen. Jeder Auftrag, den sie erledigte, übertraf den vorherigen in seiner Grausamkeit und in jeglicher Ungerechtigkeit. Jeden Menschen, den Lotte überzeugen musste, war ein unschuldiges Opfer, bei jedem Kind, dessen Mutter oder Vater sie beraubte, stand sie in der Schuld - in einer ewigen Schuld, die sie niemals wieder gut machen konnte. Viele von den Unfreien begannen sie zu hassen, wie sie Giulia hassten und nun auch Simeon, als deutlich wurde, dass er schon lange ein höriger Lakai ihrer war und ihnen immer etwas vorgespielt hatte.

Lotte konnte jeden einzelnen von ihnen gut verstehen. Sie wurde in die Position Simeons gestellt, Neuankömmlingen in anderen Flügeln zur Seite zu stehen, wie Simeon es Jahre lang bei ihr getan hatte und sie hatte die gleichen grausamen Prüfungen zu vollziehen, wie er es bei ihr tat. Es kostete nicht nur Überwindung, sondern auch ein Stück ihres Herzens. Sie verlor es im Kampf um die Gerechtigkeit, weil sie ebenso grausam sein musste, wie Giulia es war. Mit jedem Tag mehr wünschte sie sich, dass es aufhörte, dass sie einfach irgendwann frei war und nichts mehr tun musste - sie wünschte sich Giulias Tod.

Und abermals vergingen Jahre, bis sie der Arbeit zugedacht wurde, für die Giulia sie vor über 100 Jahren ausgesucht hatte. Endlich schien sie soweit zu sein, zu glauben, dass Lotte ihr treu ergeben war, unterstützt mit Simeons Zuspruch, den Lotte warm hielt, ihm endlich eine Liebe vorgaukelte und unter Hass mit ihm schlief. Sie mochte seine Zärtlichkeit und seine ruhige Art, aber sie hasste alles und jeden dafür, vor allem ihn und noch viel mehr Giulia, dass er auf der falschen Seite stand. Und sie erlitt emotional die schlimmsten Qualen, die man sich vorstellen konnte - lebte in ständiger Angst, konnte sich niemandem, absolut niemandem anvertrauen und musste Dinge tun, die ihr so sehr widerstrebten, dass sie jedes Mal Tausend Tode starb.

Giulia hatte dafür gesorgt, dass niemals nach Außen drang, wer Lotte war. Sie wurde unter Verschluss gehalten, wie ein geheimer Schatz und bald wurde sie auch von allen unter Verschluss gehalten, die sich Giulia angeschlossen hatten. Allen bis auf sie selbst und Simeon. Giulia wollte verhindern, dass sich irgendwer an sie erinnerte, inszenierte ihren Tod, dass niemand mehr, der entwischte, ihren ärgsten Feinden von Lotte berichten konnten, ihr beschreiben konnte, wie sie aussah oder überhaupt an sie dachte. Bei allen, bei denen es möglich war, löschte Giulia Lotte aus den Gedächtnis. Die Mission war zu wichtig, als dass sie Gefahr laufen konnte, dass ihre Erzfeinde den Hauch einer Ahnung davon bekamen, dass sie für Giulia arbeitete.

Und nach weiteren Jahrzehnten war endlich der Augenblick gekommen, in dem diese Mission beginnen sollte. Lotte wusste nicht, ob es nun endlich ein Ende haben würde, sie setzte alle Hoffnung darauf. Sie war die letzten Jahre darauf geschult worden, was sie tun sollte, war informiert worden, wie wichtig diese Mission war und sie wusste, dass es eine entscheidende Mission sein musste. Sie sollte sich bei Dante Scirea einschleichen, sollte sich als Vertraute verkaufen, sollte bei ihnen leben und berichten, sollte von ihren Vorhaben erzählten und sie bis ins letzte Detail ausspionieren. Sie hatte Dante Scirea niemals gesehen, sie hoffte inständig, er würde ihr glauben, wenn sie ihm erzählte, wer sie war und was sie tun sollte.

Sie würde ihm anbieten, ihm alles zu erzählen, was sie wusste, wenn er sie nur schützte und außer Land schaffte, sie von Giulia fernhielt ... es war ein Freiheitskampf, der bevorstand. So lange hatte Lotte auf diesen Augenblick gewartet und jetzt schienen die letzten Augenblicke, die es noch dauern sollte, unerträglich zu sein. Und sie hatte Angst, auf einmal Angst und Zweifel, ob es so klug war, das alles zu riskieren. In all den Jahren, in denen sie versucht hatte, sich zu verstellen, in denen sie um diesen Augenblick gekämpft hatte wie eine Löwin um ihre Jungen, hatte sie verlernt zu vertrauen. Wie sollte sie einem Mann vertrauen, den sie nicht kannte, den sie niemals zuvor gesehen hatte - wie sollte sie ihm vertrauen können, wenn sie überhaupt nicht wusste, wie das ging - vertrauen - nicht mehr wusste, wie es sich anfühlte, jemandem zu vertrauen.

Lotte musste sich zusammen nehmen. Sie rief sich selbst zur Ruhe, denn sie durfte auch jetzt nicht riskieren, in eine erneute Falle zu laufen. Die Mission war zu wichtig und sie war sicher, dass Giulia ebenso wenig überhaupt jemandem komplett vertraute, wie sie. Auch wenn es bei Giulia so war, dass sie deswegen nicht vertraute, weil sie selbst nicht vertrauenswürdig war. Lotte allerdings hatte berechtigte Gründe, niemandem vertrauen zu können, wenn es mit Giulia zusammen hing.

Und so ging sie unsicher ihrer Aufgabe entgegen. Sie trat in Kontakt mit einem sehr alten Vampir, den sie für Dante halten musste, weil er sich so nannte und weil Giulia sie zu ihm geführt hatte, ohne sich zeigen zu lassen. Sie wusste nicht, ob er es wirklich war, sie wusste nicht, ob sie ihm vertrauen sollte oder ob es wieder jemand war, der wie Simeon jahrelang fähig war, eine Rolle zu spielen, nur um sie zu täuschen. Wieder einmal wurde ihr bewusst, dass für einen Vampir die Zeit niemals eine Rolle spielte. Wäre es eine menschliche Mission gewesen, hätte man nach einiger Zeit davon ausgehen können, zu wissen, ob es echt war oder nicht, so aber nicht hier.

Es war unglaublich und grausam, es war ein stetiger Wechsel von der Suche nach der richtigen Gelegenheit und dem Gefühl, nichts erzählen zu dürfen und alles, was sie erfuhr, an Giulia weiterleiten zu müssen. Giulia wusste, was sie tun musste, um ihre Leute gefügig zu machen, sie sicherte sich nach jeder Seite ab und ihre Methode war, es zu schaffen, dass man niemandem vertrauen konnte und sich auf nichts und niemanden verlassen durfte.

Manchmal glaubte Lotte wirklich, es wäre besser, sie würde ihr Ziel aufgeben und einfach wirklich auf Giulias Seite "ziehen", dann musste sie sich nicht mehr mit solchen Fragen quälen und konnte endlich zur Ruhe kommen. Seit über 100 Jahren stand sie unter ständiger Anspannung, unter ständigen Zweifeln und ständiger Angst, entdeckt zu werden. Das alle verbrauchte langsam, aber sicher ihre kompletten Kraftreserven und sie wünschte sich nichts mehr, als endlich zum Ende kommen zu können - zur Ruhe. Nicht selten dachte sie, dass der Tod wirklich die beste Lösung sein musste und doch hielt sie die Hoffnung mit dem Kopf über Wasser und sie funktionierte weiter und weiter und sie sah kein Land, sah kein Ende des Tunnels, kein Licht.

Auch jetzt nicht, da sie seit über zehn Jahren im Haus des vermeintlichen Dante Scirea lebte, seine Schreiberin mimte und zu jederzeit Informationen aus dem Haus zu Giulia schaffte. Sie konnte es sich nicht leisten, auszuwählen und es tat ihr jedes Mal weh, wenn sie glauben musste, dass es wirklich DER Dante war, den sie seiner Informationen und guten Taten bestahl, um sie an die falsche Seite zu übermitteln. Sie konnte nicht riskieren, dass eine Information "unterging", denn Giulia, sollte sie sie wirklich vor eine Prüfung stellen - schon wieder - musste sie diese Prüfung bestehen. Sie wusste nicht, worauf sie wartete, wusste nicht, ob es jemals einen Moment geben würde, in dem sie sicher sein konnte, dass sie sich der richtigen Person anvertraute. Sie fand einfach keine Situation, die ihr eindeutig bestätigen konnte, dass er war, wer er war ... keine einzigen.

Und es sollte noch etliche Jahrzehnte dauern, bis sich endlich herausstellte, dass sie gut daran getan hatte, sich nicht zu verraten, denn es kam abermals die Situation, dass Giulia sie zu sich bestellte und besagt vermeintlicher Dante nun neben Simeon stand und grinste. Es war ermüdend. Dieses Mal empfand sie es einfach nur noch als ermüdend, dass sie Recht behalten hatte mir ihrer Unsicherheit und sie ließ ihrem Ärger Luft, auf eine Weise, die ihr vielleicht genau den Respekt einbrachte, den sie ständig zu erlangen versuchte.

"Ich bin es Leid, Giulia. Du solltest langsam wissen, dass Du mir vertrauen kannst. Ich bin es Leid für nichts und wieder nichts jede Nacht daran zu glauben, dass ich für eine wichtige Sache eintrete, letztendlich aber nichts weiter tue, als Spielchen spielen. Ich habe keine Lust mehr ...", für diesen Moment gab sie auf, ging aus dem Empfangszimmer, schmiss lautstark die Tür hinter sich ins Schloss und ließ die drei zurück. Sie ging in ihre Räumlichkeiten und warf sich aufs Bett, weinte und wusste nicht mehr, wie sie das alles aushalten sollte und ertragen.

Sie konnte nicht mehr und sie wollte auch nicht mehr und sie schwor sich, dass sie in die Sonne treten würde, sie schwor sich gleich am nächsten Morgen einfach zu sterben, dann konnte sie selbst kein Unglück mehr anrichten, weil sie ein Spiel spielen musste, um ihre Freiheit wieder zu erlangen, was niemals auch nur eine Chance auf Erfolg hatte. Und doch hielt sie eine Sache zurück: sie wollte nicht unfrei sterben. Sie wollte nicht sterben, ohne noch einmal frei gewesen zu sein, sie hatte ein Ziel, auch wenn sie sich dagegen sträubte, alles in ihr begehrte dieses Ziel, sehnte sich danach und sie wusste, sie würde weiter versuchen, es zu erreichen ... egal wie wenig Kraft ihr blieb.

Und trotz, dass sich nicht viel geändert hatte, so war es doch eine Kleinigkeit. Giulia behandelte sie respektvoller als zuvor. Niemand stellte ihr so entgegen und sie war annähernd geneigt, ihr wirklich ein gewisses Vertrauen entgegen zu bringen. Lotte konnte nicht im Ansatz sagen, dass sie es geschafft hatte, denn auch das konnte eine Hinterlist sein, um sie in falscher Sicherheit zu wiegen. Es war ihr nicht möglich, zu vertrauen, niemandem, nicht einmal dem Mütterchen auf dem Markt, nicht einmal dem ...



Das Gefühl des Vertrauens

Lotte weigerte sich über Wochen hinweg, irgendetwas für Giulia zu tun. Sie fühlte sich nicht in der Lage, diese Anstrengung weiter auf sich zu nehmen und erklärte ihre Zuwiderhandlungen damit, dass sie nicht für jemanden arbeiten wollte, der ihr nicht vertraute und sie Jahrzehnte für nutzlose Dienste einsetzte. Simeon versuchte auf sie einzureden, versuchte Erklärungen zu finden, die sie umstimmten, versuchte sich ihr zu nähern, doch sie wies ihn ab und sie würde ihn auch die nächsten Jahrzehnte abweisen. Sie nahm es als guten Grund, ihn nicht weiter zu umschwänzeln. Es war für sie die beste Möglichkeit, sich einer Last zu befreien, einer Last, der sie der Hurerei gleichsetzte, weil sie sich immer nur zum Schein auf ihn eingelassen hatte. Simeon schien ehrlich verletzt. Das erste Mal seit fast 200 Jahren, dass sie dachte, dass diese Verletzung, die er vor ihr nicht verbergen konnte, auch wenn er es versuchte, ehrlich gemeint war.

Doch was nutzte ihr das? Nichts - aber es brachte sie auf den Weg zurück zu ihrem Ziel. Das Gefühl ihm in dieser so kleinen Sache, die für ihn natürlich keine Kleinigkeit war, vertrauen zu können, war für die rothaarige Vampiress von unschätzbarem Wert. Das Gefühl, glauben zu können, was sie sah oder was man ihr erzählte, war so unbegreiflich schön, so befreiend, dass sie fast schon dankbar gewesen wäre, aber es war nun einmal Simeon, es war nun einmal eine Kleinigkeit und so wurde diese dadurch getrübt, dass sie sie mit niemandem teilen konnte, außer mit sich selbst.

Irgendwann stand sie einfach aus dem Bett auf, ohne einfach nur ein Opfer zu suchen. Sie stand auf, nahm ein Bad, zog sich an und ging zu Giulias Gemächern. Sie ließ sich anmelden und bekam Einlass. "Ich denke, ich bin soweit", sagte sie schlicht und Giulia nickte. "Das hat auch lange genug gedauert."



Die Mission

Alles sollte wieder zum Alltag werden, die kleinen Prüfungen, die Laster, die Leiden, doch sie hatte sich von Simeon abgewandt, der ihr anfangs noch sehr oft, dann immer seltener seine Liebe schwor. Giulia arbeitete weiter an ihren Plänen und schulte Lotte persönlich, was den Umgang mit Dante anbelangte. Weiterhin konnte Lotte sich nicht sicher sein, wann sie geprüft wurde und wann nicht. Es waren Kleinigkeiten und von den meisten bekam sie nicht einmal mit. Sie spielte ihre Rolle perfekt und sie hatte aufgegeben, sich einen Zeitpunkt festzusetzen, wenn sie ihr Ziel erreichte. Das Schicksal würde bestimmen, wann es soweit war, auch wenn sie manchmal glaubte, dass ihr womöglich vorausbestimmt war, niemals dorthin zu gelangen.

Lotte schottete sich innerlich ab, erledigte zuverlässig, was kam und agierte fast wie eine Maschine. Sie konnte sich nicht erlauben, weiterhin so viel Emotion in alles zu legen, denn sie wusste, der nächste Zusammenbruch wäre das Ende und sie war nicht bereit, am Ende ihres Lebens zu denken, dass sie nichts erreicht hatte, außer die Rolle in einem Drama zu spielen - einem Horrorszenario, in dem sie die Hauptrolle spielte ... spielen musste.

Wieder kam ein Tag, wieder eine Nacht, wieder ein Auftrag, wieder eine Mission, weitere Anhänger, weitere Gezwungene, weitere Gefangene - nichts davon kam an Lotte heran. Sie wurde weiterhin abgeschottet und die Isolation war ihr lieber, als die Gesellschaft. Man hätte meinen sollen, dass es anders sein sollte, doch sie empfand es anstrengender, sich zu verstellen, als einsam zu sein, denn einsam war sie, seit sie in Giulias Haus gezogen war, die ihr Freiheit versprochen hatte ... wie dumm sie doch gewesen sein musste, wie naiv ... doch Lotte warf sich nichts weiter vor. Sie wusste mittlerweile, dass Giulia Fähigkeiten besaß, gegen die sich niemand in ihrer Situation hätte auch nur annähernd wehren können. Sie war nicht schuld, dass sie in dieses Mühlrad geriet, sie war nur schuld daran, nicht schneller begriffen zu haben, welch falsches Spiel diese Frau spielte.

Es kam der Tag, an dem Lotte abermals zu Dante geschickt wurde. Wie ihr gesagt wurde, der echte, diesmal. Ob sie dem glauben sollte oder nicht, war für Lotte irrelevant. Sie wusste, sie würde es wissen, wenn es soweit war und solange würde sie ihre Arbeit machen, wie es von ihr verlangt wurde. Es dauerte länger, bis sie Zugang zu diesem Dante fand, viel länger, als beim ersten Mal. Er war ein vorsichtiger Mann - oder zumindest tat er so, sie konnte weiterhin nicht wissen, ob es echt war oder nicht. Sein Alter überschritt das Giulias weit und nicht einmal von Giulia wusste man, wie alt sie wirklich war.

Und auch wenn sie es schaffte, sich erneut als Schreibkraft in sein Haus zu setzen, er vertraute ihr niemals so viel an, dass es für Giulia auch nur annähernd nützlich sein konnte und nun kam ein Druck in Lotte auf, der gespeist wurde durch den Zorn ihrer Schöpferin. Diese machte sie für die fehlenden Informationen verantwortlich, ließ sich darüber aus, dass sie ihr Dinge vorenthielt und verdächtigte sie der Untreue. Lotte konnte glaubhaft vermitteln, dass sie wirklich alle Informationen herausgab, die sie bekam und dass dieser Dante nun einmal verschwiegen war. Und Lotte hatte mit der Reaktion Giulias für einen Moment die Bestätigung, dass es sich um den echten Dante Scirea halten musste und so schnell wie diese Bestätigung gekommen war, so schnell schwand sie auch wieder, denn es konnte abermals ein Test sein.

Dieser kleine Moment war der Auslöser, dass Lotte wieder ins gefühlte Leben zurück fand, die Euphorie war erneut geboren, ihre Emotionen, ihre Hoffnung und die Hingabe zu ihrem Ziel kehrten zurück, als wären sie niemals auf Eis gelegt worden. Und sie musste abermals darauf achten, dass sie sich nicht verriet, bevor sie sich nicht wirklich sicher sein konnte. Sie wollte diesen eindeutigen Moment, in dem sie sicher war ... doch er sollte nie kommen.

So tat Lotte ihre Arbeit, ohne nennenswerte Erfolge für Giulia, trotz dass sie begonnen hatte, seine Papiere zu durchsuchen und sich in seinem Arbeitszimmer umzusehen, aber zu ihrer eigenen Genugtuung, auch wenn das hieß, dass sie nun fast schon täglich damit rechnen musste, dass sie sie als unfähig und illoyal anprangerte. Es waren bisher nur haltlose Wutausbrüche gewesen, denen sie in dieser Form ausgesetzt wurde, doch je länger es dauerte, und je weniger Informationen Giulia bekam, desto größer wurde die Gefahr, dass sie glauben könnte, Lotte würde sie hintergehen und sie umgekehrt ausspionieren. Bis der Tag kam, an dem Dante sie in sein Büro rief und ihr erklärte, sie habe nun schon so lange für ihn gearbeitet, dass er sie mit auf seine Reisen nehmen wolle.

Das schlechte Gewissen überkam sie, als sie die Botschaft an Giulia herantrug, denn diese freute sich immens. Aller Ärger war vergessen und sie konnte ihr Glück kaum fassen. Lotte glaubte, dass jetzt der Augenblick gekommen sein musste. Giulias Freude war echt, sie konnte Dante glauben, sie konnte davon ausgehen, dass dieser Dante wirklich der Dante war, der der beste Freund Cogta Vusins war, der größte Feind Giulias - und besagter Vusin sollte einige Reisen ebenso begleiten. Sie war schon vor einigen Jahren in das Haus Dantes gezogen, hatte den Grafen allerdings noch niemals dort gesehen. Dante erzählte viel von seinem guten, alten Freund, den er schon so lange kannte, doch Lotte musste immer damit rechnen, dass es erfunden war, was er berichtete, weil sie sich nicht darauf verlassen durfte, dass sie wirklich auf einer echten Mission war.

Giulia gab ihr die letzten Anweisungen, die Lotte nicht zu beachten gedachte. Sie sammelte ihre persönlichen Sachen, welche sehr wenige waren, zusammen und packte einige Kleidung ein. Sie würde dieses Zimmer nie wieder sehen, so hoffte sie und so verabschiedete sie sich und versprach, sich sobald zurückzumelden, wie es ihr möglich war. Giulia wusste, dass sie keine Wahl hatte, sie konnte keinen Aufpasser mitschicken, sie musste vertrauen - darauf vertrauen, dass all die Prüfungen, die Lotte mit Bravour bestanden hatte, wirklich und wahrhaftig ehrlich bestanden waren. Doch sie rechnete Lotte keine höhere Intelligenz zu als sich selbst, ihre Überselbstschätzung und ihr Größenwahn gaben ihr vor, dass sie keine Fehler machte und sie gemerkt hätte, wenn Lotte illoyal wäre. Und somit ließ sie sie ohne weitere Bedenken gehen.

Lotte ging aus dem Haus, stieg in die Kutsche, ließ sich zu Dante fahren und fühlte, wie mit jedem Schritt ihre Anspannung wuchs. Sie wusste, dass es nicht vorbei war, solange sie in Venedig, in Italien war. Sie wusste, dass Giulia sie jederzeit und sofort zurückbeordern konnte und würde, wenn sie auch nur einen falschen Schritt tat und so konnte sie die letzten zwei Tage, die sie in Italien verbrachte kaum abwarten. Und auch am Tag der Abreise konnte es ihr nicht schnell genug gehen, bis das Schiff ablegte, dass sie im Jahre 1601 von Europa wegbringen sollte - von Europa nach Asien, das erste Ziel ... Indien.



Vertrauen

Erst als das Schiff ablegte und sie einige Seemeilen von der Küste entfernt auf dem offenen Meer waren, konnte sie aufatmen. So tief und so intensiv, dass es ihr das Herz schmerzte und sie haltlos zu weinen begann. Sie hatte niemanden gesehen, der von Giulias Organisationen mit aufs Schiff gekommen war, aber es konnte natürlich sein, dass es eine geheime Person war, schließlich war sie Jahre der Isolation ausgesetzt worden, so dass nicht nur sie in Vergessenheit geraten war, sondern auch sie selbst nicht wusste, wer alles für Giulia arbeitete und wer nicht. Mit dieser Erkenntnis wurde das zuerst so befreiende Gefühl wieder zusammengepresst und sie sah auf die schwarzen Wogen des Meeres, wie es Welle für Welle vom Holz des Schiffes gebrochen wurde.

"Hört das denn nie auf ..?", sie schloss die Augen, weitere Tränen rannen ihr über die Wangen, weitere Tränen der Bitterkeit, weil sie immer noch nicht sicher sein konnte, dass sie es geschafft hatte. Sie musste mit Dante sprechen, musste ihm sagen, wer sie war und welche Mission sie hatte. Musste ihm erklären und sie hoffte, er würde sie aussprechen lassen. Die Angst überkam sie, dass nicht. Auch wenn er niemals verachtend war, all die Jahre nicht. Doch sie hatte ihn ebenso lange hintergangen, hatte sein Vertrauen missbraucht, in jeder Hinsicht.

"Was bedrückt Euch, Lotte?" Sie hatte nicht gehört, wie er hinter sie getreten war, und zuckte nahezu ertappt zusammen. "Vieles ...", sagte sie dann aber und blickte weiter aufs Meer, ohne ihn anzusehen. Sie waren allein auf diesem Deck. War nicht jetzt der beste Moment für die Wahrheit, jetzt, da sie allein hier standen und es nichts mehr zu verlieren gab? "Ich muss mit Euch sprechen ...", begann sie zögerlich und mit ihren Gedanken so weit entfernt, wie der Horizont es war. "Ich weiß ...", überrascht wandte sie sich ob seiner Worte um. "Ihr wisst? Was wisst Ihr?", sie wollte nicht schroff klingen, doch all die Jahrhunderte bei dieser Frau, bei dieser boshaften Vampiress hatten sie geprägt, er sah darüber hinweg, als wäre ihr Tonfall nie über ihre Lippen gekommen. "Verzeihung ...", flüsterte sie nur und sah wieder auf die Wellen.

"Wollt Ihr mir nicht erzählen, was es ist?" Dante legte seine Hände auf die Rehling, in einer Hand hielt er geschickt den Gehstock, den er gar nicht brauchte, seinen Zylinder trug er auf seinem Haupt, wie er es zu besonderen Anlassen gerne tat. "Ich ... ja, ... ja, das will ich ...", sie wusste nicht genau, wie sie anfangen sollte und so begann sie bei ihrem Elternhaus und hörte nicht mehr auf, sie erzählte ihm alles, alles was passiert war, alles was sie fühlte, was sie dachte, was sie die ganzen Jahre über getan hatte, tun musste, spielen musste und auch, dass sie ihn so lange belogen hatte - belügen musste, weil sie nicht sicher sein konnte, weil sie einfach nicht sicher sein konnte ...

"Und jetzt seid Ihr sicher, sicher zu sein, Lotte?", er hatte sie aussprechen lassen. Eine Stunde, zwei, sie wusste nicht. Sie hatte vermieden ihn anzusehen, war wir angewurzelt an der Rehling gestanden und er hatte es ihr gleich getan. In seiner Stimme klang nichts weiter, als Verständnis und seine Ruhe, die ihn auszeichnete. Es wirkte nicht überrascht, nicht vorwurfsvoll, nicht enttäuscht und sie sah zu dem hochgewachsenen Vampir hoch. "Ja, ich glaube es zumindest ...", deutliche Unsicherheit schwang in ihrer Stimme mit. Wie konnte sie sicher sein? Sie war es all die Jahre nicht gewesen, nie, egal wie sicher die Situation auch schien ... "Ihr scheint nicht überrascht, war es das, was ihr wusstet, aber wie ..?" Noch immer sah er sie an und endlich senkte auch er sein schönes Augenpaar vom Horizont in ihren Blick.

"Nein, wie könnte ich. Natürlich habe ich nicht alles gewusst, aber das Wesentliche ist mir nicht unbekannt. Und was das Wie betrifft ...", er wandte sich zum Gehen und reichte ihr seinen Arm, sie nahm das Angebot unsicher an und ließ sich in seine Kajüte führen, die unter Deck teuer bezahlt war, damit sie alle sicher sein konnten, vor der Sonne geschützt zu sein. Als er die Türe öffnete und ihr den Vortritt ließ, sie eintrat und sah, wer in dieser Kajüte im schwachen Kerzenschein stand, erschrak sie zutiefst. Panik ergriff sie, doch Dante legte ihr seine Hand zwischen die Schulterblätter und beruhigte sie so sofort. Nicht gänzlich, aber zumindest soweit, dass sie wieder sprechen konnte.

"Er arbeitet ... er ist ...", da sie sich Dante anvertraut hatte, gab es keinen Grund mehr, jemanden etwas vorzuspielen und sie hätte, jetzt, da sie sich alles von der Seele gesprochen hatte, auch nicht mehr die Kraft eine Rolle zu spielen ... "Ich weiß wer er ist, werte Lotte, er ist seit langer Zeit mein werter Mitarbeiter, so viele Jahre, dass ich sie nicht mehr zu zählen vermag." Erst jetzt spürte Lotte, dass ihr Gegenüber tatsächlich nicht mehr so jung war, wie sie all die Jahrhunderte geglaubt hatte. Er musste seine Fähigkeit der Aurenbeherrschung mehr als nur sehr gut beherrschen, dass er all die Jahre vorgaukeln konnte, kaum älter zu sein, als Lotte es war. Verwirrt sah sie von dem einen zum anderen.

"Simeon genießt mein komplettes Vertrauen, Lotte, ohne Widerspruch ...", bekräftigte Dante mit einem Lächeln in der Stimme, doch die rothaarige Vampiress hatte keine Möglichkeit mehr, zu reagieren. Ihre Gefühle, all die angestauten, versteckten Emotionen, der Schock, die Angst und das Erschrecken, all die schrecklichen Erlebnisse, zu denen sie sich hatte zwingen müssen, all das überkam sie in einer Sekunde und sie wurde übermannt von den Eindrücken, es war einfach zu viel - es wurde schwarz um sieh herum.



Freiheit

Es sollte sorgenvolle Tage dauern, bis Lotte wieder zu sich kam. Sie wurde nicht einmal zwischendurch wach und Simeon wie auch Dante kümmerten sich rührselig um sie. Als sie die Augen wieder aufschlug, schien sie dennoch nicht ganz bei sich zu sein. Der Blutmangel hatte sie erschöpft, die Eindrücke wollten nicht weichen und die Angst war geblieben. Sie wusste nicht, ob sie Simeon vertrauen konnte, wusste nicht, ob sie es überhaupt wollte. Sie hatte verlernt zu vertrauen, obwohl sie sich in Dantes Gegenwart sicher fühlte. Wer sollte wissen, was Simeon für ein Spiel spielte - vielleicht sein ganz persönliches, sein eigenes?

Es sollte weitere Tage dauern, bis Dante Lotte für stabil genug hielt, sich zu ihr zu setzen und ihr zu erklären. Simeon war sein eigener Schützling. Kein Kind der Nacht, welches er zu einem gemacht hatte, sondern der geborene Vampirsohn eines Freundes, wie er sagte. Er war zu ihm gegangen, als sein Vater selbst auf Reisen ging und als sich die Zustände Giulia entwickelten, begannen sie aufzumerken und zu registrieren, dass diese Frau etwas im Schilde führte, gegen das sie so einfach nicht mehr ankommen konnten, weil sie den Keimling nicht hatten sprießen sehen. Die Pflanze hatte ihre Wurzeln schon viel zu fest und tief in der dunklen Erde verankert und es gab nur einen Weg, die stetig wachsende und drohende Gefahr abzuwenden: sie musste ausgehorcht werden.

Da Giulia Dante noch nicht kannte und nichts von ihm wusste, war es möglich, Simeon in Zusammenarbeit mit Vusin bei Giulia einzuschleusen. Sie brauchte viele Anhänger und die Art und Weise, wie sie sie sich heute erzog, war damals noch lange nicht angedacht. Somit hatte Simeon mehr oder weniger einfaches Spiel, Giulias Vertrauen zu gewinnen, weil sie bis auf einen, noch keine nennenswerten Feinde hatte. Nach Jahren wurde Simeon zu ihrem Verbündeten und Simeon seinerseits unterrichtete Vusin und Scirea über jeden Schritt, den Giulia tat.

Als sie verlautbaren ließ, dass sie endlich ein Mädchen gefunden habe, welches für die Aufgabe, Dante auszuspionieren, weil sie an Vusin nicht direkt ran kam, gefunden habe, wurde Simeon direkt auf dieses angesetzt, um es zu schützen: Lotte. Es war schwierig, denn, wie Dante auch erzählte, war Lotte mit ihren Fähigkeiten immens fortschrittlich und es war auch für Simeon kaum mehr möglich, herauszufinden, ob sie nun wirklich hinter Giulia stünde oder nicht, doch die körperlichen Nächte, die er mit Lotte verbracht habe, gaben ihm genügend Hinweise zu wissen, dass Lotte versuchte, aus dem bösen Spiel herauszufinden, denn sie sprach manchmal im Schlaf, hatte Albträume oder konnte ihre Gedanken nicht ganz kontrollieren. Ein gefährliches Unterfangen zum einen, weil es auch hätte jemand anders sein können, der Lotte in ihrem Schlaf begleitete, aber auch ein gutes Unterfangen für Simeon, der so sicher sein konnte, dass von Lotte keine Gefahr drohte - im Gegenteil.

"Er hat mich also nur ausgenutzt, von Anfang an ...", flüsterte Lotte zwischen die Erzählungen und es war keine Frage, doch Dante stellte sofort klar, "Nein, garantiert nicht. Simeon hat einen Narren an Dir gefressen, vom ersten Augenblick an, in dem er Dich sah. Wir hätten auch jemand anderen, der ebenfalls noch dort untergekommen ist, auf Dich ansetzen können, vor allem, weil es auch für Simeon gefährlich wurde und sein Vater vor allem nicht wollte, dass er sich in noch weitere, zusätzliche Gefahr begab, in dem er sich an Deine Fersen heftete, doch Simeons Hartnäckigkeit wurde belohnt, in dem wir ihn ließen und in dem er sich dann bei Giulia dafür einsetzte, diese Arbeit zu übernehmen." Lotte war noch immer nicht überzeugt.

"Es wäre so gekommen, dass die weitere Person Dir sicherlich etwas vorgemacht hätte, hätte müssen, weil wir über Deine Intensionen sonst nicht hätten Bescheid wissen können. Simeon hat, wie auch der zweite Mann, die überaus seltene Fähigkeit, in Deine Träume zu dringen und mehr zu erfahren, als andere Vampire es könnten. Nicht einmal Giulia beherrscht diese Fähigkeit, es scheint eine Abart des eigentlichen Nachtmahrs zu sein, aber das ist ein anderes Thema. Es verhält sich einfach so, dass Simeon sich in Dich verliebt hat, seine Gefühle waren echt und sein Kampf um Dich und Deine Gefühle ebenso. Und als Du Dich dann später gänzlich vor ihm verschlossen hast, litt er Qualen, die kaum auszuhalten waren, wenn man sie mit ansehen musste, das versichere ich Dir.

Natürlich war es auch für uns nicht gut, weil wir einfach nicht wussten, ob Du weiterhin an Deinen Plänen und Überzeugungen festhältst, wir wussten es nicht, bis Du mir vor ein paar Tagen alles erzählt hast, da Du ihn nicht mehr an Dich rangelassen hattest. Deswegen beschlossen wir schlussendlich, diese Reise zu planen und Dich mitzunehmen. Wir hätten Dich viel eher dort herausgeholt, doch Giulia war auf einmal aufmerksam geworden und glaubte hinter jedem einen Verräter zu sehen, auch hinter Simeon. Er musste sie überzeugen, wie Du sie ständig hast überzeugen müssen, dass er ihr gegenüber loyal war.

Das war die Zeit, in der Ihr so wenige Informationen von mir erhalten habt und Giulia immer öfter ihren Wutausbrüchen erlag. Simeon bat mich, Euch so schnell wie möglich rauszuholen, denn er wusste, beim nächsten Mal würde sie Euch von der Mission zurückziehen, weil sie gänzlich davon überzeugt war, dass etwas nicht stimmte und sie hatte recht, denn sie hat noch niemals so wenige Informationen bekommen, wie zu dieser Zeit, doch anders war es nicht möglich, falsche Fährten hätten sie noch stutziger gemacht, wir konnten aber alle anderen Pläne in keinem Fall preis geben und immerzu hoffte ich, Ihr würdet Euch mir anvertrauen, doch Giulia weiß sehr genau, wie sie es anstellen muss, um dieses Vertrauen gänzlich zu zerstören.

Die Reise zu diesem Zeitpunkt einzusetzen, war die einzige Möglichkeit, sie von Euch wegzuholen und Simeon hatte sich vorher allerdings noch immer zu beweisen, denn Giulia hätte sonst einen anderen hinterher geschickt, der geheim mitfahren sollte. Bis zuletzt wussten wir nicht, ob sie Simeon würde gehen lassen, er durfte nicht zu eifrig darauf bitten, sonst wäre er aufgefallen. Es war wohl mehr Glück als Verstand, dass der andere Ausgewählte ihren Prüfungen nicht hatte stand halten können und sich verriet. Er muss von einer anderen Organisation gewesen sein, nicht von unserer Seite, aber kämpfte wohl für die gleiche Sache, wie wir es tun. Leider wissen wir nicht mehr von ihm, sie hat ihn getötet. Er wusste zuviel."
Beide schwiegen und sahen sich an.

Sie hatte Simeons Wesen immer gemocht und seine falsche Einstellung so sehr gehasst. Niemandem dort brachte sie so viele zwiespältige Gefühle entgegen, wie ihm und langsam lichtete sich der Nebel und sie begriff, dass sie das richtige gefühlt hatte, aber verwirrt war durch alle anderen Umstände. Die rechte Hand Giulias, ein Mitarbeiter Dantes, ein Sohn der Organisation als solches. Wie gerne wollte sie es glauben und betroffen senkte sie den Blick.

"Wir wissen, dass Ihr Zeit braucht, viel Zeit, bis es Euch möglich ist, wieder zu vertrauen, wenn es überhaupt je möglich sein wird, Lotte, fühlt Euch nicht betroffen. Simeon weiß, dass er Euch nicht drängen darf und er weiß, dass es sein kann, dass Ihr ihm niemals wieder gänzlich vertrauen könnt. Er macht Euch keiner einen Vorwurf, niemals. Ich hoffe allerdings, dass Ihr mir ein gewisses Vertrauen entgegenbringen könnt - auch weiterhin, der Schritt, den Ihr getan habt, war groß und gefährlich, es hätte alles auch anders laufen können, das wisst Ihr. Beobachtet und entscheidet Stück für Stück und nach und nach. Überzeugt Euch selbst davon, dass es richtig war, sich mir anzuvertrauen, und dass ich alles erdenkliche tun werde, Euer Leben zu schützen."

Sie wusste instinktiv, dass er einfach sehr aufmerksam war und sich schon viele Gedanken im Vorfeld gemacht hatte und nicht einfach versuchte, ihre Gedanken zu lesen und ihren geschwächten Zustand nicht ausnutzte, daher nickte sie dankbar für seine Einfühlsamkeit. "Ruht Euch jetzt aus. Wir sind noch drei Nächte auf See, der Wellengang ist fürchterlich, ich suche mir einen Platz mit vielen Kissen, um ihn abzudämpfen." Sie lächelte auf seinen leichten Scherz. "Wenn Ihr etwas braucht, so meldet Euch." Lotte nickte. Sie musste nun viel verarbeiten ... es gab zu viele Gedanken, die sie verweben und auch unterdrücken musste, um überhaupt überleben zu können. Und der schlimmste von allen war, dass sie viel früher hätte gehen können - von Giulia hätte wegkommen können, wenn sie Simeon gefolgt wäre, als er ihr sagte, er wolle fliehen ... doch woher hätte sie es auch wissen sollen? Woher hätte er es wissen sollen? Es war besser, nicht darüber nachzudenken.


Auf der richtigen Seite

Es dauerte lange, bis Lotte sich von all dem annähernd erholen konnte. Sie war endlich frei, sie war frei und würde verfolgt werden, wenn Giulia etwas davon mitbekam und es war so unendlich schwer zu begreifen, dass sie sich endlich nicht mehr verstellen musste. Sie konnte sein, wie sie war, konnte ihre Gedanken offen aussprechen, doch bis sie es sich auch wirklich traute und nicht in alte Muster zurückfiel, sollte es Jahrzehnte dauern. Doch mit Dantes Unterstützung und all seinen Unterstützern war es möglich.

Simeon und Lotte hatten mehrere Gespräche, es waren viele reinigende und befreiende Gespräche und Stück für Stück konnte sie ihm wirklich wieder Vertrauen entgegenbringen. Nicht zuletzt durch Dante, der Simeon tatsächlich vollkommen vertraute und keinen Zweifel zurückließ, dass Simeon vielleicht die Seiten gewechselt haben könnte. Und dennoch fiel es schwer und Simeon musste viel Geduld aufbringen, bis Lotte sich ihm auch gefühlsmäßig wieder öffnete und ihn an sich heran ließ.

Währenddessen mussten alle während dieser Reisen, die mehrere Jahre gehen sollten, überlegen, was weiterhin geschehen sollte. Sowohl Lotte, als auch Simeon mussten Giulia Berichte abliefern, was sie über Beziehungen in anderen Ländern taten oder auch per Bote, der einige Wochen brauchte, um die Nachrichten nach Venedig zu übermitteln. Es war ihnen nur selten möglich, sich zu sehen, weil sie nie wissen konnten, ob sie beobachtet wurden. Sie durften in keinem Fall zusammen gesehen werden, weil Simeon dazu beauftragt worden war, Dante und Lotte inkognito nachzureisen und sie zu beaufsichtigen. Niemand wusste, wem sie sonst vertrauen konnten und wem nicht, nur Dante kannte einige Vampire, die er in bestimmten Städten aufsuchte, zu denen man Vertrauen haben konnte, weil sie aus seinen eigenen Reihen stammten. Das gleiche galt für Cogta Vusin, der immer wieder auf Teilstrecken mit ihnen reiste.

Sie trafen sich mit Altvampiren, um die Sachlage zu besprechen. Giulia hatte mittlerweile überall Verbündete, aber auch Dante und Vusin hatten diese und ihre Kontakte waren schon älter und gefestigter, als Giulias. Vor allem weil Giulia grundsätzlich niemals sicher sein konnte, wem sie vertraute. Dante vermied strikt, die Vampire aufzusuchen, bei denen er wusste, dass sie sich als Giulia-Verbündete ausgaben, um an mehr Informationen zu kommen, sie waren nach einiger Zeit sicher, dass nicht nur Simeon ein Auge auf sie werfen sollte, sondern Giulia auch andere beauftragt hatte, sie zu beschatten - sie alle, inklusive Simeon.

Es war ein Spießroutenlauf, aber auch wenn Lotte nach Außen hin das gleiche Spiel wie schon die Jahrhunderte davor spielen musste, so war es ein anderes, weil sie im sicheren Kreis und Schutz von Dante, sein konnte, wie sie war. Es war ein anderes Gefühl, sie kämpfte nun für die richtige Sache und auch wenn Dante ihr zu jeder Zeit freigestellt hatte, sich zurückzuziehen, so konnte sie nicht. Sie wollte und sie musste daran festhalten, das, was sie durchlebt hatte, sollte nicht umsonst gewesen sein. Dante und Vusin waren froh darum, auch wenn sie sie nie gezwungen hätten, sich weiter diesen Gefahren auszusetzen.

Doch sie wussten, dass dies alles nicht ewig so weitergehen konnte. Lotte und Simeon konnten nicht einfach Finten legen, sie alle konnten sich nicht ständig Geschichten für die Berichte ausdenken. Der Stricke um ihre Hälse zog sich immer enger zusammen je länger sie unterwegs waren. Gerne hätte Dante diese Reise erst viel später begonnen, um einfach einen ausgereifteren Plan vorweisen zu können, doch es war die Not gewesen, die sie alle gezwungen hatte zu handeln und langsam gingen die Ideen aus. Giulia wusste noch immer nichts von Lottes und Simeons Untreue ihr gegenüber, wenn sie es gewusst hätte, hätten Anschläge auf beide statt gefunden. Aber es war nur eine Frage der Zeit, bis sie darauf kam und als Lotte ein Brief erreichte, dass sie Giulia darüber informieren sollte, wo sie ihren nächst längeren Aufenthalt haben würden, weil sie hinzustoßen wolle, stand ihr die Leichenblässe trotz ihres Vampirdaseins ins Gesicht geschrieben.

"Ich will sie nicht treffen, Dante, ich kann nicht ... alles, aber das kann ich nicht ...", er verstand sehr wohl, warum sie Angst hatte. Lotte wusste, sie könnte Giulia etwas vormachen, aber sie wusste nicht, wie lange und sie wollte es auch nicht mehr. Sie wusste nicht, ob sie sich dadurch verraten würde, wenn Giulia sie vielleicht in die Ecke trieb, um herauszufinden, ob sie weiterhin ihre Sache unterstütze. Dante hatte zudem nicht vor, Lotte auf Giulia treffen zu lassen, die Gefahr und das Risiko waren zu groß, als dass er sie hätte eingehen wollen.

Auch machten sich beide Sorgen um Simeon, der sich das letzte mal vor zwei Wochen zurückgemeldet hatte. Sie wussten, er hatte sie im Auge, aber dennoch war es ein eigenartiges Gefühl, ihn nicht zu sehen und nicht zu wissen, ob es ihm wirklich gut ging. Er würde sicherlich ebenfalls einen Brief von Giulia bekommen, dessen waren sie sich sicher und spätestens dann, würde er sich melden, doch Dante spürte eine Gefahr.

Er hoffte, dass Simeon klug genug war, sie auch zu erkennen, denn es könnte eine weitere Prüfung sein, weil Giulia durch die schwammigen Berichte keine wirklich brauchbaren Informationen erhielt und sicherlich mit Recht skeptisch wurde. Sie hätten sie glaubhaft machen können, doch sie wollen für die Sache keine Unschuldigen töten oder in Gefahr bringen ... nicht die gleichen Mittel anwenden, um den Feind zu schlagen, so wie Antonio es vor so langer Zeit kurz vor seinem Tod gesagt hatte.

Simeon durfte sich in keinem Fall melden, sie hatten einen toten Briefkasten bei einem Vertrauten, doch auch hier könnte es eine große Gefahr sein, wenn beide sich zu diesem begaben. Sich jetzt zu treffen, gerade jetzt, konnte den Tod Simeons bedeuten. Dante glaubte Lotte solange sicher, solange sie sich in seiner Nähe aufhielt. Vusin würde die nächsten Tage ebenfalls wieder auf sie stoßen und Giulia würde es nicht wagen, sie anzugreifen. Und wenn sie es tat, würde sie verlieren.

Sie mussten ausharren, sie hatten es alle kommen sehen, aber bislang keine Lösung gefunden, wie sie in dieser Situation reagieren sollten. Sicherlich hatten sie Pläne für solche Gefahren, aber auf einmal schien keiner von ihnen mehr sicher. Vor allem Lotte nicht, die wieder in ihre alten Verhaltensmuster zurückfiel und hinter allem und jedem den Feind vermutete, bis auf den kleinen Kreis, dem sie nun angehörte. Sie schmetterte jeden Notfallplan ab, weil es zu große Risiken gab und auch Dante erkannte, dass Lotte Recht hatte, auch wenn sie teilweise etwas übervorsichtig reagierte.

Doch Dante wusste auch, dass diese Übervorsicht daraus entsprang, dass sie Giulia besser kannte als er sie je kennen würde und das diese übergroße Vorsicht nicht aus dem Nichts kam. Er brachte Lotte einen großen Respekt entgegen, wie sie dies alles so viele Jahrzehnte, ja, Jahrhunderte hatte durchhalten und überleben können. In solchen Momenten wurde ihm erst wirklich deutlich bewusst, wie es sein musste, niemandem vertrauen zu können und immer darauf lauern zu müssen, dass man entdeckt wurde, oder in eine Falle trat, weil man sich sicher fühlte. Lotte hatte sich in keinem einzigen Augenblick sicher fühlen dürfen - etwas, das andere lange schon zugrunde gerichtet hätte. Sie aber schien es stärker gemacht zu haben, aber dafür zitierte sie auch gerne eine Weisheit, wenn Dante darauf zu sprechen kam, um seine Bewunderung auszudrücken ... "Was Dich nicht umbringt, macht Dich stark ..." und so war es tatsächlich.

"Uns bleibt nur eine Möglichkeit. Wir müssen raus aus den Städten, wir müssen in die Einöde, dann kann Simeon uns folgen. Ich werden Cogta eine Botschaft schicken, dass er uns mit einigen Vertrauten folgt, dass er darauf achtet, dass uns keiner verfolgt, damit Simeon die Möglichkeit hat, zu uns zu stoßen." Der Plan war riskant. Aus der Stadt zu gehen, hieß in diesem Fall, in die Wüste zu gehen. Sie waren derzeitig in Ägypten und die Tage waren lang, die Nächte kurz. Sie waren gefährdet durch ihr Vampirdasein, sie waren gefährdet durch die viel zu kleinen Möglichkeiten, sich vor dem Tag und der brennenden Sonne zu schützen. Und noch etwas ließ Lotte keine große Begeisterung für diesen Plan aufbringen.

"Was, wenn sie Simeon geschrieben hat, dass sie ihn zurückbeordert. Was, wenn er keine Möglichkeit hat, uns zu folgen, weil er weiß, dass er beobachtet wird und diese Verfolger wissen, dass sie ihm befohlen hat, uns nicht weiter zu folgen?" Dante sah sie entgeistert an. Er war schon alt und er hatte vieles gesehen, sein Wissen ging über so vieles hinaus, aber solche Gedankengänge konnte er nicht haben, er hatte niemals so lange unter Giulia die Hölle durchleben müssen. Er konnte Schritte vorausahnen, doch in solchen Momenten wurde ihm all zu schmerzlich bewusst, wie sehr Lotte sich in Giulia hineindenken konnte, in ihre Machenschaften, Pläne und wieder einmal wurde deutlich, wie gefährlich intelligent und durchtrieben diese boshafte Vampiress sein musste. Niedergeschlagen setzte er sich Lotte gegenüber. Beide schwiegen minutenlang.

"Es gibt nur eine Lösung ...", und beide wussten, dass sie recht hatte. Das sollte also der Zeitpunkt sein, an dem alles aufflog. Weder Dante noch Lotte wollten, dass Simeon oder sie zurück zu Giulia gingen. Es war zu gefährlich. Simeon musste zu ihnen vordringen, er musste die Mission abbrechen, und sie mussten sich nicht einmal fragen, ob ihre Vermutungen richtig waren, sie wussten es, Lotte wusste es. Ihr Gefühl hatte sie selten getrübt, was die "Prüfungen" Giulias anging. Sie mussten Simeon das Zeichen geben, dass sie aufgaben, er musste seine Deckung aufgeben und so schnell wie möglich zu ihnen kommen, damit er im Schutze Dantes und Vusins stand, sobald dieser eingetroffen war.

Und wenn Simeon zurückkehrte, war nicht sicher, wie sicher sie selbst war - eigentlich brauchte sie darüber nicht wirklich nachdenken und sich das fragen, wenn sie ehrlich zu sich selbst war. Dante sprach es aus, als sie daran dachte. Sie waren schon seit geraumer Zeit dazu über gegangen, sich zu duzen.

"Wenn Simeon zurück kommt, dann wird sie wissen, dass Du ebenfalls nicht mehr auf ihrer Seite stehst. Sie wird es wissen, weil -" "- weil für sie dann sicher ist, dass Simeon auf dieser Seite steht und dass ich es erfahren würde und es gibt nur zwei Möglichkeiten, entweder ihr lasst mich am Leben, weil ich auch zu Euch gehöre oder aber ihr tötet mich, weil Simeon Euch sagen würde, dass ich zu Giulia gehöre." Dante sah auf, eine Idee strahlte in seinen Augen. "Oder wir nehmen Dich gefangen und tun, als würden wir Dich festhalten. Somit wäre sie irritiert genug, um weiterhin daran glauben zu müssen, dass Du auf ihrer Seite stehst und wir Dich als Druckmittel verwenden wollen ...", Lotte sah auf. Es war eine Möglichkeit.

Eine gute sogar, aber frei wäre sie dann immer noch nicht. "Sie wird sagen," führte Dante weiter aus, weil auch er sehr gut wusste, wie Giulia dachte, "... dass es ihr egal wäre, dass niemand unersetzlich wäre, und dass dieses Druckmittel keines wäre -" "- und ihr könntet in Umlauf bringen, mich umgebracht zu haben, weil ich von keinem Nutzen zu sein scheine." und dann wäre sie frei ... wäre sie das? Es wäre ein dauerndes Versteckspiel und das, was sie hier gerade verbal taten, war auch nur ein Spiel. Beide wussten, dass es so nicht funktionieren würde und dennoch war es eine Möglichkeit. Galgenhumor.

"Im Ernst, Dante, wir sollten es so machen, sie versuchen, damit zu erpressen. Sie wird nicht darauf einsteigen. Natürlich nicht. Aber sie wird glauben, dass wir dümmer sind als sie, weil wir auf solch eine Idee kämen. Sie würde wissen, dass Simeon Dir schon lange von mir erzählt hat. Es liegt auf der Hand, sobald sie weiß, dass er auf dieser Seite steht und nicht auf ihrer." Lotte konnte sich bildlich vorstellen, wie Giulia ausrastete. "Für sie wäre erklärt, warum die Informationen nur so spärlich kamen. Die Frage ist nur ... wie soll es dann weitergehen?" Dante nickte.

Eine berechtigte Frage, denn Lotte konnte nicht einfach irgendwo frei herumspazieren, früher oder später würde Giulia es erfahren und es war nur eine Frage der Zeit, bis sie sie entweder zu sich holen oder töten ließ. Lotte wusste zu viel, gleich auf welcher Seite sie stand, sie wusste zuviel. Aber zumindest wäre es eine Möglichkeit und Dante könnte wirklich verbreiten, dass Lotte tot sei, dann könnte sie sich irgendwo verstecken und einige Jahre in Ruhe leben.

Verstecken auf Zeit, das war vorprogrammiert, aber es war eine Möglichkeit und es war die einzige, die sie im Augenblick sah. Öffentlich kund zu geben, dass sie auf Dantes Seite stand, war gefährlicher als alles andere. Giulia würde sie sofort verfolgen und sie würde sie dann eher früher als später ergreifen können - in einem unachtsamen Moment, denn es war nicht möglich, ständig an Dantes oder Vusins Seite zu sein.

Sie würde es schaffen und sie töten, vielleicht entführen und quälen und sie wollte nicht mehr, Lotte konnte auch nicht mehr. Niemals mehr, nicht noch einmal. Dante nickte noch einmal nachdrücklich, obwohl sie nichts gesagt hatte, er war in seinen Gedanken wohl ebenso weit gegangen. "Dann bleibt uns keine andere Wahl ..."



Inszenierter Tod und neues Leben

Und es sollte genau so kommen. Als Dante und Lotte Simeon das Notzeichen gaben, dass er aus seiner Stellung heraus kommen musste und zurückkehren. Es hatte sich genau so zu getragen, wie sie es vorausgesehen hatten. Simeon war zurückbeordert worden und er hatte keine Möglichkeit, sich bei ihnen zu melden, weil er unter ständiger Kontrolle stand und schon zwei Tage später hätte mit diesen Leuten zurückreisen müssen. Es hatte keine Möglichkeit gegeben, sich unauffällig wegzuschleichen und so musste es auffällig geschehen. Es war eine Hetzjagd, doch sie schüttelten die Verfolger ab und reisten auf direktem Weg nach Asien, wo Dante einige persönliche Kontakte hatte.

Es gab ein Vampirkloster, in dem Simeon und Lotte unterkamen, Dante musste sich bald verabschieden. Er musste zurück, es gab nun viel zu tun, um alles in die Wege zu leiten, was sie besprochen hatten und er würde die beiden nachkommen lassen, sobald er eine sichere Unterkunft gefunden hatte. Nach Venedig konnten die beiden nicht zurück, es wäre zu gefährlich gewesen.

Simeon und Lotte genossen trotz der schwierigen Lage die Ruhe im Kloster und gewöhnten sich an dessen Alltag, an dem sie allerdings nur bedingt teilnehmen mussten. Es war auch weniger ein Kloster, wie man es einem menschlichen Glaubensorden zuschreiben konnte, und dennoch war es ein Platz, an dem die Meditation einen wesentlichen Bestandteil in der Ausbildung der Vampir"brüder" darstellte. Sie wurden hart ausgebildet und in ihren Fähigkeiten gut geschult. Auch wenn die meisten Vampire dort männlich waren, gab es auch die ein oder andere Vampiress, die sich hier her verlaufen hatte und es wurde Simeon und Lotte bald klar, dass eine von ihnen, eine kleine Asiatin mit unglaublich langem Haar, Dante sehr angetan war. Offensichtlich hatte sie eine Liaison mit Dante, hatte sich allerdings unglücklich in ihn verliebt.

Es war eine Kleinigkeit, aber sie trug dazu bei, dass Simeon und Lotte auch andere Gesprächsthemen fanden, als Giulia und auch auf sich zu sprechen kamen. Lottes Vertrauen in Simeon war schon lange wieder hergestellt und dennoch war es schwierig für sie, sich gänzlich auf ihn einzulassen. Das Kloster und die besinnliche, ruhige Zeit dort brachte sie wieder enger zusammen und sie verbrachten ihre schönsten Tage in der Idylle unter ihresgleichen.

Es sollte geschehen, dass Lotte schwanger wurde, für beide nicht überraschend, denn insgeheim hatten sie es sich gewünscht, sonst wäre es nicht so weit gekommen und dennoch war es eine Situation, mit der zumindest Lotte für den ersten Moment restlos überfordert war. Simeon war unglaublich rührend und tat alles für sie, was er auch konnte und einige wenige Monate später, brachte Lotte eine gesundes Vampirkind zur Welt, dass sie Lolla nannten. Das Glück schien perfekt, wenngleich ein dunkler Schatten über ihnen lag, der sie zu jeder Zeit hätte einholen können.

Sie hatten Dante geschrieben, auch war er zwischenzeitlich wieder einmal bei ihnen gewesen, dass sie nicht gedachten, so schnell nachzukommen und er sich Zeit lassen konnte. Natürlich war allen klar, dass sie zurückkehren mussten, sobald Dante sie brauchte, doch da die Geschehnisse derzeit ohne sie reibungsloser ablaufen konnten und Giulia nichts davon mitbekam, dass Lotte noch am Leben war, und sie gleichsam auch nicht wusste, wo Simeon versteckt gehalten wurde, war die Entscheidung, in Japan zu bleiben, keine schwere.

Dem Kind wurde die beste Ausbildung geboten, sobald es etwas älter war. Sie war temperamentvoll wie ihre Mutter und hatte die grünen Augen ihres Vaters geerbt. Beide konnten sich nicht gänzlich erklären, warum es einen tiefschwarzen Lockenschopf besaß, da Lotte von Natur aus feuerrotes Haar hatte und Simeon goldbraunes. Aber im Grunde hatten sie beide italienische Vorfahren und Lottes Familie hatte schwarzes Haar. Das kleine Mädchen entwickelte eine ganz eigene eigensinnige Persönlichkeit, lief gerne einmal davon und spielte Streiche.

Es gab nicht wenige Kinder im Kloster, da viele Vampirfamilien aus aller Welt ihre Sprösslinge hier her schickten, um ihnen die bestmöglichste Ausbildung in Wissen und Fähigkeitenkunst bieten wollten und so fand sie einige Freunde, mit denen sie Streiche spielte und sich bis auf verschiedene Kleinigkeiten wie ein normales Kind entwickelte - so normal, wie es für ein Vampirkind nur sein konnte, das in einem ehemaligen Kloster aufwuchs, in dem Vampire meditierten und trainierten.

Simeon und Lotte hofften, dass sie nicht so schnell wieder zurückkehren mussten und es sollte so kommen, dass mehrere Jahrzehnte verstrichen, die sie wirklich in vollkommener Ruhe leben durften. Die Neuerungen der Welt zogen nur bedingt an ihnen vorbei, weil die Lehrer des Klosters sehr darauf bedacht waren, dass ein Vampir nicht aus dem Kloster ging, in eine Welt, die er nicht begreifen konnte. Auch die Zeitungen der Welt wurden zu ihnen gebracht, wenngleich es einige Wochen dauerte und die Artikel veraltet waren, sie blieben auf dem Laufenden.

Lolla war zu einer wunderschönen, rassigen und manchmal wirklich biestigen Vampiress herangewachsen, die einen genauso eigenen Kopf hatte, wie ihre Mutter. Die beiden gerieten nur selten aneinander, aber Simeon verzweifelte manches Mal ob des Temperaments seiner beiden Frauen und er schlug manchmal schon die Hände über dem Kopf zusammen, wenn er sie beide grinsend auf sich zukommen sah, denn das konnte nur bedeuten, dass sie etwas im Schilde führten.



Der Schatten über der Idylle

Die Zeit mit Giulia verdrängte sich stetig langsam, aber sicher aus Lottes Gedächtnis - bis der Tag kam, an dem Cogta und Dante einen gemeinsamen Besuch ankündigten.

Es wäre eigentlich nichts ungewöhnliches gewesen, weil sowohl der eine, wie auch der andere hin und wieder her gekommen waren, doch Simeon und Lotte spürten, dass etwas in der Luft lag, sie wussten, dass die zeitliche Idylle nun ein Ende haben würde und dass sie zurück mussten, um den Kampf gegen ein Ungeheuer wieder aufzunehmen.

Und es sollte tatsächlich so kommen. Lolla war gerade fünf Jahre alt, als Vusin sie besuchen kam und erklärte, dass Simeon gebraucht würde. Man sah dem alten Vampir an, dass es ihm nicht recht zu sein schien, seinen Simeon wieder in den Kampf gegen Giulia zu schicken, doch Simeon hatte darauf bestanden, noch bevor sie hier her gekommen waren und an seiner Entscheidung hielt er weiterhin fest, auch wenn Lotte ihn anflehte, nicht zu gehen.

Cogta Vusin erblickte dort zum ersten Mal die hübschen großen Augen Lollas und es dauerte eine durchgesprochene Nacht mit Simeon, als Lotte offenbart wurde, dass Vusin Simeons Vater sei und Lolla sein Enkelkind. Sie hatten es lange verheimlicht, vor allem zum Schutze Simeons, was Lotte auch verstand, denn es war nie gewährleistet gewesen, dass Giulia nicht doch noch Möglichkeiten fand, Lotte an sich zu binden, auch wenn sie hier im Tempel sicher schienen. Es gab auch keinen weiteren Anlass dazu, darüber zu sprechen, aber es war eine Familienzusammenführung, die alle noch enger aneinander band. Lolla lernte somit ihren Großvater kennen und lieben und weinte bitterlich, als dieser mit ihrem Vater wegging und sie einfach nicht verstehen konnte, warum die beiden weggingen, wo doch alle so schön mit ihr gespielt hatten. Auch spürte sie die Traurigkeit ihrer Mutter, was das Kind zusätzlich beunruhigte.

Die Jahre verstrichen, immer wieder war Simeon zurückgekehrt, hatte seine kleine Familie besucht und berichtet, was es Neues gab. Es war ihm wichtig, niemals den Bezug vor allem zu seiner Tochter zu verlieren, die so schnell - vor allem als Vampirkind - heranwuchs. Die Beziehung zwischen Lotte und Lolla allerdings war einer Mutter-Kind-Beziehung schon lange nicht mehr gleichzusetzen. Sie waren Freundinnen und je älter Lolla wurde, desto weniger konnte man auf den Gedanken kommen, dass es sich hier um Mutter und Tochter handelte. Was aber nicht nur daran lag, dass Lotte als Vampir nur bedingt alterte, sondern vor allem daran, dass Lotte noch immer ihre temperamentvoll-bockigen Züge hatte, wie sie einem Teenager zuzuschreiben waren.

Und trotz der unterschiedlichen Haarfarbe und des unterschiedlichen Teints, glaubte man fast, zwei nahezu gleichaltrigen Schwestern vor sich zu haben, die sich ebenso gut verschwören, wie auch anzicken konnten. Lotte legte keinen Wert darauf, Lolla die tadelnde Mutter vorzuspielen, vor allem, weil sie es aus ihrer eigenen Kindheit gehasst hatte und somit wurde Lolla verwöhnt, aber auch von Anfang an gleichberechtigt behandelt und somit mehr von den Vampiren im Kloster erzogen, als von ihr. Und sie geriet recht, auch wenn Simeon irgendwann einmal sagte, dass die beiden sich wie ein Ei dem anderen glichen. Vor allem dann, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatten, zu bekommen. Simeon blieb allerdings der Vater für Lolla und es war wie Tag und Nacht.

Die Liebe aber zwischen Lotte und Simeon war wie am ersten Tag, was vor allem aber auch eben durch Lottes Jugendlichkeit kam, die sie nach und nach, nach den schrecklichen Ereignissen, endlich wieder zurückerlangen konnte. Viel zu lange war sie vorsichtig und ernst gewesen und es hatte ihr einfach nicht gestanden. Manchmal noch, wenn das Thema auf Giulia fiel, spürte und sah man, dass Lotte doch schon mehrere Jahrhunderte gelebt hatte, aber diese Momente waren selten und Simeon war dankbar dafür und gab den Grund auch an Lolla, die Lotte immer wieder auf neue ungestüme Gedanken brachte.

Es kam dann ein Tag, an dem Cogta und Dante gemeinsam auf dem Tempelgelände auftauchten. Simeon war nicht dabei und der besorgt-erwachsene Ausdruck in ihren Augen kehrte wieder, denn sie spürte, dass etwas nicht stimmte. Vor allem hatte Lolla erst eine Woche zuvor eine beunruhigende Vorahnung gehabt, die zwar nichts Gutes verheißen hatte, aber nicht durchscheinen ließ, was passiert war. Ihre Fähigkeit diesbezüglich war noch lange nicht zur Genüge ausgreift und ihre Lehrer hatten sie beruhigt. Doch Lotte hatte insgeheim gewusst, dass etwas nicht stimmte, auch wenn Lolla schon gar nicht mehr an diesen Vorfall dachte. Jetzt sah sie ihre Angst bestätigt, als die beiden Vampire auf sie zukamen, fragten, wo Lolla sei und sie in eine Kammer führten, in der sie allein waren, als sie wussten, dass der Jungvampir im Unterricht und nicht in der Nähe war.

"Was ist geschehen?" Und manchmal kam es vor, dass man an ihrer Sprache mitbekam, dass sie eben nicht aus dem 21. Jahrhundert stammte. Die beiden Altvampire sahen sich an. "Nein ... sagt mir nicht, dass sie ihn aufgegriffen ... sagt nicht, dass ... bitte ...", Tränen traten in Lottes Augen und sie flehte, dass ihre Befürchtung nicht wahr wurde. "Es tut mir leid, Lotte ...", das war Vusin und verständnislos war der Blick der zu ihm zurück fiel. "Es tut Dir leid? Du hättest niemals zulassen dürfen, dass er diese Mission weitermacht, niemals, er hat ein Kind ..." Die Männer sahen sich bedrückt an und dann zu Boden. Lotte aber besann sich, sie wusste, dass keiner von ihnen etwas dafür konnte, sie wusste, dass es Cogta ebenso wenig gefallen hatte, dass Simeon wieder zurückging, und sie wusste auch, dass Simeon sich niemals hätte davon abbringen lassen.

"Solange ich lebe, werde ich versuchen, diese Grausamkeiten zu unterbinden, Lotte, wir können es nicht verantworten, dass unseresgleichen auf so widrige Art und Weise behandelt werden, dass andere Vampire und auch Menschen ausgenutzt und benutzt werden. Du selbst weißt doch am Besten, wie es war und ist ... denke daran, dass es Kinder unserer Kinder sein könnten, dass es auch unser Kind sein könnte. Wer soll sie stoppen, wenn nicht wir, die wir jetzt schon so viel wissen ..." Seine Stimme war nur zu deutlich in ihren Ohren und sie wusste damals wie heute, wie recht er hatte und dennoch hätte sie sich gewünscht, dass es andere sein sollten, die sich darum kümmerten. Andere ... nicht er, nicht sie, niemand von denen, die sie liebte.

"Es tut mir leid ...", sagte sie dann kleinlaut, "... ich weiß, dass Ihr nichts dafür könnt." Vusin sah sie direkt an: "Und ob, Du hast Recht, ich hätte ihn nicht gehen lassen sollen, ich hätte ihm nicht Bescheid geben dürfen, ich hätte nichts ...", selten, eigentlich nie, hatte sie den Grafen so verzweifelt und böse erlebt, wie er es jetzt auf sich selbst war. Dante hielt ihn am Arm, sah ihm eindringlich in die Augen. "Nicht, Cogta, hör auf. Du weißt, dass es nicht stimmt. Du hast Dein Versprechen gehalten. Simeon ist ein erwachsener Mann, der seine eigenen Entscheidungen trifft. Du weißt, dass hier niemand Schuld trägt, außer sie. Du weißt es und wir alle wissen es und es ist unsere Aufgabe, ihn da wieder rauszuholen, es ist unsere Aufgabe, dass wir diese Grausamkeiten unterbinden, dass wir sie dem Erdboden gleich machen ...", und auch Vusin wusste, dass sein bester Freund Recht hatte. "Niemandem bringt es etwas, wenn wir hier den Verstand verlieren. Er ist am Leben und nur das ist wichtig." - "Ja, aber was für ein Leben, Dante, was für eins?" Lotte sah ihn verzweifelt an.

"Er ist stark, Lotte, bitte, versuche nicht aufzugeben, wir werden alles daran setzen, ihn zurückzuholen, auch wenn es Jahre dauert. Wir können ihr Haus nicht einfach belagern und eindringen. Wir wissen nicht einmal, wo sie ihn festhält." - "Ich will helfen, lasst mich mit Euch kommen, ich will versuchen, irgendwas zu tun, vielleicht könnte ich mich wieder bei ihr ..." Dante unterbrach Lotte im gleichen Moment wie Cogta "Nein." - "Warum nicht?" Wieder wechselten sie kurz einen Blick, ihr war klar, dass sie damit gerechnet hatten, dass Lotte so reagierte.

"Lolla ... Du hast Lolla. Du musst Dich um sie kümmern und auch wenn sie groß genug ist, in die Welt rauszugehen, was in ein paar wenigen Jahren so weit sein wird, wirst Du nicht mit Deiner Verzweiflung zurückkommen können. Giulia würde es mitbekommen, sie würde erfahren, dass Du noch lebst, das zum einen, des weiteren würde sie mitbekommen, dass Du auf unserer Seite stehst, weil Deine Verzweiflung Dich dazu bringen wird, zu offenbaren, dass Du Simeon liebst. Und, Himmel, ich möchte gar nicht daran denken, wenn Giulia erfahren sollte, dass Du ein Kind mit ihm hast." Lotte wollte widersprechen, doch wieder wusste sie, dass sie Recht hatten und das ärgerte sie. Es ärgerte sie maßlos und sie fegte die Kerze vom Tisch, diese zerbarst laut an der Wand. "Nicht ...", Vusin war bei ihr und hielt sie an den Armen. "Nicht, Lotte, wir brauchen einen klaren Kopf ...", sprach er auf sie ein, während sie die verzweifelten Tränen nicht mehr zurückhalten konnte. Ihr Körper bebte und er nahm sie einfach nur fest in seine Arme und ließ sie Minuten lang nicht los. Stille Tränen auf seinen Wangen und ihr Schluchzen erfüllte den Raum, während Dante zu Boden sah, die Kerze zurück auf den Tisch stellte und sich dann an diesen auf den hölzernen Stuhl setze.

Es sollte noch einige Minuten dauern, bis Lotte bereit war, sich mit ihnen an den Tisch zu setzen und darüber zu sprechen, was weiterhin passieren musste. Simeon war von Giulia aufgegriffen worden, sie hatte ihn verschleppt. Alle waren sich sicher, dass er noch am Leben war, der Informationen besaß, die Giulia von niemandem sonst hätte bekommen können. Aber alle wussten ebenfalls, dass Giulia diese nicht einfach so aus ihm herauskitzeln konnte. Sie würde einen Plan ausfeilen, der mehrere Jahre oder gar Jahrzehnte mit einplante, um ihn zu Zermürben, wie sie es bei Lotte gemacht hatte.

Alle Beteiligten waren einstimmig dafür, dass Lolla nichts dergleichen mitbekommen durfte. Sie war aufgeklärt, was Giulia betraf, ausgebildet, was ihre Fähigkeiten anging und sie war ein kluges Mädchen, aber gegen Giulia hätte sie keine Chance, auch wenn sie sich als widerstandsfähig erweisen würde. Lolla war von Anfang an darauf gelehrt worden, ihre Gedanken so gut wie möglich zu beherrschen, sie hatte einige besondere Fähigkeiten ihres Vaters geerbt und konnte schon jetzt hervorragend mit diesen umgehen. Sie war somit geschult, gedanklich nicht Preis zu geben, wer ihr Vater und wer ihr Mutter ist, aber dennoch würde Giulia auch andere Mittel und Wege finden, es aus ihr herauszubekommen, wenn sie nur grausam genug war.

Lolla durfte schlichtweg nicht erfahren, dass ihr Vater in Gefangenschaft geraten war, denn ihr Temperament, das sie von ihrer Mutter geerbt hatte, würde sie durch die Liebe zu ihrem Vater, den sie ohnehin schon viel zu selten sah und viel zu oft vermisste, auf Rache aus sein. Sie würden mit Verstand und guten Worten nicht weiter kommen, denn Lolla kannte nur die Erzählungen, sie hatte nicht miterlebt, wie grausam es war, das alles wirklich auch zu erfahren - am eigenen Leib und vor allem an der eigenen Seele. Sie würde sich und Simeon in Gefahr bringen.

Lotte widerstrebte es, Lolla anzulügen, doch es ging um Leben und Tod und somit erzählten sie ihr lediglich, dass Simeon derzeit wieder im Untergrund arbeitete und daher nicht mehr zu Besuch kommen könne, solange die Mission anlief und unter Vampiren konnte das eine sehr lange Zeit bedeuteten. Lolla war traurig über diesen Umstand, aber sie verstand und respektierte. Den kleinen Ersatz, auch Dante wieder einmal zu sehen, nahm sie freudig an, auch wenn es ihr definitiv etwas ausmachte, dass sie ihren Vater nun länger nicht sehen durfte, als sowieso schon.

Lotte hatte Mühe sich zusammenzureißen, doch sie war auch durch die Zeit bei Giulia geübt darin. Alte Verhaltensweisen kamen wieder, in denen sie versuchte, alles zu verbergen und es drückte auf ihre Seele und sie lachte manchmal weniger oft, als Lolla es von ihr gewohnt war. Doch schob diese es einfach auch darauf, dass sie Simeon ebenso vermisste, wie sie selbst und sie stocherte nicht weiter in der Wunde herum. Sie mussten jetzt einfach weitermachen. Lotte musste für Lollas Ausbildung sorgen und danach würde sich zeigen, wie es weiterging, wenn Lolla soweit war, das Kloster zu verlassen. Und als sie 16 Jahre alt wurde, kam tatsächlich dieser Zeitpunkt, der für Lotte nicht gerade einfach war, aber sie war tapfer und ließ ihr Kind, und gleichwohl auch ihre Freundin gehen, weil sie wusste, dass jetzt die Zeit war, in der sie eigene Erfahrungen machen musste.



Aufbruch

Lotte hielt es kaum zehn Jahre aus, allein weiterhin im Kloster zu sein - allein. Natürlich hatte sie hier Vampire um sich herum, mit denen sie sich austauschen konnte. Es waren interessante Gespräche, einige Freundschaften hatten sich sicherlich auch gebildet nach so langer Zeit, aber die Unruhe wuchs von Tag zu Tag, fast schon von Stunde zu Stunde.

Lotte ging selbst wieder in die Lehren der Altvampire, die hier die jungen unterrichteten. Sie ließ sich ausbilden vor allem auch in den Neuerungen der Welt, die sie immer nur am Rande mitbekommen hatte und mittlerweile konnte man fast jeden Tag etwas neues mitbekommen. Einiges erreichte den Tempel erst Monate später, aber nach und nach brachte Lotte sich auf den neusten Stand und lernte auch die Annehmlichkeiten der Modernisierung dieser Zeit kennen. Manche Dinge waren ihr zwar fremd und sollten es auch bleiben, aber sie arrangierte sich auch mit diesen.

Des weiteren begann sie - jetzt, nach so vielen Jahrzehnten, fast Jahrhunderten - wieder, ihre eigenen Fähigkeiten zu perfektionieren, die etwas eingerostet waren. Sie hatte ein Ziel und auch in den Gesprächen mit dem Klosterleiter war sie von diesem nicht mehr abzubringen. Cogta und Dante rechneten schon lange damit, dass sie ihnen folgen würde, auch das war ihr bewusst, ebenso wie ihr klar war, dass sie hofften, dass dieses Erscheinen noch lange auf sich warten ließ. Aber sie konnte nicht einfach noch länger warten und es kam der Tag im Jahre 2021 an dem sie ihre Sachen packte und auf die Reise ging.

All das, was sie im letzten Jahrzehnt gelernt hatte, schien in den ersten Tagen allerdings verloren gegangen und sie hatte das Gefühl, sich in der Moderne nicht zurechtfinden zu können. Doch der Alltag und die Gewohnheit brachten Linderung und so kehrte sie dem Fremdsein den Rücken und ließ sich darauf ein, dass es neues gab. Flugzeugen vertraute sie weniger, allerdings wusste sie, dass es die schnellste und sicherste Möglichkeit war, für einen Vampir zu reisen, wenn er sich nicht in Särgen und blickdichten Kisten verstecken wollte und so wurde ihr erster Flug zu einem Abenteuer, bei dem sie hinterher sagte, dass es ihr wirklich auch Spaß gemacht hatte.

Zwei Tage sollte ihre Reise dauern und der nächste Flug brachte sie direkt nach Venedic, als sie in New York eine tägliche Zwangspause einhalten musste. Geld hatten sie im Kloster nur bedingt benötigt und da Vusin und Dante dafür gesorgt hatten, dass sie dennoch immer etwas erhielten, hatte sich im Laufe der Jahrhunderte einiges angesammelt, das ihr das Reisen und Wohnen um ein Vielfaches erleichterte. Im Kloster noch hatte sich um moderne Kleidung bemüht, die sie dort nie tragen wollte, weil sie ihre Kleider so hübsch fand und sich in diesen auch wohl fühlte. Sie würde auch niemals gänzlich auf diese verzichten wollen, aber ebenso wenig wollte sie auffallen wie ein bunter Hund und somit dauerte es zwar einige Zeit, bis sie die Kataloge gewälzt und sich einen neuen Stil zurechtgelegt hatte, aber letztendlich konnte ihr fast alles beschafft werden.

Sie wirkte wie eine junge Frau Mitte zwanzig, die gerne schöne, lange Kleider trug, wenn sie ausgehen wollte, was sie bislang noch nicht getan hatte, und wie ein Mädchen Mitte zwanzig, das sich an langen Röcken und hübschen Blusen erfreute. Hosen konnte sie nichts abgewinnen und sie weigerte sich strikt, diese auch nur anzuprobieren. Lolla war da umgänglicher gewesen, aber hatte die Vorliebe für Kleider und Röcke, wenngleich in anderem Stil, von ihrer Mutter übernommen. Lotte hoffte, dass sie Lolla bald wieder sehen konnte, denn in ihrem letzten Brief hatte diese geschrieben, dass sie sich jetzt auf nach Venedic mache und dort ihr Glück mit ihrer Band versuchte.

Lotte hatte sich ebenfalls mit Musikrichtungen auseinandergesetzt, doch so gänzlich wusste sie nicht, was ihr zusagen sollte. Sie mochte das melodische und gut klingende, mochte es, wenn es nicht zu laut war und sie hatte sich Tapes angehört, auf denen Lolla ihr Demos geschickt hatte. Sie empfand nicht alle Lieder als anhörbar, aber gerade jene, in welchen Lolla selbst sang, gefielen ihr gut.

Wirklich gefunden hatte sie sich weder in der Musik, noch im Kleidungsstil und sie nahm es als persönliche, kleine Mission, diesem nachzugehen. Es gab noch so viel zu sehen und zu entdecken, zu lernen und zu erleben und sie wusste, sie hätte nicht länger warten würfen. Den Anschluss jetzt zu finden, war schon schwer genug. Allerdings hatte sie nun ein Ziel. Sie wollte alles dafür tun, Simeon aus Giulias Händen zu befreien, koste es, was es wolle und primär ging es bei diesem Ziel vor allem darum, dass Giulia endlich vernichtet wurde. Niemand konnte von ihr verlangen, dass sie einfach in einem japanischen von Menschen und Gläubigen verlassenen und von Vampiren versteckten Klostertempel saß und darauf wartete, dass etwas passierte.

Es war Zeit, wieder zurück in die Welt zu kommen ...


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