Beitragvon Lolla » 24.09.2016, 17:40
Lebenslauf
Aus dem Exil ins Leben
Das erste, das Lolla wollte, als sie sich im Kloster von Lotte, ihrer Mutter und Freundin, verabschiedete, war der Kontakt zu anderen Menschen und Vampiren in ihrem Alter. Die ersten 15 Jahre ihres Lebens hatte sie in diesem alten Kloster verbracht, das als solches nicht mehr existent war. Vampire hatten sich hier verschanzt, um vor allem Flüchtigen zu helfen, unterzutauchen und weitere auszubilden. Lolla hatte es hier immer gefallen. Es gab nicht viele Kinder in ihrem Alter, aber es gab welche und mit ihnen spielte sie Streiche, ärgerte sich über Schulaufgaben, vergaß ihre Hausarbeiten und lachte.
Es war eine schöne Kindheit, auch wenn ihr viele Jahre der dauerhafte Umgang mit ihrem Vater fehlte. Als Lolla fünf Jahre alt war, ging er mit ihrem Großvater, von dem sie als solchen erst vier Jahre später erfahren sollte, in die Staaten, um geheimer Arbeit nachzugehen, von der das Kind nichts verstand.
Es war ein schmerzvoller Abschied, weil sie ihren Vater sehr liebte, und noch heute liebt. Er allerdings kam regelmäßig zu Besuch, nicht häufig, aber zumindest zwei, manchmal sogar drei Mal im Jahr, und es waren wertvolle Treffen, an die Lolla sich gerne zurückerinnerte.
Dann kam er auf einmal nicht mehr. Als Lolla neun Jahre alt war, wurde ihr gesagt, dass ihr Vater eine geheime Mission zu erfüllen hatte und nun erst einmal nicht mehr vorbeikommen konnte. Lolla litt in dieser Zeit, wenn sie an ihn dachte, doch lernte sie nach und nach, dass seine Mission mit der gefürchteten Giulia zu tun hatte, von der die Kinder im Altkloster aus dem Unterricht mehr erfuhren und darauf geschult wurden, wie sie sich verhalten mussten, um sich und ihre Familien vor ihr und den Anhängern zu schützen. Lolla überkam ein riesiger Stolz, dass ihr eigener Vater an vorderster Front kämpfte, auch wenn dieser Stolz immer wieder leicht abgedämpft wurde, wenn sie sich als Tochter nach ihm sehnte. Dennoch verstand sie die Situation.
Niemand wollte dem jungen Mädchen sagen, dass Simeon in Gefangenschaft geraten war. Vor allem dann nicht, als das Kind erfuhr, wie grausam diese Giulia mit ihren Gefangenen umging. Lolla wusste von ihrer Mutter Lotte, dass diese lange Jahre Giulia direkt fürchten und leiden musste. Sie konnte sich nur versuchen, vorzustellen, wie grausam dies alles für Lotte gewesen sein musste, denn Lotte selbst sprach niemals, wenn überhaupt, dann nicht im Detail darüber; und Lolla bohrte aus Rücksichtnahme nicht nach.
Diese Punkte waren die kleinen dunklen Flecken in ihrer sonst so glücklichen, wohlbehüteten und verwöhnten Kindheit, in der die Vampire im Kloster mehr für ihren Gehorsam sorgten, als Lotte selbst. Lotte war nicht die Mutter, die Menschen sich als Mutter vorstellten oder sie eben so kannten. Lotte war eine Freundin und das war auch gut so. Die beiden lachten viel, sie zickten sich aber genauso mit ihrem vererbten Temperament an, und es war wie es in einer solchen Freundschaft eben sein musste. Zwei bockige und genauso tief miteinander verschworenen Mädchen, auch wenn Lotte schon mehrere hundert Jahre alt war, die miteinander durch dick und dünn gingen.
Trotz dieser intensiven Beziehung, die die beiden miteinander hatten, wussten beide, dass ein Abschied bevor stand. Lolla wollte endlich raus aus dem ummauerten Gelände, wollte in die Welt, wollte sehen, was sie gelernt und wovon sie erfahren hatte, und kurz vor ihrem 16. Geburtstag sollte es auch soweit sein.
Kanada
Cogta Vusin, welcher Lolla seit ihrer Geburt kannte und von dem sie erst mit neun Jahren erfuhr, dass er der Vater ihres eigenen Vaters war, holte das Mädchen mit einem Hubschrauber ab. Lotte war stark, als sie ihr Kind verabschiedete, doch in ihrem Blick schwang etwas seltsames mit, was Lolla sich bis heute nicht erklären konnte. Sie versprach ihr allerdings, viele Postkarten und Briefe zu schreiben, und wann immer es ging, über das Satellitentelefon anzurufen. Gerne hätte sie auch eMails erwähnt, doch Lotte stand mit modernen Gerätschaften gerne mal auf Kriegsfuß.
Das Mädchen erhielt ein schönes Zimmer in Vusins Schloss und er führte sie in die Gepflogenheiten der Realität ein, so gut es einem so alten Vampir nun einmal möglich war. Auch Dante war ein treuer Ratgeber. Lange allerdings hielt sie es dort nicht aus. Sie wollte nicht von einer Heimstatt in die nächste kommen, sondern die Welt kennenlernen und die beiden Vampire wussten, wie auch Lotte es zuvor gewusst hatte, dass sie das Mädchen nicht würden halten können. Vusin allerdings stellte die Bedingungen, dass sie einige Wochen zuvor in einer Ferienfreizeit für Jugendliche verbringen sollte, um dort einige für ihn wichtige Erfahrungen machen zu können.
In Kanada sollte das Lolla dann in einem Ferienlager ihre Kontakte zu nichtwissenden Menschen pflegen und sich ausprobieren. Sie musste lernen, geschickte Ansagen zu machen, weswegen sie Einladungen zu am Tage stattfindenden Aktionen ausschlagen musste, ohne dass ihre Umwelt skeptisch wurde. Auch war das Opferfinden auf einem Ferienlager, das mitunter dann einen engen Raum bot, eine Herausforderung, die sie zu bewältigen hatte. Das Ferienlager war groß, es gab Hunderte Jugendliche, und dennoch durfte das Lager nicht in Verruf geraten, und so musste Lolla lernen, mit ihren Fähigkeiten zu agieren, auch wenn sie das "Vergessen" nicht beherrschte.
In dieser Zeit erlebte sie ihr erstes Mal mit einem jungen Gitarristen. Er hatte es ihr angetan, aber auch die Musik faszinierte sie sehr und ihre Leidenschaft für die "handgemachte" Musik entflammte nahezu schlagartig. Er hatte ihr erzählt, dass das Instrument, das man spielte, zu einem passen musste, und dass sein Bassist beispielsweise der ruhige Part war, der den Grundton des Basses auch in seinem Charakter mit sich trug. Der Wunsch, ein Instrument für sich zu finden, stieg mit jedem Stück, das er ihr vorspielte, und mit jedem Gespräch, das sie über Musik führten. Sie fand hier einen Ausdruck ihres inneren Selbst, das später ihr Leben gewichtig prägen sollte.
Europa, Ziele und Erkenntnisse
Lolla selbst wusste allerdings schon sehr früh, als Kind schon, was sie wollte und was nicht. Ebenso hatte sie sehr schnell gelernt, auf den Punkt der Sache zu kommen, und auch, Dinge vorauszusehen oder zumindest abzuwägen. Ihre Mutter, die sie nie wirklich wie "ihr Kind" behandelt hatte, war dennoch in solchen Dingen eine kluge Lehrerin gewesen.
Immerzu hatte sie ihrem Mädchen eingebläut, dass es erst zu denken habe, bevor es handle. Ein Überbleibsel aus Lottes eigener Vergangenheit in der Gefangenschaft, die sie erleben musste und von der Lolla mit den Jahren auch erfahren hatte, wenngleich viel allgemeiner gehalten, als es ihr lieb gewesen war. Doch lernte sie in Zuge dessen auch gleich, Rücksicht, Toleranz und Respekt vor den Gefühlen und Meinungen anderer, die man nicht zu bedrängen hatte.
Nichtsdestotrotz war Lolla als verwöhntes Mädchen aufgewachsen. Zwar gab es vieles im Kloster nicht, womit andere Kinder verwöhnt worden wären, aber es gab auch nichts, was sie nicht bekommen hätte, wenn sie es sich wünschte. Ihr Großvater und Vater sowie Dante hatten immer dafür gesorgt, dass alles, was Lolla wollte, auch herbeigeschafft wurde. Somit war Lolla für die erste Zeit auf ihrer Reise, die sie nun nach dem Feriencamp antrat, auch gedankenlos, als Cogta ihr eine Kreditkarte aushändigte, damit sie sich alles kaufen und besorgen konnte, was sie gerne haben wollte. Es sollte ihr gut gehen und sie sollte nie in Not geraten, wenn sie sich nun allein auf den Weg durch die Welt machte.
Er schickte sie für einige Wochen nach Europa, damit sie sich dort verschiedene Kulturen ansehen und von diesen lernen konnte. Die Erfindung von Flugzeugen machten es ihm möglich, dem Mädchen mehr zu bieten, als er seinem eigenen Sohn hatte bieten könnten, der vor einigen Jahrhunderten das Schiff zur Reise hatte nutzen müssen. So kam Lolla für ein paar wenige Wochen in verschiedene Länder wie England, Deutschland, Spanien, Frankreich, Polen und die Schweiz. Sie sah sich die Sehenswürdigkeiten an, las Reiseführer und -tagebücher, schrieb ihr eigenes nebenbei und hörte sich vor allem viele Bands - vom Orchester, über Jazz bis hin zum guten alten Rock - an, um ihr weiterhin einziges genaues Ziel zu erreichen, ein Musikinstrument zu finden, welches sie spielen lernen wollte. Sie hatte es auf den Zettel ihrer Ziele geschrieben.
Es dauerte allerdings nicht sehr lange, bis sie nicht nur die Touristenattraktionen kennengelernt hatte, sondern auch die Menschen auf der Straße. Straßenmusikanten waren die ersten, die mit ihrer Musik, die durch ihr Schicksal entstanden war, berührten. Stundenlang konnte sie ihnen zuhören, wenn sie abends auf den orangebeleuchteten Innenstadtplätzen spielten und sich ein Zubrot verdienten. Ebenso kurz war die Zeit, bis Lolla begriff und durch Gespräche auch erfuhr, dass diese Menschen oftmals ohne Dach über dem Kopf, und von der Hand in den Mund lebten.
Sie begann darüber nachzudenken, wie ungerecht die Schicksale waren und dass sie mit ihrer goldenen Kreditkarte überhaupt kein Recht besaß, gedankenlos das Geld aus dem Fenster zu werfen. Zwar war es nicht viel gewesen, das sie sich bisher geleistet hatte, weil sie nicht all zu viel mit sich herumschleppen konnte, und nicht ständig Lust hatte, ein Paket nach Hause zu schicken, aber sie hatte sich schon eine Liste gemacht, was sie zurück in den Staaten gerne besorgen wollte.
Es fiel ihr von da an zunehmend schwerer, etwas zu bezahlen, auch wenn es die nötige Unterkunft war, die sie für die Tage brauchte, um zu überleben. Lolla entschied nach einem Jahr in Europa, zurückzukehren und ihrem Großvater zu eröffnen, dass sie sein Geld nicht haben wollte. Er selbst war erst einmal überrascht, fühlte sich aber an Lotte erinnert, welche sich gleichen Mimiken bediente, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. Offensichtlich war es dem jungen Mädchen ernst, als sie ihm die Kreditkarte zurückgab und ihm sagte, sie wolle nun versuchen, ihr Geld selbst zu verdienen. Es waren nur zwei kleine Versuche, bis er klein bei gab, ihr aber das Versprechen abrang, dass, wenn es notwendig war, sie sich nicht scheuen sollte, ihn um Hilfe zu bitten.
Zähneknirschend versprach sie es ihm und nahm dann auch das Ticket nach New York an, welches er ihr unter dem Vorwand überreichte, dass es ein Geburtstagsgeschenk sei. Auch konnte sie die 200 Dollar von Dante nicht ablehnen, der ihr ebenfalls ein Geschenk machen wollte. Des weiteren war Rebecca offensichtlich ebenso eingeweiht, und so flog Lolla mit guten 500 Dollar und einem Rückflugticket nach New York. Die Stadt, von der man sagte, dass dort alles vertreten war, was man in der Welt vorfinden wollte. Die Stadt - der Nabel der Welt - The Big Apple, diese wollte sie sehen, dort wollte sie überleben, dort wollte sie finden, was sie bislang noch nicht suchte - einen Lebensinhalt.
New York und die Musik
Lolla suchte sich einen Job im Restaurant einer Fastfoodkette, und einen in einem Supermarkt, um sich ein kleines Zimmer leisten zu können. Es war ein heruntergekommenes Zimmer, in welchem der Graf sie freiwillig wohl nie hätte wohnen lassen, aber sie entschloss sich, ihm einfach nichts von den abblätternden Tapeten, dem laufenden Wasserhahn und der verrosteten Dusche auf dem Flur zu erzählen, wenn sie wöchentlich mit ihm telefonierte, um ihm mitzuteilen, dass es ihr gut ging und sie keine Unterstützung brauchte. 400 von den 500 Dollar verteilte sie an Obdachlose und die restlichen 100 übergab sie der alten Vermieterin als Kaution für ihre Wohnung. Sie musste sicher gehen, dass ihre Unterkunft sicher war, denn sie brauchte den Schutz vor der Sonne, wie ihn jeder Vampir brauchte.
Wenn sie ein bisschen Trinkgeld verdient hatte, sparte sie einen großen Teil davon. Da sie keine Nahrungsmittelausgaben hatte, konnte sie auch ein bisschen von ihrem Verdienst sparen, allerdings war die Miete des renovierungsbedürftigen Zimmers in dem baufälligen Haus so hoch, wie alle Wohnungsmieten in New York hoch waren, auch wenn sie sich in Queens eingemietet hatte.
Von dem kleinen Rest, den sie nicht sparte, ging sie aus. Hörte sich weiterhin Bands und Konzerte an und ließ sich von der Musik des Herzens leiten - der Musik ihres Herzens und diese fand sie in den rockigeren Tönen und manchmal auch in der Klassik. Es war eine Nacht in einem Einkaufszentrum, in der sie in einem Musikgeschäft stöberte, in dem sie schon sehr oft war, um sich alles anzusehen.
Ein Umbau hatte das Geschäft vergrößert und bei der Wiedereröffnung stand dort ein Schlagzeug, in welches sie sich sofort verliebte. Es glänzte im Schein des Lichts und schien vollkommen unberührt. Doch durch diese Liebe erfuhr sie gleichzeitig einen unglaublichen Respekt vor diesem Instrument und strich eher sacht über die goldfarbenen Becken, als dass sie hätte fragen können, ob sie einmal darauf spielen durfte. Nun kam sie fast jede freie Nacht hier her und sah es sich an, bis der Besitzer sie einmal fragte, ob sie sich nicht dransetzen wollte, doch Lolla verneinte und vermied es, die nächsten Nächte dort aufzutauchen.
Sie konnte selbst nicht genau erklären, was eigentlich mit ihr los war. Wieso war es so ein Problem, sich einfach dran zu setzen und es auszuprobieren? Sie verlagerte ihre Nächte nun erst einmal darauf, sich wieder Livemusiker anzusehen, die mit einem Schlagzeuger unterwegs waren. Sie beobachtete genau jede Bewegung, versuchte zu lernen, versuchte herauszufinden, auf was sie achten musste, las Bücher, meldete sich in Schlagzeugerforen an und glaubte irgendwann, die Gewissheit zu haben, dass sie auf dem Schlagzeug nicht spielen wollte, weil sie nicht wollte, dass es sich schlecht anhörte und sie sich selbst enttäuschte.
Bislang war das weiterhin ihr einziges Ziel auf der Liste gewesen und wenn sie sich bewusst machte, dass dieses Ziel vielleicht eines war, das sie nie erreichen konnte, weil sie es möglicherweise einfach nicht beherrschte, wollte sie es lieber nie verwirklichen. Dennoch ließ sie der Gedanke einfach nicht los. Die junge Vampiress, die mittlerweile 19 Jahre alt war, steigerte sich in diese Gedanken zusehends hinein. Immer mehr schwankte sie hin und her, bis sie eines Nachts so wütend auf ihre eigene Unsicherheit war, die sie so gar nicht von sich gewohnt war, dass sie in das Geschäft ging, fast stürmte, und sich einfach auf den Hocker hinter dem Schlagzeug setzte.
Sie war aufgebracht, hatte durch ihre innere Anspannung Tränen in den Augen, als sie die Sticks in die Hände nahm, doch bevor sie beginnen konnte, hörte sie eine Stimme hinter sich. Es war der Besitzer, der ihr sagte, dass sie die Augen schließen sollte, bevor sie wütend auf das Instrument einzuschlagen gedachte. Sie solle den Takt ihres Herzens spielen, mehr nicht. Er lächelte, sie konnte es aus seiner Stimme hören. Sie hatte sich nicht zu ihm umgedreht, sondern spürte nur den Druck seiner Hand kurz auf ihrer Schulter, bevor sie die Augen schloss und tat, wie ihr geheißen. Und obwohl sie von ihrem Gefühl her geglaubt hätte, dass sie auf die Trommeln und Toms schlagen würde, begann sie ganz ruhig, holte sich aus ihrer Erinnerung die Bewegungsabläufe, die sie so lange und so oft bei anderen Drummern beobachtet hatte, wusste, welche Richtung welchen Ton brachte und kam in einen Takt, der sich einfach stimmig anhörte.
Sie hörte nur noch ein weiterhin lächelndes "Geht doch ...", und die Schritte, die sich von ihr entfernten, als der Besitzer sich darum kümmerte, Neuankömmlinge zu bedienen. Lolla spielte einfach weiter, gute 20 Minuten schien es nichts mehr um sie herum zu geben, nur sie und das Schlagzeug. Dann erst wollte ihr Herz sich beruhigen und erst dann konnte sie den letzten Schlag auf das Becken tun und die Augen wieder öffnen. Sie hatte geweint und es nicht einmal gemerkt.
Jetzt aber hatte sich ein Lächeln auf ihre Lippen gelegt, das ihre innere Ausgeglichenheit spüren ließ, für jeden, der sie angeschaut hätte. Sie suchten den Blick des Ladeninhabers, nahm die Sticks in die Hände, stand auf und lief auf ihn zu. "Heute möchte ich die Sticks kaufen, diese, und keine anderen. Und bitte sagen Sie mir einen Zeitraum, in dem ich Sie bitten kann, dieses Schlagzeug für mich zurückzuhalten, bis ich es bezahlt habe. Dieses, kein anderes. Ich kann auch ein paar hundert Dollar anzahlen ... und niemand soll darauf spielen dürfen".
Er lächelte nur, und etwa vier Monate später stand das Schlagzeug in ihrem engen, kleinen Zimmer. Unaufgebaut, weil es keinen Platz hatte, aber es war ihres. Die Sticks, welche sie am ersten Tag gekauft hatte, waren fein säuberlich in einer Schachtel verstaut, in dem sie ihr wichtigstes Seelen-Hab-und-Gut verstaut hatte. Sie würde sie nicht mehr verwenden, damit sie nicht kaputt gingen. Dafür hatte sie ein Zehnerpack Extra-Sticks gekauft, auch wenn sie diese im Augenblick schlecht verwenden konnte. Irgendwie allerdings war es ein komisches Gefühl, diesen Punkt auf ihrer Liste nun durchstreichen zu können und nichts weiter darauf zu lesen, als "alles sehen und alles wissen". Dies war ein Punkt, wie sie mittlerweile begriffen hatte, der sich bis zu ihrem Lebensende, wenn es das denn je geben sollte, ungestrichen bleiben würde.
Andererseits war das Gefühl, dass sie ihr Leben lang dazulernte, eine Erkenntnis, die sie unheimlich erfreute, auch wenn es schon viele vor ihr gegeben hatte, die darauf schon gekommen waren. Lolla ging jetzt dazu über, sich kleine Ziele zu setzen, sie lehrte sich sozusagen selbst, wie man mit dem Leben zurechtzukommen hatte. Allerdings schrieb sie sich diese Ziele nicht mehr auf, sondern behielt sie sich im Hinterkopf. Das nächste, was anstand, war somit eine etwas größere Wohnung, in der sie das Schlagzeug aufstellen, und nachbarschaftstechnisch darauf spielen konnte. Oder aber ein Übungsraum, der wesentlich günstiger war, aber schwerer zu finden.
Zum einen gab es schon so viele Bands in New York, die diese Räume belegten, und zum anderen waren die, die frei waren, Räume, die eher weniger gesichert waren. Lolla aber würde niemals ihr Schlagzeug an einem weniger sicheren Ort aufstellen. Wobei sie sich zugestehen musste, dass das Zimmer, in dem sie lebte, trotz der drei Türschlösser, garantiert nicht der sicherste Ort der Welt war. Dennoch ... da gab es nun ein kleines Ziel und das würde sie erreichen. Dafür suchte sie sich noch einen dritten Job, denn für eine Vollzeitstelle war sie als Vampir einfach nicht flexibel genug - zumindest nicht für Regalauffüll- oder Kassiererarbeiten und auch nicht in einem Fastfood-Restaurant, in dem es zudem unglaublich stank - für den Vampirgeruchsinn noch viel mehr als nur unglaublich.
Es dauerte allerdings nicht lange, bis Lolla einen Job in einer Diskothek fand. Er wurde zwar besser bezahlt als die anderen, doch sie konnte nur das Fastfood-Restaurant dafür aufgeben, wenn sie mehr als zuvor verdienen wollte. Mit der Zeit allerdings wurde dort ein Job frei, den sie jede Nacht tun konnte, auch wenn sie dem Besitzer fadenscheinige Ausreden vorgeben musste, dass er sie nicht bis zum Morgengrauen arbeiten ließ. Es war ein kleiner Kampf, vor allem auch mit ihren Kolleginnen, doch diesen nahm sie auf sich - nicht zuletzt deswegen, weil sie einfach keine andere Wahl hatte. Sie musste vor Tagesanbruch zuhause sein.
Mit der Zeit arrangierte man sich allerdings damit, und so war Lolla 21 Jahre alt, hatte eine etwas größere Wohnung, in einem etwas sichereren Viertel, und sie hatte sich im Spiel perfektioniert. Alles, was sie konnte, hatte sie sich nahezu autodidaktisch beigebracht, weil sie niemanden fand, der nachts Unterricht im Schlagzeug spielen erteilte; sie nachts zudem ihre Nachbarn nicht boshaft auf sich aufmerksam machen wollte, und sie vor allem in dieser Zeit zu arbeiten hatte, um ihre Wohnung zu finanzieren.
Die Band]
Es war eine Nacht wie viele andere, in der sie am Schwarzen Brett der Diskothek vorbei ging und ihr eine hübsch gemalte Anzeige ins Auge fiel, die eine Band ausgehangen hatte und mit dieser ein Schlagzeuger gesucht wurde. Es hatte schon viele Bandanzeigen an diesem Brett gegeben, aber Lolla hatte die Hoffnung schon fast aufgegeben, dass irgendwann einmal jemand wirklich einen Drummer suchte. Immer fehlten die Bassisten, Gitarristen gab es wie Sand am Meer, Sänger ebenso und Drummer schienen sich von allein zu finden. Selten einmal war es wirklich ein Sänger oder eine Sängerin, die gesucht wurde, aber auch wenn Lolla singen konnte, war es nicht das, was sie in einer Band hauptsächlich tun wollte.
Seltene Anzeigen mit Drummergesuchen waren bisher immer in die Hose gegangen. Entweder war ein Vorspiel am Tag angesetzt und keine Telefonnummer dabei gestanden, sie hatte zu spät angerufen oder es war eine Frau in der Band, die eine weitere nicht geduldet hätte. Ein Typ hatte sogar lachend mit den Worten aufgelegt, dass eine Frau garantiert nicht der Typ war, der ein Schlagzeug "bedienen" konnte, als sie selbst ein Inserat aufgegeben hatte. Lolla dachte sich dann auch nur, dass es sowieso der falsche gewesen sein musste, wenn er drummen als "bedienen" bezeichnete. Doch als sie das nächste aufgab und diesmal die weibliche Form von Schlagzeuger als Begriff verwendete, rief niemand an.
Nun aber war hier eine Band, die einen Schlagzeuger suchte und ein Vorspiel für Dienstagabend angesetzt hatte. Zwar war auch hier keine Telefonnummer angegeben, aber die Zeit ließ alle Möglichkeiten offen, einfach hinzugehen, denn dienstags war Ruhetag in der Diskothek und vom Supermarktjob konnte sie sich frei nehmen, da sie nie gefehlt hatte. Und wenn sie ehrlich zu sich war, wäre es ihr auch anders egal gewesen, denn die Musik ging ihr vor. Das nächste kleine Ziel, das sie sich gesetzt hatte, nachdem sie in ihre neue Wohnung eingezogen war. Die Kaution ihrer ersten Wohnung hatte sie nie wiedergesehen, aber das machte ihr nichts aus. Diese alte Frau würde das sicherlich gut für sich gebrauchen können.
Jetzt musste sie nur noch darauf hoffen, dass diese Band nicht auch so arschig war, und ihr absprachen, als Frau spielen zu können - oder noch schlimmer - eine andere da war, die ihr den Zutritt verwehrte, weil sie sie als Konkurrenz ansah. Lolla selbst hätte kein Problem damit gehabt, mit einer anderen in der gleichen Band zu sein. Aber auch hier hätte sie ehrlich zu sich sein können, denn sie wusste, dass sie als Vampir einfach besser aussah, als eine Menschenfrau. Vielleicht nicht jedermanns Geschmack, weil sie selbst einfach sehr weibliche Hüften hatte, aber zumindest ihre Ausstrahlung war nun einmal die eines Vampirs und in dem Musikbereich, in dem sie sich als Drummerin bewarb, war das ein ziemlich anziehender Bestandteil des äußerlichen Seins.
Lolla konnte das Vorspiel kaum erwarten. Zwar hätte sie gerne auf ihrem eigenen Schlagzeug gezeigt, was sie konnte, aber sie konnte es schlecht zum Treffpunkt in einem alten Fabrikgebäude bringen und dort ewige Zeit brauchen, um es aufzubauen. Sie musste bei oberflächlichen Zweifeln sofort beweisen können, dass sie etwas konnte und dass sie sogar mehr als das konnte. Unterstützt war ihre Schnelligkeit natürlich auch durch ihre vampirischen Voraussetzungen, doch musste sie lernen, diese Schnelligkeit noch in einem menschlichen Rahmen zu halten, damit sich niemand darüber wunderte und sie kritisch beäugte.
Als sie im Bus saß und zum Treffpunkt fuhr, überlegte sie sich, dass es natürlich auch sein konnte, dass die Band selbst aus Vampiren bestand, wenn sie das Vorspiel auf den Abend legte. Sie hatte sich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, ob das vielleicht ein Problem für sie selbst werden konnte. Nicht, weil sie selbst Rassenunterschiede machte, nein, sondern weil manche Vampire rassistisch veranlagt waren und damit wäre sie nicht zurecht gekommen. Es gab so viele Vampire, die glaubten, dass die Vampirrasse besser war, als die der Menschen - und mit solch einem Gedankengut wollte sie sich nicht gleichstellen, es tolerieren oder gar beschweigen.
Als sie jedoch beim Vorspielort ankam, entkräfteten sich jegliche Befürchtungen auf einen Schlag. Die herzliche Begrüßung der Band allen Ankömmlingen gegenüber ließ nicht vermuten, dass sie etwas gegen eine Frau in der Band haben konnten, auch wenn sie für einen Moment stutzten und sie fragten, ob sie zu jemandem dazu gehöre oder sich tatsächlich selbst bewarb, was ein paar Lacher in der Runde der Anwerber, aber keinen bei der Band auslöste - im Gegenteil. Derjenige, der sich als Justus vorgestellt hatte und wohl der Gitarrist in der Band war, verabschiedete die Lacher auf sehr direkte Art und Weise, sodass das Grinsen aus deren Gesichtern sehr schnell verschwand.
Des weiteren waren die Bandmitglieder alle Menschen. Blieb allerdings ein neuer Gedanke, der Lolla beschäftigte. Wie sollte sie den Bandmitgliedern, wenn sie denn genommen werden würde, sagen, dass sie ein Vampir war und nur nachts spielen konnte? Normalerweise machte sie sich über solche Dinge vorher Gedanken, aber irgendwie hatte sie so gar nicht mehr damit gerechnet, überhaupt in eine Band zu kommen, dass sie diese Überlegungen komplett verdrängt hatte. Gezählt hatte nur der Weg als Ziel, nie die Erreichung dessen, als es bei den ersten Malen schon nicht hingehauen hatte. Musste sie jetzt hoffen, dass das Vorspiel nicht gut lief und sie nicht genommen wurde?
Lolla entschied sich direkt mit diesem Gedanken für ein vehementes "Nein". Sie würde eine Lösung finden, wenn sie es schaffte, dessen war sie sich sicher. Notfalls würde sie sich dem Gedankenlesen bedienen, welches sie beherrschte, auch wenn sie äußerst ungern in die Intimsphäre anderer eindrang. Auch hier blieb sie vorsichtig mit voreiligen Entschlüssen und vertagte diese Auseinandersetzung auf den gegebenen Zeitpunkt, der vielleicht gar nie kam.
Doch sollte er kommen. Sie war einfach gut. Sie spielte, als würde sie in ihrem Leben nie etwas anderes tun, und möglicherweise war ihr Aussehen oder vielleicht grade auch ihre Weiblichkeit der Grund, warum sie tatsächlich das Angebot bekam, "es zu versuchen". Später sollte sich herausstellen, dass sie tatsächlich wegen ihrer Fähigkeiten genommen wurde, nicht etwa deswegen, weil sie eine Frau war. Das war auch das, was ihr fast den Bandplatz gekostet hätte.
Nicht etwa, weil die Jungs sie weggeschickt hätten, sondern vielmehr deshalb, dass sie selbst gegangen wäre. Und das nur, weil sie sich überhaupt nicht hatte zurückhalten können und den Jungs tatsächlich auf ihre störrische Art und Weise vorwarf, sie würden ihr den Platz nur bieten, weil sie eine Frau war. Noch während sie das von sich gab und sogar darauf beharrte, ging ihr durch den Kopf, dass sie doch einfach ihren Mund halten sollte. Aber es ging nicht, der Frust musste raus und sie konnte nichts dagegen tun.
Der dunkelblonde, langwimprige Justus war der erste, der anfing zu lachen, als die Szenerie sich über fünf Minuten hinzog, in der Vico und Mayham zu erklären versuchten, dass dem sicherlich nicht so war. Humml, der langhaarige Basser, saß einfach nur da und grinste und kaum ein paar Sekunden später, nach einem kurzen Verstummen auf Justus' Reaktion, lachte auch Mayham und Vicos Lippen nahmen ein breites Grinsen in seinem hübschen, aber etwas eingefallenen Gesicht an.
"Waaas?", entfuhr es Lolla langatmig und fast schon entnervt-sauer, wenngleich innerlich noch immer versuchend, sich zurück zu halten. "Na, da hast Du Deine Antwort doch, Lolla." Das war Justus. "Wie, ich habe meine Antwort ...?" Sie stand offensichtlich auf dem Schlauch. "Na, meinst Du, wir würden eine Zicke wollen, die schon beim Vorspielen durchtickt und haltlose Anschuldigungen bringt?" Fragte Vico, der Leader der Band, und wie er erzählt hatte, auch der Gründer dieser. "Nein, ich denke nicht. Ich denke, ehrlich gesagt, auch, dass es das jetzt für mich auch war ...", gab Lolla zu und die Jungs lachten abermals. "Ihr braucht gar nicht zu lachen, echt wahr ...", gab sie daraufhin noch giftig zurück und schaute sich nach ihrer Jacke um. Die Tränen vor Wut in den Augen - Wut über sich selbst.
"Lolla, Stopp Stopp ...", Justus erkannte nun, wie auch die anderen, dass sie wirklich glaubte, dass sie gehen musste - und vor allem, dass sie glaubte, ausgelacht zu werden. "Wir lachen Dich nicht aus, viel eher mit Dir, wenn Du es auch tun würdest. Du passt zu uns wie die Faust aufs Auge ... Herzlich Willkommen in der Band ...", Just strahlte sein ehrlichstes Lächeln und hielt ihr die Hand hin. Lolla blickte sich zu den anderen um, die ebenfalls schmunzelten, Mayham nickte ihr auffordernd zu. Sie konnte nicht mehr anders, als sich die Hand vor den Mund zu legen und die Tränen rauszulassen, wenngleich sie versuchte, nicht vor Glück, Scham, aber auch Erleichterung zu Schluchzen.
"Oh man ...", war das einzige, das sie fertig brachte. Der Gitarrist hob seine Hand ein Stück höher ... "Na komm schon, Verträge sind ohne Handschlag ungültig." Lolla lachte auf und nahm dann seine Hand, die anderen legten ihre mit einem Ruck oben drauf und so begann ein neuer Abschnitt in Lollas Leben - und das Grübeln um die Frage, wie sie den Jungs sagen konnte, was sie war ...
Vampirdasein
Es schien ein unlösbares Problem für die Vampiress zu sein, aber es kam alles ganz anders, als sie es sich vorgestellt hatte. Vico war es, der sie darauf ansprach, warum sie in ihrer Gegenwart nie aß oder trank, warum sie nur abends zu den Proben kommen konnte und warum die Gigs, die sie spielen sollten, ebenfalls niemals an einem Nachmittag zustande kamen. "Hör zu, Vico ... Du wirst mir das jetzt wohl nicht glauben, aber ...", und er wehrte mit einer Hand ab, Lolla verstummte. "Kein Ding, Lolla, ich weiß, dass es Vampire gibt." Lolla sagte nichts, sie musterte ihn nur eindringlich und fragte sich, warum sie ihre Prinzipien nicht einfach in den Wind geschossen, und in den Gedanken der Jungs nach solchen Informationen gesucht hatte. Sie hätte sich viel Grübelei ersparen können. "Woher?"
"Meinst Du, woher ich es generell weiß, oder woher ich es bei Dir weiß?" Lolla holte Luft. Na ja, eigentlich eher, woher generell, denn woher Du es von mir weißt, ist ja offensichtlich, wenn Du es generell weißt ...", sie kam sich irgendwie blöd vor. "Sorry, ja, schon klar. Ich wollte Dich nur aufziehen." - "Versuch gelungen." Es war für sie ein viel zu wichtiges Thema, als dass sie es einfach mal so als Scherz nebenbei abtun konnte. Es war nicht so, dass sie ein Problem damit gehabt hätte, dass Menschen von der Existenz der Vampire wussten, mitnichten, aber dennoch wusste sie, dass sie damit vorsichtig umzugehen hatte. Vico hielt es aber offenbar für das Verständlichste im Leben, darüber Bescheid zu wissen und freizügig seine Witze machen zu können. Als er aber fortfuhr, wurde er ernster.
"Nun ja, Humml hatte mal eine Freundin. Ich kenn' ihn schon recht lange. Er war ewig mit ihr zusammen ...", Lolla fragte sich, was er unter "ewig" verstand, schluckte ein Nachfragen allerdings herunter. "... die beiden hatten sich erst zwei Monate vorher ihre erste eigene und auch gemeinsame Bleibe gesucht - ganz frisch nach dem Abschluss. Sie wollten sich ein bisschen was verdienen und im Sommer aufs College gehen. Als sie nach zwei Stunden immer noch nicht da war und er sie auch nicht auf dem Handy erreichte, rief er mich an. Ich schlug ihm vor, den Weg abzufahren, er sollte zuhause bleiben, falls sie anrief oder doch noch vorbei kam. Allerdings war das alles erfolglos. Als ich bei ihm ankam, dauerte es kaum eine halbe Stunde, in der wir alle möglichen Leuten angerufen hatten, als die Bullen klingelten." Vico atmete tief durch, bevor er weitersprach, Lolla sagte nichts, sie glaubte zu wissen, was kam.
"Sie hatten sie gefunden, in einer Seitengasse, obwohl sie Humml versprochen hatte, abends keine Abkürzungen zu nehmen. Sie hatte kein Blut mehr in ihren Adern und ich bin mit ihm in die Leichenhalle gegangen, weil er es allein nicht geschafft hätte, sie zu identifizieren. Sie hatte keine Familie mehr, weil sie aus dem Heim kam, daher gab es niemanden, der das sonst hätte tun können." Lolla sah zu Boden, als schäme sie sich fremd. Anderseits konnte sie dieses Gefühl nicht teilen, sie wusste, dass für den Vampir das Mädchen ein Opfer wie jedes andere war, wie für sie jedes Opfer nun einmal ein Opfer war - jede Nacht, in der sie sich eines suchte.
Dennoch hatte Lolla einen Weg für sich gefunden, ohne eigenwillige Gedanken unter den Menschen leben zu können, weil sie versuchte, die Welt mit ihren Opfern ein kleines Stückchen besser zu machen. Sie suchte sich immer jemandem, bei dem sie einen Grund fand, sagen zu können, dass es besser wäre, wenn es diese Person nicht gäbe. Jedenfalls insoweit es ihr möglich war. Allerdings wusste Lolla auch, dass dies für Humml niemals eine Erklärung sein konnte. Als Vico weitererzählte, sah sie wieder zu ihm hoch. "Ich hab' die Bissspuren gesehen, Lolla. Für mich war es eindeutig, aber Humml wollte mir das nicht glauben. Vielleicht auch einfach, weil er sich sonst noch machtloser gefühlt hätte." Lolla nickte, sie wusste, was er meinte.
"Ich konnte das natürlich auch nicht einfach mal so glauben, aber irgendwie ließ mich halt der Gedanke nicht ganz los und ich begann zu suchen ...", die Augenbrauen der Vampiress fanden eine höhere Lage. Wusste er eigentlich, in welche Gefahr er sich damit begeben hatte? "Und ich fand auch eines Nachts ... es war 'ne echt Hübsche. Ich wusste es nicht und ich konnte das auch gar nicht sehen, was sie war. Erst als sie mich aussaugen wollte, wurde mir klar, warum sie so schnell mit mir in eine dunkle Ecke verschwunden ist. Ich hatte aber wohl ein Scheiß-Glück, denn sie muss noch echt jung gewesen sein. Ich konnte sie recht einfach davon abbringen, dass sie mich gänzlich aussaugt, in dem ich einfach das Risiko eingegangen bin und mit ihr gesprochen hab'. Sie hatte mehr Kraft als ich, daher hätte sie mich leicht umbringen können, aber sie ließ tatsächlich von mir ab, auch wenn sie ganz verunsichert war und sich ständig umschaute." "Möglicherweise nach ihrem Meister ...", fiel Lolla dazu ein, sagte es aber nicht. Diese Geschichte passte zu Vico, wahrscheinlich war sie auch gar nicht ganz so glimpflich ausgegangen, aber er lebte, also musste er es irgendwie überlebt haben.
"Jedenfalls hat sie mich dann gehen lassen. Sie meinte, sie würde mich ja umwandeln, aber sie könne das nicht ... dann ist sie davon gelaufen." Lolla nickte, diesmal, weil sie sich in ihrem Gedanken bestätigt fühlte, da Ghoule nicht umwandeln konnten. "Das war aber nicht nur die Nacht, in der ich begriff, dass das alles wahr ist, sondern auch, dass es solche und solche Vampire gab. Das war echt 'ne so Süße.
Jedenfalls hab' ich versucht, das Humml zu erklären. Er hat mir erst gar nichts geglaubt. Dann irgendwann hat er wohl gemerkt, dass ich keinen Scheiß erzähle und brauchte ein paar Wochen, bis er von allein wieder mit dem Thema auf mich zukam. Ich meine, hey, als wäre ich Allwissender über die Vampirrasse, ich hatte doch selbst keinen Plan, aber gut. Er meinte dann, dass er darüber bestenfalls echt nie wieder reden will. Er ist heute noch ein wenig verstört, was das Thema angeht. Aber Lolla ... Du musst ihm das sagen ..."
"Oh nein, nein, nein ... Vico, vergiss es, das geht nicht. Du hast mir grade groß und breit erklärt, dass er seine Freundin durch einen Vampir verloren hat. Und dass er auch nicht glauben kann, dass es davon gute gibt. Ich kann doch jetzt nicht hingehen und ihm sagen: Hey Humml, sorry wegen Deiner Freundin, aber ich bin auch ein Vampir. Aber keine Sorge, ich werde Dir nichts böses antun, nur allen anderen, die ich auf der Straße so treffe, damit ich mich ernähren kann ..." Vico ließ sich allerdings nicht beirren und rief Humml zu ihnen, als er gerade um die Ecke zu ihnen auf den Hof kam, auf dem sie immer auf alle warteten, um danach in den Proberaum zu gehen. "Oh dieses Timing ...", Lolla versuchte ihn mit Blicken zurückzuhalten, dann mit Gedanken, die sie ihm in den Kopf schob, doch es half nichts, außer, dass er für einen Moment irritiert zu ihr zurücksah und sie eine entschuldigende, sich erklärende Mine aufsetze. Sie konnte nicht verhindern, was dann passierte, als Humml sich mit seinem Burger setzte, diesen auspackte und reinbiss - vollkommen ungeahnt dessen, was Vico ihm erzählen wollte.
"Hör zu, Humml. Ich hab' hier was zu erklären, eigentlich ja Lolla, aber die will ja nicht." Lolla stand auf und ging ein paar Schritte von ihnen weg. Sie wollte Humml nicht ansehen, wenn sie es schon nicht verhindern konnte. "Du magst Lolla doch, oder?" "Oh bitte, er muss doch jetzt denken, dass ich was von ihm will ..." Humml nickte irritiert und schluckte seinen Bissen runter. "Sicherlich, warum denn auch nicht?" Vico ging auf diese Frage nicht ein. "Glaubst Du, dass sie jemand ist, der uns je was Böses wollte?" Der Bassist zog die Augenbrauen zusammen, Lolla konnte es sehen, ohne dass sie hinsah. "Natürlich nicht ... hoffe ich ...", langsam wurde er allerdings doch unsicher.
"Okay, sie wird uns auch nie etwas Böses tun. Wirst Du doch nicht, Lolla, nicht wahr?" - "Natürlich nicht ...", sie senkte den Kopf, ihre Stimme war leise. "Siehst Du, das hab ich doch gesagt. Und ich habe Dir vor einiger Zeit schon mal was gesagt, was stimmte. Und zwar, dass es gute und schlechte Vampire gibt." "Wie unglaublich unsensibel Du doch sein kannst, Vico ...", dachte sie nur und presste die Lider aufeinander, weiterhin mit dem Rücken zu den Jungs stehend und die Arme vor ihrer Brust verschränkt. Humml sagte nichts. Lolla spürte, dass seine Aura vibrierte. Vielleicht musste er auch erst einmal realisieren, dass Vico einfach seine Geschichte an jemand anderen weitergegeben hatte. Viel mehr konnte das noch nicht sein, aber das reichte Lollas Ansicht nach auch schon.
"Verstehst Du denn nicht, was ich Dir sagen will? Also ... Lolla ist ein Vampir und sie ist einer der guten und ..." - "NEIN! Nein, NIEMALS ...", Lolla hatte Humml noch niemals schreien hören, aber jetzt in diesem Moment war er außer sich, und sie konnte ihn mehr als gut verstehen. Sie drehte sich um und sah in sein entsetztes Gesicht. Ein Gesicht, das ihr sagte, dass er das nicht glauben wollte, aber glaubte. Tränen schimmerten in ihrem Blick, aber vielmehr deswegen, weil sie ihn niemals in eine solche Situation hatte bringen wollen. In diesem Moment verfluchte sie Vico dafür - vor allem dafür, dass er schon wieder high war und offensichtlich jegliche Hemmung verlor, Sensibilität walten zu lassen.
Humml war aufgestanden, seinen Burger quetschte seine Hand zusammen, dass die Gurken herausfielen. "Humml hör zu ...", versuchte sie es und nahm eine offene Körperhaltung ein, als sie merkte, wie verschlossen sie wirkte. "Nein, Lolla, nein, sag mir dass das nicht wahr ist, sag mir, dass das nicht stimmt ..." Stille ... "Ich kann nicht ...", ein Flüstern und Tränen. In beiden Blicken Tränen. "Oh man Humml, jetzt stell Dich nicht so ...," - "Halt Dein Maul, Vico, halt Dein verficktes Maul, hörst Du? Verschwinde! Geh einfach ... nein ... nein, geh nicht, aber halt Deinen Mund ...".
Humml hatte offensichtlich nicht vor, selbst zu gehen, er wollte das klären, irgendwie klären, vielleicht eine Rechnung begleichen, auch wenn Lolla nichts dafür konnte. Er wollte, dass Vico nichts mehr sagte, aber er konnte nicht allein mit Lolla bleiben, seine eigene Angst war viel zu groß. Sie konnte es spüren, daher blieb sie, wo sie war und sah zu Boden. Vico selbst hob beide Hände in die Höhe, sagte nichts mehr und setzte sich auf ein leeres Metallfass, das ihnen oftmals schon im Sitzkreis um ein Lagerfeuer zum Quatschen gedient hatte.
"Humml, es ist ganz schlimm, was mit Deiner Freundin passiert ist, ich kann verstehen, dass Du ... Angst hast. Aber habe sie bitte nicht vor mir und projiziere das bitte nicht auf meine Person ..." ... "Angst? Wer hat denn Angst? Ich hab keine Angst und sprich nicht über sie, Du hast sie nicht einmal gekannt ..." Lolla war versucht zu sagen, dass sie sehr wohl erkennen konnte, dass er Angst hatte, Angst gepaart mit Wut und Trauer, Sehnsucht und Enttäuschung, doch sie ließ es bleiben und ihn reden. Er konnte keine klaren, rationalen Gedanken fassen, bevor er sich nicht beruhigt hatte - und sie wollte ihn nicht noch mehr verunsichern. "Wenn Du möchtest, dass ich gehe, dann gehe ich." Sie war sehr ruhig, auch wenn ihr dieses Angebot unglaublich schwer fiel.
"Das kannst Du gleich, wenn Du mir eine Frage beantwortet hast ...," er schien ganz fixiert. "Welche?" - "Warum sie? Warum sie, was hat sie getan, dass sie sterben musste? WAS? Und Du? Wie machst Du es, auch irgendwem seine Freundin oder ihren Freund nehmen, ohne drüber nachzudenken, dass er 'ne Geschichte, ein Leben, eine Familie hat?" - "Ich weiß nicht, warum gerade sie ...", gab Lolla zu. Sie hätte ihm sagen können, dass sie womöglich einfach hübsch war und dem Vampir gefiel, aber es könnte auch jede andere Erklärung möglich sein. Es war oft Willkür nach Gefallen oder einfach die einfache Situation. Wenn sie allein durch die Gasse ging, dann war sie ein leichtes Opfer. Vor allem als Frau. Die andere Frage wollte sie lieber nicht beantworten. "Du hast Dir da nie d'rüber Gedanken gemacht, nicht? Sag mir, dass Du nicht jede Nacht rausgehst und einen Menschen ... einen Menschen einfach ermordest!!"
"Ich ermorde keine Menschen, Humml ... und schon gar nicht jede Nacht." Zumindest war es die Wahrheit, auch wenn Humml das nicht so sehen würde. "Nicht? NICHT? Aber Du gehst doch mehrmals die Woche weg und tötest einen Menschen, ist es nicht so?" Lolla senkte ihr Haupt abermals. "Ja, siehst Du, und das nenne ich ermorden. Du nimmst anderen Leuten ihre Familie und Freunde weg, hast Du Dir da je darüber Gedanken gemacht, hast Du?" "Ich töte niemanden, der es nicht verdient hat, Humml ..." - "Oh sei still, Du bist doch nicht Gott, wenn es einen gibt. Du kannst doch nicht darüber entscheiden, wer es verdient hat und wer nicht. Das macht die Natur schon selbst ..." Die Vampiress wusste sich langsam nicht mehr zu helfen. Sie wollte ihm antworten, aber sie wusste nicht, was. Alles, was sie sagte, war in seinen Ohren falsch und sie konnte seinen Standpunkt auch verstehen.
"Du isst Fleisch, Humml. Du isst doch auch Deinen Burger, der war vorher mal ein glückliches Rind, das war auch nicht der Lauf der Natur, oder?" Das war Vico, der sich doch wieder einschaltete, weil er Lolla helfen wollte und vielleicht langsam auch erkannte, was er angerichtet hatte. "Das ist nicht Lauf der Natur?" Der Bassist sah auf seinen Burger in der Hand, den er dann hochhob. "DAS, mein Freund, das ist die Natur. Der Mensch frisst nun mal das Tier, das ist so. Dafür werden sie gezüchtet. Menschen sind keine Tiere ...", er schien überhaupt nicht bei Sinnen zu sein. "Humml ...", wollte Lolla anknüpfen, doch er unterbrach sie, "Nein, geh ... geh einfach und sei froh, dass ich nicht die Polizei rufe." Die Schwarzhaarige presste die Lippen aufeinander, sah ihn noch einen Moment an, dann nahm sie ihre Tasche, die auf dem Boden gelegen hatte, und ging an ihm vorbei in Richtung Tor, das aus dem Innenhof zur Straße hin führte. Er wich zwei Schritte vor ihr zurück, als sie über zwei Meter weit entfernt an ihm vorbei ging.
"Ey hallo, Humml, tickst Du noch ganz? Das ist der beste Drummer, den wir je hatten und sie hat Dir doch überhaupt nichts getan. Und Dein verdammter Naturkreislauf, ist auch ihr verdammter Naturkreislauf. Sie aber züchtet keine Menschen zur Nahrung. Wer ist hier grausamer, ein Vampir oder der Mensch." Humml schwieg und warf seinen Burger ins Feuer, sodass die Funken sprühten. Er konnte nicht über sich, lenkte nicht ein, senkte seinen Kopf, so dass nur noch der Schirm seines Basecaps zu sehen war, und Vico rannte Lolla hinterher.
Doch er konnte auch sie nicht umstimmen, zurückzukommen. "Er braucht Zeit, Vico. Und Du bist nicht unschuldig daran, dass es jetzt so gelaufen ist, hörst Du? Ein bisschen weniger Drogen und Du kannst auch wieder sensibel denken ...", fuhr sie ihn an und ging einfach weiter. Vico blieb zurück und würde sich an diesem Abend so zudröhnen, dass er im Krankenhaus landete.
Keine Endstation
"Lolla, hier ist Just ... ich, ist jetzt komisch, aber ich glaube, das regeln wir irgendwann. Humml hat mir alles erzählt, irgendwie jedenfalls. Vico ist auf der Intensivstation ... und bevor Du Dir zu arge Sorgen machst, er ist über den Berg, war 'ne Überdosis, ich dachte, Du solltest das vielleicht wissen ... vielleicht magst Du vorbei kommen?" Lolla schwieg am anderen Apparat. "Lolla? Bist Du noch da?" - "Ja, ... ja, ich bin noch da, entschuldige. Was ist mit Humml?" - "Das ist egal, Süße, wichtig ist, dass Vico uns jetzt alle braucht, Humml halt' ich schon ruhig ..." Und so machte Lolla sich auf den Weg ins Hospital.
"Was bitte macht die denn hier?", fragte Humml unvermittelt, aber leise, er war offensichtlich betroffener, als Kraft für Entrüstung zu haben. In seinen braungrünen Augen spiegelte sich Ablehnung wider. "Ich hab sie angerufen, sie ist eine Freundin, auch wenn Du das nicht so sehen kannst, und ein Freund liegt auf der Intensiv, glaubst Du nicht auch, dass sie ein Recht ..." - "Nein." - "Jetzt mach' mal 'nen Punkt, hörst Du?" Lolla stellte sich ohne irgendwelche Umschweife vor den niedrigen Tisch des Wartezimmers vor ihm, er wich in die braunkarierte Sofalehne zurück, obwohl sie nicht einmal in Reichweite stand.
"Humml, hör auf mich für das alles verantwortlich zu machen, hörst Du? Ich habe Dir nichts getan, ich habe Dir gesagt, worauf ich achte, und ich bin nun mal jemand, der in dieser Welt ebenso lebt und der ebenso eine Berechtigung hat, der Lauf der Natur ... und ich hab' Dich verdammt gern", der letzte Satz war überaus ehrlich und kam aus offenstem Herzen - und sie wusste, dass es ihm bei ihr - zumindest vor dem allen auch so gegangen war. Er starrte sie an. "Ich ... oh man, ich kann nicht, ich kann nicht ..." Just sah ihn eindringlich an, Lolla verzweifelte innerlich. Warum war sie nur hergekommen? "Komm Lolla, wir holen allen 'nen Kaffee." Mayham war gerade mit Süßigkeiten reingekommen, legte diese auf den Tisch und drückte sie in seinen immer etwas drahtigen Bewegungen, wie auch seine schwarzen gesprayten Haare und Frisuren wirkten, nach draußen, da Just ihm ein Zeichen gegeben hatte. Als sie zurückkamen schien alles wie zuvor, allerdings hatte Humml Lolla etwas zu sagen.
"Gib mir einfach Zeit, okay?" Lolla wusste nicht, was Justus zu ihm gesagt hatte und würde es auch nie erfahren, aber sie war froh über diesen leichten Umschwung. "Natürlich. Aber lass mich bitte hier sein, Vico ist mir genauso wichtig wie Dir ..." Und irgendwie schien dieser Satz bei ihm einen Groschen fallen zu lassen. Ganz so, als hätte er nicht damit gerechnet, dass ein Vampir auch an das Leid anderer denken konnte. Er sagte dazu nichts, aber das brauchte er auch nicht. Sie nahm sich einen Sessel und lehnte den Kopf kurz zurück, bevor sie sich erkundigte, wie der neuste Stand war.
Vico erholte sich innerhalb der nächsten Wochen restlos, was möglicherweise auch daran lag, dass er einen Zwangsentzug hatte machen müssen. Die Band probte weiter und die Zeit, die Lolla Humml gab, half ihm, langsam mit der Situation zurecht zu kommen, solange man nicht im Detail darüber sprach. Hätte er sie noch einmal gebeten, zu gehen, sie wäre nicht wieder zurückgekommen, aber das tat er nicht.
Manchmal kamen dezente Fragen von der Seite, die, wenn sie nachfragen musste, weil sie ihn nicht gleich verstanden hatte, sofort wieder abgewunken wurden. Lolla musste sehr aufmerksam sein, seine Fragen immer mitzubekommen, um sie ihm dann auch beantworten zu können, was sie kurz und präzise tat, wie bei einem Kind, das sich im Fragealter befand. Hatte er mehr Interesse an einem Thema, fragte er weiter. Irgendwann kamen sie auf einen Nenner, dass es wirklich mehr oder weniger normal wurde. Lolla konnte aufatmen.
Anfangs war es kaum möglich, allein mit Humml in einem Raum zu sein - für Lolla. Er hatte einfach viel zu viel Angst, auch wenn er es nicht zugab. Doch von Woche zu Woche wurde es besser mit seinem Vertrauen, das er zurückerlangte und sie dazu übergingen, auch einmal Sticheleien von ihm zu bekommen. Lolla war sehr froh darum.
Justus selbst schien das alles mit sich selbst klar zu machen, ab und an hatte er Fragen, stellte diese, nahm das alles aber recht realistisch. Während Vico diese Tatsache einfach nur geil fand, war Justus derjenige, der es einfach hinnahm und sachlich die Umstände mit in den Alltag einband. Das einzige, das ihn daran tangierte, war, dass er nicht mehr neben ihr schlafen wollte, als sie sich einmal ein Hotelzimmer auf engstem Raum teilen mussten, da Lolla im Schlaf nach Wärme suchte und er befand, dass sie schlichtweg einfach zu kalt war, als dass er das hätte aushalten können. Alle hatten gelacht. Das Eis war nun auch bei Humml gebrochen, auch wenn er eine gewisse Grundsensibilität niemals verlieren sollte.
Mayhams Kommentare gingen in die Richtung: "Ich möchte endlich mal Vampiressentitten sehen" - dieser Wunsch wurde ihm bis heute - von Lolla zumindest - nicht gewährt.
Die Tour
Die Band begann zu touren, als es Vico wieder gut ging. Leider dauerte es nicht all zu lange, bis er wieder zu Drogen griff. Niemand hatte es mitbekommen und er bot sich einmal, als Lolla es durch eine dumme Verletzung an einem versilberten Metallstück, nötig brauchte, sein Blut an, weil es schon zu spät war, als dass sie draußen hätte suchen können.
Nur mit Widerwillen nahm sie sein Angebot an und dadurch, dass sie schon zu viel Blut verloren hatte, merkte sie zu spät, dass er high war und sie dadurch eine gewisse eigene Benebelung erlebte. Letztendlich führte diese dazu, dass sie beide am nächsten morgen nackt im Motelbett aufwachten und sich schworen, dass das, woran sie sich von dieser Nacht nicht erinnern konnten, niemals noch einmal erwähnen würden.
Danach machte Vico einen freiwilligen Entzug und blieb clean. Sie konnten ihre Tour fortsetzten, doch wussten sie, dass es eine Gefahr für Vico war, da es für ihn einfach eine Gewohnheit war zu verschiedenen Gigs auch Drogen zu konsumieren. Als er sich dann auch noch unsterblich in Mary verliebte, als sie gerade in San Fransisco waren, und diese ihnen hinterher reiste, wussten alle, dass es nicht mehr all zu lange gehen würde, bis er sich tatsächlich dazu entschloss, die Band zu verlassen.
Humml traf dies am heftigsten, da er Vico schon so lang kannte. Die anderen überlegten, was dann passierten würde, doch sie konnten sich nicht dazu entschließen, die Band aufzulösen. Zwar hatte Vico sie gegründet, aber das zählte schon lange nicht mehr. Sie gehörten alle dazu und das befand auch Vico so, als es dann tatsächlich zur Sprache kam.
Ausschlaggebend war der Grund, dass Mary schwanger wurde und good old Vico sich häuslich niederlassen wollte. Gerade er, der irgendwie nie einen festen Wohnsitz gehabt hatte und immer nur seit seinem Auszug bei seinen Eltern in Wohnwägen, alten VW-Bussen und Motels geschlafen hatte, wollte sich "häuslich niederlassen". Die Bandmitglieder aber hüteten sich davor, ihm das in irgendeiner Weise lächerlich näher zu bringen, denn sie wussten alle, dass es gut für ihn war. Auch wenn das für sie nun bedeutete, dass sie einen neuen Sänger und Gitarristen suchen mussten und die tägliche Nähe zu Vico verlieren würden, unterstützten sie ihn in allem. Ihren Abschluss-Gig wollten sie in Venedic geben. Venedic - dem Zuhause Lollas, wie sie sagte - einer Stadt, die ihnen allen gefiel. Frisco war nicht all zu weit entfernt, was Humml sehr wichtig war, um seinen besten Freund sooft wie möglich besuchen zu können, und auch Mayham fand, dass seine Oma von hier aus ganz gut zu erreichen wäre.
Somit war abgemacht, dass sie nach Venedic gehen würden und dort - zumindest vorerst - bleiben wollten. Allen tat es gut, mal wieder einen etwas festeren Wohnsitz zu bekommen, und einen Proberaum, von denen sie schon lange keinen mehr von innen gesehen hatten. Und so fuhren sie los und machten sich auf den Weg nach Venedic ...