[uM|Sammelsurium]: Alicia Cloe of Greenwood

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Alicia
Mensch
Beiträge: 11
Registriert: 23.09.2016, 11:28
Charname: Alicia Cloe of Greenwood
Pseudonym: A.C.
Alter: 18 Jahre
Augen: grün-grau
Haare: schwarz-braun, lang, wellig
Größe: 170cm
Stadt: Venedic
Rasse: Mensch
Klasse: unwissend
Beruf: Verkauf "Sammelsurium"
Kleidung: dunkelolivfarbene (unifarben), weite BW-Hose, ein einfaches, schwarzes, enganliegendes, ärmelloses Shirt in schwarz, ihre Hundemarke und Stahlkappendocs
Hauptchar: aBraXaS
FAQ: http://faq.vampir-rollenspiel.de
Kontaktdaten:

[uM|Sammelsurium]: Alicia Cloe of Greenwood

Beitragvon Alicia » 24.09.2016, 10:37

Info:
Alicia war mal ein Charakter von aBraXaS und wurde durch Zeit- und Lustmangel vorerst zum NPC degradiert. Sie wird dennoch ausschließlich von aBraXaS geschrieben und kann nicht einfach in eigene Beiträge eingebunden werden.

Bild

Name
Alicia Cloe of Greenwood, auch A.C. genannt


Menschliches Alter
18 Jahre (28. April)


Art/Rasse
Mensch


Einstellung
Speziell:
---

Menschen:
Anderen Menschen gegenüber ist sie ebenfalls eher neutral mit der Tendenz zur Skepsis eingestellt. Sie ist vorsichtig, umsichtig, aber auch nicht auf den Mund gefallen. Kann sich äußern, wenn sie denkt, es ist angebracht und kann auch still sein, wenn sie es für richtig hält. Sie ist ein Mittelmaß an hilfsbereit, wägt gerne ab und entscheidet sich spontan.

Allerdings gibt es eine Sparte Mensch, gegenüber diesen sie in jedem Fall und immer Vorurteile hat - begründet aus ihrer Erfahrung aus ihrem Elternhaus: Die Reichen und Schönen. Diese kann Alicia, ebenso wie die gleichnamige Serie und alle dieser unterteilten, nicht ausstehen und ist hier auch dementsprechend frech, wenn sie einen guten Tag hat und nicht einfach weitergeht.

Vampire:
Neutrale Einstellung. Von Vampiren weiß sie nichts und hat daher auch keine Einstellung zu ihnen. Sie findet sie cool und mag deren Bücher und Filme und findet sie auch erotisch, aber generell hat sie keinen realen Bezug zu dieser vermeintlich mystisch-erfundenen Rasse.

Glaube/Religion/Symbolik:
Katholisch erzogen, aber komplett der Kirche abgewandt. Sie hat für sich selbst festgelegt, dass Religion und Glaube an einen Gott nicht ihrem Sein entsprechen.

Sonstiges:
---


Herkunft
Geboren wurde sie in London, England, als die Tochter eines Grafen, der bei der königlichen Familie ein hohes Ansehen hat. Sie wurde allerdings schon recht früh in die USA auf eines der besten Internate geschickt. Zur Auswahl standen welche in Europa, aber auch dieses eine in den USA und das war die einzige Wahl, die Alicia hatte, denn sie konnte sich nicht aussuchen, ob sie in ein Internat wollte oder nicht, sie hatte zu folgen und somit wurde ihr aber angeboten - wie gnädig - welches Internat es denn sein sollte und nur durch die Fügung, dass sie bei ihrem Hauslehrer, den sie bis zu ihrem 15. Lebensjahr hatte, einen Stein im Brett hatte, wurde auch die amerikanische Schule in Betracht gezogen.

Die Eltern waren nicht wirklich begeistert, aber das störte sie reichlich wenig, denn der Hauslehrer, mit Namen übrigens Dr. Alexander Moore, war immer wieder mehr auf ihrer Seite, als auf der der Eltern, was diese allerdings nicht wussten und seinen Erfahrungen fast blind vertrauten. Heute könnte es sein, dass er seine Entscheidung, Alicia bei dieser Sache zu unterstützen, bereut, aber dazu gleich mehr.

Jedenfalls hat es sich so begeben, dass Alicia mit 15 Jahren auf ein New Yorker Eliteinternat wechselte und seit diesem Tag nicht einmal mehr zu Besuch in England gewesen war. Es handelte sich um das Eliteinternat Choate Rosemary Hall in Wallingford, 333 Christian Street, CT 06492 im Bundesstaat Connecticut.

Danach verbrachte sie zwei Jahre in Phoenix, bevor sie nach Venedic kam.


Aussehen - Übersicht
  • Augen:
    grün-graue, sehr klare Augen, betont schwarz geschminkt, leicht verrucht bzw. frech
  • Haare:
    schwarzes, rückenlanges Haar mit dunkelbraunen, breiten Strähnen
  • Frisur:
    meist offen, oder wirr mit schwarzem Haargummi zurückgebunden, manchmal zwei Dutts mit vielen Klammern versehen links und rechts auf dem Kopf oder zwei Flechtzöpfe.
  • Größe:
    170cm
  • Figur:
    schlumpfig mit hier und da einem Kilo zuviel, aber noch immer als schlank zu bezeichnen, die richtigen, weiblichen Rundungen an den richtigen Stellen
  • Gesicht:
    klare Konturen, weiblich geschnitten
  • Stimme:
    deutlich, klares Lachen, niemals zu laut, aber auch nicht zu leise, klare Stimme, manchmal einen rauchkratzigen Unterton, allerdings nur in bestimmten Situationen (z.B. morgens oder in rauchigen Räumen)
  • Kleidung:
    Schwarze, dunkelblaue und olivfarbene, weite Armyhosen, kurze Tops oder Hemden ohne Ärmel. Sie mag es lässig, locker und bequem. Dunkle Farben bevorzugt, gerne auch mal größere Männershirts (Girlyshirts kann sie nicht leiden). Kalte Tage: Armyparker. Ansonsten: Armytasche, Armyrucksack. Manchmal auch ein lockeres Männer-/Holzfällerhemd.
  • Schmuck:
    Ein Amulett, das sie niemandem öffnet (Bild ihres Brudes und eines von sich selbst in jüngeren Jahren), verschiedene Lederbänder, Schnüre und Perlen, manchmal auch im Haar, ums Fußgelenk an den Handgelenken, um den Hals (nie zu viel, aber immer abwechslungsreich), silberner Armreif, geschnürtes Lederband ums Handgelenk, einfach silber-weiße Armbanduhr mit schwarzem Lederband, silberner Ring am rechten Ringfinger (siehe Beschreibung)
  • Piercings:
    Intimpiercing, Piercings in den Knorpel der Ohren, Nasenstecker (folgende werden noch gestochen: zw. Lippe und Kinn/ Stecker, Bauchnabel)
  • Tattoos:
    Eine grüngelbe, kleine Eidechse auf dem linken Handgelenk (weitere könnten folgen)
  • Narben:
    ---
  • Besonderheiten:
    keine zu langen Fingernägel, allerdings immer gepflegt

Aussehen - Beschreibung
Schwarzes, bis zum Rücken langes und nur sehr leicht gewelltes, volles Haar umrahmen das makellose, schlanke Gesicht der jungen Frau. Einige sehr dunkelbraune, breite Strähnen durchziehen des öfteren die Farbe. Sie trägt es meist offen und fährt mit ihren zierlichen Fingern ständig den langen Pony zurück ins restliche Haar. Stört es sie sehr, bindet sie es mit einem einfachen, schwarzen Haargummi zu einem wirren, fast nicht als solchen bezeichnungswürdigen Dutt zusammen. Hat sie gerade Lust, trägt sie auch mal zwei Zöpfe geflochten, gedreht oder offen wie auch die Haare zu zwei festen, richtigen Dutts auf dem Kopf mit vielen haltenden Klammern versehen, ganz nach Laune.

Grüngraue und sehr klare Augen blicken oft sehr undurchschaubar und sind meist mit einem schwarzen Kajal betont. Ihre Lippen sind von Natur aus voll und rot. Alicia ist 170cm groß, also weder klein noch riesig für eine Frau. Sie hat eine sportliche Figur, wenngleich sie kein Fan von sportlicher Aktivität ist. Eher ist es so, dass sie essen kann, was sie möchte und sie viele um ihren Stoffwechsel beneiden würden.

Derzeit hat sie ihre Garderobe auf Militärhosen und schwarze, meist ärmellose Shirts begrenzt. Sie besitzt auch zwei, drei weitere Kleidungsstücke für andere Anlässe, aber diese ergeben sich eigentlich nicht (mehr). Lässig, locker, so mag sie es am Liebsten. Geht sie abends aus, sind die Seitentaschenhosen schwarz, läuft sie tagsüber in der Stadt herum, wählt sie meist olivgrüne oder dunkelblaue aus, je nach Gefühl und je nach Möglichkeit, den Waschsalon aufzusuchen.

Mitunter, für kältere Tage, besitzt sie auch Bandshirts mit Ärmeln. Girly-Shirts kann sie nicht leiden, daher kauft sie gerne in einem Metal/Goth-Shop die normalen Schnitte in "M" oder, wenn sie es gerne mal etwas bequemer mag, in "L", wobei Sie auch mit gutem Willen in "S" passen würde. Manchesmal trägt sie auch ein lockeres Männerhemd offen drüber, oder nur als solches vorne zusammengebunden und weit ausgeschnitten.

Für nasse Tage hat sie einen schwarzen Armyparker parat, der sonst entweder im Schließfach verweilt (zumindest bis zu dem Zeitpunkt, an dem sie keine Unterkunft hatte), aber das die wenigste Zeit, oder zwischen die Riemen ihres Rucksackes gezogen wurde, manchmal aber auch um ihre Hüften gebunden wird. Je nach Laune, Wetter und Situation.

Alicia, die oftmals auch einfach A.C. genannt wird, bevorzugt schwarze ADIDAS-Turnschuhe, Skaterschuhe oder auch mal Stahlkappendocs in unheimlicher Lochgröße. Derzeit allerdings eher Boots, weil sie nicht so viel mit sich herumtragen kann. Die meisten ihrer Sachen befanden sich in einem Schließfach am Bahnhof, gerade, was ihr doch eher lieb und teuer ist. Dort hat sie alles in ihrem großen, olivefarbenen Militärrucksack gelagert gehabt. Mit sich herum trägt sie einen Armyrucksack in einer kleineren Variation und in der Farbe schwarz, daran hängt eine sogenannte Hundemarke eines alten Soldaten, den sie einst getroffen hatte.

Alicia trägt weiterhin einen silbernen Ring am rechten Ringfinger, den sie niemals abnimmt. Kleine, buntsteinerne Ornamente sind darin eingelassen und so perfekt verarbeitet, dass es scheint, als würden diese dunklen Buntsteine nur darauf gemalt worden sein. Nur beim näheren Hinsehen erkennt man, dass dies eben nicht so ist und auch nur bei näherer Betrachtung sieht man, dass die Steine dunkelblau, dunkelrot und dunkelgrün sind, von weitem wirkt der Ring silbern mit schwarzem Tribal. Detailliebe, die bei Alicia hoch im Kurs steht.

In den Ohrläppchen stecken kleine, mehrere und verschiedene Ohrstecker, die sie nach Belieben ändert. Einige aus FIAMOsteinchen, andere wie ein winziges Pentagramm, ein Frosch oder auch mal ein Ankhsymbol. Oberhalb der linken Ohrmuschel ist eine winzige Kreole gepierct und in der rechten Ohrmuschel hat sie einen diamantähnlichen Stein an der kleinen Knorpelstelle im Ohr, die vor dem Gehörgang liegt. Ein Piercing in der Zunge, dessen Stein sie ebenfalls hin und wieder tauscht, aber derzeit einen rotleuchtenden innehat, sowie einen direkt an der intimsten Stelle einer Frau (dies wird in Venedic beschrieben werden, daher hat sie ihn noch nicht bei ihrer Ankunft in dieser Stadt) und einen kleinen Stein im rechten Nasenflügel zieren weiterhin ihren Körper. Gerne möchte sie sich ein Tattoo stechen lassen, weiß aber bislang noch nicht, welches Motiv und an welcher Körperstelle.

Schmuck trägt sie sonst noch einen Armreifen, der nicht ganz rund ist, in Silber. Auch hier gibt es einige Ornamente, die dem Ring, den sie trägt, sehr ähnlich sind. Ein Lederband hat sie zusätzlich um ihr rechtes Handgelenk geschnürt. Es war einst hellbraun, doch mittlerweile hat es seine Farbe durchs Duschen und das Wetter etwas verdunkelt, sodass es fast schwarz wirkt. Eine kleine, bunte Perle ist darauf geschnürt. Eine schlichte schwarz-silber-weiße Armbanduhr findet sich an ihrem linken Handgelenk.

Last but not least kann man eine feine Silberkette an ihrem Hals bewundern, diese trägt ein Amulett, dessen Inhalt nur sie allein kennt. Es ist das Bild eines jungen Mannes, der sich ihr Bruder nannte, aber von der Familie ausgestoßen wurde und sich seither nie wieder hatte blicken lassen. Er hatte ihr geschrieben, aber die Eltern hatten ihr diese Briefe vorenthalten.

Das Amulett ist meist nicht zu sehen, den es verschwindet zwischen ihren wohlgeformten, festen Brüsten. Das Amulett ist ebenfalls silbern und trägt mittig einen echten Rubin, der als solcher meist aber nicht erkannt wird, da man ein solch wertvolles Schmuckstück nicht bei dieser eher ärmlich wirkenden Person vermuten würde.

An ihrer Figur gibt es nichts zu meckern, sie hat die richtigen Rundungen an den richtigen, frauentypischen Stellen, vielleicht hier und da ein Kilo mehr, aber sie ist schlank, wendig und die Proportionen alles in allem sehr harmonisch. Es ist schön, ihren geschmeidigen Bewegungen zuzusehen. Sie hat eine ganz eigene Art ihren Körper einzusetzen, meist sehr fesch und locker, so auch ihr Gang mit den Händen in den Hosentaschen und das doch sehr frauliche Becken etwas weiter nach vorn gelehnt, aber nicht ala overacting. Sie wirkt sehr natürlich und ist es auch. Ihre hübschen, langen Beine sind nur zu erahnen in den weiten Hosen. Ein kleines Lederband ist auch um ihren linken Knöchel gewickelt, auch hier ziert eine einfache, schlichtbunte Perle das Band.

Alicias Fingernägel sind meist kurz, gerade die richtige Länge für etwas Nagel, aber noch nicht so viel, dass sie beim Öffnen einer Coke-Dose abbrechen würden. Ihre Zähne sind weiß und grade, dank einer ungeliebten, festen Spange, die sie bis zu ihrem 14. Lebensjahr hatte tragen müssen.


Eigenarten
Eine Eigenart ist sicherlich das ständige durch die Haare fahren, ist aber auch einfach der Grund, dass Ihr die Haare störend ins Gesicht hängen, sie aber keine Lust hat, diese zusammenzubinden.

Eine weitere Eigenart ist ihre Vorliebe für kleine Schmuckstücke, meist eher bunte Perlen, die sie sich auch hin und wieder als fast unsichtbares Band in ihre Haarmähne einflicht. Flohmärkten kann sie nicht widerstehen, und immer wieder findet Alicia dort kleine Schätze für ihre Sammlung.

Des weiteren ist sie gerne für sich, geht in die Bibliothek, um zu lesen, oder auf Hochhausdächer, um zu denken. Sie sucht sich auch im Park abgelegene Stücke, um einfach ihren Gedanken nachgehen zu können. Sie ist nicht grundlegend ein ruhiger Mensch, im Gegenteil, aber diese Augenblicke nur für sich, sind ein wichtiger Lebensbestandteil für A.C.

Gerne beobachtet sie von ihrem Posten aus Tiere oder Menschen, ordnet ihnen Geschichten zu oder überlegt sich ein Gespräch. Sie ist einer der Menschen, die sich gerne in ihrer Phantasie verstricken - beispielsweise beim Einschlafen darüber nachdenken, das Licht jetzt auszumachen und sich diese Situation in ihrer Müdigkeit so genau vorstellen, dass sie am nächsten Morgen beim Aufwachen verwundert sind, dass das Licht gar nicht aus war.

Kleinigkeiten sind ihr Leben. Sie hat ihre Kindheit in einer Umgebung verbracht, für sie: verbringen müssen, in der materialistische Werte an erster Stelle standen. In der Ansehen und viel Vermögen, alles im Übermaß gerade mal so beachtet wird und alles, was darunter lag, nicht einmal gesehen wurde. Ein Gänseblümchen war für ein Kind eine nette Geste zum Geburtstag der Mutter, aber schon bald wurde auch hier mehr verlangt, sei es ein Lied oder ein selbstgeschriebenes Gedicht... ein Gänseblümchen reichte zur Freude bis dato nicht mehr aus. Es ist nur ein kleines Beispiel, aber genau das soll es sein: der Hinweis darauf, dass Alicia die Kleinigkeiten des Lebens mehr zu schätzen weiß, als allen Reichtum der Welt.


Bevorzugte Opfer
Keine wirklichen, obwohl sie auch schon einmal einen Farbbeutel genommen und diesen auf den echten Nerz einer feinen Lady geworfen hat, das hatte aber andere Hintergründe, die nicht wirklich erwähnenswert sind.

Nur soviel: Sie kam zufällig bei einer Demonstration vorbei und stand schneller mittendrin, als ihr lieb war. Genauso schnell hatte sie besagten Farbbeutel in der Hand und noch ehe sie es sich versah, hatte sie diesen geworfen, denn diese genannte Lady hatte ein sehr angewidertes Gesicht gezogen, als sie die Aktivisten sah und dieser Gesichtsausdruck erinnerte Alicia so dermaßen an ihre eigene Mutter, dass sie sich nicht zurückhalten konnte. Glücklicherweise stand sie so sehr in der Menge, dass niemand nachvollziehen konnte, dass sie es war.

Daraufhin wurde der Platz geräumt und Alicia konnte gerade noch so eben einem Polizisten entwischen, weil sie ihm glaubhaft versicherte, mit der ganzen Sache nichts zu tun zu haben und nur zufällig am Ort des Geschehens gewesen war. Um Ausreden war sie noch nie verlegen gewesen.


Spezialisierte Begabungen & weitere Stärken
  • 1. ---
  • 2. ---
  • 3. ---
Wirkliche spezielle Begabungen hat Alicia nicht. Sie ist sehr geschickt in allem, was sie tut bzw. tun möchte, denn ohne den Willen wird es so oder so nichts. Sie kann sich Geschichten ausdenken und hat viel Phantasie, ist intelligent und hat ein gewisses künstlerisches Talent, das nicht von der Hand zu weisen ist, sei es im Geschichtenschreiben oder in Kohlezeichnungen, mit denen sie oftmals etwas Geld verdient. Auch fertigt sie gerne hier und da ein paar Perlenketten und -ohrringe an. Nichts desto trotz sind dies alles Dinge, die der ein oder andere begabte Mensch zu vollbringen gedachte und nichts, was in irgendeiner Weise außergewöhnlich wäre.

Eine mögliche spezielle Begabung ist möglicherweise Alicias Fähigkeit zu lügen. Sie kann dies ohne mit der Wimper zu zucken und setzt dafür auch notfalls alle greifbaren Mittel, die ihr zur Verfügung stehen, ein. Allerdings nie auf Kosten anderer, die es nicht verdient haben. Sie ist wahre Überredungskünstlerin und hat dies schon einige Mal unter Beweis gestellt.


Schwächen
Allein ihre Menschlichkeit macht sie gegenüber Vampiren definitiv zur Verliererin. Sie kann sprinten, aber legt es ein Vampir darauf an, wird er sie immer einholen. Sie kann sich wehren, doch die Kraft eines Vampirs macht sie zur Unterlegenen und das schon in den ersten Augenblicken, wenn er es so will.

Gegenüber Männern ist es ähnlich. Sie hat weder eine Kampfausbildung, noch irgendwelche überfraulichen Kräfte, die sie schützen könnten. Sie hat lediglich ihr Knie, das sie ohne zu Zögern in jedwede Weichteile rammt, wenn es sein müsste.

Eine mentale Schwäche ist in jedem Fall ihr Bruder. Sie sucht diesen schon geraume Zeit und würde jemand, der ihr nichts Gutes will oder sie ausnutzen möchte, dies wissen, könnte er sich auf falsche Fährten locken, wenn er es geschickt anstellt und sie für seine Zwecke missbrauchen, vielleicht auch erpressen, aber er müsste es wirklich geschickt anstellen.

Des weiteren ist natürlich ihre Herkunft eine Schwäche, die sie kaum umgehen kann. Sie ist nicht mit Erlaubnis unterwegs und nach amerikanischem Gesetz auch erst mit 21 Jahren volljährig. Ihre Familie sucht nach der Ausreißerin und das schon seit mehreren Jahren, allerdings ist sie mittlerweile von Connecticut an der Ostküste bis nach Phoenix zur Westküste gekommen. Einige Tausend Quadratkilometer, die es zu durchsuchen gilt und manch eine Milchpackung hat es noch nicht in die Sonnenstadt geschafft. Hier in Venedic ist sie erst seit kurzem und so viel, wie sie von hier schon weiß, dürfte sie an keinem Ort sicherer aufgehoben sein.

Mal abgesehen davon, dass sie sich äußerlich, wie in ihrer Alterklasse üblich, sehr verändert hat. Würde sie dennoch von irgendjemand erkannt werden, dann müsste sie natürlich fliehen und sie ist auch hier nicht übermenschlich oder so sehr in der Unterwelt beheimatet, dass sie einfach so mal kurz untertauchen könnte. Früher oder später würde man sie nach diesem Erkennen mit Sicherheit aufgreifen und nach Hause bringen lassen.. nach Hause.. etwas, das London für sie noch nie wirklich war, außer vielleicht als Kind, als sie noch nicht wusste, dass es auch anderes gab.

Zusätzlich zu dieser Schwäche, die nicht wirklich in ihrer Person zu suchen ist, gibt es die, dass sie gerne mal den Kopf verliert, wenn die typisch schnöseligen "Reichen und Schönen" sich anbiedernd in ihrer Nähe bewegen. Hier könnte sie austicken, was die unterschiedlichsten Reaktionen und Aktionen hervorrufen würde. Das alles verstärkt sich noch um einiges mehr, wenn sie auf jemanden trifft, der ihren Eltern ähnlicher ist, als sie es aushalten könnte. Der Hass auf ihre Eltern, wobei es mehr Abscheugefühle als Hassgefühle sind, macht sie in diesem Sinne auch schwach, denn trotz ihrer Wut, hat sie wirkliche Angst vor den Konsequenzen, sollte sie geschnappt und nach Hause verfrachtet werden.

Sie spricht trotz ihrer Klugheit ihren Eltern ab, dass sie sie weinend und entschuldigend empfangen würden. Für sie waren und sind sie Tyrannen und Alicia fragte sich schon oft, welche Strafen sie für sie in London bereithielten. Eine der schlimmsten wäre sicherlich ein Kloster oder ähnliches, vielleicht auch, und das traute sie ihren Eltern ohne weiteres zu, eine Psychiatrie, wenn sie dächten, dass ihre Tochter, so wie sie jetzt war, wie sie sich bis zum heutigen Tag weiterentwickelt hatte, in die Fänge von Drogen und Geistesverwirrern, wie sie es ausdrückten, vielleicht sogar einer Sekte geraten sein könnte oder auch schlimmeres. Sie waren einfach von jeher blind für die Realität, sahen nur ihre eigene verzückt goldene Welt und fühlten sich wohl, ihr Kind im goldenen Käfig zu wissen, von dem nur sie den Schlüssel hatten - glaubten sie.. zumindest bis zu dem Tag, an dem Alicia aus diesem Käfig entschwand...


Waffen
Alicia hat ihr Knie, wie oben schon erwähnt. Ihre Hände, Nägel, wenngleich auch nicht zu lang, Füße, die in Stahlkappen sitzen und sie hat ihren Kopf. Das sind die Waffen, mit denen sie notfalls zu kämpfen gedenkt. Sie hat sich allerdings auch eine MAC-Light besorgt und ebenso auch ein ziemlich scharfes Pfefferspray sowie ein kleines Schweizer Taschenmesser. Nicht unbedingt, um sich mit allem zu verteidigen, denn das Licht brauchte sie schon oft nachts zum Lesen oder den Weg finden und das Taschenmesser half ihr manchesmal beim Öffnen von Dosen oder Zerschneiden von Brot oder Fleisch, Käse und Wurst.

Lediglich das Pfefferspray hatte sie sich zugelegt, als sie eines Nachts an sehr düsteren Gestalten vorbei musste, die sie anpöbelten, aber sie war klug genug, nicht cool und locker weiterzugehen, sondern einfach schnell davonzulaufen. Dennoch wollte sie vorbereitet sein, wenn sie einmal nicht weglaufen können sollte.


Vorlieben
  • Musik:
    Goth, Metal, Punk, Crossover, EBM (vorzugsweise auch deutsche Songs), Alternative
  • Farbe:
    schwarz, dunkelblau, dunkelgrün, gedeckte Farben
  • Ambiente:
    unter Gleichgesinnten, Personen in ihrem Alter oder etwas älter, bei Rosie und Marita "zuhause", aber lieber draußen im Park und abends in Metal/Rock/Goth-Diskotheken
  • Eigenschaften:
    Ausgeflipptheit fällt ihr auf und zieht sie an, alles, was nicht ganz der Norm entspricht, aber dennoch für sie positiv zu werten ist. Gesunder Humor (gerne auch ironisch, zynisch, schwarz und/oder trocken), Kreaktivität in allem, was man tut, Vielseitigkeit, Interesse, Intelligenz, Neugierde, Freaks, Individualisten
  • Aussehen:
    Man siehe auch unter "Eigenschaften". Sie mag es gerne locker, lässig und vielleicht auch punkig ausgeflippt und somit sieht sie dies auch gerne bei anderen.
  • Geschlecht:
    Homo plus (sie bevorzugt Frauen, hat aber keine Probleme auch mit Männern ins Bett zu gehen, allerdings nennt sie sich definitiv nicht bi, denn die Anziehungskraft des weiblichen Geschlechts auch auf der Gefühlsebene ist definitiv größer).
  • Hobbies/Ticks:
    Perlen, Schmuck, piercen & tattowieren lassen, lesen, Musik hören, nach ihrem Bruder suchen, nachdenken, beobachten
  • Allgemeines:
    ---
Abneigungen
  • Musik:
    Techno, HipHop und böser Commerz aus den Charts, Liebesschnulzen
  • Farbe:
    pink, rosa, neonlila, neongrün, pastellfarben mag sie nicht so gerne
  • Ambiente:
    Unter Menschen, die der Kategorie "Reich und Schön" unterliegen - egal wo. In teuren Villen und Anwesen, Modeschauen und ähnlichem.
  • Eigenschaften:
    Aufdringlichkeit, Machogehabe, Falschheit, Hinterhältigkeit, tiefe Melancholie, die nicht besser zu werden scheint, billige Witzemacherei, Aufschneiderei, Etepetete-Gehabe, Klein-Mädchen-Gehabe, Tussi-Allüren, Gewaltbereitschaft, langweilige Wesenszüge, mit-dem-Strom-Schwimmerei, unnötiger Reichtum
  • Geschlecht:
    ---
  • Aussehen:
    Unhygienische und ungepflegte Leute in jeder Hinsicht (außer sie leben auf der Straße, da ist es für sie gerechtfertigt), Vollbärte und bei jungen Leuten auch Oberlippenbärte, Mofafahrerfrisuren (vorne/oben kurz), Hemd/Shirt/noch besser: Pulli in der Hose, Männersandalen, Hawaiihemden, Pelze, Schnickeklamotten, Goldschmuck jeder Art, Klunker, Kostümchen, Edelmarkenklamotten für die Person ab 40 - vornehmlich dann, wenn sich Twens reinquetschen).
  • Aktionen:
    Sport (außer Inlineskaten)
  • Allgemeines:
    Eine sehr große Abneigung gegen das Bild von "Reich und Schön", egal wer es repräsentiert.

Charakter

Kurzbeschreibung:
skeptisch, freundlich, kann aber auch frech oder dreist sein, humorvoll, lacht viel, etwas einzelgängerisch, Gerechtigkeit liebend, anpassungsfähig, wenn es sein muss, kann gut verheimlichen und lügen, wenn es notwendig ist, selbstbewusst

Ausführliche Beschreibung:
Alicia kann eine große Klappe haben, kann sich hinter verschiedenen Masken verstecken, frech sein, aber auf der anderen Seite auch sehr ruhig, in sich gekehrt, nachdenklich und sensibel werden. Dies sind keine Stimmungsschwankungen, sondern ist gänzlich vom Auftreten ihres Gegenübers abhängig. Sie hat eine recht gute Gabe, Menschen einzuschätzen und reagiert dementsprechend einfühlsam oder auch direkt, wie sie glaubt, dass der Gegenüber es am besten aufnimmt, was sie zu sagen hat, wenn sie etwas zu sagen hat. Es gibt aber auch Situationen, in denen sie sich entscheidet, lieber zu schweigen und nichts zu sagen oder zu lügen, aber das nur gegenüber Menschen, mit denen sie keine engeren Kontakte eingehen möchte, weil sie sie unsympathisch oder dergleichen ähnliches findet.

A.C. ist nicht der Mensch, der einfach gelangweilt danebensteht, wenn andere sich unterhalten. Wenn es sie interessiert, dann hört sie zu oder beteiligt sich, wenn es sie langweilt, geht sie und macht ihr eigenes Ding, was auch immer ihre Gegenüber davon halten mögen. Es ist ihr reichlich egal, was andere Leute von ihr halten, sie tut das für sie richtige, ist aber auch in der Lage berechtigte und konstruktive Kritik anzunehmen, zu überdenken und ggf. für sich in Konsequenzen umzuwandeln und umzusetzen.

Vorurteile gegen "Reich und Schön" hat sie sich aus ihren eigenen Erfahrungen aufgebaut. Hier wird sie gerne von ihrem Unmut gegenüber ihren Eltern, sprich: ihrer Vergangenheit geblendet. Sie weiß, dass sie vielleicht dem ein oder anderen damit Unrecht tut, aber in diesem Fall kann sie einfach nicht oder nur sehr selten aus ihrer Haut. Es braucht schon viel, dass sich "so jemand" ihren Respekt angeln könnte.

Alicia ist mehr oder weniger skeptisch, ganz wie ihr Gefühl es ihr vorschreibt und auf sie einwirkt. Sie erzählt nicht all zu viel von sich, ist aber auch nicht gänzlich schweigsam über ihr Leben. Sie hat ein gewisses Mittelmaß gefunden, sich darüber auszutauschen, ohne alle Karten auf den Tisch zu legen, da sie jederzeit damit rechnen muss, auf jemanden zu treffen, der die sehr wahrscheinliche Belohnung für "sachdienliche Hinweise" kassieren möchte, wenn er erfährt, was wirklich passiert ist und dass sie reiche Eltern hat, die diese "Spende" sicherlich ausgesetzt hatten.

Ein ausgereifter Gerechtigkeitssinn wohnt ebenfalls in der jungen Frau mit den dunkeln Haaren und den lässigen Klamotten. Sie ist der Typ Mensch, der alten Menschen über die Straße hilft, aber dennoch nicht gleich bei jeder Kleinigkeit zu weinen beginnt.

Sie ist mittlerweile den Straßenslang gewohnt, passt sich hier aber sehr schnell ihrer Umgebung an. Ihre Vorlieben für die etwas dunklere Szene lässt sie ruhiger und lockerer mit mancheiner politischen Situation umgehen, als es ein paar Punks tun, mit denen sie sich hin und wieder auf der Straße unterhält. Sie hat generell eine sehr abgeklärte Haltung und auch Meinung zu verschiedenen Dingen, versucht Diskussionen logisch anzugehen und mit dem Wissen zu bestücken, das sie sich angesammelt hat und auch weiterhin ansammeln wird. Die Bibliothek ist oftmals eine Wahlheimat, in der sie sich gerne mal stundenlang aufhält, liest oder ins Internet geht. Die Jahrespauschale von 60 US-Dollar spart sie sich eisern zusammen.

Sie hat viel Freude am Schreiben gefunden und auch einige Internetbekanntschaften, die sie nicht mehr missen möchte, auch wenn sie weiß, dass diese nie wirklich im realen Leben so bestehen bleiben könnten, zumindest nicht, wenn man die Ausnahmen der Regel außen vor lässt.


Ziele
Sie möchte vor allem anderen ihren Bruder wiederfinden und die Spur führt sie nach Venedic. Des weiteren will sie so bald wie möglich 21 Jahre alt sein, dass sie keine Angst mehr haben muss, von Leuten aufgegriffen zu werden, die sie zu ihren Eltern zurückbringen - Ziel: weiterhin "verschollen" bleiben. Sie möchte sich selbst finanzieren können, frei sein ohne Regeln und Zwänge von anderen. Am Liebsten natürlich mit ihrem Bruder zusammen, sollte sie hier endlich Erfolg mit ihrer Suche haben. Das Leben genießen.


Sonstiges/Fahrzeuge
Sie hat Inlineskates und auch ein altes, schwarzes Oma-Rad, auf das sie richtig stolz ist, auch wenn viele sich monieren, dass nur Mountainbikes und andere Hightech-Räder in sind. Den Führerschein möchte sie bald machen, hat ihn allerdings noch nicht, da sie die Schule abgebrochen hat und zuvor in Europa gelebt hatte bzw. auch einfach dort zu jung war, ihn zu lernen. Sie könnte sich auf vorstellen, erst einmal einen Vespa-Führerschein zu machen, da sie in Venedic eher weniger ein Auto benötigt.


Leben in Venedic
Benjamin (Ben) alias Timothy (Tim) - Alicias Bruder - heißt nun Kazimir (Kaz). Eine neue Spur. Er scheint hier in Venedic untergekommen zu sein und sich öfter im Atlantis aufhalten, wie Alicia jetzt erfahren hatte.

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Haare: schwarz-braun, lang, wellig
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Re: [Sammelsurium]: Alicia Cloe of Greenwood

Beitragvon Alicia » 24.09.2016, 10:39

Lebenslauf

Es war ein warmer Frühlingsmorgen, als die kleine Alicia zum ersten mal bewusst ihren Geburtstag, und das war jetzt immerhin der Fünfte, erleben durfte. Sie sprang voller Vorfreude aus den Federn, zog sich ein teures neues Kleidchen an, das extra für diesen Tag aus Paris gesandt worden war und verzichtete auf die kratzende, dicke Strumpfhose. Es würde schon keiner merken. Sie schlüpfte in ihre Lackschuhe, die frisch geputzt bereit standen, huschte rasch ins Bad, um sich einer Katzenwäsche zu unterziehen und rannte dann die langen Treppen hinunter durch den Vorsaal ins Frühstückszimmer, wo die Geschenke auf sie warten würden.

Sie stürmte die Türe herein und strahlte ihre Eltern, die am Frühstückstisch saßen, mit großen leuchtenden Augen erwartungsvoll an. "Geh und zieh Dir Deine Strumpfhose an." kam es hart von der Mutter, die nur sehr kurz aufgesehen, dann zurück auf ihren Teller geschaut hatte, um allerdings sofort wieder mit ihrem Blick hochzuschnellen. "Du hast ja Dein Kleid mit Zahnpasta beschmiert, wie konntest Du nur, das war überaus teuer...", jetzt war der Tonfall nicht nur hart, sondern komplett entsetzt und das Leuchten aus den Augen des Kindes schwand von einem Augenblick zum nächsten. "Ich..." - "Keine Widerworte, bring Dich in Ordnung, zieh die Strumpfhosen an und dann trampelst Du nicht die Treppen hinunter und reißt auch nicht die Türe auf, haben wir uns verstanden, mein Fräulein?" Alicia nickte, suchte verstohlen den Blick des Vaters, aber hier war keine Unterstützung zu erwarten, da dieser gänzlich hinter seiner morgendlichen Zeitung verschwunden war und es nicht einmal für nötig befand überhaupt hochzuschauen. So schlich sie etwas gedrückt zurück ins Zimmer und konnte die Tränchen kaum zurückhalten.

Wäre sie ein paar Jahre älter gewesen, hätte sie das Gefühl sicherlich mit Worten wie "Das ist doch mein Geburtstag, wie können sie sich so aufführen, können sie nicht mal auch irgendwie zeigen, dass sie mich lieben und meinen Tag als solchen auch so schön wie möglich für mich gestalten wollen?" beschreiben können. So aber war es einfach nur ein sehr verletztes kleines Wesen, das sich die kratzende Strumpfhose anzog und etwas ungelenk die Zahnpasta wegwischte, die Haare kämmte, so gut es mit den kurzen Ärmchen nun einmal ging, und leise die Treppen hinunter zu den jetzt gar nicht mehr so wichtig erscheinenden Geschenken zurückschlich.

"Warum nicht gleich so.", kam es von der Mutter zurück und Alicia setzte sich stumm an den Tisch und stocherte lustlos in ihren Frühstücksflocken herum. Gedankenverloren hätte man zu einem erwachsenen Menschen gesagt, doch bei diesem Kind schien es, zumindest für die Mutter, reine Bockigkeit zu sein, kaum dass sie das betrübte, für sie selbst aber freche Gesicht ihrer Tochter erblickte. "Das wäre dann der Ponyritt gewesen, schau freundlicher." Erschrocken sah das Mädchen der blonden, verbitterten Frau entgegen, Tränen füllten sich in die graugrünen Augen und sie blickte schnell zur Seite und nickte. Tränen waren nicht gut. Die Frau, die sich Mutter nannte, würde sie abermals zurechtweisen.

Alicia hatte sich so sehr auf den Ponyritt gefreut, nicht, weil sie gerne mit dem Pony reiten wollte, sondern vor allem, um ihre gute Freundin Esther dort zu treffen, die immer so witzige Ideen hatte, mit der sie im Stroh tollen und nach Mäusen suchen konnte, um sie mit frischem Käse zu füttern. Alicias Mutter hatte etwas gegen diese Freundschaft, hatte sogar versucht, sie zu verbieten, denn es gehörte sich nicht für eine Grafentochter, sich mit einem Kind der Dienerschaft zu befreunden, daher kam es ihr wohl ganz recht, dass sie ihrer Tochter das in einer schwachen Minute gegebene Versprechen ausschlagen konnte.

Noch kurze Zeit blickten die kalten grauen Augen der Mutter missbilligend auf das Kind zu ihrer linken, dann wandte sie sich an den Vater, der mittlerweile die Politikseite der Zeitung aufgeschlagen rechts neben seinem Frühstücksei liegen hatte und immer wieder verstohlen darauf blinzelte. Er wusste, seine Frau mochte es nicht, wenn er beim Essen Zeitung las, zumindest nicht, solange sie noch etwas mit ihm zu bereden hatte. Kein Wort des Glückwunsches war bisher über die Lippen der Mutter gelangt, und auch der Vater schien nicht daran interessiert, seiner Tochter einen hübschen Geburtstag einzuleiten. Was jetzt wohl auch etwas spät gekommen wäre. Als 5-jährige arbeiteten die Gedanken noch nicht so zielgerichtet, aber das Gefühl kam dem schon sehr nahe, auch wenn Alicia es nicht hätte beschreiben können.

Erst nachdem ihre Eltern sich besprochen hatten, Dinge besprochen hatten, die sie nicht verstehen konnte und es scheinbar um einige politische oder königliche Angelegenheiten ging, weil viele Erwachsenenworte benutzt wurden, wandte sich Benedicta of Greenwood an ihre Tochter zurück, die mittlerweile mehr schlecht als recht ihr Frühstück verspeist hatte. Es fühlte sich an wie ein Gummiball, der auf ihrem Herzen auf und ab sprang und ganz dumpfe Geräusche von sich gab. Fast, als würde der Gummiball auf ein festes Kissen plumpsen, grade noch mal Schwung bekommen und sich abermals in eine kleine Lufthöhe ziehen und sich wieder fallen lassen.

"Wir haben Dir zu Deinem Geburtstag eine neue Kollektion Kleider aus Paris bestellt und Du bekommst natürlich..." und die Mutter schien sehr stolz auf diese Errungenschaft zu sein, "... eine überaus wertvolle Puppe, die Du in die Vitrine stellen kannst. Ein wahres Schmuckstück, ich glaube, darüber wirst Du Dich sehr freuen. Ich habe ihr extra das gleiche Kleidchen nähen lassen, aus den besten Stoffen. Du kannst das Geschenk gerne gleich aufpacken, es liegt dort hinten auf dem Tisch."

Als sei es das wunderbarste und tollste, was ihrer Tochter je widerfahren würde, hatte sie ihre Worte gesprochen und wieder hätte der Leser sich gewünscht, Alicia wäre nicht 5 Jahre alt gewesen, sondern vielleicht 15 und hätte der Mutter gesagt, dass sie sich ihr Geschenk gerne selbst schenken kann, wenn sie glaubt, dass ein junges Mädchen eine Puppe haben wollte, mit der sie überhaupt nicht spielen durfte, weil sie so kostbar war, dass sie zerbrechen könnte. Von den teuren Seiden-Kleidern mal ganz abgesehen.

Und Benedicta erwartete ein freudestrahlendes Kind, was Alicia aber nicht wusste, nicht wissen konnte, daher verzog sie keine Miene und bedankte sich nur leise, stand dann auf und ging fast widerwillig zu den Geschenken, um sie vorsichtig zu öffnen, denn wie sie an Weihnachten schon gelernt hatte, ihre Mutter hatte es überaus gerne, wenn das Papier nicht zerrissen wurde. Alicia hatte sich dies tatsächlich erlaubt gehabt und den Ärger, den es dafür gab, würde sie so schnell nicht wieder vergessen.

"Du könntest Deiner Mutter etwas mehr Freundlichkeit entgegenbringen, wie ich finde." dröhnte es noch hinter ihr von ihrem Vater. Bennet of Greenwood sprach nicht sehr viel mit seiner Tochter, mischte sich nicht in die Erziehung seiner Frau ein, außer er hatte das Gefühl, er müsste jetzt auch mal was loswerden, so wie jetzt. Warum er so abweisend war, konnte man sich kaum erklären. Die Dienerschaft vermutete, dass er unter der Fuchtel seiner Frau lebte und sich sein Leben abseits der Familie ausbaute und versuchte, nicht zu viel Aufhebens von etwas zu machen, damit er keine leidigen Diskussionen führen musste. Es schien ihm, gelinde gesagt, alles einfach nur egal zu sein und um des Friedens Willen hatte er irgendwann den Ton seiner Frau gegenüber seiner Tochter übernommen, ohne überhaupt von seiner Zeitung aufschauen zu müssen.

Alicia zuckte nur kurz zusammen, zwang sich dann zu einem Lächeln, das ihre Augen niemals erreichen würde, die Mutter dies aber auch niemals erkennen konnte, weil sie viel zu oberflächlich war, und knickste, bevor sie sich wieder umwandt, die Tränen unterdrückte und die ungeliebten Geschenke auspackte, noch etwas in die Richtung ihrer Mutter lächelte, um dann endlich wieder auf ihr Zimmer gehen zu können und traurig zu sein, dass sie sich heute nicht mit Esther treffen durfte. Dabei hatten sie sich heimlich viele schöne Abenteuer ausgemalt und wollten Pirat spielen, dabei durfte Esther die Prinzessin sein, weil sie das ja in Wirklichkeit nie sein durfte und Alicia war der böse Pirat und gleichzeitig der Ritter, der gegen das Ungeheuer, das wiederum Esther spielen wollte, kämpfen musste - mit sehr extravaganten Zaubersprüchen verstand sich, um die Prinzessin zu befreien.

Sie hatten sich ganz viele Zaubersprüche ausgedacht und Esther hatte diese auch aufgeschrieben, da sie schon in der Schule war und seit einem Jahr lesen und schreiben konnte. Alicia freute sich darauf, das auch endlich zu lernen. Sie hatte sich ein paar Sachen bei ihrer Freundin abgeschaut und konnte mit ihren 5 Jahren auch schon ein paar wenige Dinge holprig lesen, aber noch nicht sehr lange und nicht die wirklich komplizierten Worte und Sätze, das hatte sie ausprobiert. Vielleicht lag es auch daran, dass es Erwachsenenworte waren, die ihr sowieso keiner erklären wollte. "Dafür bist Du noch zu klein und unterbrich die Erwachsenen nicht, wenn sie sich unterhalten." - Daraufhin hatte sie nie wieder gefragt.


8 Jahre später - 13 Jahre alt
"Kommen wir zu Deinem Aufsatz, den Du mir gestern geschrieben hast. Er ist einfach wunderbar geworden, Alicia, mit jedem Mal wirst Du besser und Dein Märchen gefällt mir überaus gut. Du hast wahrliches Talent." Lobte Dr. Alexander Moore, der Hauslehrer, der eigens für Alicia und ihren 10 Jahre älteren Bruder Benjamin eingestellt worden war. Normale Schulen waren undenkbar. Zumindest für die Eltern.

Alicia strahlte. Sie freute sich jeden Tag auf den Unterricht und fand die Wochenenden am Schlimmsten, vor allem den Sonntag Morgen, an dem ihre Familie in die Kirche gehen musste, sie still zu sein hatte und unbequeme Kleidung trug. Lieber hätte sie ein paar Stunden Englisch oder auch Kunst gehabt, dann wusste sie zumindest, dass sie ihre Mutter nicht um sich hatte. Ihr Vater war tagsüber generell sehr beschäftigt und über die Jahre hatte er sich angewöhnt, gar nichts mehr zu sagen, aber ihre Mutter schien von Tag zu Tag schlimmer zu werden, oder aber, so dachte Alicia irgendwann, sie veränderte sich überhaupt nicht, entwickelte sich nicht weiter, wie es Alicia tat und diese dann umso mehr begriff, um was es alles ging und ihren Gerechtigkeitssinn über alle Maßen schärfen konnte, denn sie wurde täglich damit konfrontiert.

Noch bevor sie dem Hauslehrer antworten konnte, hörte sie einen unglaublichen Radau aus dem großen Eingangsaal. Sie wollte so gerne aufstehen, denn sie vernahm die Stimmen ihrer Eltern und die ihres Bruders, doch sie durfte nicht gehen, wenn der Hauslehrer sie nicht entließ. Bitten flehten ihre Augen in seine Richtung, er blickte auf die Uhr. Die Stunde war vorbei, daher konnte er sie gehen lassen, aber andererseits wusste er auch, dass die Herrschaften das nicht gut heißen würden, dennoch konnte er jederzeit sagen, dass die Stunde auch schon vorüber war.

Die Stimmen wurden lauter, Benedicta kreischte nahezu, aber Worte waren nicht zu verstehen. "Ich bin nicht sicher, ob es gut wäre...", begann der Hauslehrer, aber er hatte sich dem Blick seiner Schülerin, die ihm obendrein unendlich leid tat, noch nie verwehren können und so nickte er einfach nur. "Danke...", flüsterte Alicia und stand auf, um zur Tür zu eilen und ebenso schnell auf dem oberen Treppenabsatz zu kauern, damit sie das Gespräch, wenn man es denn so nennen konnte, verstand.

"Du bist eine Schande für unser Haus und unser Ansehen,", donnerte der Vater in einer Kraft, wie Alicia es zuvor nie gehört hatte. "Hört mir auf mit Eurem Ansehen, das alles ist verlogene Falschheit und nichts anderes. Euch ist nichts wichtig, nur Euer Geld und Eure Reichtümer und Euer Ansehen, alles soll unter den Tisch gekehrt werden, nur damit ihr Eure beschissene...,", dann klatschte es. Benedicta hatte die Beherrschung verloren. Sie hatte nie geschlagen, so böse diese Frau auch war, aber geschlagen hatte sie nie. Bis auf jetzt. Alicia konnte nur mit Mühe ein leises Aufschreien unterdrücken, als sie den roten Handabdruck auf Benjamins Wange sah. Sie presste sich beide Hände vor den Mund und versuchte die Tränen zu unterdrücken, damit das Bild nicht vor ihren Augen verschwamm.

"Ihr könnt mich mal, alle beide.." zischte Benjamin und machte Anstalten zu gehen. "Wage es nicht, dieses Haus zu verlassen. Du wirst es nicht mehr betreten, wenn Du das tust und ich werde Dich enterben, das schwöre ich Dir. Setzt Du nur einen Fuß über diese Schwelle, dann habe ich keinen Sohn mehr. Du wirst Dich unverzüglich bei Deiner Mutter entschuldigen.", das war ihr Vater, von dem sie die dunklen Haare und eigentlich auch die innere Ruhe geerbt hatte. "Ihr habt gar nichts verstanden und... das ist keine Mutter..." Benjamins Augen glitten abschätzig an der Person entlang, die sie einst geboren hatte und nun der Ohnmacht nahe schien. Dann ging er, ohne dass noch jemand ein Wort verlor und Alicia stürmte die Treppen hinab. Alle schienen schockiert, bis auf sie, sie wollte zu Benjamin. Neben Dr. Moore der einzige im Haus, dem sie grenzenlos vertraute, nur ihm hatte sie immer alles erzählen können, ihr Bruder war das einzige, der aus ihrer Familie immer wusste, was ihr gut tat, was sie glücklich machte.

"Wo willst Du hin, mein Fräulein?", der Vater hielt sie am Oberarm fest, die Mutter schluchzte und lief die Treppen hinauf ins Elternschlafzimmer, wohin sie sich immer verzog, wenn sie entrüstet war und die Sprache erst wiederfinden musste. "Ich will zu Ben.. ich..." Alicia wollte sich losreißen, aber es hätte keinen Zweck gehabt, sie traute sich nicht gegen ihre Eltern, im Besonderen gegen ihren Vater, anzugehen, sie konnte nicht einfach verschwinden, wie ihr Bruder es konnte.

Er war volljährig, er war erwachsen, sie nicht. "Du gehst sofort auf Dein Zimmer, Alicia Cloe, SOFORT und kein weiteres Wort mehr..." - "Aber..." - "KEIN WEITERES WORT HABE ICH GESAGT!". Er war aufgebracht, seine Wut auf Benjamin bündelte sich jetzt auf sie und sie wollte dem so schnell wie möglich entgehen. Tränenüberströmt lief sie hinauf in ihr Zimmer und weinte bitterlich. Glücklicherweise wurde sie diesmal wenigstens nicht dazu gezwungen beim gemeinsamen Essen teilzunehmen, wohl aber eher, weil die Mutter ihre Ruhe wollte, nicht aus Rücksicht auf ihre Tochter.

Benjamin kam tatsächlich nicht wieder zurück. Alicia hatte Tag für Tag darauf gehofft, in ihren vielleicht noch etwas naiv-kindlichen Gedanken gehofft, dass alles wieder gut werden würde, wenn sich alle beruhigt hätten, aber als ihr Vater ihr ein paar Tage später beim Frühstück verkündete, dass er den Namen ihres Bruders in diesem Hause nicht mehr zu hören wünsche, wusste sie, dass es endgültig war. Dies war der Moment, in dem auch sie schwor, von hier wegzugehen, sobald sich die Möglichkeit ergab. Doch als ob die Eltern ihre Gedanken lesen könnten, ließen sie Alicia in keinem Augenblick mehr allein irgendwo hingehen. Bis auf ihrem Zimmer, konnte sie sonst nirgends allein sein und so sehr sie ihrem Hauslehrer auch vertraute, ihre Ausreißgedanken würde sie ihm niemals mitteilen.

Jeden Tag hoffte Alicia, dass vielleicht eine Nachricht von Ben kam, denn er würde sie doch auch so vermissen, wie sie ihn. Da war sie sich vollkommen sicher, aber es kam nichts. Irgendwann, es waren schon mehrere Monate vergangen, beschlich sie der Verdacht, dass ihre Eltern möglicherweise Briefe unterschlagen könnten und so schlich sie eines Nachmittags, an dem sie wusste, dass nur in der unteren Etage alle Leute darauf achten würden, dass sie das Haus nicht allein verließ, in das Elternschlafzimmer an die Kommode ihrer Mutter, an die weder Alicia und auch niemand sonst gehen durfte. Sie wusste, dass der Schlüssel in einem Schuh im Schrankzimmer versteckt war und holte ihn hervor, um die Kommode aufzuschließen.

Darin befanden sich viele Schmuckstücke. Mehr als ihre Mutter jemals hätte tragen können, eine hübsche, wertvolle Bürste und mehrere Papiere und Unterlagen, von denen Alicia nichts verstand. Unter einem dieser Bündel allerdings entdeckte sie ein weiteres, sehr kleines Bündel an Briefen mit der Handschrift ihres Bruders, auch ein kleines Päckchen war dabei, alles wie selbstverständlich geöffnet, auch wenn die Post eindeutig an sie adressiert war. Alicia hätte die Briefe gerne alle an sich genommen, aber sie wusste, dass ihre Mutter dies mehr als schnell bemerken würde, und wer wusste denn, ob sie den Zugang zur Kommode nicht noch irgendwann brauchte.

Sie nahm den ersten und den letzten Brief und las diese rasch durch, saugte aber jedes Wort genau in sich auf. Ben schrieb nicht viel, aber er schrieb, dass es ihm gut gehe und dass sie aushalten solle, dass er versuchen wolle, sie zu sich zu holen, denn immer wieder, wenn er mit den Eltern gestritten hatte, hatte sie ihn gebeten, wenn er irgendwann gehen wollte, dass er sie mitnehmen sollte. Er schrieb weiterhin, dass er sie über alles liebe und jetzt mit einem Mädchen zusammenwohne, in das er verliebt sei und das ein Kind von ihm erwarte und dass es ihnen zusammen auch gut gehe. Auch eine Adresse hatte er für sie dagelassen. Sie prägte sie sich genau ein, auch wenn sie nicht genau wusste, wo das war. Er räumte ein, dass seine Briefe die Schwester vielleicht nie erreichen würden und ließ jedes mal ein paar hinweisende Zeilen zurück, die zeigten, dass er genau wusste, dass die Eltern, vornehmlich Benedicta, die Post lesen würde.

Alicia war sicher, dass seine Freundin der Grund war, warum seine Eltern ausgerastet waren, denn sie würden niemals eine Ehe mit einer Bürgerlichen erlauben und ein uneheliches Kind war für sie das Tabu schlechthin. Der Teenager hatte solche und ähnliche Gespräche zur Genüge mitbekommen, denn immer wieder hatte sich Benjamin in eine "Bürgerliche" verliebt - "Wie abschätzig das klingt", dachte sie bei sich..., alle anderen waren für ihn hochnäsig und er hatte einfach nicht die geringste Lust auf die hochgestochene Art und Weise. Das hatte Alicia sehr schnell für sich übernommen, aber nicht, weil sie ihrem Bruder auf Gang und Verderben nacheiferte, sondern weil sie ihn verstand und sie ihm beipflichtete. Seine Argumente waren einleuchtend, aber er hatte vermieden, mit ihr selbst darüber zu sprechen, sie hatte das alles immer durch das Lauschen an der Türe mitbekommen.

Alicia fasste den Entschluss, so schnell wie möglich davon zu laufen und ihren Bruder zu suchen, als sie den zweiten Brief zusammenfaltete und zurück ins fein säuberlich geöffnete Kuvert steckte. Das Päckchen, das unter den Briefen lag, beinhaltete ein Tagebuch, welches Ben Alicia zum Geburtstag schenken wollte. Es sollte ihr erstes Tagebuch werden, das sie sich schon so lange gewünscht hatte, aber sie wusste, das sie es nicht - noch nicht - an sich nehmen konnte. Aber es war ihres und sie schwor sich, dass sie es mitnehmen würde, gleich, ob sie dafür irgendwas anderes zurücklassen musste.


2 Jahre später - 15 Jahre alt
Es sollte fast anderthalb Jahre dauern, bis Alicia die Möglichkeit hatte, unerkannt aus dem Haus zu verschwinden. Sie hatte das Tagebuch und die Briefe, die nur wenig mehr geworden waren, an sich genommen und war in einer ruhigen Minute leise vom Gut entwischt, schnurstracks zum Bahnhof gerannt und hatte sich eine Karte gekauft in die halbstündig entfernte Ortschaft, in der ihr Bruder lebte. Sie hatte einige Sachen in ihre Tasche gepackt und wollte nie wieder in das Elternhaus zurückkehren. Alle Hoffnung lag auf ihrem Bruder, dessen letzter Brief schon mehrere Monate alt war. Er hatte sicherlich aufgegeben, ihr zu schreiben, weil er wusste, dass sie die Briefe nie erhalten hatte oder würde. Das konnte sie gut verstehen.

Es dauerte etwas, bis sie die Straße fand, die ihr Bruder in einem seiner ersten Briefe angegeben hatte, aber sie fand sie und klopfte an die Tür. Eine hübsche Frau mit dunklen Locken öffnete, jedoch war sie schon älter, als ihr Bruder es war, daher konnte sie sich nicht vorstellen, dass sie seine Frau sein konnte. "Entschuldigen Sie bitte, mein Name ist Alicia, ich suche meinen Bruder Benjamin of Greenwood, er hat diese Adresse angegeben, wohnt er hier?" Sie hatte allen Mut zusammengenommen, war sehr aufgeregt und ihr sonstiges Selbstbewusstsein, welches sie über die letzten Monate aufgebaut hatte, schien blockiert.

"Oh, Du bist also Alicia, hallo." Entgegnete die Fremde sehr freundlich und scheinbar sehr erfreut. "Möchtest Du nicht kurz hineinkommen?" - "Ist mein Bruder da?" Platzte es dann aufgeregt aus ihr heraus. "Nein, aber bitte komm erst mal herein, ich habe einen Brief für Dich von ihm und werde Dir dann alles erklären." Etwas verwirrt folgte Alicia der freundlichen Aufforderung und fand sich in einer bequemen Küche wieder. "Setz Dich, ich bin sofort zurück. Wenn Du etwas trinken möchtest, dann nimm Dir. In der Kanne auf dem Tisch ist frischer Tee." Aber Alicia wollte nichts trinken, sie wollte sich auch nicht setzen, aber zumindest letzteres tat sie aus Anstand, stand aber sofort wieder auf, als die Frau in die Küche zurückkam und ihr einen Brief entgegenstreckte.

"Ich bin übrigens Mary Dogen, ich habe Deinem Bruder für einige Zeit hier ein Zimmer vermietet. Ihm und seiner jungen, hübschen Frau. Du möchtest den Brief sicherlich erst lesen, bevor Du mir zuhören kannst." Und wie als Bestätigung setzte sich Alicia, den Brief in ihren zitternden Händen. Erst in einigen Augenblicken, Miss Dogen hatte sich für diesen Moment aus dem Zimmer verabschiedet, um sie in Ruhe lesen zu lassen, öffnete Alicia den Brief, auf dessen Kuvert in der hübschen Handschrift ihres Bruders ihr Name zu lesen war. Der Brief war vor einigen Wochen geschrieben worden, wie sie am Datum erkannte.
  • Meine süße Alicia, mein Herz,

    irgendwann, so hoffe ich, wirst Du meine Zeilen lesen können. Ich habe alles versucht, Dich irgendwie zu mir holen zu können, aber kaum war ich nur in der Nähe des Hauses, wurde ich weggejagt. Ich kam keine 50 Schritte an Dich heran. Es war wie in einem Hochsicherheitstrakt... der goldene Käfig, Du weißt es sicherlich besser als ich. Es tut mir so unendlich leid, dass ich es nicht geschafft habe, aber ich wusste, dass Du es von Dir selbst aus schaffen würdest. Spätestens jetzt, da Du diese Zeilen liest, weißt Du, dass ich Recht behalten habe.

    Du fragst Dich sicherlich, warum Du mich hier nicht persönlich antriffst, aber ich möchte es Dir erklären. Bitte frage aber auch Miss Dogen nach Näherem, weil mir fällt es sehr schwer, das niederzuschreiben. Ich bin jedenfalls nun allein und ich habe entschlossen, in die USA zu gehen, um dort ein neues Leben zu beginnen. Mein Wunsch ist es, dass wir uns dort treffen. Ich hätte Dir gerne das Geld dagelassen für den Flug, aber glaube mir, das wäre zu sehr aufgefallen, denn Benedicta hätte Dir niemals Deinen Ausweis ausgehändigt und hättest Du ihn einfach genommen, wärst Du am Flughafen schneller aufgegriffen worden, als Dir lieb ist.

    Ich habe einen Plan und ich glaube, dass Du ihn durchsetzen kannst. Du musst nur sehr vorsichtig sein und Dich nicht verraten und am Wichtigsten ist, dass Du ganz für Dich selbst entscheiden musst, ob Du das wirklich auch möchtest. Ich glaube es zwar nicht, aber es kann natürlich sein, dass Du Dich mit den Eltern arrangiert hast, dass Du Dich vielleicht wohl fühlst, denn so viel Zeit ist vergangen und ich kann mir vorstellen, dass meine Briefe Dich nur erreicht haben, weil ich Dir einmal gezeigt habe, wo der Schlüssel zur Kommode von Benedicta ist. Du bist einfach ein kluges Mädchen. Jedenfalls - ich weiß nicht, wie es Dir jetzt geht, ob Du wirklich weg möchtest, aber eigentlich zeigt mir, wenn Du diesen Brief hier liest, dass es so ist und daher mein Plan und bitte präge ihn Dir genau ein. Ich bin sicher, dass Mutter Dein Zimmer durchsuchen lässt, deswegen darfst Du diesen Brief nicht mit ins Haus nehmen.

    Ja, Du hast richtig gelesen. Du sollst wieder ins Haus zurück gehen und schau jetzt nicht so vorwurfsvoll, denn ich weiß genau, was ich da verlange, aber anders schaffen wir es nicht, dass Du dahin kommst, wo Du hingehörst - zu mir und in die Freiheit.

    Ich hoffe, Du erhältst diesen Brief, solange Du 15 oder 16 Jahre alt bist, aber ich glaube, ich bin ganz gut im Schätzen *zwinker* Du hast nun zwei Möglichkeiten nach Amerika zu gelangen: Gehe zu Dr. Moore und bitte ihn darum, dass Du in ein Internat kommen darfst, solltest Du nicht auffliegen und Dich unentdeckt wieder ins Haus zurückschleichen können.

    Sag ihm, Du möchtest in ein Internat in Amerika, weil Du mitbekommen hast, wie begeistert er davon gesprochen hat. Ich könnte Dir jetzt natürlich einige vorschlagen, aber ich glaube, es ist klüger, wenn dies von ihm kommt. Du wirst dann wahrscheinlich nicht in eines in meiner Nähe kommen, denn ich wohne in Phoenix - das übrigens weißt nur Du, sonst niemand, auch Miss Dogen nicht und deswegen ist es auch wichtig, dass Du diesen Brief bestenfalls gleich ganz vernichtest, wenn Du ihn gelesen hast.

    Er wird Dir also wahrscheinlich ein Internat empfehlen, das in der Nähe von New York ist, denn ich weiß, dass er dort irgendwo einmal selbst Lehrer war oder Dozent, ich bin mir nicht sicher. Er ist jedenfalls sehr begeistert gewesen, wollte aber in seine Heimat England zurück und kam so zu den Eltern ins Haus, weil der eine hervorragende Referenz vorzuweisen hat. Er wird Dich sicherlich unterstützen, aber lass Dir nichts anmerken, es reicht, wenn Du ihm sagst, dass Du einfach so weit wie möglich von ihr weg möchtest, weil Du das hier nicht mehr aushältst. Er wird Dich verstehen, ich weiß, dass er Dich immer verstanden hat, uns beiden gegenüber immer auch ein gewisses Mitleid empfand, weswegen er uns oftmals hat etwas durchgehen lassen.

    Das ist die erste Möglichkeit mit der Idee des Internats. Er wird sich für Dich einsetzen und die richtigen Argumente finden.

    Die zweite ist natürlich, und das müssen wir mit eingrenzen, dass Du erwischt wirst, wie Du zurück ins Haus gehst. Ich gehe davon aus, dass es so sein wird. Ich weiß aus Erfahrung, dass die Eltern Dir ein Internat androhen werden, sei einfach etwas frech, wenn Du es Dir zutraust, dann wirst Du in jedem Fall auf ein Internat kommen. Zeige jedenfalls nicht, dass Du das möchtest, sonst werden sie davon Abstand nehmen und vielleicht die Lunte riechen.

    Sie werden mit Dr. Moore darüber sprechen, Du solltest ihnen zuvor kommen und ihm sagen, was sie vorhaben und ihm auch sagen, dass er, wie ich Dir oben schon schrieb, den Freifahrtsschein in Richtung Amerika geben soll. Ich bin sicher, er geht darauf ein, wenn Du ihn bittend anschaust. Du kannst das sehr gut, ich weiß das.

    Alles andere wäre Irrsinn, also schlag es Dir aus dem Kopf, Pass und Geld zu klauen. Sie könnten sonst die Lunte riechen und vor allem auch viel zu schnell herausfinden, wohin es Dich verschlagen hat. In meinem letzten Brief habe ich an Dich geschrieben, und Benedicta wird das gelesen haben, dass ich Dich an Deinem 16. Geburtstag holen komme und dass ich ganz in Deiner Nähe bin und dort solange bleibe, bis ich Dich bei mir habe. Sie will Dich also so weit wie möglich von mir forthaben wollen. Ich habe auch geschrieben, dass ich kaum Geld habe und ähnliches, einfach, weil sie nicht auf den Gedanken kommen soll, dass ich Dir einfach hinterher reisen könnte, wenn ich erfahre, wo Du bist. Sie wird wohl auch alles daran setzen, in der Umgebung zu erzählen, dass Du weiß der Geier wohin gekommen bist, nur damit ich auf die falsche Fährte gelockt werde.

    Ich hoffe, Dich bald wieder zu sehen und jetzt, da ich meine Zeilen noch einmal lese, tut es mir so schrecklich Leid, dass ich das alles geschrieben habe und bin nicht einmal sicher, ob es so gut ist, wenn Du diese Zeilen je lesen wirst, denn es klingt wie Hetzerei und das ist genau das, was ich an den Eltern nie gemocht habe. Unter vielem anderen, aber sie hatten das auch drauf. Aber wenn Du diese Zeilen liest, weiß ich, dass Du weg willst und ich will Dir mit allem helfen, was mir möglich ist.

    Wenn Du in Amerika bist, dann schreibe mir. Ich werde Dich abholen oder Dir Geld schicken. Ich kenne noch nicht genau meine Anschrift, aber Du kannst den Brief an die Adresse schicken, die ich Dir beilege. Du solltest sie Dir gut einprägen. Das ist eine Brieffreundin von mir aus Teenagerzeiten, dort werde ich meine Post abholen, sie ist vollkommen damit einverstanden. Ich werde mich dann gleich mit Dir in Verbindung setzen. Ich schaue jede Woche bei ihr vorbei.

    Miss Dogen weiß übrigens nichts von diesem Inhalt. Ich habe Ihr vertraut, dass sie den Brief nicht öffnet. Sie hat mir und... und Carolina sehr weitergeholfen. Nichts desto trotz habe ich ihr erzählt, dass ich nach Irland ziehen wolle, weil ich einfach nicht weiß, was noch weiter passieren wird. Besser ist, so wenige Leute wie möglich wissen Bescheid. Sie weiß auch nichts davon, dass ich Dich zu mir holen möchte.

    Ich liebe Dich, mein Engelchen, pass auf Dich auf und denke daran, dass ich in Gedanken immer bei Dir bin. Auch jetzt in diesem Augenblick.

    Dein Ben, der sich in Amerika nun Timothy Melore nennen wird.

    PostScriptum:
    Dieses Amulett, das ich Dir beigelegt habe, ist ein aktuelles Bild von mir und auf der anderen Seite ist das Bild, das ich immer von Dir bei mir hatte. Ich habe es kopiert, verkleinert und ebenfalls reingetan, damit Du weißt, dass ich immer bei Dir bin.
Alicia rannen die Tränen hinhab und sie drückte den mehrseitigen Brief an sich, dann schaute sie im Kuvert nach und dort lag tatsächlich ein kleines, silbernes Amulett in der Umschlagecke, ein Rubin war auf seiner Mitte eingefasst und als sie es öffnete, sah sie ein zwei Jahre altes Bild von sich auf der rechten und scheinbar neues Bild von ihrem Bruder auf der linken Seite eingefasst. Er war sehr hübsch, war er schon immer gewesen. Er hatte, wie sie, die dunklen Haare seines Vaters geerbt, die vollen Lippen und langen Wimpern der Mutter sowie auch die graugrüne Augenfarbe von beiden Elternteilen - die Mutter hatte graue, der Vater grüne Augen.

Sie zog sich das Amulett über den Kopf und küsste es, nachdem sie es wieder geschlossen hatte. Alicia wusste, sie musste es gut verstecken vor den Eltern - DEN Eltern... irgendwie hatte sie das schon längst so formuliert und sie war nicht wenig überrascht, dass auch Benjamin die Erzeuger so kühl benannte. Jedenfalls durften sie es nicht in die Hände bekommen.

Sie wusste, dass ihr Bruder nah bei ihr sein und das auch zeigen wollte, sie wusste, dass es womöglich die einzige Möglichkeit war und es war an ihr, es zu verstecken und zu hüten wie einen Schatz. Sie würde es in der Mauer, die ihr Haus umzäunte, verstecken. Dort hatte sie vor Jahren schon entdeckt, dass ein loser, kleiner Stein leicht herauszuziehen war. Es war immer das Versteck für kleine Zettelbotschaften mit Esther gewesen, aber sie hatten das Versteck schon seit vier oder fünf Jahren nicht mehr benutzt. Es war nicht viel Platz darin, aber ein Amulett passte sicherlich hinein.

Noch während Alicia sich Gedanken machte - der Entschluss, Bens Plan umzusetzen, war schon bei der ersten Zeile gefallen gewesen, sodass sie darüber nicht mehr nachdenken musste - kam Miss Dogen zurück und blickte das junge Mädchen fragend an. Alicia kam wieder zurück und erinnerte sich an Bens Worte, die jetzt Timothys Worte waren. Ein schöner Name, wie sie fand.

"Er schrieb mir, dass ich Sie fragen soll, wegen dem, was passiert ist... ich bin nicht sicher, was genau, aber ich glaube, es hat mit seiner Freundin... Frau zu tun?" Ihre Gegenüber lächelte gutmütig und setzte sich, schenkte Alicia und sich einen Tee ein, als hätte sie alle Zeit der Welt, und begann dann in sehr kurzen, aber vorsichtigen Worten zu erzählen, dass Bens Frau Carolina schwanger war, was Alicia schon gewusst hatte, aber wohl hohes Fieber in den letzten Wochen vor der Entbindung einsetzte und kein Mittel mehr helfen wollte. Sie hatte sich scheinbar eine Infektion eingefangen, aber sicher wusste Miss Dogen es nicht.

Jedenfalls verstarben Mutter und Kind nur wenige Tage, nachdem sie ins Krankenhaus gekommen waren. Alicias Tränen ließen sie kurz niederblicken, sie schloss die Augen und hoffte, dass Ben viel Kraft hatte und das alles gut überstand. Sein Brief war vollkommen auf sie fixiert gewesen, sie durfte ihn nicht enttäuschen. Er brauchte sie und sie würde alles daran setzen, seinen Plan gut zu machen, um bald bei ihm sein zu können.

Alicia bedankte sich bei Miss Dogen und verabschiedete sich mit den Worten, dass sie etwas Zeit brauche, um das zu verarbeiten, was die freundliche Frau ihr ohne weiteres abnahm. Was Miss Dogen nun einmal nicht wusste, war, dass Alicia so schnell wie möglich wieder nach Hause musste, in der Hoffnung, dass sie nicht entdeckt werden würde, wie sie zurückschlich...

Zuhause - ein Haus, das Haus... heimatlos
Es war schon fast dunkel, als Alicia beim Haus - wohlmerklich nicht "zuhause" genannt, weil sie es nicht so empfand - ankam und das Amulett unentdeckt verstecken konnte. Im Zug hatte sie den Brief in der Toilette verbrannt und sich bis dahin die Adresse eingeprägt. Glücklicherweise hatte sie ein sehr gutes photografisches Gedächtnis, dennoch hatte sie leicht Angst, dass sie die Adresse vergessen würde, daher musste alles sehr schnell gehen.

Es war dunkel, weil der Zug Verspätung hatte und Alicia hatte schon auf dem Weg vom Bahnhof damit gerechnet, dass irgendwelche Bobbies sie aufhielten und nach Hause brachten, aber so weit schien es noch nicht vorgedrungen zu sein, dennoch war sie sich sicher, dass ihre Eltern ihre Abwesenheit bemerkt hatten. Die Abendessenszeit war in den nächsten Minuten und meist wurde sie schon eine halbe Stunde eher daran erinnert.

Sie hatte die Briefe und das Tagebuch noch bei sich und hoffte, eine Möglichkeit zu haben, diese unentdeckt wieder in die Kommode zu schmuggeln. Sie würde darauf verzichten müssen, wenn sie nach Amerika ging und das tat ihr sehr weh, aber es würde nicht anders gehen. Sie hoffte einfach, dass diese Angelegenheit noch unentdeckt geblieben war.

Als sie zur Tür schlich und sie öffnete, kam ihre Mutter ihr schon entgegen. Ihre verheulten Augen verrieten, dass sie es nicht erst jetzt durch Alicias Erscheinen in der Tür bemerkt hatte. "Wo warst Du? Wie kannst Du mir sowas antun, einfach ohne Bescheid zu sagen, wegzugehen?" Hatte sie nicht begriffen, dass Alicia eigentlich überhaupt nicht mehr zurückkommen wollte? Oder hatte sie es in Erwägung gezogen, ist davon ausgegangen, aber jetzt, da sie sie wieder sah, wollte sie nicht zugeben, dass sie dies geglaubt hatte und ihr weis machen, dass sie lediglich sauer war? Hatte sie sich Sorgen gemacht? Es schien nicht so, aber Alicia interessierte es auch nicht.

Alicia hatte sich um alles Gedanken gemacht, aber nicht darum, was sie sagen sollte, wenn sie entdeckt worden wäre, wie es jetzt der Fall war. Sie wusste nicht, was sie antworten sollte und sie ärgerte sich maßlos über sich selbst, dass sie sich darüber keine Gedanken gemacht hatte. Es würde ihr eine Lehre für die Zukunft sein, das schwor sie sich, aber jetzt musste sie erklären, nur was?

"Ich wollte...", dann erinnerte sie sich an die Worte von Ben und schwang um. Sie sollte hier nichts gut machen, sie sollte hier rauskommen und nichts anderes. "Das geht Dich gar nichts an. Ich bin alt genug, meine eigenen Entscheidungen zu treffen." Gab sie böse und etwas lauter, als gewollt, zurück. Ihre Mutter schnappte nach Luft. "Geh auf Dein Zimmer, aber s-o-f-o-r-t." Alicia sah, wie die Hand ihrer Mutter zitterte, wie sie sich nur mühsam beherrschen musste, dass sie ihr nicht wie damals bei Ben ausrutschte.

"Du kannst froh sein, dass Dein Vater noch nicht zuhause ist, aber ich werde mit ihm besprechen, wie es weitergeht, das kannst Du mir glauben, mein Fräulein. Stell Dich darauf ein, dass Du hier nicht mehr lange sein wirst. Wir hätten das schon viel früher machen sollen. Es gibt viele Internate, die Dir Manieren beibringen werden, das kannst Du mir glauben und jetzt geh mir aus den Augen, sonst vergesse ich mich...!" Es war mehr ein überaus böses Zischen, als klar gesprochene Worte und Alicia fiel es schwer, nicht zu triumphieren, sie tat schockiert, das einzige, was ihr passend erschien. "Internat? Bist Du wahnsinnig??"

- "Fräulein, Du überspannst den BOGEN. Das ist das einzig richtige, OH JA, GENAU DAS. Gewöhn Dich schon mal an den GEDANKEN. GEH!! Und kein Wort mehr, HAST DU VERSTANDEN?" Alicia wich von ihr zurück, sie schien wieder in diesen kreischartigen Zustand verfallen zu wollen, den sie schon gegenüber Benjamin erlebt hatte und bei aller Liebe, aber auf eine Ohrfeige wollte sie es nicht herausfordern und so drückte sie einige Tränen aus ihren Augen und rannte dann hoch in ihr Zimmer, in dem sie erst einmal mit geschlossenen Augen gegen die Tür lehnte und durchatmete. Triumphierend, noch immer, aber auch erschrocken darüber, dass sie sich so viel herausgenommen hatte.

Sie war frech, fesch und selbstbewusst - allen, aber nicht ihren Eltern gegenüber. Viel zu sehr wusste sie, dass sie gegen sie niemals angekommen wäre. Und wäre sie vor Bens Brief so gewesen und hätte ihre Mutter ihr mit Internat gedroht, für sie wäre eine Welt zusammengebrochen. Nun aber sah das alles anders aus.

Aber es blieb nun nicht viel Zeit darüber nachzudenken, sie musste Briefe und Tagebuch in der Kommode verstauen und dann den Hauslehrer irgendwie erreichen. Er wohnte zwar mit ihnen im Haus, aber er war abends oft nicht hier, sodass sie nur auf gut Glück hoffen konnte. Ihre Mutter hatte sich ins Wohnzimmer zurückgezogen. Wenn sie Ärger miteinander hatten, vermied sie es, sich in ihr Schlafzimmer zurückzuziehen, weil sie irgendwie zu glauben schien, dass dies ihr Ansehen ankratzen könnte, wenn sie sich auf der gleichen Ebene wie das böse Kind bewegte und auf ihr Zimmer ging, wenn sie die Tochter auf ihr Zimmer geschickt hatte. Jedenfalls war das für Alicia eine recht logische Erklärung.

Sie schlich nun leise über den Gang am Treppenabgang vorbei und hörte, wie draußen das Auto ihres Vaters in die Garage fuhr. Sie musste sich beeilen. Die Briefe und das Tagebuch waren schnell verstaut, jetzt huschte sie in Windeseile über den Gang zurück und eine weitere Treppe neben ihrem Zimmer nach oben, wo der Hauslehrer seine Kammer hatte. Sie klopfte leise an und drückte die Daumen und hörte kurz darauf tatsächlich Schritte. Die Tür öffnete sich.

"Alicia! Du bist wieder da... ich hatte mich gerade fertig gemacht, um Dich zu suchen." Und in der Tat hatte er seinen Mantel schon in der Hand und wohl geglaubt, dass Bennet of Greenwood klopfte, um ihn zur Suche abzuholen. Alicia vermutete für diesen Augenblick, dass er das so mit ihrer Mutter abgesprochen hatte. "Ich kann nicht lange, ich habe Zimmerarrest, ich brauche Ihre Hilfe, Dr. Moore, ich möchte hier weg, ich.., nein, sie sollen mir nicht beim Ausreißen helfen, ich weiß, das wäre dumm. Ich bin heute nur weggelaufen, um etwas für mich sein zu können.." Alicia hatte seinen Blick sofort aufgegriffen und versuchte, sich nicht unterbrechen zu lassen. Zu wichtig brannte es ihr auf der Seele.

Er schloss die Lippen wieder und schluckte, was er gerade sagen wollte, ".. ich werde in ein Internat geschickt... ich werde dagegen nichts machen können, aber es ist mir wohl auch ganz Recht so, dann komme ich hier raus. Bitte verstehen sie mich nicht falsch, Sie sind der beste Lehrer der Welt und ich würde allein wegen Ihnen gerne hier bleiben, aber sie wissen, wie es hier für mich ist in diesem Käfig. Ein Internat ist vielleicht nur ein besserer Käfig, aber es ist eben ein besserer. Ich möchte soweit wie möglich von hier weg, einfach um für mich klare Gedanken zu fassen, verstehen Sie?" Er nickte. Es klang einleuchtend für ihn, was sie ihm erzählte und er glaubte ihr, denn so etwas hatte er sich schon lange gedacht, nur hätte er nicht vermutet, dass sie sich auf diesem Wege äußern würde, was er aber in diesem Augenblick bereute, denn Alicia war intelligent und für einen Augenblick rügte er sich, dass er ihr diese Gedanken abgesprochen hatte.

"Sie haben einmal erzählt, dass sie aus Amerika von einem Internat kamen, in dem es so toll war. Ich habe es mitbekommen, ich habe etwas gelauscht, entschuldigen Sie bitte, aber Sie haben so erfreut geschwärmt und ich, ich habe mir gedacht, dass...." Jetzt brach sie ab. Sie konnte schauspielern und ihm vorgaukeln, aber dennoch war sie unter Zeitdruck und sie hoffte, er konnte sich den Rest selbst zusammenreimen. Sie hörte die Schritte ihres Vaters auf der Treppe. Sie schienen aufgebracht und flehend sah sie den Hauslehrer an. "Versteck Dich im Schrank, ich werde mit ihm nach unten gehen, dann geh in Dein Zimmer, überlass mir den Rest.".

Die Angst in ihren Augen war nicht gänzlich gespielt, aber vielleicht mit etwas mehr Nachdruck gezeichnet, als es notwendig war. Sie lächelte dankbar und huschte in den Schrank, der nach alten Mottenkugeln roch. Es klopfte und der Hauslehrer, wie sie hörte, strich sich noch einmal die Kleidung glatt und öffnete dann.

"Sie ist zurück." Hörte sie die Stimme ihres Vaters, unterdrückte Aufgebrachtheit. "Oh, gut, das ist gut." Antwortete Dr. Moore und sie hörte, wie er etwas an den Schrank hängte. Scheinbar seine Jacke. "Wir möchten mit Ihnen besprechen, wie es weitergeht. Wir halten es für die beste Lösung, sie auf ein Internat zu schicken..." Begann die Stimme ihres Vaters weiterzusprechen, sie hörte sich wahrlich sehr sauer an. "Auf ein Internat? Ist das nicht zu..." - "Nein, es kommt schon viel zu spät." Unterbrach der Vater.

"Gut. Dann sollten wir vielleicht nach unten gehen, damit Alicia nichts mitbekommt. Die Wände haben Ohren, sie verstehen." Der Vater nickte verstehend, was Alicia nicht sehen konnte, aber kurz darauf hörte sie, wie die Tür ins Schloss fiel und die Schritte sich die Treppe nach unten entfernten. Sie schlüpfte aus dem Schrank und drückte sich leise durch die Türe. "Wir sollten sie erst dazu holen, wenn wir alles besprochen haben", hörte sie noch den Hauslehrer leise vor ihrer Zimmertür flüstern, möglicherweise hätte ihr Vater gerne einen kurzen, bösen und vielsagenden Blick in ihr Zimmer geworfen, wäre der Hauslehrer, die treue Seele, nicht dazwischen gegangen und so hörte Alicia, wie auch die zweite Treppe genommen wurde und sie in ihr Zimmer gehen konnte.

Ihre Tasche packte sie nun blitzschnell aus und tat einige Bücher hinein, die sie gerade las, einen Block und Stifte. Sie war froh, dass ihre Mutter die Tasche vorher nicht geprüft hatte, denn wenn sie jetzt nachschauen würde, konnte Alicia sagen, sie habe sich einfach nur irgendwo hingesetzt und nachgedacht. Erst jetzt konnte sie wieder etwas zur Ruhe kommen, endlich vollkommen ausatmen, aber dennoch blieb die Ungewissheit, ob ihre Eltern auf Amerika eingehen würden. Aber sie hielten viel von Dr. Moore. Er war eben ein sehr guter Schauspieler, wie sie selbst es war und wenn er nur einen Funken auf ihrer Seite war, dann würde er sie sicherlich überzeugen können.



Die Entscheidung
Es dauerte bis zum nächsten Tag, bis Alicia gerufen wurde. Sie hatte kaum ein Auge zugetan in dieser Nacht, hatte den Hauslehrer gehört, wie er in sein Zimmer hochgegangen war und keine Minute später den Schlüssel in ihrem Schloss, wie er sich schließend umdrehte. Alicia konnte nicht glauben, dass sie tatsächlich in ihrem eigenen Zimmer eingeschlossen wurde, ohne, dass nur ein einziges Wort mit ihr gewechselt wurde. Das sollte wohl noch eine zusätzliche Strafe sein.

Als die Zimmertür vom Dienstmädchen geöffnet wurde und Alicia zum Frühstück erscheinen sollte, schien alles vorerst wie immer. Erst als sie sich setzte, blickte ihr Vater von der Zeitung auf. Ihre Mutter starrte auf ihr Brötchen, das sie gerade aufschnitt, als wäre dieses an allem Schuld und genau so schnitt sie auch den Rand entlang. Stach fast zu vor kochender Wut. Zumindest heulte sie nicht mehr.

"Hast Du noch etwas zu sagen?" Alicia schwieg und schaute ihren Vater ausdruckslos an. "Scheinbar nicht. Das war Deine letzte Chance. Der Entschluss, dass Du aufs Internat gehst ist somit besiegelt." Alicia setzte einen trotzigen Blick auf, schweig dennoch eisern. "Es ist wohl besser, Du sagst nichts und behältst es für Dich." Es wirkte, als wollte ihr Vater das Schweigen seiner Tochter in einen Befehl umwandeln, den er gab. Schwang da Unsicherheit in seinem Unterton mit?

"Du hast, und dafür kannst Du Dich allein nur bei Dr. Moore bedanken, die Möglichkeit zu entscheiden, welches es sein soll." - "Ich soll in Deinen Augen mein eigenes Gefängnis auswählen, wie gut, dass Du nicht weißt, dass Deine Schikane bei mir nicht mehr ankommt." Dachte sie bei sich, schwieg aber weiter und wartete auf die Auswahl.

"Soweit wie möglich von Euch weg." Sagte sie nur leise und ihrer Mutter schien das gar nicht unrecht zu sein, denn sie sprach nichts gegen diese Widerworte. Sie sagte generell gar nichts, biss nur jetzt dem Brötchen das Leben aus dem Leib.

"Kannst Du gerne haben. Amerika sollte weit genug sein. Weit weg von Deinem Bruder, weit weg von Esther." Das war böse und saß. Gerne hätte sie die Tränen unterdrückt, die in ihr aufkamen, aber es war schon zu spät. Er hatte seinen Triumph und ihre Mutter schien dem Brötchen auf einmal auch wieder etwas Gnade entgegenkommen zu lassen.

"Ich hätte da dann noch was für Dich." Sagte sie auf einmal zuckersüß, stand auf, verschwand und kam einige Schweigeminuten später wieder zurück. Sie hatte das Tagebuch in ihren Händen. "Das hat Benjamin Dir einmal geschickt. Ich habe es nicht für nötig befunden, dass Du es, wie seine Briefe erhältst. Sie sind alle vernichtet, bis auf das Buch. Hier hat er sich zum ersten Mal Mühe gegeben, etwas gutes auszusuchen. Das muss ich ihm lassen." Ihre Stimme schien noch geölter zu werden, dieser zuckersüße Unterton war schwer für Alicia zu ertragen, sie starrte unentwegt auf das Buch und harrte der Dinge, die da folgen könnten. "Nun, da Du Deinen Bruder nie wieder sehen wirst, jedenfalls nicht, solange ich auf der Erde weile und Du unter unsrem Vormund stehst, werde ich Dir das Buch geben. Die Briefe, nun ja, es stand nichts aufregendes darin. Schreibe darin Deine Gedanken auf. Vielleicht hilft es Dir, klarer zu werden."

Wenn Alicia geglaubt hatte, nur in einigen wenigen Sekunden ihres Lebens, dass ihre Mutter vielleicht einfach nur böse tat, aber im Herzen ein lieber Mensch war, der einfach nicht aus sich heraus konnte, dann war sie jetzt sicher, dass dem nicht so war. Wenn Alicia nicht gewusst hätte, dass sie Ben bald wiedersehen würde, dann hätten die Worte Benedictas ihr vollkommen ins Herz getroffen, genau dahin, wo sie Alicia haben wollte. Verletzt und vielleicht auch dankbar, dass sie so gnädig war, Alicia das Buch zu geben. Sie wollte ihrer Tochter mit allen Mitteln zeigen, dass sie die Zügel in der Hand hatte, und niemand sonst. Wollte ihr zeigen, dass sie zwischen Gnade und Strafe zu entscheiden hatte und dass nur allein ihr dankbar zu sein ist, dass sie sich darauf einließ, ihrer Tochter dieses Buch zu geben.

Alicia schluckte, als sie es entgegennahm. Ihre Mutter hatte gelogen, was die Briefe anging, das wusste sie, aber es war ihr egal. Sie hatte das Buch, Tränen rannen ihr weiter die Wangen hinunter, die ihre Mutter mit ihrem Blicke scheinbar begierig in sich aufsaugte. Wie ein Dämon, der sich am Leid anderer ergötzt, nur dass der Dämon es aus dem Grund seiner Natur heraus tat, Benedicta aber rein aus verletztem Stolz. Dennoch war sie wie ein Dämon für Alicia. Sie konnte für einen Augenblick nicht verstehen, wie man so sein konnte und das zur eigenen Tochter. Sie verstand es einfach nicht. Bedächtig strich sie zärtlich über den Einband des Tagebuchs. "Hauptsache, ich muss Dich nicht zurücklassen..." Dachte sie bei sich und erinnerte sich an das Amulett.



"Wann...?" - "Gleich morgen früh." Ihr Vater blickte nicht einmal von seiner Zeitung auf, als er sie unterbrach und ihre Frage beantwortete. Damit war die Sache beschlossen und es wurden keine Worte mehr verloren. Weder beim Frühstück, noch zu Mittag, noch am Abend. Alicia hatte es bis dato nicht geschafft, das Amulett aus dem Versteck zu holen. Sie musste sich etwas einfallen lassen, hatte auch eine Idee, wusste, dass sie sehr über ihren Schatten springen musste, aber sie brauchte dieses Amulett. Ihr Vater war noch nicht zuhause, als sie mit ihrer Mutter abermals am Esstisch saß.

"Entschuldige bitte mein Verhalten. Alles." Überwandt sich Alicia, es fiel ihr alles andere als leicht. "Es wird Dich nicht retten, nicht ins Internat gehen zu müssen." Die Stimme Benedictas war kalt, herzlos und überaus misstrauisch. "Das weiß ich, ich wollte mich dennoch entschuldigen." Gab Alicia leise und gespielt reumütig und kleinlaut zurück. "So, na dann..." Ihre Mutter schien tatsächlich etwas verunsichert, aber es kam nichts weiter und Alicia schwieg, bis sie glaubte, dass Ihre Mutter sich wieder von ihrer Skepsis "beruhigt" hatte.

"Meinst Du, ich werde ich mich von Esther verabschieden dürfen, oder ist Dir das nicht recht?" Es war überaus devot, es war überaus gefährlich, diese Frage zu stellen, denn ein falscher Ton und ihre Mutter würde den Braten in der Röhre riechen können. Skeptisch blickte sie ihre Tochter lange an, diese sagte nichts weiter und ließ die Blicke über sich ergehen. Sie hoffte inständig, dass die richtige Antwort kam, die Antwort, die sie nicht nur ihre Freundin noch einmal sehen, sondern auch am Versteck vorbeikommen ließ.

Benedicta glaubte ihrer Tochter vielleicht, vielleicht glaubte sie ihr auch nicht, aber möglicherweise wollte sie noch einmal zeigen, dass sie diejenige war, die über Gnade und Strafe richtete und vielleicht war es auch die Entschuldigung, die sie Alicia abkaufte - aber was auch immer es gewesen sein mochte und wir nie erfahren werden, sie nickte erst stumm, bevor sie nach etlichen Minuten eine Antwort gab. "Ja, ich denke, Du kannst Dich verabschieden. Mach es gleich nach dem Abendessen, dann geht es morgen nicht zu lang." Alicia schloss für einen kurzen Augenblick dankbar die Augen und quetschte dann noch ein devotes Danke." heraus, um die Sache abzurunden.

Da Esther mit ihrer Familie auf dem Gut wohnten, konnte Alicia ohne "Aufsichtsperson" hinüberlaufen. Es war ein Pförtner am Tor eingeteilt worden, sie schienen nun sicher gehen zu wollen, dass Alicia nicht noch einen "Ausbruchsversuch" startete. Schnell drückte sie den Stein heraus und entnahm dem Geheimfach den für sie so wertvollen Schatz. Einen kleinen Brief ließ sie im Versteck zurück. Sie war sicher, Esther würde ihn irgendwann finden. Heute würde sie nicht mit ihr über alles sprechen können, ohne dass es zu viele Leute mitbekämen. Sie schrieb jedoch auch in diesem Brief nichts genaues, dennoch wollte sie ihr sagen, dass sie sie, egal was passierte, über alles lieb hatte.

Während sie zum Personalhaus hinüberging, versteckte sie das Amulett an ihrer Hüfte in der Unterwäsche, dort würde es niemand finden, der Bund ihrer Jeans, die sie gnädigerweise hin und wieder zuhause tragen durfte, würde es festhalten. Alicia verabschiedete sich herzlich von Esther, versprach zu schreiben und unter Tränen trennten die Freundinnen sich von einander, bevor Alicia wieder ins Herrenhaus zurück- und sich in ihrem Zimmer einfand, um ihre Sachen zu packen.

Der Abschied am Morgen verlief sehr schmerzlos, bis auf die feste Umarmung bei Dr. Moore, bei der sie ihm ein ehrliches und erleichtertes "Danke" ins Ohr flüsterte. Auch er hatte Mühe, die Tränen zu unterdrücken, doch er wusste, es war besser so für alle Beteiligten und fühlte sich wohl bei der Entscheidung... noch... sie hatte ein leicht schlechtes Gewissen, denn er würde sich in einigen Tagen gar nicht mehr gut dabei fühlen und das tat ihr unendlich leid.

Von ihren Eltern verabschiedete sie sich ohne jeglichen Körperkontakt. Nie wieder wollte sie sie sehen, nie wieder hören oder von ihnen lesen. "Ihr seid für mich das Letzte...", dachte sie nur, als sie zurückwinkte und das Winken lediglich Esther und Dr. Moore galt. Sie war froh, dass allein der Chauffeur sie zum Flughafen brachte und ihre Eltern es nicht für Nötig hielten. Es war gänzlich in ihrem Sinne, aber das brauchten sie nicht wissen. Sie würde ihnen einen Brief schreiben, mit allem, was sie von ihnen hielt, sobald sie wusste, wann Ben sie holen kam.


Über den Wolken
Als Alicia im Flieger saß, hatte sie das erste mal in ihrem Leben das Gefühl, wirklich frei atmen zu können. Jetzt war es nicht mehr weit, bis sie Ben, der ja nun Timothy heißen sollte, wiedersehen würde. Ein unglaubliches Glücksgefühl breitete sich in ihr aus und sehnte dem Tag entgegen und wünschte, es wäre gleich jetzt soweit, aber sie musste sich gedulden und versuchte, sich abzulenken, in dem sie den Brief an ihren Bruder formulierte.

Da sie nicht wusste, ob das Internat Briefe beschlagnahmte oder ähnliches, vielleicht auch auf Wunsch der Eltern, wollte sie den Brief noch am Flughafen einwerfen. Die Adresse war das erste, das sie auf den Umschlag schrieb, immer noch das Gefühl habend, sie gleich in der nächsten Sekunde vergessen zu können, dabei hatte diese sich in ihr Gedächtnis eingebrannt, was sie in einigen Monaten erfahren sollte.
  • Liebster Timothy, so heißt Du nun ja, also kann ich mich gleich versuchen, dran zu gewöhnen...

    Ich habe es tatsächlich geschafft... ich habe Deinen Plan umsetzen können, natürlich mit Hilfe des lieben Dr. Moore. Ich wünschte, es wäre anders gelaufen, denn SIE haben wirklich alle Geschosse ausgefahren und abgefeuert, nur um mir letztendlich eines reinzuwürgen. Ich hatte so die Schnauze voll und Du kennst mich verdammt gut, nichtsdestotrotz wünschte ich, es wäre anders gelaufen, aber nun ist es so und ich kann endlich frei atmen. Ich habe das Gefühl der Freiheit immer näher zu kommen, das Gefühl Dir schon ganz nah zu sein, dabei sind wir grade über dem Meer.

    Ich hoffe, ich sehe Dich bald wieder. Ich schreibe Dir auf der Rückseite meine Adresse, aber vielleicht ist das gar nicht so gut, wenn Du dahin schreibst, denn was ist, wenn die die Post öffnen? Kannst Du vielleicht anrufen? Ich meine, Du kannst Dich ja als jemand anders ausgeben oder so, das wäre sicherlich besser, als ein Brief. Oder schreibe mir eine Mail, das wäre noch einfacher, warum wir da nicht gleich dran dachten, ist mir ein Rätsel. Schreibe an die Adresse, die Du mir mal eingerichtet hast, die kennt niemand außer uns beiden und Esther. Ich bin sicher, ich habe die Möglichkeit, ins Internet zu gehen.

    Aber wie Du es auch machst, bitte melde Dich bald, so bald wie möglich, ich will Dich einfach nur endlich wiedersehen dürfen. Bitte, hol mich weg. Und ich möchte auch so bei Dir sein, weil ich weiß, dass es Dir nicht so gut geht. Ich möchte für Dich da sein, wie Du immer für mich da gewesen bist.

    Du glaubst es kaum, ich habe sogar etwas Geld zugesteckt bekommen. Das wird in jedem Fall für den Anfang reichen und ich werde arbeiten gehen, damit ich Dir nicht auf der Tasche liege. Ich habe mir da schon einiges ausgemalt. Aber ich möchte mir auch andere Klamotten kaufen, endlich das, was ich gerne tragen möchte, endlich auch die Musik hören, die ich gerne hören möchte und endlich auf diese ganzen Allüren verzichten... oh, es kommen mir immer mehr Ideen... *lach*

    Ich habe das Gefühl, dass ich soviel nachzuholen habe, so viel tun möchte, was andere schon hinter sich haben, erleben durften und ich nicht, weil es sich nicht gehört, etwas rumzuspinnen und Spaß zu machen, wenn man so aufwächst, wie wir aufwachsen mussten. Ich freue mich einfach auf die reale Welt außerhalb dieses Käfigs. Ich habe nur immer Esther gehabt. Was heißt nur, sie fehlt mir jetzt schon unendlich, aber dennoch war sie die einzige der "Außenwelt", wenn man so will.. bis auf Dich, aber Du warst ja dann irgendwann weg und mit diesen Schnösel-Cousins und Cousinen, die SIE immer eingeladen haben, konnte und kann ich einfach nichts anfangen. Die sind jetzt schon genauso verbiedert wie die ganze restliche Gesellschaft, der ich den Rücken kehren möchte... und hey, mit 15 ist man schon alt, zumindest halte ich mich persönlich für mehr erwachsen, als es vielleicht andere sind, aber DIE haben mich behandelt wie ein Kleinkind, ich kann es Dir gar nicht schreiben... ich will es Dir erzählen oder einfach vergessen und neu anfangen und nicht über die Vergangenheit reden.. aber vor allem will ich Dich erst einmal wieder ENDLICH in die Arme schließen dürfen.

    Du hast mir all die Jahre so unglaublich gefehlt und jetzt, jetzt, da es nur noch ein paar wenige Tage sind, fehlst Du mir noch viel, viel mehr. Oh man, Ben aehm Timothy... *lach* Ich wünschte, ich könnte schon bei Dir sein.

    Ich liebe Dich ganz dolle, Bruderherz,
    Alicia.
Sie las den Brief noch einmal, dann faltete sie ihn zusammen, steckte ihn in den Umschlag und klebte diesen zu. Auf das Kuvert hatte sie eine Briefmarke geklebt, die sie von Dr. Moore bekommen hatte. Es war eine amerikanische Marke und für die Post nach Übersee gedacht, aber lieber zu viel Wert darauf, als zu wenig, dachte sie bei sich. Sie hoffte, dass ein Briefkasten ganz in der Nähe beim Gate war, sie fragte die Stewardess, denn sie hielt es einfach nicht aus, konnte nicht still einfach sitzen bleiben und warten. Diese sagte ihr, dass es einen kleinen Briefschlitz sogar im Flugzeug gebe und die Post da noch schneller zum nächsten Ort befördert würde, als irgendwo anders. Da das recht einleuchtend klang, steckte Alicia den Brief in den "Kasten" und war schon etwas beruhigter. Jetzt konnte sie sogar ein bisschen schlafen, denn im Schlaf vergeht die Zeit ja "wie im Flug".


Warten auf Antwort
Im Internat angekommen schienen sie alle sehr herzlich Willkommen zu heissen, aber Alicia konnte sich nicht wirklich darauf einlassen, da sie wusste, dass sie nicht lange bleiben würde. Ihre Zimmernachbarinnen, Mandy und Larette, waren beste Freunde, zwar freundlich, aber Alicia spürte, dass sie die Bande nie durchbrechen würde, aber es störte sie nicht sonderlich. Sie versuchte das Beste draus zu machen, mehr war ihr nicht möglich.

Die Internatsleitung war etwas hochgestochen, also nichts, was Alicia nicht auch schon kannte. Sie sprach ihnen nach dem Mund, aber die Skepsis in den Augen der Schulleiterin sprach Bände und für Alicia war klar, dass ihre Eltern gute Vorarbeit geleistet hatten, daher versuchte sie es mit Eingeständnissen, die scheinbar auch wirklich zu funktionieren schienen.

"Wir hatten große Meinungsverschiedenheiten, ich habe mich bei meinen Eltern entschuldigt, kann aber auch gut verstehen, dass ich dennoch meine Strafe antreten muss, wobei ich sagen muss, dass es auch keine Strafe mehr ist, da ich auf das Internat gehen durfte, das ich wollte. Ich habe schon sehr viel gutes von Ihnen gehört, vor allem von Dr. Moore, meinem Hauslehrer", die Mienen erhellten sich für den Bruchteil einer Sekunde, "... und daher möchte ich gerne mein Bestes versuchen, Sie nicht zu enttäuschen. Ich weiß, ich habe eine schwierige Phase derzeit, aber ich bin sicher, es wird mir gut tun, hier zu sein, denn die Schwierigkeiten habe ich mit meinen Eltern, nicht mit anderen Menschen und vielleicht kann ich hier lernen, sie besser zu verstehen. Sie wollen ja nur mein Bestes, das weiß ich." Und der reumütige Blick, der sich auf den Boden senkte, schien ein gewisses Erfolgspotential zu versprechen, sodass die Leitung sich noch einmal zurücklehnte und über ihre Worte nachdachte, bevor sie sie aussprach.

"Gut. Ich denke, diese Einstellung wird Ihnen von Vorteil sein, Miss of Greenwood." Alicia fühlte sich eigenartig, gesiezt zu werden, aber nahm es als Gesellschaftspolitik hin. "Ihre Eltern haben uns ihr Wertvollstes anvertraut und ich bin mir sicher, dass wir etwas noch Wertvolleres zurückschicken werden, wenn es dann so weit ist. Sie verstehen sicherlich, dass sie als Minderjährige einige besondere Regeln zu beachten haben und nicht allein das Gelände verlassen können. Anrufe können Sie im Sekretariat tätigen und Ihre Zimmernachbarinnen werden Sie über alles weitere aufklären. Sie können nun gehen." Alicia nickte und lächelte zum Dank und trat aus dem Zimmer.

Wie sie das alles hasste, wie sie diese oberflächlichen, heuchlerischen Worte und Tonfälle hasste. Sie wollte hier so schnell wie nur irgend möglich einfach nur raus. Hier wurden Menschen erzogen, die später genauso herzlos waren, wie ihre Eltern es waren. Erzogen zum Materialismus, erzogen zu "Reich und Schön" - wohlgemerkt der Lieblingsserie ihrer Mutter, wenn sie überhaupt einmal vor dem Fernseher anzutreffen war, aber das ließ sie sich nicht entgehen. Ebenso wie "California Clan" und wie sie nicht alle hießen. Sie versuchte es zu verheimlichen. Soaps waren nicht würdig für ihre Gesellschaft. Ein Manko, bei dem sie sehr angriffslustig werden konnte, wenn man sie darauf ansprach. Alicia konnte ihre Mutter deswegen nur noch belächeln. Respekt hatte sie keinen mehr vor ihr.

Die ersten Tage war keine Antwort zu erwarten, daher versuchte Alicia auch ruhig zu bleiben, sich in den Ablauf einzufügen, sich an die Regeln zu halten und das eine oder andere Lob einzuheimsen, um ja nicht aufzufallen. Es entwickelte sich unter so vielen weiteren Schülern und Schülerinnen in ihrem Alter eine gewisse Persönlichkeit in ihr, die sie vorher kaum einmal zu Gesicht bekommen hatte. Sie fühlte sich auch, als würde sie sich selbst ganz neu kennenlernen, denn die einzige, mit denen sie bisher Kontakt hatte, waren alle aus Freundes- und Familienkreis ihrer Eltern und alle irgendwie nicht so ganz nach ihrem Geschmack.

Hier hatte sie es fassettenreich, es gab auch unter den reichen Leuten nicht nur dumme und oberflächliche Leute. Vielleicht auch ähnlich wie sie selbst war. Etwas rebellisch, vielleicht auch einfach nur falsch, denn sie gaukelten allen das brave Leben vor und verdrückten sich hintenherum zum Rauchen, Trinken, zum Sex oder um Drogen zu konsumieren. Ein Widerspruch, den die reiche Gesellschaft so einfach aus sich heraus erschuf, ohne es zu bemerken, wahr haben zu wollen oder überhaupt auf sich zu lasten. Viele hatten hinten herum eine große Klappe, schimpften auf alles und jeden und für die ersten Augenblicke dachte Alicia sogar, dass sie hier in den richtigen Kreisen war, dass es Leute gab, die sie vielleicht verstanden, aber je länger und öfter Alicia ihren Reden zuhörte, sie aber dann auch beobachten konnte, wie sie vornherum waren, umso weniger hatte sie das Gefühl, dass sie ihnen ähnlich war.

Sicherlich, sie machte es für den Augenblick nicht viel anders, aber sie glaubte nicht, dass auch nur einer von diesen anderen, wirklich Taten walten lassen würde. Sie würden ihr Leben lang nörgeln und sich aufregen, aber nie den Mund aufmachen und einmal die Faust auf den Tisch hauen und sagen, was Sache ist. Niemals. Das war der kleine, aber feine Unterschied zu Alicia. Das, was sie hier boten, war eine Show, die sie ihr Leben lang spielen würden, Alicias Handeln und Verhalten war lediglich Teil eines Planes, der mehr oder weniger schnell über die Bühne gebracht werden sollte, um dann abgehakt zu werden und das nächste Kapitel zu beginnen. Und wieder stand sie allein da mit ihrem Gefühl und dachte bei sich, dass scheinbar nur ihr Bruder genauso war, wie sie selbst.

Es vergingen einige Tage, dann zwei Wochen und noch immer war keine Antwort in Sicht. Täglich schaute sie mehrmals in der Bibliothek nach ihren Mails, fragte einmal am Tag im Sekretariat nach Post und wartete stundenlang in der Nähe es Telefons, aber nichts. Von Tag zu Tag wurde das Gefühl schlimmer, dass ihr Bruder ihren Brief vielleicht überhaupt nicht erhalten hatte und sie setzte sich eine Frist bis Ende der Woche, danach wollte sie ihm noch einmal schreiben. Vielleicht war der Brief im Flugzeug einfach verloren gegangen.

Als der Samstag anbrach und noch immer keine Antwort kam, setzte sie sich hin und schrieb einen erneuten Brief, als es dann klopfte. "Ja?" Herein kam eine junge Frau, die als Praktikantin im Sekretariat ihren Job tat. "Hier kam ein Brief zurück, den Du wohl abgeschickt hattest und ich dachte, ich gebe ihn Dir, bevor die Hausleitung auf die Idee kommt, ihn zu öffnen. Ich hatte sowas mitgehört." Irgendwie schien diese schüchterne Person Sympathien gehegt zu haben, vielleicht war sie eine Ausnahme?

Vielleicht hatte sie einfach nur Mitleid, weil sie doch einiges mehr mitbekam, was ablief, als andere? Welche Gründe auch immer es waren, dass sie Alicia freundlich gewogen war, sie war ihr dankbar dafür und gab es ihr mit einem Lächeln zurück. Als sie die Tür hinter der Praktikantin schloss, setzte Alicia sich niedergeschlagen auf ihr gemachtes Bett. Ihr Brief an Benjamin war nicht angekommen. "Empfänger verzogen", teilte ihr ein großer, roter Stempelabdruck mitten auf dem Kuvert mit. Was sollte sie jetzt tun?


Zukunftsaussichten
Alicia war ein paar wenige Tage lang kaum ansprechbar. Die Internatskrankenschwester tippte auf einen Virus und die Heimleitung verordnete ihr Bettruhe. Hier spürte Alicia sehr wohl den Einfluss ihrer Eltern, die sicherlich einiges an Investitionen hatten springen lassen, damit alles genau so lief, wie sie es gerne hätten und wenn die Eltern den Verdacht schöpften, dass dieses Internat wohl doch noch so gut war, so schien die Heimleitung zu denken, nur weil das Mädchen mal einen Virus hatte, dann würde auch der Geldfluss verebben, das konnten sie natürlich nicht riskieren.

Alicia sorgte sich aber einfach nur um ihren Bruder und machte sich Gedanken darum, wie sie zu ihm gelangen, ihn finden sollte, wenn er doch verzogen war, oder eher die Freundin, die ihm beistehen wollte. Benjamin wusste nicht, dass seine Schwester schon hier war. Alicia war sicher, dass niemand es wusste, außer ihren Eltern und Dr. Moore. Ihre Mutter würde schon dafür sorgen, dass Benjamin auf die falsche Fährte gelockt wurde.

Alicia hatte die Auskunft angerufen und nach der Nummer gefragt, aber es gab einfach viel zu viele Frauen mit dem Namen dieser Freundin und unter der angegebenen Adresse war sie nicht mehr aufgelistet. Aber Benjamin würde sicherlich in Phoenix bleiben, er würde garantiert dort warten und wusste, dass Alicia einen Weg zu ihm finden würde, da war sie sich ganz sicher. Jetzt war sie auf sich allein gestellt. Gut, dass sie das wöchentliche Taschengeld, welches sie von ihren Eltern geschickt bekam - denn dies gehörte ja zum guten Tuch, um sich behaupten zu können - nicht in irgendwelchen Schnickschnack investiert hatte.

Während ihrer Bettruhe, die ihr sehr gelegen kam, und für diese sie das Thermometer öfter einmal an die Lampe hielt, schmiedete sie einen Plan. Zwar war es noch einmal ein großes Zähnezusammenbeißen, aber das ließ sich nicht vermeiden. Mehr als zuvor musste sie noch etwas Geld sparen, denn sie wusste nicht, wie lange sie brauchen würde, bis sie Benjamin fand.

Als sie wieder "genesen" schien und darum bat, etwas herumzulaufen und die Bibliothek besuchen zu können, bevor es nach dem Wochenende wieder in den Unterricht gehen sollte, schienen alle sehr erleichtert. Die Zugfahrt nach Phoenix ging sehr lange und sie schaute sich nach einem Flug um, verwarf den Gedanken dann wieder, als sie daran dachte, dass man den Namen angeben und seinen Ausweis zeigen musste, wenn man einen Flug buchte, außerdem war sie noch immer minderjährig. Niemand hätte ihr einfach so einen Flug gebucht. Das Risiko war einfach viel zu groß, also schaute sie sich abermals nach Zügen und Bussen um, um die günstigste, aber auch schnellste Strecke herauszufinden.

Es dauerte etwas, aber dann fand Alicia eine lange, aber wohl die beste und günstige Verbindung. Sie kam von der Amtrak und es gab für Touristen Pauschalreisen, aber an diesen war sie nicht interessiert. Sie nutzte ein günstiges Paket, das sie allem in allem - und glücklicherweise war gerade keine Saison - anstatt 599 US-Dollar nur 249 US-Dollar kosten sollte.

Dieses Geld hatte sie schon längst zusammen. Sie erhielt gute 100 US-Dollar pro Woche zugeschickt, davon sollte sie sich ansehnliches Schulmaterial und Kleidung kaufen, worauf sie allerdings von Beginn an verzichtet hatte. Kleidung hatte sie genug und dazu kam, dass sie nicht vorhatte, diese überhaupt noch zu nutzen, wenn sie hier raus war. Nur einige wenige Lieblingsstücke, die sie sich mühsam erbettelt hatte, würde sie mitnehmen.

Ihre Strecke sollte in New York beginnen. Dorthin kam sie mit dem Bus. Von New York würde sie nach Chicago fahren und dort umsteigen in einen Zug, der über Omaha, Denver, Salt Lake City, Las Vegas, Kansas City, Albuquerque und Falgstaff direkt nach Los Angeles fuhr. Einen Schlafwagen würde sie nicht brauchen und so hatte sie hier schon gespart. Von Los Angeles würde sie über El Paso, Tucson direkt nach Phoenix gelangen.

Nach und nach verscherbelte sie hier und da einige ihrer Kleidungsstücke, die manches Mädchen, das zwar betucht, aber deren Eltern nicht wirklich so reich waren, bewundert hatten. Natürlich heimlich, denn die Mädchen wollten nicht, dass jemand wusste, dass sie Gebrauchtes trugen und hier war der Vorteil, dass Alicia diese Sachen vielleicht einmal irgendwo getragen hatte, aber nicht hier in der Schule, und zum anderen wollte Alicia nicht, dass Verdacht geschöpft wurde und die Heimleitung ein wachsameres Auge auf sie warf, wo sie es doch jetzt geschafft hatte, endlich etwas mehr zur Ruhe kommen zu können, weil sie sich einfach vorbildlich verhielt.

Nach weiteren 4 Wochen hatte Alicia abzüglich der Fahrkarte knapp 1.500 US-Dollar zusammen. Sie wägte ab, ob es reichen würde, aber die Tatsache, dass sie so schnell wie möglich hier verschwinden wollte, ließen ihr noch 100 US-Dollar Ausharrzeit, dananch wollte und konnte sie auch nicht mehr. Benjamin würde sich vielleicht schon Sorgen machen.

Sie packte lediglich ihren Rucksack. Alles andere wollte sie in Los Angeles kaufen. Dort hatte sie einen halben Tag Aufenthalt, bevor es nach Phoenix weiterging. Sie fälschte noch ein Schreiben ihrer Eltern, die die Bahnreise erlaubten, weil Alicia eine Tante in Los Angeles besuchen sollte, wie sie darin schrieb.

Somit konnte sie fragenden Bahnkontrolleuren den Wind aus den Segeln nehmen. Von L.A. nach Phoenix dann, sollte es nicht mehr all zu lange dauern, hier glaubte sie nicht, gefragt zu werden. Nur die wirklich langen Reisen von Küste zu Küste wurden ihrer Meinung nach bei Auffälligkeiten kontrolliert. Aber sie sah nicht aus wie eine Ausreißerin und hatte das auch nicht vor zu ändern, bevor sie nicht dort angekommen war, wo sie ankommen wollte.


Ankunft in Phoenix
Als Alicia noch eine halbe Stunde von Los Angeles entfernt war, konnte sie erst wieder aufatmen. Sie musste sich nachts davon schleichen, weil der Zug gleich morgens um 04:00 Uhr fahren würde und somit hatte sie das Abendessen abgewartet und sich wie alle anderen um 22:00 Uhr zu Bett begeben. Unruhig war sie da gelegen und hatte sich gewünscht, dass ihre Zimmernachbarinnen endlich das leise Flüstern sein ließen, aber warum sollte es an diesem Tag anders sein, als an anderen Tagen. Und so wartete sie mehr oder weniger geduldig, bis sie das ruhige Atmen der beiden vernehmen konnte.

Das, was sie mitnehmen wollte, hatte sie längst gepackt. Da es nicht sehr viel war, fiel es auch nicht auf, alles weitere ließ sie, wie es war. Sie trauerte den Sachen nicht hinterher. Leise war sie den Flur entlanggeschlichen, immer wachsam, damit sie jedes kleine Geräusch sofort hören und analysieren konnte. Aus dem Zimmer der Betreuerin klang ein tiefes, lautes Schnarchen und ansonsten schien alles ruhig.

Die Stufen lief sie gepresst an der Wand hinunter, sodass sie von jemand zufällig oben stehenden nicht entdeckt wurde. Erst als sie die etwas knarzende Tür des Wohnheims hinter sich geschlossen hatte und nirgendwo ein Licht entzündet war, fühlte sie sich etwas ruhiger, allerdings hatte sie die Pforte noch nicht passiert, die jedoch schien kein großes Problem darzustellen, da links und rechts von dieser die Büsche sehr weit gepflanzt waren und sie leicht hindurch schlüpfen konnte. Schwieriger war es nun, vom Haus wegzukommen, ohne dass sie von oben durch ein Fenster beobachtet wurde. Sie drückte sich auch hier nun das Mauerwerk entlang, bis sie auf der Seite der Mädchenzimmerfenster angelangt war, schnell huschte sie zu einem nah gelegenen dicken Baum, dessen Stamm ihr Schatten und somit Sicherheit bot.

Verstohlen blickte sie das Haus hinauf. Tatsächlich waren in zwei der Zimmer noch Licht und an einem Fenster stand eine Silhouette, doch je länger Alicia mit klopfendem Herzen hinaufstarrte, desto sicherer war sie sich, dass diese sie nicht gesehen haben konnte und als der Schatten sich vom Fenster wegbewegte, erkannte sie, dass die Person dem Fenster den Rücken zugekehrt hatte. Mittlerweile war auch das Licht im zweiten Fenster aus und Alicia konnte nun von Busch zu Baum und von Baum zu Busch huschen, bis sie den riesigen Campus durchquert und an der Pforte angelangt war.

Einige Personen streiften hier noch herum. Ältere Schüler, die Ausgang gehabt hatten, sich vielleicht ebenso rausgeschlichen hatten oder Lehrkräfte, die ihren Feierabend außerhalb des Campus' verbrachten. Vielleicht auch einige Studenten, die sich die Nacht in der Bibliothek um die Ohren schlugen - es gab jede Menge Personen, denen Alicia aus dem Weg gehen musste und sie war froh, früh genug gegangen zu sein, denn für den Weg, für den sie eigentlich 10 Minuten benötigte, hatte sie jetzt eine geschlagene Stunde gebraucht, jetzt war es nicht mehr weit.

Die letzte Hürde schaffte sie ohne Probleme und nun konnte sie um die Ecke rennen, hoffen, dass kein Lehrer ihr entgegenkam, der sich auf dem Heimweg befand und einen der letzten Busse nach New York City erwischen. Als der Bus angefahren kam, erkannte sie aber doch ihren Mathelehrer, wie er am mittleren Ausgang wartete, dass er aussteigen konnte. "Bitte, bitte, mach schneller vorne auf, als er hinten aussteigen kann.. bitte..." Flehte Alicia, denn zum Weglaufen wäre es zu spät gewesen, sie musste es darauf ankommen lassen und das Risiko hatte sich gelohnt.

Zwar völlig außer Atem und fast vor dem Herzversagen, aber sie hatte es geschafft, konnte sich auf einen der unbequemen Schalensitze fallen lassen und nach New York fahren. Außer ihr, waren nur eine alte Frau und zwei junge Kerle mit im Bus. Die Dame saß ganz hinten und strickte, die beiden Kerle unterhielten sich angeregt und hatten sie nicht bemerkt. Nur der Busfahrer beobachtete sie kurz über seinen Rückspiegel, dem sie jedoch sehr geschickt auswich, in dem sie so tat, als würde ein Kaugummi auf dem Sitz kleben und sie sich jetzt einen neuen Platz suchen müssen. Näher der Frau, weiter weg von den aufmerksamen Blicken, die sich alles einzuprägen versuchten.

In New York angekommen, stieg sie am John F. Kennedy Bahnhof aus und eilte in die Menge, sodass niemand sie irgendwie - weder mit Blicken, noch mit seinem Körper - verfolgen oder gar aufhalten konnte, weil er Verdacht schöpfte. Vielleicht machte sie sich auch nur einen viel zu großen Kopf, viel zu viele Gedanken, denn sie konnte alles sein. Außerdem hatte sie ab sofort das gefälschte Freifahrtsticket mit der Erlaubnis ihrer Eltern und somit trat sie an den Schalter, kaufte eine Fahrkarte, ohne danach gefragt zu werden, wie alt sie denn sei und ging zum Gleis. Auf dem Weg dorthin holte sie sich genügend Proviant an einem Kiosk, um nicht alles im teuren Bordrestaurant kaufen zu müssen.

Und nun saß sie da, seit vielen unzählbaren Stunden im Zug und futterte die letzten Gummibärchen, die sie noch übrig hatte, checkte ihre Kasse und machte sich zurecht, um gleich aussteigen zu können. Alicia war erleichtert. Die Zugfahrt war ohne weitere Zwischenfälle verlaufen, jedoch fühlte sie sich wie gerädert. Es war früher Vormittag und die Geschäfte dürften schon geöffnet haben. Erst wollte sie etwas richtiges zu sich nehmen und sich dann ein paar neue Kleidungsstücke kaufen. Das Ticket würde sie holen, sobald sie wieder am Bahnhof war, sie wollte nicht riskieren, es vielleicht zu verlieren oder den Zug zu verpassen und das Ticket womöglich nicht zurückerstattet zu bekommen.

In L.A. angekommen atmete sie die frische Sommerluft ein und begab sich zum Weg in die City. Vorbei an den reichen Einkaufsstrassen in Richtung der mittelständischen Viertel an In-Läden und Einkaufszentren vorbei auf der Suche nach dem richtigen Geschäft und Alicia fand, nach was sie suchte. Ein Armyladen, kaum breiter als vier Schritte, dafür aber überaus lang hineingezogen. Die Ständer draußen ließen sie aufmerken, denn eine Militärhose hatte sie schon immer gern ihr eigen nennen wollen.

Die 15-jährige deckte sich ein. Die Preise waren günstig, denn fast alle Sachen waren aus zweiter Hand und so konnte sie nicht nur Kleidung, sondern auch einen Rucksack und einen Reiserucksack kaufen, in dem sie die neuen Sachen verstaute. Die neuen Stiefel wollte sie ebenso gleich einlaufen, nur wusste sie genau, dass sie danach gar nicht mehr hätte laufen können, daher verschob sie das Vorhaben auf die Zugfahrt, wo sie sich nach Belieben auch wieder hinsetzen konnte und sich den schweren Docs entledigen.

Sie hatte mittlerweile noch zwei Stunden und versuchte sich zurück zum Bahnhof durchzuschlagen, als sie an einem Piercingshop vorbei kam. Ein Piercer war in den hinteren Bereichen zugange und vorne stand eine punkige Verkäuferin, die sie einladend anlächelte. "Na? Willst Du nicht Dein Glück versuchen? Ein Piercing würde Dir überaus gut stehen, lass mal Deine Ohren sehen. Oh, perfekt. Versuche es doch mal. Wir haben grade ein Angebot von 5 US-Dollar pro Piercing inklusive Stecker und Desinfektion." Alicia schaute sich nach einem Spiegel um. Eigentlich war das genau das, was sie jetzt brauchte. Etwas anderes, etwas ausgefallenes, etwas, das ihre Eltern ihr niemals erlaubt hätten. Und am Ohr - was konnte es schaden, sie könnte es auch jederzeit wieder rausnehmen, wenn sie wollte und sie nickte der Verkäuferin zu.

"Dann möchte ich bitte gleich zwei. Eines oben in der Ohrmuschel und eines am Knorpel." - "Oh, da hat es aber jemand arg eilig, etwas nachzuholen." Lachte die junge Frau heiter, die an fast jeder Stelle Ihres Köpers entweder ein Piercing oder ein Tattoo hatte. "Wenn Du wüsstest, wie Recht Du hast." Dachte Alicia belustigt für sich und folgte der Verkäuferin in den hinteren Bereich. Der große blullige Kerl mit den überaus heftigsten Percings, die man sich vorstellen konnte, schien wie ein lieber Brummbär zu sein.

"Jake, hier habe ich für Dich jemanden, der es gleich zwei mal von Dir will." Und wieder das helle Lachen, das durch den Raum glitt und alles irgendwie fröhlich stimmte. "Na, dann werden wir mal sehen, ob ich es Dir besorgen kann." Lachte er Alicia mit dunkler, aber sehr sympathischer Stimme entgegen und wies ihr einen Platz auf seinem Stuhl. "Wohin möchte die Dame, was genau?"

Alicia erklärte noch einmal konkreter und der Piercer nickte, desinfizierte und stach durch. Es war nur ein kurzes Ziehen beim ersten, aber ein doch schon heftiger Stich beim zweiten Piercing, aber Alicia war hart im Nehmen und stand zu ihren Entscheidungen, weswegen sie die Zähne zusammenbiss und machen ließ. Das Werk bewundernd strahlte sie dann am Ende.

"Sehr genial, vielen Dank." - "Nichts zu danken, hier hast Du Desinfektionsmittel und einen jeweils neuen Stab. Tausche ihn aus, sobald die Schwellung zurückgegangen ist. Könnte jetzt etwas heiß werden." Und er erklärte ihr noch genau, wie sie die Wunden zu reinigen hatte und was sie beachten sollte. Dass er nicht nach ihrem Ausweis fragte oder irgendwas sonst weiter verlangte, sprach irgendwie für sein Aussehen. Er sah das alles nicht so eng, nur erwischen lassen durfte er sich nicht und das sagte er ihr auch noch einmal. "Keine Sorge, ich kann schweigen wie ein Grab." Gab Alicia zurück und drückte ihm 10 Dollar in die Hand. "Ich muss los."

Alicia war von diesem Augenblick verfallen. Das Gefühl war einfach einzigartig und sie spürte, dass sie sich am liebsten gleich noch mal hätte piercen lassen, aber das hätte er ihr wohl abgeraten, denn sie sollte sich erst einmal daran gewöhnen und beobachten, ob ihr Körper dies widerstandslos über sich ergehen ließ. Alicia hatte keinen Zweifel, dass er das tun würde, aber dennoch blieb ihr keine Wahl. Sie musste weiter Richtung Bahnhof. Sie dachte nur noch bei sich, dass sie ja auch ihre Ohrlöcher schon zum Testen gehabt hatte und bei diesen war auch nichts schief gegangen, wobei es dennoch etwas anderes war, einen Stecker hineingeschossen oder gepierct zu bekommen. Sie war jedenfalls überaus stolz auf sich und ihre Eltern hätten sich, wären sie tot gewesen, im Grabe umgedreht. Das war es wert.

Wieder im Zug sitzend, spürte sie dann langsam, dass die Stellen an den Ohren tatsächlich heiß wurden, aber sie war darauf vorbereitet und störte sich nicht weiter daran. Diese Zugfahrt war weitaus kürzer als die erste, aber weniger angenehm, denn die Sonne brannte heiß auf das Eisendach und auch wenn die Züge klimatisiert sein sollten, irgendwie schien die Anlage in Alicias Abteil nicht wirklich zu funktionieren. Vorteil dessen war, dass das Leder der neuen Schuhe sich weitete und sich irgendwie geschmeidiger anfühlte, so dass Alicia es vorzog, die Schuhe lieber nicht auszuziehen. Es konnte ja nur gut sein.

Als sie dann endlich in Phoenix eintrudelten, war der Teenager kurz eingeschlafen und umso mehr war es wie ein Hammerschlag, zu begreifen, dass sie ihr Ziel tatsächlich erreicht hatte. Ungläubige Tränen stiegen ihr in die Augen - zum einen aus Freude, es geschafft zu haben, ihrem Bruder jetzt nicht mehr sehr weit entfernt zu sein und zum anderen aus Trauer, Trauer um die Phantasie, in der sie sich immer wieder ausgemalt hatte, wie er sie vom Bahnhof abholte, wie sie sich in die Arme fielen, drückten und nicht mehr loslassen wollten. Alicia stieg aus, blickte auf den Bahnsteig an eine beliebige Stelle und sah diese Szene vor sich... Schnell griff sie sich an ihr Amulett, das sie seit ihrer Abreise in London täglich getragen hatte. Er war bei ihr, immer ihrem Herzen ganz nah und in Gedanken, wie er es geschrieben hatte... Rempelnde Leute holten sie zurück aus ihren Gedanken und sie lief in Richtung Ausgang.


Die Suche
Sie hatte einen Taxifahrer gefragt, wo sie den Ort der Adresse in ihrem Kopf finden konnte und da dies am anderen Ende der Stadt zu sein schien, leistete sie sich für 15 Dollar dieses Taxi, doch als sie ankamen, war unter der Hausnummer nur eines zu sehen: Schutt und Asche. Das Haus war abgerissen worden, wie einige Häuser, die wohl daneben gestanden hatten. Eine große Plakatwand gab den Hinweis, dass an jener Stelle in ein paar wenigen Wochen ein neues Einkaufszentrum errichtet sein würde. Alicia war leicht schockiert. Sie schickte den Taxifahrer nach der Bezahlung weg und setzte sich auf eine Bank, die vor einem Waschsalon aufgestellt worden war.

Sie hatte schon von New York aus bei der Auskunft versucht, einen Timothy Melore ausfindig zu machen, aber unter diesem Namen gab es keinen Eintrag. Wie sollte sie ihren Bruder jetzt noch finden? Alicia blickte sich um und stand auf, um in der Bäckerei gegenüber der Baustelle zu fragen, ob jemand eine Miss Miller kannte, die im Haus gegenüber gewohnt hatte oder auch einen Mr. Melore.

"Es ist schon ein paar Wochen her, da habe ich Miss Miller das letzte mal gesehen, danach wurde auch schon ihr Haus verkauft. Aber mehr kann ich Dir nicht sagen, Kind." War das einzige, das sie herausfand. Sie wusste nicht, wo Miss Miller arbeitete, wussten nichts über ihren Bruder und konnten sich auch nicht an sein Bild erinnern. Alicia kaufte sich ein Brötchen und ging mit hängenden Schultern zurück zu ihrer Bank. Sie wusste nicht, wie sie ihn jetzt noch finden sollte. Niemand schien von ihm zu wissen und die einzige Möglichkeit, die ihr blieb, war, die Stadt nach ihm abzusuchen. Eine riesige Stadt... die Hauptstadt des Bundesstaates Arizona mit über 3,2 Millionen Einwohnern und einer Fläche von - sie wusste es nicht mehr...

Mehr lustlos und beiläufig aß sie das trockene Brötchen zur Hälfte auf, dann rebellierte ihr Körper. Er hatte Hunger, aber wollte etwas Handfestes, ihr Geist war nicht fähig das zu registrieren und ihre Hautfarbe wurde etwas blasser um die Nase herum. Was sollte sie jetzt nur tun?

"Magst Du das Brötchen nicht mehr?" Alicia schreckte aus ihren Gedanken und löste den starren Blick auf die Baustelle ihr gegenüber und wandte sich nahezu ruckartig zu einem alten Mann, einem Veteranen, wie sie an seiner Kleidung erkannte, um, der das Alter von Gut und Böse schon längst überschritten zu haben schien. Weißes langes Haar wirrte sich mit dem ebensolchen Bart, welcher jedoch gestutzt war. "Nein, nein.. bitte, sie können es haben, wenn sie es möchten, ich habe es nur abgebrochen." Kam es für den ersten Augenblick überrascht über ihre Lippen und gleichwohl auch etwas holprig.

"Du bist nicht von hier. Das höre ich. Ein Freund von mir aus dem Krieg, der war auch aus England, das werde ich nie vergessen..." Lachte der alte und setzte sich neben sie, nahm das Brötchen dankbar an und begann daran zu nagen. Viele Zähne hatte er nicht mehr im Mund und alles schien an ihm irgendwie alt zu sein. Begonnen mit der Kleidung, endend mit der faltigen Haut, doch eines schien eine nie gesehene Jugend auszustrahlen - seine stahlblauen Augen, die von freundlichen Lachfalten gerahmt wurden.

"Nein, das haben Sie richtig erkannt." Alicia wollte nicht unfreundlich sein, doch wusste sie ebenso, dass sie vorsichtig sein musste, mit dem, was sie wem erzählte. Sie war vielleicht am anderen Ende von Amerika, aber der Einfluss ihrer Familie reichte noch weit über viele Landesgrenzen hinaus. Für einen Augenblick musste sie darüber schmunzeln, als sie sich vorstellte, wie alle wie aufgescheuchte Hühner mit Lockenwicklern durchs Internat rannten und sie suchten. Allen voran die Leiterin. Sicherlich wäre es nie so gewesen, sie würden alle nüchterner nach außen hin reagieren oder hatten schon reagiert, schon längst, dennoch würde es in ihrem Inneren nach Hühnerstall und Eiern schreien. Alicia versuchte den Gedanken von sich zu schieben, sie hatte jetzt wichtigere Dinge zu überlegen.

"Lebst Du auch auf der Straße?" Kam die unvermittelte Frage, die schon so viel von ihm selbst verriet. Schon wollte Alicia "nein" sagen, aber sie besann sich mit einem schockierenden Gefühl in der Magengegend. "Ich.. ja, jetzt wohl schon." - "Jetzt wohl schon? Noch nicht lange, oder wie?" Der alte kaute auf dem Brötchen und seine Augen leuchteten sie weiter an, was ihr ein gewisses, ruhiges Gefühl gab, sich einfach hier draußen in der Fremde mit einem Fremden zu unterhalten, der auf der Straße lebte. Aber sie hatte im Gefühl, dass von ihm keine Bedrohung ausging oder ausgehen würde, nur wissen konnte sie es natürlich nicht.

"Seit etwa 1 Minute würde ich sagen." Gab Alicia ehrlich zu und eine nachdenkliche Falte bildete sich auf ihrer sonst so ebenen Stirn. "Schau nicht betrübt. Die Straße ist hart, das sage ich Dir, Mädchen, aber ich sage Dir noch eines: Nirgends anders wirst Du die Kleinigkeiten so zu schätzen lernen wie auf der Straße. Nirgends anders wirst Du so einen Zusammenhalt finden, weil alle im gleichen Boot sitzen.

Natürlich gibt es hier auch Neider, wie bei allen anderen auch, aber trotz allem, die Erfahrung habe ich gerne gemacht und mich dafür entschieden, nicht mehr sesshaft zu werden, trotz meiner alten Knochen..."
, und er lachte kurz auf, bevor er weitersprach, "Du bist jung, Mädchen, Du hast Dein Leben noch vor Dir, Du solltest nicht auf der Straße leben, ich mag auch nicht näher nachfragen, aber sei Dir eines gewiss, wenn Du einmal Hilfe oder einen Ratschlag brauchst, dann ist der alte Jack die richtige Anlaufstelle für Dich." Schon wieder ein Jack..., dachte sie bei sich und fragte sich gleichzeitig, ob das ein Zeichen war, auch wenn sie nicht an Übersinnliches glaubte.

"Der alte Jack, das sind wohl Sie?" Fragte sie freundlich und er nickte: "So wahr ich nun lebendig neben Dir sitze, das glaubst Du aber. Und bitte sag 'Du' zu mir, dann fühl ich mich etwas jünger." Und wieder lachte er, er hatte nichts von seinem Humor, nicht all die Jahre, einbüßen müssen und Alicia bewunderte den alten Mann, von dem sie so rein gar nichts wusste.

Es war ein Gefühl, auf das sie hörte und auf nichts anderes würde sie vertrauen können in Zukunft. Gefühl, Wahrnehmung und das wenige, das sie in ihren 15 Jahren gelernt hatte, doch die Welt da draußen, hier draußen, hier, genau jetzt, da wo sie jetzt war, das war Neuland und sie war sicherlich nicht dumm und naiv, aber sie war unerfahren, hatte keine Ahnung von dem, was wirklich hier war. Sicherlich kannte sie Zeitungsartikel, Nachrichten und Fernsehsendungen, Filme und das, was man sich so sagte, aber ihr erster Schritt in der Wirklichkeit, war auch der härteste - denn sie begann nun ganz unten. Nur mit dem, was sie bei sich trug und mit nichts weiterem, dem und ihren Erinnerungen, ihrer Hoffnung und ihrem Ziel.

"Jack, kannst Du mir sagen, wie ich auf der Straße überleben kann?" Es war eine ernstgemeinte und sehr durchdachte Frage, doch der alte Jack musste wiederum lachen und nach seiner Antwort fühlte sie sich etwas belämmert, denn er hatte einfach recht. "Überleben, Mädchen... Du überlebst, wenn Du denkst, wenn Du fühlst und wenn Du Dein Lachen nicht verlierst. Für alles andere sorgt der Zufall, das Glück oder Schicksal, was auch immer, suche es Dir aus. Es gibt keine Standardantwort auf diese Frage, Mädchen, aber was ich Dir geben kann, sind meine Erfahrungen, ein paar Ratschläge und vielleicht ein paar Tipps, damit das Überleben nicht ganz so schwer ist. Denn überleben, das tun wir alle, ob reich oder arm wie eine Kirchenmaus. Du darfst nicht fragen, wie kannst Du überleben, Du musst fragen, wie schaffst Du es, aus dem Nichts etwas zu machen, über alles andere, über Leben und Tod, haben wir nicht zu entscheiden, das hat mich der Krieg gelehrt."

Es war kurz still, er aß den Rest des Brötchens, betrachtete sie und setzte dann fort, sie wollte ihn nicht unterbrechen, hatte nur genickt, er hatte Recht. Wir alle überlebten jeden Tag einfach so, ohne uns Gedanken darum zu machen, denn irgendwas passierte, aus dem man etwas machen konnte oder auch nicht und man konnte sich entscheiden, wie man damit umzugehen gedachte - überlebte sozusagen von ganz allein - oder auch nicht.

"Nun denn, Mädchen, horch auf. Du findest in der dritten Parallelstraße von hier einen kleinen Hinterhof hinter einer Metzgerei. Ein sehr großes Gebäude. Dort gibt es eine Essensausgabe. Im Sommer einmal am Tag und im Winter zwei mal, dort kannst Du Dich für ein paar Stunden aufwärmen, wenn es nass oder kalt ist und bekommst eine warme Mahlzeit für umsonst. Manchmal möchten sie, dass man ihnen beim Abwasch und Aufräumen hilft, aber das macht man einfach, es gehört dazu. Die Uhrzeiten stehen draußen dran. Manchmal verschiebt sich das, je nach dem, wie viel Arbeit sie da drinnen haben.

Zum Schlafen musst Du Dir ruhige Orte suchen. Lass Dich aber nicht von den Cops aufgreifen, sie sehen das nicht gerne, wenn man sich an öffentlichen Plätzen aufhält oder auch im Park an sich. Da musst Du schauen, dass Du Dir ein paar Zeitungen schnappst, damit Dir nachts nicht zu kalt wird. Du glaubst gar nicht, wie warm die einen halten können. Bleib vom Alkohol weg, wenn es kalt ist, sonst erlebst Du die Nacht nicht mehr.."
, in Anbetracht der Tatsache, dass es Hochsommer war und affenheiß und dass es in Phoenix nur einen bedingten Winter gab, hatte Alicia da keine Sorgen, sie nickte, damit er fortfuhr.

"Du bist jung, Mädchen. Hab ich das schon gesagt? Na, egal. Du bist jung und Du hast Dein Leben noch vor Dir, verbringe nicht zu lange Deine Zeit auf der Straße, sonst schaffst Du den Absprung nicht mehr. Mach erst was aus Deinem Leben und entscheide danach, ob Du zurückkehrst oder nicht. Kaum einer macht das freiwillig. Alle hier haben ihre eigene Geschichte und viele keine Wahl. Belächle sie nicht, wenn sie etwas verrückt wirken und sei nicht arrogant, das ist ganz wichtig, wenn Du hier, wie Du sagst, überleben möchtest." Abermals nickte der Teenager.

"Wenn Du ein Ziel hast... hast Du ein Ziel, Mädchen?" - "Ja, ich suche jemanden, der hier gewohnt haben soll. Und mein Name ist übrigens Alicia." Stellte sie sich dann endlich auch einmal vor, auch wenn sie glaubte, dass er weiterhin "Mädchen" zu ihr sagen würde, irgendwie passte das zu ihm und sie sollte Recht behalten. "In dieser Stadt jemanden suchen ist ein großes Ziel, aber ein gutes Ziel. Mache das, verliere dieses Ziel nicht aus den Augen.

Frage die Leute, wenn Du ein Bild hast, zeige es ihnen, so viel und so lange Du am Tag Zeit dafür hast, aber verliere nicht aus den Augen, dass Du Dein Ziel vielleicht nicht erreichst und auf Dich allein gestellt bist, so hart das klingen mag, sei nicht blauäugig, denn dann würdest Du es nicht schaffen. Verfolge das Ziel, aber sorge trotzdem dafür, dass Du selbst zurecht kommst, weil Du nicht weißt, wann Du das Ziel erreichst und ob überhaupt. Du musst jetzt wohl als aller erstes lernen, dass Dein Leben nun in Deiner Hand liegt und Du ganz allein Deine Entscheidungen triffst und für alle diese auch die Verantwortung zu tragen hast, Mädchen."
Und abermals nickte Alicia. Er hatte wieder Recht, mit dem, was er sagte, aber sie würde wohl noch einige Zeit brauchen, bis es nicht nur der Verstand, sondern auch ihr Sein begriffen hatte, was zu tun war und was er meinte.

"Hast Du noch Fragen?" Er blickte sie erwartungsvoll an. "Nein.. oh, doch, eine habe ich. Kennst Du diesen jungen Mann?" Sie öffnete das Amulett um ihren Hals und zeigte ihm das Bild ihres Bruders. "Du lernst schnell, das freut mich, aber nein, tut mir leid, ich kann mich an sein Gesicht nicht erinnern, aber sollte ich ihn sehen, ich werde ihn erkennen und ihm sagen, dass Du ihn suchst. Gibt es einen Ort, an dem er Dich vermuten könnte?" - "Ja, hier..." Kam sehr leise von Alicia, als sie das Amulett wieder schloss und unter ihrem Shirt verschwinden ließ. "Gut. Dann komme einmal am Tag immer hier her zurück und zwar immer um die gleiche Uhrzeit. Vielleicht so wie jetzt, dann kann ich ihm sagen, wo er Dich findet, wenn ich ihn sehe und ich weiß, wann und wo ich Dich finde. Was hältst Du davon?"

"Eine gute Idee, ja." Sie lächelte. Irgendwie tat es sehr gut zu wissen, dass sie nicht ganz allein auf der Welt war. "Mich findest Du übrigens oft da drüben im Park bei den Enten, die gefallen mir gut. Auch gibt es Schildkröten im Biotop und Frösche. Das hat was und scheue Dich nicht zu mir zu kommen, wenn was ist, Mädchen. Versprich mir das." Und sie nickte wieder und zum ersten Mal lächelten auch ihre Augen, als er aufstand und sich von ihr verabschiedete. "Danke, Jack." Sagte sie noch, doch er winkte lachend ab und Alicia blickte ihm nach, bis er um die Ecke, hinter der es zu besagtem Park gehen sollte, verschwunden war...

Lösungen, Wege und ein Einleben

Anfangs fühlte Alicia sich mehr als unwohl, unsicher und auch etwas ängstlich, doch der alte Jack hatte ihr eine Hoffnung gegeben, die ungemein half. Die erste Nacht war die schlimmste. Denn nicht nur, dass überall neue und beunruhigende Geräusche zu hören waren, es war auch unter freiem Himmel, nicht geschützt, vor nichts. Alicia hatte sich eine Bank gesucht im Park und den Rat mit den Zeitungen beherzigt, die sie alsbald allerdings von sich streifte, da diese überaus warm hielten und die Nacht generell schon sehr warm war. Im Endeffekt machte sie kaum ein Auge zu, fiel immer wieder in einen gewissen Halbschlaf, schreckte aber im nächsten Augenblick schon wieder hoch, weil irgendetwas im Gebüsch raschelte oder am Baum knarzte und kratzte.

Eigentlich hätte Alicia sich auch ein Bett in einem Hostel leisten können, denn noch hatte sie ein paar Hundert Dollar, die ihr länger reichen würden, allerdings wusste sie nicht, wie lange und sie wusste nicht, wann und ob sie ihren Bruder finden würde. Glücklicherweise hatte sie schon vor einigen Jahren bei Ihren Eltern gelernt, oder viel mehr lernen müssen, vorausschauend zu sein, auch wenn es in diesem Fall ein ungewisses Vorausschauen war.

Als der Morgen graute und etwas Licht in den aufwachenden Park strahlte, stand sie auf, ging zum ersten Brezelverkäufer, den sie entdecken konnte, holte sich ihr Frühstück und suchte sich einen Platz am See, auf dem die Enten schon munter umher schwammen. Alicia zog das Tagebuch aus dem Rucksack auf ihre Knie und schlug es auf. Sie hatte bisher noch nichts in dieses so heilige Buch geschrieben. Immer in der Angst, es könnte jemand lesen und die Inhalte gegen sie verwenden. Jetzt sollte es nicht nur ein Tagebuch werden, sondern ein Buch, in das sie ihre Ziele schrieb und es blieb nicht bei dem Hauptziel ihren Bruder zu finden. Der alte Jack hatte sie nachdenklich gestimmt und seine Aussagen immer wieder im Kopf abgespielt. "In dieser Stadt jemanden suchen ist ein großes Ziel..."

Alicia nahm ihren Stift und schrieb nun unter ihr Hauptziel, kleine Ziele, denn diese würden ihr helfen, besser über... besser leben zu können.

- Einen Job finden
- Eine Unterkunft finden, die ich vom Job bezahlen kann
- Mich sicherer fühlen


Sie legte den Stift an ihre Lippen und blickte in eine weite Ferne. Schlussendlich entschied sie sich, dass dies für den Anfang sicherlich reichte, allerdings ergänzte sie noch einen Punkt, der ihr wichtig erschien:

- Leute kennenlernen, die mir helfen können

Dann nickte sie und klappte das Buch zu, um gleich mit der Erfüllung dieser Ziele zu beginnen. Als sie aufstand und den Rucksack hob, war das erste Ziel ein nahegelegener Bahnhof, zu dem sie sich durchfragte, um sich der schweren Last auf ihren Schultern zu entledigen. Als sie das Bahnhofsgebäude vor sich sah, das kaum einige Straßen weiter lag, ärgerte sie sich maßlos über ihre Dummheit, einem Taxifahrer vertraut zu haben. Sie glaubte, es wäre eine zweite Bahnstation gewesen, zu der man sie geschickt hatte, allerdings war es derselbe Bahnhof, der meilenweit von der Adresse zur Freundin ihres Bruders entfernt liegen sollte. Der Taxifahrer hatte auf eigenen Profit eine komplette Rundreise durch die Stadt veranstaltet, um sie letztendlich nur diese wenigen Hundert Meter weiterzubringen.

Wieder etwas gelernt. Dachte sie dann bei sich, suchte sich ein großes Schließfach und verstaute darin ihre Sachen. Lediglich den kleineren der beiden Army-Rucksäcke füllte sie mit dem Notwendigsten, etwas Geld und dem Tagebuch. Den Rest schloss Alicia ein und fühlte sich schon etwas heimischer, da sie einen Ort hatte, an den sie immer wieder zurückkehren konnte.

Nun ging es auf die Reise durch diese große, fremde Stadt. Auf der Suche nach einem Job, einer Unterkunft, ihrem Bruder... Alicia hielt in ihren eigenen Gedanken inne, suchte mit den Augen einen Copyshop, den sie unweit des Bahnhofes fand und ließ das Bild in ihrem Amulett vergrößern und ausdrucken. Sie wollte den Inhalt des Amuletts nicht aller Welt zeigen, es war zwar das gleiche Bild, aber irgendwie war es, und das hatte sie gemerkt, als sie es für Jack geöffnet hatte, als würde sie ihr Herz öffnen und das bei fremden Leuten war nicht unbedingt ein angenehmes Gefühl.

So ausgerüstet nahm sie den nächsten Weg in die Stadt. Geschäfte reih an reih, mehr Taxen als Autos, Touristen, viele ältere Menschen und ein Großstadtlärm erwarteten sie, den sie so nicht wirklich gewohnt war, aber auch nicht unbedingt negativ aufnahm.

Anfangs fragte sie wahrlich jeden zweiten nach dem Bild in ihrer Hand, nach ihrem Bruder, doch nach der ersten Stunde gab sie auf und suchte sich nur Gesichter aus, in denen sie zu erkennen versuchte, ob diese sich möglicherweise in den gleichen Kreisen wie Benja... Timothy aufhielten. Viele schauten gar nicht richtig auf das Bild und schüttelten dennoch den Kopf. Entweder sie konnten, aber eher sie wollten nicht helfen und das war auch eine neue Erfahrung für Alicia.

Zu Beginn war sie etwas schüchtern und zurückhaltend, aber je mehr Leute sie traf, die ignorant an ihrer Frage vorbeiliefen, desto mutiger wurde sie. Es konnte doch nicht sein, dass die Menschheit so blind für andere Menschen war, aber dem schien wirklich so zu sein. Zumindest brachte sie ein paar wenige Leute dazu, das Bild richtig anzuschauen, bevor sie ihren Kopf ein weiteres mal schüttelten und dann mit einem "Sorry" auf dem Lippen weitergingen.

Als es langsam Mittag wurde und Alicia vor Hunger und Enttäuschung zu einem Fast Food Restaurant ging, um sich zum einen etwas zu essen zu holen, aber auch den Straßenstaub aus ihrem Gesicht zu waschen, versuchte sie sich selbst mit Jacks Worten aufzubauen... es war einfach ein großes Ziel und sie wollte sich eigentlich ja auch erst um die kleinen kümmern, die sie mit dem Ausdruck des Bildes schon wieder hinten angestellt hatte.

Beim Angestellten, der ihr einen Burger verkaufte, fragte sie nach offenen Jobs, doch er schüttelte freundlich, aber bestimmt den Kopf - schon wieder jemand, der nur ein Kopfschütteln für sie übrig hatte - und erklärte ihr, dass sie gerade erst ein paar Studenten und Schüler eingestellt hatten, aber sicherlich in ein paar Wochen, wenn das neue Semester begann, wieder Jobs frei wären und sie dann gerne noch einmal kommen könne. Alicia bedankte sich, nahm ihr Tablett und setze sich an einen freien Tisch an der Glasfront des Burgerladens, um draußen die Umgebung und die Leute beobachten zu können.

Es gab verschiedene Gassen, die von diesem relativ großen Platz abzweigten und diese wanden sich in alle Richtungen. Als Alicia ihr Mittagsmahl zu sich genommen und ihr Tablett in die Ablage gestellt hatte, wollte sie sich nach einem Job umhören. In einer der Seitenstraßen fand sie ein kleines Geschäft mit Lederbändern, Silberschmuck und Perlen und ließ sich ablenken, denn sie fand dort einige hübsche, kleine Stücke, die sie gerne ihr Eigen nennen wollte. Da der Preis stimmte, gönnte sie sich zwei Lederbänder, einige Perlen und ein paar kleine Piercingstecker für ihre neuen Erungenschaften. Sie hatte zudem vor, sich weiter piercen zu lassen, aber das hatte noch etwas Zeit und sie ging zur Kasse, um zu bezahlen.

Eine gemütlich wirkende Frau mit freundlich rundlichem Gesicht stand hinter dem alten Holztresen und der nostalgischen Eisenkasse. Sie nannte den Preis und nachdem Alicia ihr einen Schein gab und auf ihr Rückgeld wartete, entdeckte sie das Schild, das hinter der Frau an der Wand hing. "Sie suchen eine Aushilfe? Ist diese Stelle noch frei?" Erkundigte sie sich daraufhin freundlich und die Frau schaute interessiert auf, als sie Alicia das Rausgeld in die aufhaltende Hand gab. "Hast Du denn Erfahrung im Verkauf?" Die Frau schien freundlich gesinnt, wie es so schön hieß, dennoch sah Alicia ihre Chancen sinken. "Um ehrlich zu sein, nein, aber ich bin lernwillig und habe eine wirklich gute Auffassungsgabe." Warb die junge Frau dann von sich und lächelte ihr schönstes Lächeln.

"Das hört sich natürlich gut an. Dann hat man Dich vor allem nicht schon verdorben." Und die rothaarige Mittvierzigerin lachte herzlich auf. "Nun denn, auf einen Versuch können wir es ja ankommen lassen. Wichtig wäre mir zu wissen, ob Du rechnen kannst und es muss klar sein, dass alles vom Gehalt abgezogen wird, was verschwindet. Ich bezahle wöchentlich nach getaner Arbeit und nie im Voraus. Wie heißt Du?" Alicia freute sich, so einfach hätte sie es sich nicht vorgestellt. "Alicia..", begann sie und machte eine winzige Pause und wurde auch schon unterbrochen und nicht grade wenig erleichtert, denn ein "of" im Namen konnte sicherlich nicht nur vorteilhaft sein.

"Das reicht mir fürs erste auch schon. Ich nehme das nicht so genau und wenn die Polizei kommt und Dich fragt, was Du hier im Laden machst, dann bist Du meine Nichte und hütest das Geschäft, bis ich zurück bin, dann sind wir sicherlich beide zufrieden, meinst Du nicht auch?" Und wie Alicia zufrieden war. Sie nickte erfreut und hatte das Gefühl, dass sie sich mit ihrer neuen Chefin sicherlich sehr wohl fühlen würde. Wie Alicia später noch erfahren sollte, war dies gängig in den kleinen Geschäften in dieser Gegend etwas abseits der Innenstadt.

"Ich bezahle Dir 10 Dollar in der Stunde, ich denke, einen besseren Lohn bekommst Du sonst nirgends. Wann kann ich Dich anlernen? Ach.. mein Name ist übrigens Rosie." Und sie streckte Alicia die Hand entgegen. "Eigentlich bin ich nicht so schnell mit Einstellen und vor allem nicht, wenn ich so gar nichts weiß, aber ich habe einige sehr dringende Termine in der nächsten Zeit und daher ist es mir etwas eilig." Fügte sie dann noch an und Alicia strahlte: "Ich werde Sie nicht enttäuschen." Und das meinte sie ernst. "Ich kann sofort anfangen, wenn Sie möchten." Die ältere überlegte und nickte dann. "Okay, dann sofort und die Arbeitszeiten machen wir spontan, wenn das für Dich geht, oder hast Du Schule?" - "Ich.. nein, ich bin gerade von der Schule abgegangen." und es war nicht einmal gelogen. "Nun gut, dann zeige ich Dir in der Kaffeeküche einen Platz für Deine Sachen und danach den Laden."

Der ganze Tag war sehr interessant. Rosie erzählte Alicia viele Geschichten von einzelnen Stücken, die sie im Angebot hatte und auch, welche Kunden generell so in den Laden kamen, welche davon eine ausführliche Beratung wünschten, welche Fragen am häufigsten gestellt wurden und wie sie die Kasse zu bedienen hatte. Alicia merkte sich alles, schrieb sich mitunter einen kleinen Merkzettel und tat ihr Bestes, die beste Seite von sich zu zeigen. Als die Inhaberin den Laden schloss, war es schon nach 22 Uhr und sie fragte Alicia, ob sie sie ein Stück nach Hause begleiten solle. Alicia dankte, aber es ginge schon so, sie wollte nicht erzählen, dass sie kein Zuhause mehr hatte. Je weniger Leute davon wussten, desto besser war es und somit verabschiedeten sie sich für den nächsten Nachmittag.

So hatte Alicia vormittags Zeit zur Baustelle des Einkaufszentrums zu gehen, dem alten Jack somit auch Bescheid zu geben, dass sie vormittags, anstatt nachmittags da sein würde und ihm natürlich davon zu erzählen, dass sie einen Job gefunden hatte. Der alte Mann freute sich sichtlich und Alicia wollte ihm zukünftig, wenn sie ihren Lohn bekam, etwas zu Essen oder Zigaretten mitbringen, wobei es nicht so einfach für sie war, an diese zu gelangen, aber er mochte sie so gerne und hatte fast nie welche und so sollte es für sie das erste Geschenk sein, das sie ihm machte.

Die Arbeit im Laden bereitete ihr viel Spaß und für den Anfang, solange es noch so warm war, wollte sie ihre Parkbank nicht verlassen. Sie wollte das, was sie an Kleidung und Essen ausgab, wieder erwirtschaften, bevor sie sich eine richtige Unterkunft besorgte. Es funktionierte sehr gut mit dem Bankfach und somit passte das für sie auch in die Sparte Abenteuer, die sie so nie erlebt hatte. Vielleicht war sie auch etwas blauäugig, weil die ersten Nächte nichts passierte und auch weiterhin nicht viel passieren würde, aber so war sie nun einmal und es tat ihr gut, ein Gefühl für dieses Leben zu bekommen. Sie war dankbar um jede neue Erfahrung.

Es dauerte allerdings nicht sehr lange, bis Rosie sie einmal auf der Parkbank schlafend vorfand. Es war sehr spät nachts und die esoterische Ladenbesitzerin schien noch ausgegangen zu sein, um jetzt den Weg zurück zu finden. "Alicia?" Überrascht richtete sich Alicia auf und lief rot an. "Ich.." - "Warum hast Du mir nicht gesagt, dass Du kein Dach über dem Kopf hast." Rosie klang nicht sauer oder enttäuscht, einfach nur ehrlich interessiert. "Ich wollte...,", erst wollte Alicia eine Ausrede finden, aber sie war von Rosie bisher immer ehrlich und respektvoll behandelt worden. "Ich wollte den Job nicht gleich wieder verlieren und ich wollte nicht, dass Du glaubst, dass ich unehrlich bin, nur weil ich derzeit kein Zuhause habe." Antwortete sie somit ehrlich. Sie hatten in der zweiten Woche schon begonnen sich beide zu duzen.

"Nun denn, so kann es jedenfalls nicht weitergehen. Ich kann Dich nicht zwingen, mir zu erzählen, was passiert ist. Das machst Du nach Belieben und Vertrauen und ich bin Dir auch nicht böse, wenn Du es nie tust, aber vorerst, jedenfalls für die nächsten Tage oder bis Du was anderes gefunden hast, wirst Du bei mir wohnen. Was soll ich denn machen, wenn meine beste Verkäuferin.." und Rosie zwinkerte, "... irgendwann von der Polizei aufgegriffen wird, weil sie Ausreißer in der Stadt nicht duldet oder weil Du vielleicht noch zu jung bist, auf der Straße zu sein. Ich denke, es ist das beste, Du kommst mit und wir werden sehen, was wir weiter anstellen.

Es ist zudem übrigens nicht gerade ungefährlich nachts im Park. Liest Du die Zeitung nicht?"
- "Ich..." Rosie entschuldigte sich unterbrechend: "Sorry, ich denke, die Zeitung kauft man sich nicht wirklich in Deinem Alter. Aber ich erzähle Dir bei einer heißen Milch alles. Lust?" Alicia konnte nur noch nicken, schnappte ihren Rucksack und folgte Rosie zurück zum Laden, über dem die Besitzerin auch ihre kleine Wohnung hatte, die sie mit 3 Katzen teilte.

Bei einer heißen Milch und bestimmt drei Dankesreden von Alicia erzählte Rosie ihr von merkwürdigen Artikeln, in denen beschrieben stünde, dass sogenannte Schatten ihr Unwesen in der Stadt vollbrachten. Die Artikel hatte Rosie komischerweise aufgehoben, aber jeder hatte so seine Macken, daher dachte sich Alicia dabei nicht wirklich viel und hörte gebannt zu, während sie nebenbei einige der Artikel überflog. Es waren auch welche von einer angeblich nahegelegenen Stadt dabei, die sich Venedic nannte, doch dort waren es keine Schatten, sondern gleich eine ganze Vampirische Sekte, die ihr Unheil durch die Gassen trieb. Von dieser Stadt hatte sie nie gehört und daher fragte sie Rosie danach.

"Nun, ich habe dort eine Freundin, sie schickt mir die Artikel zu und ich hefte sie ab. Sie arbeitet im Freizeitzentrum und hat dort ein kleines Café für Jugendliche, das sich "ARTischoke" nennt. Es ist eine Macke, die ich mir so angeeignet habe. Es klingt einfach alles zu interessant, die Artikel zu sammeln. Ich überlege, ob ich nicht dorthin ziehe mit meinem Laden, das haben wir schon lange einmal vorgehabt, aber bisher konnte ich mich nicht durchringen. Venedic ist ein schönes Städtchen, aber komischerweise wirklich auf keiner Karte eingezeichnet. Es gibt einen Zug dorthin, aber man beachtet ihn scheinbar nicht, wenn man nicht das Ziel vor Augen hat, dorthin zu reisen." Für Alicia klang dies alles doch sehr fantastisch und esoterisch, aber so war Rosie nun einmal und kommentieren wollte die junge Frau diese Aussagen nicht.

Seit diesen Abend wohnte Alicia mehr oder weniger bei Rosie. Ihren Rucksack allerdings ließ sie weiterhin im Bahnhof. Einfach auch, um bei Rosie nicht den Eindruck zu erwecken, sie würde sich nicht um etwas neues bemühen wollen und gleich hier einziehen. Nichtsdestotrotz war die Jugendliche froh, nicht mehr unter freiem Himmel schlafen zu müssen, wenn es denn nun auch günstig anders ging.

Endlich wieder richtig duschen und nicht die dreckigen öffentlichen Duschen verwenden, bei denen man Angst haben musste, dass einem die Kleider gestohlen werden, während man nicht hinsehen kann vor Schaum in den Augen und endlich wieder ein weiches Bett, auch wenn es nur die Klappcouch war, aber eine Decke war nicht zu verachten und ein Kissen, das man knautschen und kuscheln konnte. Schon in so kurzer Zeit hatte Alicia gelernt, wie wertvoll diese Kleinigkeiten waren, auch wenn sie sie vorher schon zu schätzen gewusst hatte. Jetzt wusste sie definitiv auch, wie es sich anfühlte, wenn sie nicht da waren.

Täglich arbeitete sie ein paar Stunden im Laden, täglich ging sie auf den Platz und konnte auch täglich sehen, wie weit das Einkaufszentrum sich weiterentwickelte. Fast täglich traf sie Jack und manchmal holte sie ihm und sich etwas zu Futtern in der Bäckerei und immer, wenn es ihr möglich war, brachte sie Jack Filterzigaretten mit, durch die seine Augen einen ganz besonderen Glanz bekamen. Aber - nichts von ihrem Bruder, wen auch immer sie fragte. Keine Spur.


2 Jahre später - 17 Jahre alt

Alicia hatte nichts dem Zufall überlassen und war ihrer Routine treu geblieben. Sie wohnte noch immer bei Rosie und die beiden waren das perfekte Team. Rosie hatte Alicias Lebensgeschichte in Häppchen erzählt bekommen, denn das Vertrauen, das die beiden zueinander hatten war groß und der Rucksack im Bahnhofschließfach wanderte sehr bald doch in die kleine Wohnung, in der sie nun fest zusammen lebten. Für Alicia war Rosie die Mutter, die sie nie hatte und Rosie empfand es ebenso umgekehrt und sorgte für Alicia, als wäre sie ihre eigene Tochter und dennoch war das Band der Freundschaft und die Intensität dieser merklich vordergründig, was es daher vielleicht auch so einfach machte, die Jahre zwischen ihnen zu überbrücken. Rosie war jung geblieben und Alicia ihrem Alter weit voraus.

Mit der Zeit hatte die junge Frau dann auch Anschluss in einigen Szenelokalen gefunden und tummelte sich des öfteren im Cräsh. Viele dort begrüßten sie mittlerweile erfreut, wenn sie ankam und es hatte sich eine kleine Clique gebildet, die Alicia zwar außerhalb kaum einmal traf, aber sich umso besser mit ihnen innerhalb der dunklen Diskothekenmauern verstand.

Es war eine interessante Zeit des Lernens und der Erfahrung gewesen. Alicia hatte es sich nicht nehmen lassen können, sich ein Zungenpiercing zu stechen und je älter sie wurde, desto reizender war der Gedanke, auch ein Intimpiercing zu haben. Doch bisher hatte sie sich nicht getraut. Vielleicht auch, weil sie sich nicht sicher war, ob es wirklich so gut war.

Zwar hatte sie derzeit nichts sexuell festes, so dass die Heilung sicherlich gut verlaufen konnte, aber Alicia war mittlerweile auch nicht zimperlich mit dem ein oder anderen One-Night-Stand und auch nicht, was das Geschlecht anging, als sie vor einem Jahr ihre Jungfräulichkeit an einen zwar sehr vorsichtigen, aber doch auf seinen eigenen Vorteil bedachten jungen Goth verlor, der sich danach irgendwie nie wieder hatte blicken lassen.

Alicia war nicht verliebt gewesen, deswegen tat es ihr nicht sonderlich leid, allerdings war es schon ein komisches Gefühl, dass dieses wertvolle Geschenk an jemanden gegangen war, der es irgendwie nicht so ganz verdient zu haben schien. Für Alicia war es im Grunde einfach die Tatsache, dass sie wollte, dass sie es endlich hinter sich bringen wollte. Dass es dann wider aller Erwartungen nicht einmal weh tat, machte es zu einem ganz guten ersten Mal, auch wenn es nicht wirklich etwas besonderes war. Sie holte sich einfach danach hin und wieder besondere Erfahrungen, aber auch hier war nie etwas festes oder ernsthaftes dabei. In ihrer Clique ging es recht offen zu, dass es normal war, dass man sich sogar knutschend öfter mal austauschte. Es gehörte einfach dazu und war nichts, gegen das sie etwas gehabt hätte.

Eher dafür: ihre Eltern hätten sie sofort bis an ihr Lebensende eingesperrt. Durch solche und andere Kleinigkeiten zeigte sie ihnen in Gedanken immer wieder aufs Neue den hübschen Mittelfinger ihrer rechten Hand. Für sie war allerdings ebenso wichtig, dass sie nichts tat, was sie nicht auch für sich selbst wollte, es war nur einfach ein netter Nebeneffekt, zu wissen, dass das, was sie sowieso wollte, genau das war, was ihre Eltern verwerflich und ordinär empfunden hätten. So auch mit den Tattoos, sie schwor sich, mit ihrem 18. Lebensjahr, wie sie es mit Rosie besprochen hatte, die sagte, sie solle lieber noch warten, auch wenn sie es ihr nie verboten hätte - mit welchem Recht auch? - wollte sie sich mindestens eins stechen lassen.

Es gab allerdings auch Abende, da fühlte sie ihrem Bruder nach. Es war nichts da von dieser Leichtigkeit, sondern sehr viel Melancholie. Wenn es wieder einmal erfolglos war, nach ihm zu fragen und Alicia sich selbst fragte, ob er suchte, denn er musste doch wissen, dass es dieses Haus nicht mehr gab und mittlerweile dort ein großes Einkaufszentrum eröffnet hatte. Er musste doch wissen, dass sie nicht mehr im Internat war, er musste doch wissen, dass sie ihn suchte, warum kam er nicht dorthin? Warum hinterließ er nirgendwo eine Nachricht? Einige Tränen rannen ihr die Wange hinunter und sie versuchte sie verstohlen wegzuwischen.

Ein dunkler Typ beobachtete sie schon eine ganze Weile unbemerkt, jetzt witterte er wohl seine Chance, das hübsche Mädchen anzusprechen und ging nahezu elegant zu ihrem Platz. Die Musik dröhnte, aber wenn man öfter hier war, gewöhnte man sich schnell daran und lernte den Gegenüber zu verstehen, ohne, dass dieser schreien musste. "Kann ich behilflich sein?" Er setzte sich neben sie auf die Stufen zur Anhöhe, auf der einige Stühle und Tische aufgebaut waren, die kaum einer nutzte. "Nein, nicht wirklich, danke." Gab sie freundlich zurück und blickte auf die Tanzfläche. Doch der fremde Schwarzhaarige in der Lederkluft ließ nicht locker, er schien gleichwohl auch ihre Gedanken lesen zu können, aber wahrscheinlich wurde ihm das folgende tatsächlich erzählt. Aber wie konnte er wissen, dass Alicia gerade in diesem Augenblick daran dachte?

"Ich habe gehört, Du suchst Deinen Bruder. Ich bin in der Gegend schon viel herum gekommen und das wissen die Leute, deswegen haben sie mir davon erzählt. Hast Du sein Bild dabei?" Alicia blickte ungläubig durch ihre hübschen Augen, schien irritiert, zog aber dennoch das Bild aus der hinteren Hosentasche. Es war von Knicken schon angerissen - vor allem war es schon die 7. Kopie, die das Mädchen hatte anfertigen müssen, da alle anderen zerschlissen waren. Der Typ nahm das Bild und betrachtete es längere Zeit, Alicia glaubte nicht mehr daran, dass jemand ihren Bruder je gesehen hatte. Nicht in dieser großen Stadt, irgendwie schien alles an diesem Abend unmöglich.

"Wenn ich mir...", begann der andere, machte dann aber eine Pause und blickte weiter auf die Kopie des Abbildes. Alicia blickte aufmerksam auf. "Wenn ich mir jetzt vorstelle, dass er etwas älter ist, seine Haare schwarz sind und seine Haut etwas heller... hm.. dann kann ich mir gut vorstellen, dass er es wirklich ist, MyLady."

"Dass er es ist? Du willst mir doch nicht erzählen, dass Du ihn kennst."
- "Doch sicherlich, wenn ich mir das alles dazudenke, dann glaube ich, ist er es. Timothy sein Name, oder?" Alicia konnte nur nicken, sie wusste nicht, ob sie dem Fremden Glauben schenken sollte und er reichte ihr das Bild wieder rüber, sie nahm es wie in Trance entgegen. "Wo..." Sie schluckte schwer, konnte es noch immer nicht glauben. "Er ist nicht mehr in Phoenix, soviel ich weiß. Ich habe ihn in Venedic gesehen, das ist eine Stadt in der Nähe von hier. Vielleicht zwei Stunden mit dem Zug. Er war damals im Atlantis, als ich mich mit ihm unterhielt. Das ist ein Schuppen wie dieser, nur eben dort." Venedic... Ihre Lippen formten das Wort und sie brauchte einige Augenblicke, bis sie wusste, von welchem Venedic die Rede war. Rosie fuhr dort gelegentlich hin, um ihre Freundin zu besuchen.

Aber konnte sie diesem Kerl hier trauen? Was hatte er davon, sie anzulügen? Woher sollte er all das wissen? Schwarze Haare und klar, sah er jetzt älter aus, das Bild war ja nicht das neuste. Seinen Namen wusste er auch. Alicia hatte den Namen ihres Bruders fast nie erwähnt, immer nur das Bild gezeigt und gefragt, ob sie den jungen Mann auf dem Bild vom Sehen kannten. Der Fremde musterte sie kurz, dann stand er auf. "Ich hoffe, ich konnte Dir weiterhelfen." Sagte er dann nur knapp, lächelte und noch bevor Alicia reagieren konnte, war er in der Menge Richtung Ausgang verschwunden. Sie folgte ihm, drängelte und drückte sich nach draußen durch Gäste und Rauch, doch als sie draußen ankam, war von dem Kerl keine Spur mehr zu sehen. Auch ihre Bekannten kannten ihn nicht, die Türsteher hatten ihn nie gesehen. Sein Lächeln war komisch gewesen, vielleicht aber hatte sie es sich auch nur eingebildet. War es irgendwie hämisch? Aber aus welchem Grund?

Alicia schüttelte diesen Gedanken ab. Es gab keine Gründe, für sie keine logischen zumindest, aus welchen dieser Kerl sie hätte belügen sollen. Er hatte ihr gesagt, er habe Benj... Timothy gesehen, er hatte ihr den Namen genannt, auch den Namen des Ortes, wo er ihn gesehen hatte. Aber wann? Wieder blickte sie sich um, aber er war nicht mehr da, um ihn zu fragen. Alicia ließ sich an der Mauer entlang auf den Boden gleiten, betrachtete das abgegriffene Bild und fragte sich, warum sie nicht glauben konnte, dass sie wirklich jemand gefunden hatte, der ihren Bruder gesehen hatte... vielleicht, weil nicht sie ihn gefunden hatte? Mensch, jetzt reiß Dich zusammen. Da hat Dir jemand gesagt, wo Dein Bruder sein könnte. Du hast jetzt zwei Jahre gesucht, verdammt noch mal. Schwing Deinen Arsch und auf nach Venedic... Alicia musste ihren Gedanken Recht geben, auch wenn es noch so widernatürlich war - die ganze Situation irgendwie surreal schien.


Beschlossene Sache

So schnell war Alicia noch nie aus dem Cräsh wieder "zuhause" gewesen und Rosie, die sich gerade mit einem dicken Buch in ihrem Lieblingssessel verkrümelt hatte, schaute doch etwas erschrocken auf, als das junge Mädchen nahezu atmenlos hereinstürmte und erst nach einigen Augenblicken des Luftholens erzählen konnte, was passiert war.

Rosie unterbrach sie nicht, machte zwei Tassen Tee während Alicia berichtete und setzte sich mit ihr an den Küchentisch. Dann war es still. Alicia wurde erst jetzt bewusst, dass sie eigentlich gerade gesagt hatte, dass sie von heute auf morgen hier ausziehen und auch den Job hinschmeißen würde. Sie schluckte. "Oh, ich.. entschuldige bitte, ich wollte Dich nicht überrumpeln, Du bist mir sehr wichtig, das weißt Du..."

Die ältere der beiden Frauen schaute auf, ihre Gesichtszüge waren weder traurig noch bedrückt und Alicia wusste nicht, was sie davon halten sollte, bis Rosie das Wort ergriff. "Entschuldige Dich nicht, ich kann Dich gut verstehen. Nun denn, ich glaube, es ist an der Zeit, die Sachen zu packen und etwas neues zu erleben." Alicia verstand nicht ganz, schaute verwirrt, wusste nicht, ob sie verstand, was Rosie ihr da erzählte, oder wie sie es verstehen sollte. Und als ob Rosie ihr das aus den Augen ablesen konnte, erweiterte sie ihre Erklärung. "Ich habe doch schon gesagt, dass ich mir überlege, nach Venedic umzuziehen und das jetzt weitere zwei Jahre vor mir hergeschoben habe, einfach, weil Du auch da warst und ich gar keinen Grund hatte, hier wegzugehen. Wenn Du mich bei meinem Abenteuer begleiten möchtest, würde ich mich freuen, Dich auch bei Deinem zu begleiten." Und sie grinste verschmitzt.

Alicia strahlte, stand auf und fiel ihrer mütterlichen Freundin um den Hals. Sie wäre ohne weiteres auch allein gegangen, aber mit Rosie wäre vieles schöner, aber auch einiges einfacher. Die Sache war beschlossen und schon am nächsten Tag wollten die beiden die Kartons packen. Alicia wäre sicherlich gleich sofort losgefahren, aber sie sah ein, dass es auf eine Woche mehr oder weniger jetzt wirklich nicht mehr ankommen konnte und sie hatte Rosie so viel zu verdanken, dass es ihr wichtig war, nicht einfach schon vor zu fahren...

Außerdem wollte sie sich ausgiebig beim alten Jack für alles bedanken und es wurde ein sehr schwerer Abschied. Gerne hätte sie gesagt, dass sie ihn regelmäßig besuchen kam, aber beide wussten, dass Alicia nicht oft den Weg auf sich nehmen konnte und so traten doch beiden die Tränen in die Augen. "Weißt Du, Mädchen, ich auf meine alten Tage hab schon viel erlebt. Aber so ein Ding wie Dich, hab ich noch nie getroffen." Er sprach vor Freude und Trauer zugleich, dann machte er eine wirsche Handbewegung, als wolle er diesen Gedanken davonblasen. "Vielleicht komme ich Dich besuchen. Im Park, da soll es auch Enten geben, die vielleicht etwas Gesellschaft von mir wollen." Und er lachte sein ehrlich herzliches Lachen. Alicia umarmte ihn. Sie wusste, er würde kein Geld von ihr nehmen, um die Zugfahrt zu bezahlen - zumindest, wenn er eine andere Wahl hatte, doch sie hatte einen Plan und würde ihm in der Bäckerei einen Umschlag hinterlegen, in dem er fand, was er für längere Zeit brauchen konnte und dazu ein Ticket in vielleicht eine neue Heimat. Zu schön war der Gedanke und vielleicht sah er es ebenso.

"Hier habe ich noch etwas für Dich, damit Du den alten Jack nicht vergisst." Sagte er dann und streifte sich die Hundemarke über den Kopf und gab sie ihr. "Das kann ich doch nicht annehmen, Jack." - "Du musst, denn überleg, ich bin nicht mehr jung, was wenn ich irgendwann nicht mehr aufwache - jetzt schau mich nicht so entsetzt an, das ist die logische Konsequenz des Lebens, darüber haben wir schon gesprochen. Nun, wer soll sie dann in Ehren halten, wenn nicht Du, Alicia." Und es war das aller erste mal, dass er sie beim Namen nannte - nach den ganzen zwei Jahren. "Vielen Dank, Jack" Flüsterte sie nur, nahm die Kette fest in die Hand und drückte ihn ebenso fest zum Abschied. Venedic... ein neues Ziel, eine neue Hoffnung und ein neuer Anfang. So schrieb das Leben seinen Weg, ohne dass es nach Zustimmung fragte...


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