[Lazarus]: Ihr Geist im Nebel

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Lazarus
Vampir
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Charname: Lazarus Leon Lorneheart
Pseudonym: Grayson Kincaid (aktuell)
Alter: Etwa 30
Vampiralter: 173 Jahre
Augen: Kühles, tiefes Blau
Haare: Schwarz, lang, hinten zusammengebunden
Größe: 1,92 Meter
Stadt: Venedic
Rasse: Vampir
Kodex: Konsortium
Beruf: Uhrmacher/Soldat des Konsortiums
Fähigkeiten: 1. Schattenmantel (komplett)
2. Aurenveränderung (komplett)
3. Gedankenlesen
4. Vergessen

Brutaler Nahkämpfer
Hohe Willenskraft
Sehr schnell und stark
Äußerst geschickt im Feinhandwerk
Aktuell: Aura standardmäßig vollständig unterdrückt.
Kleidung: Schwarze feste Stoffhose: schwarzes Longsleeve, (Ärmel unter die Ellbogen hochgekrempelt); dunkelbraune, lederne Herrenschuhe; sichtbarer dunkelbrauner Ledergürtel mit Messingschnalle
Sonstiges: Perfekt gespielter Irish-Bostonian-Accent (normalerweise Londoner/Northern English)
Schöpfer: Geborener Vampir
Hauptchar: Lazarus
Charblatt: viewtopic.php?f=52&t=231&p=538#p538
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[Lazarus]: Ihr Geist im Nebel

Beitragvon Lazarus » 18.09.2016, 23:46

Plitsch ... platsch ... plitsch ... platsch ... Lazarus erwachte ob des leicht einsetzenden Nieselregens, der einen Tropfen nach dem anderen in gemächlichen Abständen gegen die Fensterscheibe zu seiner Rechten klatschen ließ. Leicht verwirrt brachte sich der junge Mann in eine aufrechte Sitzposition. Kalter Schweiß perlte von seiner Stirn und den Schultern und lief ihm langsam über die hagere, bleiche Brust. Wo war er hier? Weinrote Wände, Bordüren aus dunklem Holz, die sie von der grauen Decke trennten ... das Hotel in Manhattan, New York? "Oh ja, richtig ... der Bandauftritt heute Nacht!", erinnerte er sich schlagartig. Dann fasste er sich mit einem ungewandten Ruck an den Kopf, zischend zog er die Luft zwischen den Zähnen ein. Dieser Schmerz, irgendetwas stimmte mit ihm nicht. "Staubige Landstraße ... Südstaaten ... Venedic", vollkommen zusammenhanglose Wortfetzen kreisten um seinen müden Verstand, was hatte er da nur wieder geträumt?

Nachdem er sich innerlich damit abgefunden hatte, ohnehin keine Ruhe mehr zu finden, bevor die Sonne ihr todbringendes Angesicht ein weiteres Mal erhob, stieg er aus dem Bett. "Ohne meinen Sarg finde ich ja doch keinen Schlaf.", stellte der Vampir leicht gereizt fest, während er sich seine schwarze Lederhose überstreifte und sich anschließend ausgiebig streckte, wobei ein oder zwei seiner verspannten Nackenwirbel knacksten. Den Sarg, sein Schwert und die meisten anderen seiner Besitztümer hatte er in der Nähe des Hotels versteckt, da diese doch zu sehr aufgefallen wären. Wankend trat er ans Fenster und öffnete es. Er liebte die frische, klare Nachtluft, vor allem bei Regen. Wenn die Temperatur leicht abfällt, die Haut kribbelt, ein leichtes Nieseln setzt ein ... ein herrliches Gefühl, wie er fand. Unweit entfernt erschien ein grellweißer Blitz, der Donner erfolgte nahezu zeitgleich. Es war ein wahrhaftes Donnergrollen, wie als schrien die bedrohlichen, schwarzen Wolken selbst voller Zorn auf die ruhige Erde hinab. Der Regen brach nun ungehemmt und so dicht durch die dunkle Wolkenfront, dass er bedrohlich gegen die halb geöffnete Fensterscheibe prasselte und die Sicht auf kaum mehr als zwölf, vielleicht fünfzehn Meter einschränkte.

Lazarus streckte beide Arme nach vorn hin aus und formte einen Trichter, so dass sich in Sekundenschnelle ein plätschernder Teich in seinen offenen Handflächen sammelte. Schnell tauchte er sein Gesicht in dem kalten Nass und fuhr sich durch das strähnige Haar, um sich dann anschließend, wie ein nass gewordener Hund, den Kopf zu schütteln. Sorgfältig streifte er sich das volle Haar aus seinem Antlitz hinter die Ohren und schloss das Fenster. Wie von allein sprang sein ungebändigtes Haar wieder nach vorn und dichte Strähnen verdeckten seine linke Gesichtshälfte. Wie immer. Fast hätte er geschmunzelt.

Wie aus heiterem Himmel ertönte ein leichtes Stöhnen aus der angrenzenden Räumlichkeit. Lazarus kannte dieses Geräusch nur zu gut. Er hörte es immer dann, wenn Jesse seine Finger nicht von Kitty lassen konnte, diese ihn aber nicht wollte. Mal für Mal nahm der junge Vampir sich vor, es einfach zu ignorieren, doch es gelang ihm nicht. Er verabscheute dieses Geräusch zutiefst, fast so sehr, wie er Jesse selbst verabscheute. "Was findet sie nur an diesem Arschloch?!", fragte er sich, wie bereits tausend Male zuvor. Er versuchte sich abzulenken, ließ seine Gedanken zu dem Auftritt in genau - sein Blick suchte den Radiowecker auf dem Nachttisch seiner Suite - einer Stunde und vierundfünfzig Minuten schweifen. Dies würde sein letzter Auftritt sein, das hatte er für sich bereits beschlossen. Seit knappen drei Jahren war er nun schon Teil der Band Under A Kitten's Paw, doch er war der einzige Vampir unter ihnen. Noch hatte niemand seine ewige Jugend bemerkt, doch es würde sicherlich nicht mehr lange dauern. Lazarus konnte seine Tarnung nicht ... nein! Viel wichtiger war: Er durfte den Kodex nicht gefährden! Doch was würde aus Kitty und ihm? "Eingebildeter Narr!", scholt sich der Schwarzhaarige innerlich und kämpfte gegen seine aufsteigende Trauer an. Zu keiner Zeit hatte er eine Chance bei Kitty gehabt, das wusste er ganz sicher und doch hatte er sie die ganzen drei Jahre lang hinweg inbrünstig geliebt und andere Frauen kaum angesehen. Und doch würde er sie später an diesem Abend wohl zum letzten Mal sehen, vielleicht würde er sie einfach küssen? Was hatte er noch zu verlieren? Er konnte sie einfach nicht zu einem Vampir machen, auch wenn es nichts gab, was er sich sehnlicher wünschte. Er konnte es nicht ...

Jäh wurde der große, nachdenkliche Mann aus seinen Phantasien gerissen, als Kittys Stöhnen sich in einen unterdrückten Hilferuf gewandelt hatte. Mehr ein reflexbedingter Sprung, denn ein bewusster Schritt trug ihn hinüber zu seinem Nachttisch und somit seine Hand an das Heft seines Dolches, den er sich in seinen hinteren Hosenbund schob. Schnell stieg er in seine 14-Loch-Stiefel, ohne diese zu schnüren. Hastig riss er seine Tür auf, eilte den Flur entlang und hielt vor dem Zimmer, welches Jesse und Kitty sich teilten, inne. Vollkommen unwirklich scheinend, krochen dicke Nebelschwaden unter der Tür hervor und züngelten sich an seinen Beinen hinauf. Perplex schüttelte Lazarus langsam sein Haupt, doch dann vernahm er abermals Kittys verzweifelte, merkwürdig schwach klingende Stimme und zog die Tür aus dem Rahmen, als wäre sie niemals abgeschlossen gewesen. Leise klimpernd fielen kleine, metallene Bauelemente des Türschlosses zu Boden, als der junge Blutsauger ungläubigen Blickes eine seltsam ... wabernde Kitty erkannte. Ihr gesamter Körper wirkte abartig schemenhaft, viel zu sehr, als dass es nur durch den Nebel bedingt sein könnte. "Nebel? Hier?", wiederholte er seine ungewohnt fahrigen Gedanken.

Kitty stand mit hängendem Haupt vor ihrem Bett - zumindest sah es irgendwie aus wie ein Bett, auch wenn das, was sich unter dem teils weißen, teils blutgetränkten Laken befand in seiner kantigen, eckigen Formensprache unmöglich eine weiche Matratze sein konnte. Kitty war vollkommen nackt, ihre Haut war aschfahl, viel blasser als ohnehin schon. Ihr weißblondes Haar hing ihr ungewohnt strähnig und unordentlich im Gesicht. Lazarus wollte einen Schritt auf sie zu tun, doch seine Beine bewegten sich nicht. Er wollte seiner heimlich Geliebten etwas Warnendes zurufen, doch seine Stimme war tonlos. Noch nie zuvor hatte er sich dermaßen eingekerkert gefühlt, schon garnicht vom eigenen Körper. Unsichtbare, aber eiskalte Klauen mit ungeheurer Kraft umfassten all seine Gelenke und schnürten ihm die Kehle zu, kurzzeitig wurde ihm schwarz vor Augen.

Wie in Zeitlupe setzte sich Kitty endlich in Bewegung. So elegant wie immer setzte sie eines ihrer langen Beine vor das andere und ließ ihre schmalen Hände dabei sachte nachwiegen, wobei sie tiefe Schneisen durch den Nebel zog und ihn sich hinter ihren Fersen aufbäumen ließ. Doch noch immer verformte sich ihr Körper, waberte, erschien wie hinter milchigem Glas, nur um dann im nächsten Moment wieder ganz normal auszusehen. Sie stand nun direkt vor dem Bett. Tief atmete sie durch, Lazarus Blick wanderte zu ihrem Oberkörper, wo sich ihre üppigen Brüste hoben und wieder senkten. Mit einem heftigen Ruck zog sie das blutbesudelte Laken von ... einem Auto?. Ein kleines, royalblaues Auto stand unter dem Laken. Es sah aus, als wäre es in einen grausamen Unfall verwickelt worden und auf dem Dach gelandet. Das Dach! Voller Schrecken gewahrte Lazarus oben auf dem Auto einen ziemlich mitgenommen wirkenden Jesse Ruttwen. Er lag einfach nur da, sein absolut regungsloses Gesicht starr zur Decke der Suite gerichtet.

Wieder wirkte es für das Kind der Nacht so, als hätte Kitty geduldig gewartet, bis er die ganze Situation erkannt hatte, bevor sie sich abermals rührte. Erneut betont langsam, noch immer, ohne ihn auch nur eines einzigen Blickes zu würdigen. Unpassend lasziv bückte sie sich über die Motorhaube, kroch, wie ein lüsternes Tier, auf allen Vieren über diese hinweg und hockte sich auf den Rand des Autodaches. Dann geschah etwas, das blanken Hass in Lazarus emporsteigen ließ und er wollte einfach nur seinen Blick abwenden, doch es gelang ihm nicht, noch nicht einmal zum Schließen seiner Augen war er fähig. Kitty kletterte direkt über Jesse, setzte sich mit ihrem Becken auf das seine und warf mit einem genießerischen, aber vollkommen übertriebenen Stöhnen ihren Kopf in den Nacken. Sie packte Jesses Schultern, zog sein Gesicht zu ihrem Busen heran und drückte ihn fest an sich. Völlig unversehens knickte Jesses Haupt in einem unnatürlichen Winkel nach hinten und Schlug mit dem Hinterkopf zwischen seinen ramponierten Schulterblättern auf. Jemand hatte seinen Hals aufgeschlitzt, aus welchem nun eine kurze Fontäne dunklen Blutes spritzte und Kittys Gesicht in eine verzerrte Maske aus düsterem Rot hüllte. Jesse kippte zur Seite und kam hart mit dem Rest seines Genicks vor Lazarus auf, wurde aber sofort vom Nebel verschlungen, Kitty hingegen fiel hinter die Kehrseite des Gefährts und somit aus dem Sichtradius des Vampirs.

Die junge Frau sprang sogleich mit angstverzerrten Augen auf, führte ihre gespreizten Finger zu ihren blutverschmierten Wangen, wie eine schlechte Schauspielerin und kreischte einen schrillen, markerschütternden Schrei, der eine gefühlte Ewigkeit anhielt und Lazarus das Blut in den Adern gefrieren ließ. Er spürte, wie sich seine Nackenhärchen aufstellten, lähmende Kälte ergriff von seinem Körper und allmählich auch von seinem Verstand Besitz. Der unendliche Schrei Kittys schwächelte, fast röchelte sie, doch schlagartig wandelte er sich in schallendes, boshaftes Gelächter. "Das war ein Mann, der durch meine Liebe sterben musste, möchtest Du der nächste sein ... Lazarus?", flüsterte sie düster und rau, wobei sie seinen Namen mit einem solch abgrundtiefen Hass aussprach, wie er ihn nie zuvor in einer Stimme vernommen hatte. "Nein!" wollte er instinktiv erwidern, nach wie vor aber gehorchte seine Stimme ihm nicht.

Mit ausladendem Hüftschwung schritt die junge Schönheit auf Lazarus zu. Sie baute sich förmlich vor ihm auf und, obwohl er sie um anderthalb Köpfe überragte, fühlte er sich so klein wie noch nie zuvor. Ohne ihre Beine von der Stelle zu bewegen, tänzelte sie mit leicht schwingenden Armen und genüsslich geschlossenen Augen vor ihm, fuhr währenddessen mit ihren Händen die weiblichen Reize ihres Körpers nach und riss sich dabei durch ihre langen Fingernägel tiefe Kratzer in ihre makelloses Fleisch. "Ist es das hier, was Du willst, Lazarus?" Vor gefühlten tausend Jahren einmal ... jetzt wünschte er sich einfach nur noch weit, weit weg. "Nun zier Dich doch nicht so, Lazarus!", setzte Kitty ihr boshaft raunendes Geflüster fort, "Ich habe Deine Blicke immer auf mir gespürt! Du willst mich! Du willst mich so dringend ... na komm! Berühre mich!" Mit sanfter Gewalt ergriff sie seine Hände. Die ihren waren so zart und so warm, jetzt nahm er auch endlich ihren Geruch war, doch er roch nicht wie sonst. Sie versprühte ein Odor von Tod und Verderbnis, wie der Kadaver einer, in einer schmutzigen Pfütze liegenden Ratte.

Mit einem Male bewegte er sich wieder, doch nicht nach seinem eigenen Willen. Seine Hände steuerten sich von allein, schlugen die von Kitty unsaft zur Seite und schnellten hinter seinen Rücken, um dann mit gezückten Dolch wieder hervorzutreten. "NEIN!", schrie er, doch ein hallendes, schwarzes Loch in seinem Innern verschlang jedweden Ton. Nach wie vor vermochte er seinem Leib keine Befehle zu erteilen. Eine Hand ergriff die Schulter der atemberaubenden Schönheit und die andere stieß mit dem Dolch zu. Die Klinge drang unter ihrem Bauchnabel in ihre Magengegend ein, jedoch nur zur Hälfte. Kitty ließ kein Gefühl von Schmerz ihren hasserfüllten Gesichtsausdruck verändern. Stattdessen umklammerte sie Lazarus Waffenarm mit ihren schlanken Fingern und zog ihn näher an sich heran, presste sich die Klinge seines Dolches bis zum Griff in den Leib. Eiskaltes Blut lief aus ihrem Bauch, über ihre Arme und auf seine Hand. "Ich hasse dich so sehr, Lazarus!", wisperte Kitty und doch in starkem Kontrast zu ihren Worten wurde ihre Stimme sanft und über alle Maßen traurig. Sie hob eine wie Espenlaub zitternde, blutbesudelte Hand und streichelte zärtlich seine Wange. "Ich hasse Dich so abgrundtief dafür, dass ich Dich über alles liebe!"

Plitsch ... platsch ... plitsch ... platsch ... machten die Blutstropfen, die von ihrer Hand auf seine leicht wiegende Brust fielen und die Tränen, die von ihrem Kinn auf ihre eigene Brust tropften, stimmten in einem, absurderweise angenehmen, Wechseltakt mit ein.


◦●◊●◦



Das gleiche Geräusch war es auch, welches Lazarus weckte - wirklich weckte - und endlich von seinem Leiden erlöste. Das Plätschern änderte jäh seinen Ton und klang nun merkwürdig hölzern. Lazarus besann sich und schob den Deckel seines Sarges bei Seite. Prüfend sah er nach oben und gewahrte ein winziges Loch im Dach, welches einen Regentropfen nach dem anderen auf seinen Schlafplatz hatte fallen lassen. Schweißnass hebelte er sich mühselig aus dem Sarg heraus und stellte sich aufrecht vor das Fenster seines Hotelzimmers. Sintflutartiger Regen tobte dort draußen und es stürmte, dass die spärlich gesäten Bäume sich so sehr bogen, dass bald einer brechen musste. Ein oder zwei Räume neben dem seinen schlug ein loser Fensterladen mit penetrant quietschenden Scharnieren wieder und wieder gegen die schäbige Holzfront des spartanischen Highway-Motels. Das Haus weinte bitterlich, ob des Windes, der durch die undichten Zimmertüren durch sein inneres jagte und Staub und totgehoffte Erinnerungen aufwirbelte.

Lazarus stützte sich mit den Händen auf dem Fenstersims ab, er atmete tief durch. Einmal, zweimal, er biss die Zähne zusammen, doch es half alles nichts. Keuchend brach er in die Knie, vergrub sein Gesicht in seinen Handflächen und schluchzte tonlos. Er zog die Beine eng an seinen Rumpf, wie ein kleines Kind. Sowieso bot er einen erbärmlichen Anblick, denn sein gesamter Körper wurde fast minütlich von zurückgehaltenen Heulkrämpfen geschüttelt. Blutige Tränen wischte er sich aus den Augenwinkeln, als einige Minuten vergangen waren. Wie eine Leiche saß er eine knappe Stunde nur reglos da, den Kopf gegen die unnachgiebige Wand gelehnt, Arme und Beine in unbequem anmutenden Posen von sich gestreckt. Er kannte seinen vorhergehenden Alptraum zu Genüge; schließlich verfolgte dieser ihn seit nunmehr zwanzig Jahren. Doch so intensiv und ... spürbar, wie in dieser Nacht hatte er ihn noch nie erlebt. Er konnte selbst jetzt noch Kittys modrigen Geruch wahrnehmen und ihr klebriges Blut an seiner Wange haften spüren. Hatte es etwas mit dieser gottverlassenen Landstraße zu tun, die sich "Highway" schimpfte und in jener Stadt enden sollte, die den Namen Venedic trug? Hatte ihn seine Vorahnung am Ende doch nicht getäuscht, die ihm warnend prophezeit hatte, dass Venedic zu einem Fluch für ihn würde?

"Unsinn!", beschloss Lazarus bestimmt und erhob sich aus seinem Trauerschlummer. Hektisch zog er sich an, warf unwirsch den Rest seiner Kleidung und den schwarzen Zweihänder in seinen Sarg und schlug krachend den Deckel zu. Anschließend zog er diesen mühelos durch den Raum und bettete ihn in seinen riesigen Koffer. Er öffnete die Schlaufen der Tragevorrichtung des Gepäckstückes und band ihn sich um die Schultern. Mit einem schnellen Griff in die Innentasche seines Mantels überprüfte er auf seiner antiken, silbernen Taschenuhr, wie viel Zeit er noch hatte. "21:12 Uhr.", dachte er bei sich, "Das sollte reichen, Venedic noch vor Sonnenaufgang zu erreichen."

So leise es ihm mit seinem schweren Gepäck möglich war, stieg Lazarus die wenigen Stufen aus dem ersten Stockwerk zur Rezeption des Motels hinab. Doch diese Treppe - Marke "Vorkriegsmodell", wie er vermutete - hätte wahrscheinlich schon unter dem Gewicht einer Katze geknarzt. Die kaum erwachsene, magere Rezeptionistin, die ihn bei seiner Ankunft bereits irgendwie an ein Nagetier erinnert hatte, sah ihn schon durchdringend an, als er noch im Begriff war, die letzten Stufen hinabzuschleichen. So brachte er diese dann doch lieber schnell hinter sich. "Sie reisen ab.", bemerkte sie monoton und mit offenem Mund, auf ihrem Kaugummi herumschmatzend, "Gab's Probleme mit dem Zimmer?"
"Nein.", entgegnete der junge Vampir, sachte den Kopf schüttelnd. "Gab's dann vielleicht Probleme mit Hank?" Kurz besann sich Lazarus, doch er hatte keinen blassen Schimmer, wer Hank war und er verspürte auch nicht den Hauch eines Impulses, nach ihm zu fragen. "Nein, es gab keine Probleme. Ich habe noch ein gutes Stück vor mir, also ... " Die Empfangsdame antwortete nicht sofort, schien über etwas nachzudenken. Schließlich bettete sie ihr Kinn auf ihre, auf der Rezeption verschränkten Unterarme und behauptete trocken: "Der Highway führt in südlicher Richtung ins Nirgendwo. Nach Mexiko isses noch'n verdammt langer Weg, Mister!" Ihre Antwort verwunderte ihn ehrlich, doch er zog es vor, nicht weiter auf sie einzugehen. Stattdessen schweifte sein Blick zur breiten Fensterfront des Motels. Der Regen prasselte nach wie vor, eintönig rauschend, auf den Asphalt, der bereits seine grauen, endlosen Fangarme nach ihm und seinem Motorrad ausstreckte. Vorsorglich hob er die Kapuze seines schwarzen Mantels an und bedeckte sein Haupt.

"Die Harley gehört Ihnen, was, Mister? Bei dem Scheißwetter sollten Sie lieber nicht Motorrad fahren, oder?", bohrte die Rezeptionistin nach, als hätte sie seine Gedanken gelesen und warnte abschließend: "Hier draußen kommt so schnell kein anderer vorbei um die Zeit und bei dem Pissregen, falls Sie 'nen Unfall haben. Aber es ist Ihr Leben. Gute Reise, Mister." Trocken aber höflich bedankte sich der Vampir, vollführte an seiner Kapuze eine elegante Geste, als würde er einen teuren Zylinder anheben, machte letztendlich auf dem Absatz kehrt und stieß die Tür des Motels vielleicht ein wenig zu kraftvoll auf. Eiligen Schrittes ging er vorüber an dem hellblauen Pick-Up mit der Südstaatenflagge im Rückfenster und stieg auf seine, im Schatten lauernde, Harley-Davidson.

Brüllend ertönte der Motor unter der leichten Hebelbewegung aus seinem linken Handgelenk heraus. Es dauerte ein, zwei Sekunden, ehe die Reifen seines Gefährts Halt auf dem nassen Asphalt fanden, dann schnellte es vom Parkplatz auf den schmalen, zweispurigen Highway. Lazarus fuhr erst eine knappe Minute, da stellte er um auf Fernscheinwerfer. Und dennoch - der Regen fiel so dicht, dass man kaum die Hand vor Augen sah, denn erschwerend hinzu kam auch noch die dichte Bewölkung, die den Mond fast zur Gänze verschleierte. Er bereute schon jetzt, dass er nicht auf die Rezeptionistin des Motels gehört hatte, denn seine, ohnehin schon schwere Maschine, schlitterte recht unbeholfen über die vom Regen gebeutelte Straße. Dennoch, nun war es zu spät für ihn, umzukehren. Mehr als drei Stunden der strapazierenden Fahrt vergingen - Lazarus war bereits nach den ersten zehn Minuten bis auf die Knochen durchnässt gewesen - ehe rechts von ihm und nur einige Meter vor ihm etwas Grünes das Licht seines Scheinwerfers reflektierte. "Ein Straßenschild!", erkannte er sofort und sah angestrengt nach rechts, wobei er seine Geschwindigkeit etwas drosselte. Auf dem Schild standt: "VENEDIC - 50 Miles"

"Lazarus, halt an ... ", flüsterte urplötzlich eine weibliche, raue Stimme, als hielte sie ihre Lippen direkt an sein Ohr, hastig blickte er hinter sich - nichts. "Lazarus, halt! Halt, STOP!!", sprach die Stimme und schrie letztendlich direkt, irgendwo in seinem Kopf voller Todesangst und Verzweiflung. Sofort schnellte sein Augenmerk zurück auf die Straße. Eine Nebelbank, eine in schwarz gekleidete, junge Frau, weißblondes Haar - Kitty! Reflexartig zog er die Bremsen an und steurte leicht nach rechts an, um auszuweichen, der Regenfall aber machte es unmöglich, die schwere Harley zu kontrollieren. Das Motorrad schlitterte, bäumte sich auf und warf seinen Besitzer ab, als wäre es ein störrisches Pferd, es endete im matschigen Straßengraben, der Fahrer allerdings landete hart auf dem Asphalt, rutschte knappe zwanzig Meter über das raue Nass und überschlug sich dabei ein halbes Dutzend mal.

Nur für Sekunden hatte Lazarus die Besinnung verloren. Er blinzelte, konnte seine Augen nur zu einer Art Tunnelblick überreden, der Rest seines Blickfeldes war von einem trüben Schleier durchzogen. Schlanke, blasse Waden erschienen neben seinem Kopf, passierten ihn, wobei die zarten Füße Schritt für Schritt lieblich in der überdimensionalen, asphaltierten Pfütze plätscherten und eine in ein schwarzes Kleid gehüllte Frau verschwand in Nacht und Regen. Ächzend stemmte Lazarus sich auf seine Ellbogen, dann auf die Knie und schließlich in einen wankenden Stand. Sie war weg! Der Nebel war auch weg ... "Waren sie jemals hier?" Der Kopf des jungen Fahrers schmerzte fürchterlich, doch nur teils des Sturzes wegen. Mit einem geistigen Streich fegte er die Gedanken an Kittys Geist im Nebel, oder was auch immer er soeben gesehen hatte, beiseite. Zu seiner Überraschung gelang ihm dies sogar recht gut.

Leise fluchend zog er seine Harley-Davidson aus dem Schlamm, ihm schwante Böses. Doch er hatte Glück im Unglück gehabt. Zwar war das Motorrad über und über mit Schlamm bedeckt, doch hatte es keine nennenswerten Schäden davongetragen, soweit er es momentan beurteilen konnte. Erst jetzt - während er dem Gefährt eine kurze Pause, gründliche Dusche inklusive, gönnte - untersuchte er sich selbst auf Blessuren. Auch er war in Ordnung, der mit dem eingenähten Kettenhemd verstärkte Mantel hatte das Meiste abgefangen, lediglich ein paar Blutergüsse und Schürfungen - nichts Ernstes. Im Nu war sein Motorrad wieder so gut wie sauber und zufrieden stellte Lazarus fest, dass es anscheinend direkt im Schlamm gelandet war, denn nicht einmal der Lack hatte Kratzer oder Beulen davon getragen. Er sattelte sein stählernes Ross und machte erst wieder halt, als er nach einer halben Stunde relativ vorsichtiger Fahrt die schemenhaften Umrisse einer gigantischen Stadt wahrnahm, die sich majestätisch vor dem beinahe ebenso schwarzen Firmament erhob. Venedic, endlich!

"Neue Großstadt, neues Glück? Wir werden sehen ... " Aber schon allein, weil die Reise von London hierhin so lange und anstrengend gewesen war, rang sich Lazarus zumindest ein schräges Schmunzeln ab.




OT: Lazarus war bereits im alten Forum, Noctivagus, aktiv. Wie es für Lazarus nach seiner Ankunft in Venedic anno 2007 weiterging, erfahrt ihr in seinem Steckbrief. Der hierauf folgende Post spielt Jahre später.
TBC: [Sunmi]: Tempus Fugit

"Words speak from the mind,
Gazes from the heart
And silence from the soul."


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