Erstes Posting
Es hatte keinen Zweck. Nach Minuten des Dasitzens und Beobachtens von nennensunwertem Geschehen, das sich dauerhaft wiederholte, seufzte Zoe und stand von ihrer Reisetasche auf, in der sich ihr ganzes Hab und Gut befand.
Immer wieder liefen hektische Leute an ihr vorbei, packten mit und ohne Hilfe ihre Taschen und kleine wie auch große Koffer in den Kofferraum einer Taxe, stiegen ein, nannten dem Fahrer ihr Ziel und ließen sich kutschieren. Familien trafen sich hier draußen, aber seltener, so spät es war. Wenige Kindern waren zu sehen, die meisten von den wenigen schliefen in den Armen ihrer Mütter und Väter und einmal wackelte ein Obdachloser an den Eingangstüren vorbei und wurde vom Aufsichtspersonal verscheucht.
Zoe wollte niemanden von ihnen ansprechen und um Hilfe bitten. Sie alle sahen entweder viel zu zeitlos, oder einfach nach froh darüber, endlich nach Hause oder ins Hotel zu kommen, aus, als dass das Mädchen sie hätte aufhalten wollen, oder gar können. Zudem machte sich langsam der Jetlag, den sie namentlich nicht hätte benennen können, spürbar.
In Phoenix war es dunkel, und als sie losgeflogen waren, war es in Moskau dunkel gewesen. Die Nacht schien für heute endlos zu sein. Sie hatte im Flieger geschlafen, aber ihr Körper wollte die Zeitumstellung von zehn Stunden nicht einfach so akzeptieren. Zoe war aufgekratzt, eigentlich wach und aufmerksam, spürte aber die Müdigkeit in ihren Gliedern, die all diese Aufregung nicht gewohnt waren.
So schulterte sie ihre Tasche und orientierte sich an einem Gehweg die Straße entlang, in die die meisten Taxen gefahren waren. Die Skyline zeigte, dass es dort zur Stadt gehen musste, eine Entfernung konnte sie allerdings nicht abschätzen. Die Nacht war lau und die Luft angenehm frisch, so ließ es sich in jedem Fall aushalten, auch wenn der Weg etwas länger werden würde. Dass Scottsdale eine andere mittelgroße Stadt war, in der Zoe sich befand, und nicht Phoenix selbst, wusste sie nicht.
Die Lichter und die frische Luft, die Häuser und die Leute, die auch nachts hier noch vereinzelt unterwegs waren, das Hupen der Autos und ihre lauten Motorengeräusche trugen zu Zoes Jetlag leider nicht viel Gutes bei. Auch wenn sie sich anstrengte, all das zu ignorieren, pochte es langsam zunehmend in ihren Schläfen. Sie hoffte darauf, irgendwo unterzukommen, als ihr dann der Gedanke kam, dass sie gar nicht wusste, wie sie und wo überhaupt sie unterkommen konnte. Sie hatte weiterhin kein Geld, sie konnte nicht einfach eine x-beliebige Person fragen, ob diese sie bei sich aufnahm, oder besser noch, ihr ein Zimmer in einem Hotel oder einer Pension bezahlte. Aber auch die aufkommende Verzweiflung versuchte die junge Frau aus ihren Gedanken vertreiben. Sie konnte sich Panik nicht leisten, vor allem, weil sie das Gefühl von Panik kaum bis gar nicht kannte. Sie kannte Angst, Ängstlichkeit, vielleicht einfache Furcht, aber dass sie einen Kloß im Hals spürte, weil sie nicht wusste, wie sie aus dieser Situation herausfinden sollte, kannte sie nicht.
Ihr Herz pochte mit jedem Schmerzpochen in ihren Schläfen mehr auch in ihrer Brust. Es schnürte ihr den Atem ab, und sie musste Pausen einlegen, bis sie die vielbefahrene Hauptstraße weiter entlang gehen konnte. "Was ist nur los? Du wirst es schon schaffen, es ist nicht schlimm, unter freiem Himmel zu schlafen, es wird alles gut gehen ...", doch ihre Mut zusprechenden Gedanken konnten die Tränen nicht verhindern, als der Wunsch nach Tobias' Unterstützung, gepaart mit der Angst um seinen Verbleib und sein Wohlergehen nun auch noch dazu kamen.
Vor wenigen Minuten war sie noch so zuversichtlich gewesen, hatte sich auch darauf gefreut, Neues zu sehen und ihren Weg zu gehen. Aber sie hatte komplett unterschätzt, wie viele Eindrücke auf sie einbrachen und jeden Schritt, den sie weiter ging, merkte sie, wie unbeholfen, unsicher, ja, wie hilflos sie eigentlich war ohne die Unterstützung von Außen. Sie wusste nichts, sie wusste rein gar nichts über dieses Land. Sie wusste nicht, wie man irgendwie weiterkommen konnte, wenn man kein Geld hatte. Sie hatte nie darüber nachdenken müssen, weil Tobias dafür gesorgt hatte.
Zoe selbst hatte sich immer nur aufs Lernen und auf das Neue konzentriert, um nichts zu verpassen und Tobias hatte ihr all das ermöglicht, indem er für sie gesorgt und ihr den Boden für dieses Lernen geschaffen hatte. Er hatte - abermals - einen leichtsinnigen, wenig durchdachten Fehler gemacht. Aber daran dachte Zoe nicht. Zoe wäre nicht auf die Idee gekommen, dass Tobias mit seiner Schutzglasglocke diese Situation ungewollt hervorgerufen hatte.
Was hatte er geglaubt? Glaubte er wirklich, dass Zoe sich einfach so ohne Hilfe, ohne ihn zurechtfinden könnte? Das fragte sich auch in diesem Moment Zoe, die ihre Tasche abstellte und sich auf sie setzte. Sie konnte die Tränen nicht mehr zurückhalten und schluchzte. Sie war allein, sie fühlte sich einsam, sie war hilflos und fühlte sich verlassen, sie hatte Angst um Tobias, hatte Angst vor der Ungewissheit, spürte, dass sie nicht fähig war, weiter zu kommen.
Hier war niemand, kein Passant mehr seit einigen Minuten, den sie hätte um Hilfe bitten können. Aber sie wollte auch niemanden um Hilfe bitten. Sie konnte gar nicht, sie war hier - ihrer Meinung nach - in der Stadt des Mannes in Schwarz. Sie glaubte sich in Phoenix, in der Stadt, in der er seine Finger überall hatte, einer Stadt, in der es sowohl Menschen, als auch Vampire gab, die für ihn arbeiteten. Die Gefahr, dass sie an einen solchen geriet, schien nicht klein für sie zu sein. Wen also hätte sie fragen können? Sie wusste nicht, ob sie sich in ihrem Verhalten verraten würde, sie wusste nicht, wie man ganz normal miteinander umging oder zumindest nicht, ob es normal war, wie Tobias und sie miteinander umgegangen waren.
"Sei einfach Du selbst." Hörte sie nun Tobias' Worte in ihrem Kopf. "Sei einfach Du selbst ...", wiederholte sie nun flüsternd. Das hatte sie im Flugzeug getan, sie hatte es getan, als sie gemeinsam einkaufen gewesen waren, hatte das bei der Pensionsfrau getan, die sie in Moskau zum Flughafen gebracht hatte, bei allen Leuten, die sie im Laufe der letzten fünf Jahre auf der Straße, in Geschäften oder anderweitig zufällig, aber vor allem kurz, getroffen hatte. Es waren ein paar gewesen, aber niemand, der sie beachtet hätte. Ihre Ausflüge in der Stadt, sie waren so anders als die Kontakte im Laboratorium gewesen.
Alles war anders, man sprach über ganz andere Dinge, meist mit Fremden überhaupt nicht. Tobias erklärte ihr vom Wissen und Nichtwissen bezüglich Vampiren, hatte ihr auch erklärt, dass man, wenn man etwas einkaufte, der Verkäuferin auf die Frage "Hi, wie geht's?" nicht ausführlich antwortete, es nur eine Begrüßung war, die man mit "gut" kommentierte, insoweit man die Person nicht oder kaum kannte. Das alles hatte sie gelernt, aber es kam ihr eigenartig vor, nicht offen und ehrlich zu sein. In ihrem Kopf wusste sie, dass es wohl richtig war. Sie wusste, dass sie sich auf Tobias' Worte hatte verlassen können.
Aber Tobias hatte auch gesagt, sie solle allein nach Phoenix reisen, er würde sie finden. Er glaubte offensichtlich, dass sie das alles schaffte, doch jetzt saß sie hier mutterseelenallein auf dem Gehsteig in tiefer Nacht und fragte sich, ob Tobias wirklich sicher gewesen sein konnte, dass sie das alles schaffte. Aber er hätte ihr das niemals gesagt, wenn nicht. Sie vertraute ihm, sie vertraute ihm vollkommen - und so fragte sie sich das eher im Bezug auf sich selbst. Fragte sich, ob sie Fehler machte, fragte sich, warum er glaubte, dass sie das konnte ... sie wollte ihn nicht enttäuschen.
Zoes Gedanken drehten sich im Kreis, die Farben und Lichter der Straße und Autos verschwammen vor ihren Augen in den Tränen. Ihr Kopf dröhnte, die Übelkeit der Migräne drückte auf ihren Magen und schnürte ihr die Kehle zu. Flach und schnell atmend, versuchte sie sich selbst zu beruhigen, drückte die Fingerspitzen an ihre Schläfen, massierte leicht und schloss die Augen, um sich auf ihren Körper zu konzentrieren, damit sie ihn beruhigen konnte.
Doch anstatt es besser zu machen, wirkte es, als würde sich alles verschlimmern. Das Pochen war mittlerweile so stark, dass es ihr schwindelte und sie die Augen wieder öffnen musste, doch die Eindrücke, die sie nun in sich aufnahm, gepaart mit der Lautstärke der vorbeirasenden Fahrzeuge war zu viel. Als ein Lastwagen laut sein Horn ertönen ließ und polternd, groß und bedrohlich auf der Straße, recht nah an ihr vorbeizog, und auf der gegenüberliegenden Seite das Geheul von Sirene zu hören war, begann der Tinitus in ihren Ohren unaufhörlich laut zu ziehen.
Eine Reizüberflutung ließ sie ihre Hände auf die Ohren pressen, was ihren Kopfschmerz schlagartig verschlimmerte und das Übelkeitsgefühl sie zusammensacken ließ. Zoe rutschte von ihrer Tasche auf den Hosenboden, doch sie merkte es nicht einmal. Auch ihr Wimmern und das Zusammenpressen ihrer Lider bekam sie nicht mehr mit. Von einem verschwommenen Farbenwirrwarr und Reizen, die ihre Sinne überhitzten, schwappte sie fast übergangslos in ein Loch, das sie einsog und nicht mehr hergeben wollte ... sie fiel und fiel und irgendwann war da nichts mehr, alles war nur ruhig und leer, aber auch das bekam sie nicht mehr mit ...
Zusammenfassung der nachfolgenden Szene
Dragon, ein Vampir, spürte Zoe auf. Da sie keine Schweißproduktion hatte und ihr Körper die Überanstrengung nicht ausfiebern konnte, fiel sie ins Delirium.
Dragon brachte sie in ein Haus im englischen Kolonialstil, das seinerzeit nicht bewohnt worden war. Die Möbel waren mit weißen Laken bedeckt gewesen. Er brachte sie in eines der Betten in einem der Schlafgemächer und deckte sie zu. Sie wachte irgendwann auf, der Vampir versorgte sie mit Essen und Getränken - oder besser gesagt ein bunter Rabenvogel, der ihm augescheinlich gehorchte. Dragon stellte sich mit "Tatsu" vor."Kannst Du ... helfen?", , fragte sie auf russisch, sie war nicht fähig zu begreifen, dass sie in diesem Land Englisch zu sprechen hatte. "Bitte ... hier ist es so ... Karussell ...", sie erinnerte sich an einen kleinen Jahrmarkt, auf den Tobias sie vor einem Jahr mitgenommen hatte.
Ein sehr kleiner Rummelplatz mit einem Kinderkarussell, dessen Elefant sie auf ihrem Rücken getragen hatte. Ein weißer Elefant ... Tobias hatte erzählt, dass es ein Gedicht gab ... über einen weißen Elefanten. Ihr war auch dort etwas übel geworden, aber es war mehr ein Kribbeln, als unangenehm. "Ich kann den Rüssel nicht erreichen ...", flüsterte sie weiter, sie merkte nicht, dass sie erzählte, an was sie sich erinnerte. Sie hatte Tobias zugerufen, dass sie den Rüssel nicht erreichen konnte, sie hatte gelacht. Jetzt konnte sie nicht lachen.
"Haben Elefanten ein Katzenfell?" Fragte sie weiter ... ihre Gedanken waren schon weiter, Tobias und sie standen vor dem Karussell, sie konnte sich nicht vorstellen, wie echte Elefanten aussahen ... oder viel mehr, wie sie sich anfühlten. Dann sackte sie wieder weg. Ein leichter Wind fuhr ihr durch die Strähnen und kühlte weiter ihre Haut.
Sie unterhielten sich kurz, sie fragte, warum er russisch spräche, und wem das Haus gehörte. Es gehöre sich selbst, wie er sagte, und Dragon schenkte ihr einen Elefanten:"Ich bin ...", was stand nur noch in ihrem amerikanischen Pass? "... Janka ... zum Teil." Sie konnte einfach nicht lügen.
Dann verabschiedete sich der Vampir, sagte ihr, sie solle auf sich aufpassen, es sei wahrscheinlich ein herber Verlust, würde ihr etwas geschehen. Sie solle skeptisch bleiben und vorsichtig. Nicht jedem sofort vertrauen. Er war weg ...Original von Dragon/André
Ein winziges Figürchen, aus kalter, milchig grüner Jade kullerte aus der Jackentasche und blieb regungslos liegen. Es zeigte einen tanzenden Elefanten von erstaunlicher Schönheit, der auf einer Lotusblüte balancierte, vier arme besaß und in ihnen allerlei Dinge hielt: Eine kleine Axt, eine winzige Mandelblüte, eine Gebetskette und einen dicken Wälzer. Besah man sich das Kleinod genauer, konnte man sogar erkennen, dass dem Dickhäuter ein Stoßzahn fehlte. "Ich spreche Russisch, weil du es tust und ich habe dir einen Elefanten gebracht, weil du vorhin danach verlangt hast. Er hat sogar einen Rüssel, den man erreichen kann."
[/size]Folgt nun die Szene mit Boothe, die nun mit ihm gepostet wird.Nur einer blieb zurück, ein schwarzer Vogel, den sie als Krähenvogel aus einem von Tobias' Büchern wiedererkannte. Er blieb sitzen, wo er war, und sah sie an. Sie blickte auf die Türe, hinter der sie glaubte, dass der Fremde verschwunden war, dann zurück in die schwarzen Knopfaugen des gefiederten Freundes. Die junge Frau war nachhaltig fasziniert davon, dass jemand eine Sprache sprach, nur weil sein Gegenüber diese sprach ... es musste eine Vampirfähigkeit sein, die sie noch nicht kannte. Nun war er einfach weg. Gerne hätte sie ihn zurückgehalten, aber es ging zu übergangslos. Wie sollte es nur passieren, dass sie ihn rufen konnte, wenn sie Hilfe brauchte? Würde er sie beobachten? Kurz hielt sie bei dem Gedanken die Luft an und sah in Richtung des Fensters, in der Hoffnung auf eine Antwort, die nicht kommen sollte.
"Was bedeutet denn 'neesan', Rabenvogel? Magst Du mir das nicht verraten? Und mein Name ist Zoe ... halb Janka, halb Zoe ... vielleicht findest Du den Vampir irgendwann, dann kannst Du es ihm erzählen, nicht wahr? Das kannst Du doch, oder nicht?" Zoe nahm den orangefarbenen Saft und trank einen Schluck, sodass sich ein kleiner Karottenbart über ihren vollen Lippen abzeichnete. Sie wirkte in diesem Moment und mit ihren Worten viel kindlicher, als sie in Wirklichkeit war. Aber wie sonst sprach man mit einem Vogel und trank von einem Saft, bei dem man gar nicht wusste, dass er einen orangefarbenen Rand um den Mund hinterließ?
Den Elefanten aus Jade ließ sie dabei jedenfalls nicht los und den Rabenvogel nicht aus den Augen. Als sie wieder auf die Elefantenfigur sah, erkannte sie, dass die Farbe der Figur, die gleiche Farbe war, wie die der Augen des Vampirs. Zoe lächelte sacht bei dem Gedanken.
Alles kam ihr vor wie ein Märchen. Wie etwas, das sie überhaupt nicht wirklich erlebt hatte. Aber was es auch war, es war schön gewesen und sie fühlte sich sicher und wohl. Zoes Blick fiel neben sich. Dort lag noch immer die schwere Jacke. Sanft strich sie über das Leder.Es fühlte sich gut an, und wie ein wertvoller Schatz. Noch ein Schatz, den Tatsu zurückgelassen hatte und auf den sie acht geben wollte. Nun aber war sie wieder allein, allein mit dem Rabenvogel. Sie fragte sich, ob auch er irgendwann einfach verschwand. Jetzt jedenfalls war es wichtig, weiterzugehen. Sie konnte hier nicht bleiben, auch wenn es ein hübscher Gedanke war, in einem Haus zu sein, das sich selbst gehörte ...